Geschichten:Das Erbe der Pfortensteiner - Erschreckende Erkenntnisse
15. Praios 1048 BF, Burg Halhof
Melina von Ehrenstein konnte es kaum noch erwarten. Vor fünf Tagen hatte ein Botenreiter aus Rubreth ihr ein kleines Kästchen von ihrer ehemaligen Zofe Argande von Scheupelburg überbracht, in welchem sie einen kurzen Brief und einen ihr wohlbekannten Schlüssel vorgefunden hatte. Der Brief besagte, dass ihr ehemaliger Gemahl Rondradan Helmar von Pfortenstein ihr endlich ihr privates Eigentum aus Burg Rubreth übersenden würde. Fast ihr gesamter Schmuck und all ihre Kleider und Schuhe, welche sie bei ihrer überstürzten Abreise aus dem Reichsforst, ja man konnte es schon eine Flucht nennen, hatte zurücklassen müssen. Am wichtigsten aber war jene kleine Schatulle am Boden einer Kleidertruhe, welche ihre intimsten Geheimnisse enthielt. Nun wuchsen mit jedem Tag ihre Anspannung und Ungeduld. Sie mochte Rondradan zutrauen, dass er den langsamsten Ochsenkarren Reichsforsts für diese Lieferung verwenden würde.
Doch schließlich um die Mittagsstunde fuhr eine Kutsche mit den Rubrether Wappen auf den Burghof. Melina war von einer Pagin eilig informiert worden und hastig hinzugeeilt, als die für sie so wertvolle Fracht bereits abgeladen wurde. Wie sie auf Nachfrage beim Kutscher erfuhr, hatte sich die geplante Abfahrt einfach um ein paar Tage verzögert, weil wegen der Hochzeitsvorbereitungen auf Burg Rubreth andere Dinge wichtiger gewesen waren als ihre Kisten. Melina nahm diese Information äußerlich ungerührt zur Kenntnis, doch innerlich kochte sie. Natürlich hatte sie davon gehört. Nicht nur, dass ihr Ex-Gatte ihr Amt als Landvogt von gräflich Rubreth bekommen hatte. Nein, er hatte sich kaum drei Monde nach ihrer Scheidung mit dieser blutjungen Ritterin aus dem Hause Luring verlobt. Sie selbst war dagegen zu einer Buße von Jahr und Tag der Enthaltsamkeit und Keuschheit verdonnert worden. Zumindest, damit tröstete sie sich nun, würde die neue Gattin an der Seite Rondradans, nicht Melinas gute teure Kleider tragen.
In weniger als einem halben Stundenglas hatten die Pagen des Hofes sämtliche Truhen und den großen Standspiegel Luringer Machart in Melinas Quartier getragen. Es stand alles noch etwas unsortiert herum, doch sobald es ging, schickte sie sämtliche Diener hinaus und verriegelte die Tür. Die Ungeduld brannte ihr unter den Fingernägeln. Natürlich hatte sie die wichtigste Kiste sofort wiedererkannt. Ohne größere Sorgfalt nahm sie die Blusen und Hemden heraus, bis sie am Boden der Truhe auf das wertvolle kleine Kästchen stieß. Glücklich presste sie es einen Moment an sich, bevor sie den Schlüssel aus der kleinen Seidentasche nahm, in welcher ihre Zofe diesen für sie ausbewahrt hatte. Er passte wie eh und je, drehte sich leicht im Schloss und mit einem leisen Klicken sprang der Deckel auf.
Dann wurde Melina leichenblass. Das Kästchen war leer. Vollkommen leer. Mit Erschrecken wurde der Ehrensteinerin klar, dass es ihre Abschrift des Ehevertrags gewesen sein musste, welcher dem Garether und Märker Herold in Luring zugespielt worden war. Doch wie? Rondradan hatte vor dem Praios-Geweihten in Syrrenholt geschworen, dass er mit der Enthüllungsgeschichte nichts zu tun hatte. Das Kästchen war verschlossen gewesen und Argande hatte den einzigen Schlüssel dafür gehabt. Melina wusste, dass die junge Zofe ihr treu ergeben gewesen war. Niemals hätte sie sie verraten. Hatte sich das schlichte Kind vielleicht zu etwas überreden lassen? Doch auch das hätte sie in ihrem Brief erwähnt, einfach weil sie in ihrer Gutmütigkeit ein schlechtes Gewissen gehabt hätte. Wie Melina es auch drehte und wendete, sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Ihre Abschrift des Ehevertrags blieb verschwunden.
Das konnte böse für sie ausgehen, dachte sie plötzlich, wenn das Haus Ochs doch noch darauf bestehen sollte, die für das vereinbarte Stillschweigen gezahlten Gelder zurückzuerhalten. Sie musste sofort ihren Vater informieren. Königlich Halhof war sicherlich wohlhabend, aber eine solche Summe wie sie damals geflossen war, würde auch er als Kronvogt nicht so ohne Weiteres aus dem Säckel zaubern können. Melina überlegte kurz und beschloss, dass sie diese Information nicht für sich behalten konnte. Das kleine Kästchen wanderte sorgfältig verschlossen wieder unter die Blusen in die große Wäschetruhe und kurze Zeit später stand sie mit klopfenden Herzen vor der Tür zur kronvögtlichen Schreibstube.
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