Geschichten:Flüstern im Burghof
Im steinernen Innenhof der ehrwürdigen Praiosburg standen zwei Hausritter beisammen, ihre Schatten langgezogen auf dem sonnengetränkten Pflaster. Finyara von Ibelstein verschränkte die Arme und musterte Leuthardt von Eslamsberge-Krolock, dessen Miene sich in mürrischer Ablehnung verhärtet hatte.
„Also wirklich, Leuthardt,“ begann Finyara mit einem säuerlichen Lächeln, „ein Kontoristenlehrling. Aus der Stadt Bärenau. Und dieser... Hesindigon von Hartsteen soll nun Knappe werden?“
Leuthardt schnaubte. „Ein Name macht noch keinen Ritter. Ich habe noch nie was von dem gehört. Eltern sollen Handwerker sein. Kupferstecher oder so ähnlich. Aurentian Linie so sagt man.“
„Er kann zeichnen, sagt man“, fuhr Finyara abwertend fort, „hervorragend sogar. Skizziert Tiere, malt Porträts...“
„Bunte Bildchen!“, unterbrach Leuthardt mit einem spöttischen Ton. „Das soll genügen? Ein bürgerlicher Schmierfink als Knappe! Lächerlich.“
Finyara schüttelte den Kopf. „Unsere Baronin... früher hätte ich gesagt: eine vernünftige Frau. Doch in letzter Zeit? Sonderlich. Erst ihr Studium, dann dieser merkwürdige Hang zu den Tierkönigen. Ihr Vater, Boron hab ihn selig, würde sich im Grabe umdrehen.“
„Eine Schande“, murmelte Leuthardt. „Adel war einst eine Frage der Ehre und der Tat. Nicht der Kunstfertigkeit in der Malerei!“
In diesem Moment hallten schwere Schritte über den Hof. Beide Ritter fuhren zusammen, als Balian von Ibelstein, der erste Ritter von Bärenau, in glänzender Rüstung herantrat. Sein Blick schnitt schärfer als ein Dolch, seine Stimme donnerte über den Stein.
„Bei den Göttern! Was ist das hier für ein Geschwätz?!“ brüllte er und beide Ritter zuckten zusammen wie ertappte Kinder.
„Ihr redet über einen Knaben, den ihr nicht kennt und über eine Frau, die euch Frieden und das Brot auf dem Tisch gesichert hat! Habt ihr alle den Verstand verloren?“
Leuthardt versuchte etwas zu sagen, doch Balian schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
„Iralda von Ochs hat, als die Feuersbrunst über Hartsteen tobte, ihre Eltern verloren und um ihren Bruder getrauert. Sie hat ihre magische Kraft geopfert, um das Erbe ihrer Familie aus der Asche zu erheben! Mit klarem Kopf, Diplomatie und phexischem Geschick hat sie das Land wieder aufgebaut.“
Er trat einen Schritt näher, seine Stimme wurde dunkler.
„Sie ist keine leuchtende Ritterin wie ihr Vater Brander vor ihr. Keine Heldin aus den Sagen. Aber sie ist klug und unbeugsam, und sie liebt dieses Land mehr als ihr eure eigenen Spiegelbilder. Dankt den Zwölfen für eine solche Herrin.“
Finyara senkte den Blick. Leuthardt presste die Lippen zusammen.
„Und Hesindigon? Seine Eltern mögen Bürgerliche sein, doch das Haus Hartsteen ist es nicht. Es ist unser aller Grafenhaus. Der Knabe hat sein Herz ist am rechten Fleck. Zudem ist er der Cousin des zukünftigen Baronsgemahls Alderan von Hartsteen-Rathsamshausen. Ihr seid nicht befugt, schlecht über unsere Baronin und ihre Entscheidungen zu sprechen. Ohne sie wäre Bärenau dem Hungertod verfallen.“
Ohne ein weiteres Wort stapfte er davon, und selbst der Wind schien sich seiner Wut anzuschließen.
Finyara sah Leuthardt an. „Vielleicht... waren wir doch zu voreilig.“
Leuthardt schwieg. Doch sein Blick verlor für einen kurzen Moment seine Spottlust und wurde nachdenklich.

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