Geschichten:Die Stimmen der Experten

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Burg Menzelshall, 9. Efferd 1048 BF

Die heiße Efferdsonne warf einen konturierten Schlagschatten auf den Rand des Turnierfeldes. Die Wimpel auf allen Zinnen flatterten in einer leichten Spätsommerbrise, desgleichen die Standarten und Fahnen auf den Tribünen und auf den Zeltstangen der zahlreichen zur "Krone von Menzelshall" angereisten Ritter. Menschenmassen umsäumten das Turnierfeld, bevölkerten die Sitzreihen und Stehplätze, kletterten auf waghalsige Aussichtspunkte und schrien dabei oder lachten oder beschwerten sich – waren jedenfalls laut. Das Turnier sah eben die Konfrontation des eleganten Giselhold von der Mühlen und des Gemmenritters Filrak von Auweiler, und am Lärm der Zuschauer konnte man ablesen, dass beide ihre Anhänger hatten.

Aber hier, am Rande, herrschte eher Stille, so eine Art besorgtes Murmeln, immer wieder übertönt von dieser oder jener lauten Stimme, die fachkundig ihr Urteil abgab: „Das wird nichts mehr, holt den Boroni!“ – „Unsinn, so war es bei meiner Tante Selinde, und jetzt springt sie noch fidel von einer Feier zur nächsten.“ – „Ihr meint von Bett zu Bett!“ – „Achtung, der Medicus kommt!“

„Lasst uns durch“, herrschte eine resolute Ritterin die Menschen an, die den Verletzten, der in ihrer Mitte am Boden lag. neugierig umringte. „Platz da, rapido!“ Brindia von Stolzenfurt versah einen Rollkutscher, der nicht sofort Platz machte, mit einem gezielten Tritt und verzog dabei kurz belustigt den Mundwinkel, bahnte aber den beiden Herren in ihrem Schlepptau erfolgreich den Weg.

„Hier kommen der Medicus und der Geweihte!“, verkündete sie den Erfolg ihrer Mission der am Boden kauernden Ringard von Luring-Zwillenforst, die mit besorgter Miene ihrem Vater Borodan fortwährend den Schweiß von der bleichen Stirn wischte, während ihre Knappin Leugrimma pflichtbewusst einen Ballen Linnen auf die Wunde drückte, die bereits die gesamte Brust des nordmärkischen Ritters rot gefärbt hatte.

„Das wurde auch Zeit! Hier, gelehrter Herr, Euer Gnaden, beeilt Euch. Er wird immer schwächer“, rief Ringard angstvoll.

Yaron von Altmark, der Hofmedicus der benachbarten Gerbaldsmark und dieser Tage der Turniermedicus auf Menzelshall, kniete sich auf seien ruhige Art neben den Verletzten und nahm der Knappin den provisorischen Verband aus der Hand, um sich die Wunde anzusehen, Sofort pulsierte wieder Blut. Yaron zog die Brauen hoch und schnalzte mit der Zunge.

Derweil hatte sich auch der junge Perainegeweihte neben den verletzten Ritter gekniet und fühlte den flatternden, schwächer werdenden Puls. Auch Bruder Roban hob die Brauen und suchte sofort die Augen der bangenden Tochter: „Er steht an Uthars Pforte, Frau.“

„Es ist zu viel Blut, meine Kunst reicht hier nicht“, kommentierte Yaron diesen Satz. „Er ist zu schwer verletzt. Die Lanze scheint das Herz getroffen zu haben oder eine der großen Adern.“

Bruder Roban fing an, ein Stoßgebet zu seiner Göttin zu senden, aber an seinem flehenden Blick sahen die umstehenden Gaffer schon, dass hier wenig Hoffnung bestand.

Sofort erhoben sich erneut die Stimmend er Experten in der Menge der Schaulustigen: „Das ist Herzblut, was da pulst. Aussichtslos.“ – „Bei meiner Tante Selinde …“ – „Wissen wir, wissen wir.“ – „Da kann nur noch ein Magier helfen!“ – „Wo ist denn der Magier der Burg?“ – „Den sieht man nicht hier unten, nie.“ – „Bei meiner Tante Selinde …“

„Ruhe jetzt!“, brüllte Ringard. Sie saß den beiden Heilern gegenüber auf der anderen Seite ihres Vaters, aber hatte die Menge von hier kurz zum Schweigen gebracht. Eben schüttelten Medicus und Geweihter bedauernd die Köpfe, hilflos, machtlos, als Ritter Borodan die Augen öffnete.

„Ringard“, keuchte er. Die beugte sich sofort näher zu ihrem Vater: „Was, Vater?“ Dabei legte sie ihr Ohr fast auf den Mund des Sterbenden, um sein Flüstern zu verstehen.

„Ringard, ich habe etwas … Schlimmes …“

„Sch… sch…“, versuchte sie ihn zu beruhigen, aber er schnitt ihr mit vorletzter Kraft das Wort ab: „Hör zu: ich habe … einen Pakt … mit dem Bösen … deine Seele, nicht meine …“ Seine Lider flatterten, die Lippen zuckten.

Ringard erschrak bis ins Mark: Ihr leutseliger, guter, besorgter Vater? „Was kann ich tun, Vater ich mache alles, was Du willst! Sag es!“

Da öffnete er noch einmal die Augen, und während seine Lippen sich zu einem triumphierenden Lächeln spannten, äußerte er – laut und vernehmlich – den letzten Wunsch eines Sterbenden: „Heirate, sofort.“ Dann entwich sein Leben und sein Körper sackte zusammen.

Ringards Gesicht spiegelte Trauer und Panik. Heiraten? Sie? O nein, das konnte er nicht …! Doch das hatte er …!

Sie ließ ihren Blick in die Runde schweifen, an Marbert von Mersingen blieb er hängen: „Seid Ihr verheiratet?“ – „Leider ja“, antwortete der schöne Ritter. „Aber ich nicht“, rief eine Stimme aus der Menge, wurde aber schnell abgewürgt: „Heirate doch deine Tante, Mann!“

„Und Ihr, Rondragrimm?“, fragte Ringard den großen Ritter neben Mersingen.

„Nicht“, antwortete er. „Noch nicht, wie mir scheint.“

„Lasst uns keine große Sache daraus machen, Rondragrimm, wir kennen uns schon ein paar Jahre. Ihr kennt meine Tochter. Und habt meinen Vater gehört. Sofort hat er gesagt. Wollt Ihr?“

„Moment“, schaltete sich Bruder Roban ein, „so geht das nicht!“

„Es muss“, befand Ringard. Und so wurde die Ehe an Ort und Stelle geschlossen. Die Trauzeugen waren Marbert von Mersingen und Brindia von Stolzenfurt, eben jene letzte Gegnerin von Borodan von Zwillenforrst, deren Lanze vom Schild abgerutscht und in das Herz des Ritters gefahren war.

Doch die frisch Vermählte bekam ihre Rache nicht sofort: Zwar wählte sie in der nächsten Runde Brindias Schild, unterlag ihr jedoch im vierten Anritt. „Beim nächsten Mal … vielleicht“, grinste Brindia spöttisch und frei von Schuldgefühlen. Das Grinsen verging ihr allerdings in ihrer nächsten Runde, als der spätere Turniersieger Glaubert von Eschenrod sie in Grund und Boden fegte.