Geschichten:Geschichten:Luringans Pfad - Eine Frage des Glaubens

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Mitte Rondra 1044 BF, Schloss Sonnenfeld

"Ritter Wulfhelm, auf ein Wort."

Der Junker hatte sich den Großteil des Nachmittags mit den prominenteren Gästen unterhalten, wie es von ihm als Gastgeber erwartet wurde. Zwar brannte er schon seit geraumer Zeit darauf den Keilholtzer zu sprechen, aber für etwaige Agenten Langenlobs musste es so aussehen, als würde er nur der Höflichkeit Genüge tun überhaupt einmal mit seinem Gast geredet zu haben. Zwar war der Greifenfurter seit einigen Monden der neue Herr auf Blaufelden, aber als solcher eher ein Gefolgsmann des Pfalzgrafen auf der Randersburg, als ein Mann Graf Dregos. Insofern war er in mehrfachem Sinne ein Außenseiter unter den vielen Reichsforstern. Immerhin hatte er mit Jeswine von Pfortenstein jetzt eine Gattin aus einem alten Reichsforster Geschlecht gefunden, was Reto für einen sehr klugen Zug hielt, um sich als neubelehnter Edler in der Fremde etwas Unterstützung zu sichern.

"Junker Kesselstein", entgegenete der Keilholtzer und neigte höflich den Kopf. "Vielen Dank für die Einladung. Ihr versteht es Feste zu feiern", meinte er mit einer ausholenden Bewegung in Richtung des großen Saales. "Obwohl es in diesen Zeiten manchem unverständlich sein mag, wie man so ausgelassen feiern kann, wenn wenige Meilen entfernt die Höfe brennen."

"Nun, gerade in diesen Zeiten sollte man das Leben feiern und was wäre dafür besser geeignet als ein Wiegenfest? In diesen Zeiten wo die Herrin Rondra lacht und Herr Boron reichlich zu tun bekommt, kann es nicht schaden, der Herrin Tsa die Ehre zu erweisen."

"Wohl gesprochen, Euer Wohlgeboren." Wulfhelm prostet Reto mit dem Glas voll dunkelrotem Almadaner zu. "Doch sagt, habt Ihr dieser Tage Kunde von meinem Vetter Ingmar erhalten?"

"Zu meinem Bedauern, leider nein. Seit dem Überfall sind er und meine Enkeltochter wie vom Dererund verschluckt. Alles was man weiß ist, dass sie nicht im Feuer umgekommen sind und sich vor dem nächtlichen Angriff wohl in den Hornwald flüchteten. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen. Ich habe bereits mehrere Ortskundige im Gehölz suchen lassen, aber bisher ohne Erfolg."

Der Ritter runzelte die Stirn. "Die Sache stinkt doch bis Alveran!"

"Wie meinen?" Reto schaute irritiert drein.

"Dieser Überfall auf Radulfsfelden! Alle reden von Söldnern aus der Kaisermark, Hartsteener oder Waldstein, aber das ist doch alles Unfug! Ich war lange genug in der Wildermark um zu erkennen, wann ich es mit Marodeuren und Heckenrittern zu tun habe."

Die Miene des Kesselsteiners hellte sich verstehend auf. "Ihr glaubt also, dass hier jemand die Gunst der Stunde genutzt hat, um in diesen unsicheren Zeiten unter dem Deckmantel der Fehde sein eigenes Süppchen zu kochen?"

"So will es mir scheinen." Der Keilholtzer blickte sich um und sprach etwas gedämpfter. "Von Radulfsfelden zur Kaisermark und nach Hartsteen liegen diverse Burgen. Angreifer aus Waldstein hätten auf ihrem Weg durch Rallerspfort zuvor leichtere Ziele gefunden. Zudem wurde nur das Herrenhaus angezündet und nichts geplündert. Das sieht mir eher nach einem sehr gezielten Angriff auf meinen Vetter aus. Er ist Euer Schwiegersohn, Herr von Kesselstein! Wisst Ihr, ob er irgendwelche Feinde hat, die zu so etwas fähig sind?"

Nun war es an Reto die Stimme zu senken. "Feinde vielleicht nicht unbedingt, aber eventuell die falschen Freunde."

