Geschichten:Ochs vorm Berg
Baronie Viehwiesen, Burg Ox
„Liebes.“ Anaxios zuckte innerlich zusammen, als Chaliba ihn mit diesem süßlich-giftigen Kosenamen ansprach. Er kannte diesen Tonfall. Schmeichelnd, aber mit einer Prise Unheil. Also antwortete er lieber rasch, mit einem geübten Lächeln: „Liebes? Was kann ich für meine göttergleiche Gemahlin tun?“
Chaliba ließ sich nicht beirren. „Liebes,“ wiederholte sie, nun mit einem Hauch von Nachdruck. „Ich habe mich neulich in der Therme in Gareth mit Kordara unterhalten. Eine wirklich reizende Dame aus Reichsforst.“
Anaxios schnaubte leise durch die Nase. Kordara? Der Name sagte ihm nichts. Sein Gedächtnis für Namen war miserabel, sein Gesichtergedächtnis noch schlimmer. Doch statt nachzufragen, lächelte er sanft und nickte. Nicken war immer eine gute Strategie, es beruhigte Chaliba und ließ ihn Zeit gewinnen.
Ein Räuspern durchbrach die Stille. Ein zweites, lauter. Anaxios wurde ertappt. Er hatte sich wieder in sein Buch vertieft, ein faszinierender Artikel über die Geschichte der Magierakademien. Sein Finger strich sehnsüchtig über die Seiten, als wolle er sie noch ein letztes Mal berühren.
Doch Chalibas Räuspern wurde zur Drohung. „Liebes, du sagtest etwas über die Thermen. War es schön?“ fragte er mit einem schmachtenden Blick – allerdings nicht zu Chaliba, sondern zu seinem Buch. Thermen... wie langweilig, dachte er. Dennoch schlug er das Buch auf, nur ein paar winzige Zeilen, ganz heimlich...
Chaliba prustete. Er liest wirklich wieder diesen Schmöker, dachte sie verärgert. Na warte, Bürschchen. „Ich war mit Kordara in den Thermen. Es war wunderschön.“
„Schön, Liebes, schön.“ Anaxios murmelte abwesend.
„Dann kamen sie – all die Männer und Frauen. Eine Orgie, Anaxios! Eine wahre Orgie! Die Lustschreie hättest du bis Viehwiesen hören können. Wie Karnickel, sage ich dir!“
„Schön, Liebes, schön. Erzähl weiter.“ Noch immer abgelenkt.
Das war zu viel. Chaliba griff nach dem Buch und schleuderte es mit voller Wucht durch das Arbeitszimmer. Es landete krachend im Flur. Sie richtete sich auf, ihre Stimme donnerte: „Ich habe dir gerade gesagt, dass ich dich mit unzähligen Männern und Frauen betrogen habe – und du sagst ‚schön, weiter so‘?! Hörst du mir überhaupt zu?“
Anaxios rang nach Luft. Das arme Buch... Er lockerte seinen Kragen, spürte die Hitze aufsteigen. Sie war wütend. Richtig wütend. „Wirklich?“ fragte er kleinlaut.
Chaliba stemmte die Arme auf den Tisch, beugte sich vor und sah ihm tief in die Augen. „Natürlich nicht. Aber jetzt hörst du mir zu. Ich war mit Kordara in der Therme in Gareth. Und es war wunderschön.“
Anaxios riss sich zusammen. Keine Ablenkung mehr. Das Buch hatte bereits genug gelitten.
„Anaxios, hör mir zu!“ Er zuckte zusammen. Das letzte Kapitel seines Buches war so spannend... „Ja, Liebes.“
„Wir haben uns wirklich nett unterhalten. Ihre Tochter Belgunde war auch dabei. Ein entzückendes Mädchen. Und weißt du was? Ihr Großvater ist Rondger vom Luring. Ein Graf!“
Anaxios nickte eifrig. „Beeindruckend.“ Ein Wort, das immer funktionierte.
Chaliba strahlte. „Genau! Ich wusste, du würdest es genauso sehen. Ich habe nämlich bereits eine kleine Abmachung getroffen. Belgunde und Ruben – ich finde, sie würden wunderbar zusammenpassen.“
„Oha.“ Diesmal war Anaxios wirklich aufmerksam. „Oha?“ fragte Chaliba misstrauisch.
„Ich vertraue deinem Urteil, Liebes. Aber hier in Garetien... nun, da entscheidet unser Oberhaupt über solche Dinge. Wir hätten Leobrecht fragen müssen.“
Chaliba schnaubte. „Ist der Wunsch einer Mutter etwa nicht genug?“
„Doch, Liebes, natürlich. Dein Wunsch ist mir Befehl. Ich werde es Leobrecht mitteilen. ‚Berg‘ ist ein guter Name. Obwohl... kennst du das garetische Sprichwort?“
„Welches Sprichwort?“ Chaliba runzelte die Stirn.
„‚Ochs vorm Berg… Ach, egal. Sag mir lieber, mit wem du genau gesprochen hast.“ Anaxios hatte die Namen schon wieder vergessen.
„Ich war in Gareth in der Therme mit Kordara vom Berg und ihrer Tochter Belgunde vom Berg. Sie ist die Enkelin von Rondger von Luring. Ihr Vater, Praiodan von Rommilys, ist leider verstorben.“
Anaxios erstarrte. „Oha... oha... oha.“ Er erhob sich, ging zur Truhe und zog einen alten Aventurischen Boten hervor – Ausgabe 1040 BF. Die Schlagzeile: „Mord im Reichsgericht.“ An den Namen konnte er sich erinnern.
Er schlug sich die Hand vors Gesicht. „Er bringt mich um.“
„Wer?“ Chaliba verstand nichts.
„Leobrecht. Weißt du denn nicht, wer der Vater ist?“
Chaliba schüttelte den Kopf. „Ich weiß nur, dass er verstorben ist und fälschlich angeklagt wurde. Aber das passiert ja inzwischen vielen guten Garetiern.“
Anaxios rang nach Atem. Er las den Untertitel: „Reichsrichterin in Elenvina tot aufgefunden – Anhänger des Namenlosen erhängt sich nach Enttarnung.“
Er ließ sich schwer in seinen Sessel sinken. Chaliba brachte ihm das Buch zurück, das er nun wie einen Talisman an sich drückte. Die Baronin blickte auf den Boten, ihre Stimme fest, trotzig – und doch mit einem Hauch von Furcht: „Er ist unschuldig. Und ich werde es beweisen.“
| ◅ | Klassisches Unentschieden |
|
Die Beisetzung der Ugdane von Halmenwerth | ▻ |