"Was meint Ihr damit?" Wulfhelm sah sich kurz unauffällig um und neigte dann den Kopf näher zum Gastgeber. "Ingmar ist in dieser Grafschaft aufgewachsen, aber mir sind die Händel der Reichsforster unbekannt. Vor wem ist er geflohen und vor wem sollte ich mich gegebenenfalls in Acht nehmen?"

Der Kesselsteiner zögerte kurz und entschied sich dann dem politisch eher unbedarften Greifenfurter reinen Wein einzuschenken. "Wenn ihr wissen wollt, wem ich diese Tat am ehesten zutrauen würde, so würde ich Euch Rudon Langenlob nennen."

Wulfhelm hob die Braue. Diesen Namen hatte selbst er schon gehört. "Der Zwillingsteiner? Der beste Freund des Grafen, wie meine Frau zu sagen pflegt."

"Eben jener", nickte Reto bestätigend.

"Aber warum sollte er das tun?"

"Es heißt Ingmar sei gut Freund mit des Grafen jüngerer Schwester Lechmin und über sie im Dunstkreis des langen Odo."

Der Ritter grübelte kurz. "Ihr meint den Luring-Mersingen? Der ist doch irgendein Onkel Graf Dregos, oder so ähnlich. Was hat das jetzt damit zu tun?"

"Ein Vetter, ja. Er war von Ritter Danos sehr geschätzt, ist in letzter Zeit aber in Ungnade gefallen. Man sagt, er habe bei Hofe gegen den aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Langenlob agiert und dabei den Kürzeren gezogen."

"Ist er denn nicht auf der Turney im letzten Götterlauf festgesetzt und in den Kerker geworfen worden? Ich habe da bei den Truppen so etwas munkeln hören meine ich."

"Das schon, aber genauso hat man mir gemeldet, dass er während des Angriffs ebenfalls in Radulfsfelden war. Unter den Flüchtenden wohlgemerkt, also in Ingmars Gesellschaft."

"Aber wenn er in Luring im Kerker saß, wie bei den Niederhöllen kommt er jetzt nach Rallerspfort?" Der graubärtige Wildermarkveteran war kein Freund verwobener Geschichten und wurde langsam ungeduldig.

"Er ist entflohen, beziehungsweise wurde er befreit. Und zwar nicht aus dem Kerker von Burg Luring, sondern aus dem Luringer Zwinger, dem Sitz des Stadtvogtes. Welchen man inzwischen im Übrigen als Anhänger des Namenlosen entlarvt hat." Reto sah die ungläubige Miene des Greifenfurters. "Nach allem was ich weiß, ist das zumindest die beste Erklärung die ich finden kann."

"Ich habe einige hier über den Vorfall am Neujahrstag reden hören und konnte es kaum glauben, aber das mit Odo kommt mir doch sehr weit hergeholt vor."

"Vielleicht", gab der Junker mit der Schulter zuckend zu. "Aber wenn man bedenkt, dass eben jener Ungolf von Luring-Prestelberg ein enger Vertrauter Rudon Langenlobs ist, dann wird das Ganze langsam merkwürdig, findet Ihr nicht auch?"

"Es könnte aber auch bloß ein Zufall sein", gab der Keilholtzer zurück. "Und der Überfall auf Radulfsfelden tatsächlich eine schlecht geplante Aktion Waldsteiner Söldner." Der Gedanke an eine namenlose Verschwörung in den höchsten Kreisen war ihm einfach zu ungeheuerlich. Unwillig wandte er sich halb von seinem Gastgeber ab.

"Natürlich könnte es das sein. Ein einfacher Zufall. Wenn man denn daran glauben möchte." Reto hob der Glas zum Gruß und ließ den Ritter mit seinen Gedanken allein. Er hatte die Saat des Zweifels gesetzt. Mehr durfte er nicht sagen ohne zu viel von sich und seinen Quellen zu verraten. Er hatte sich ohnehin schon sehr weit vorgewagt. Der Kesselsteiner hoffte, dass der ehrenhafte Greifenfurter, wenn er in Ruhe über alles nachgedacht hatte, selbst zu der richtigen Erkenntnis kommen würde.