Geschichten:Luringans Pfad - Gedanken kreisen im Kessel

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Anfang Rondra 1044 BF, Schloss Sonnenfeld

Reto von Kesselstein saß unruhig an seinem Schreibtisch, während er dem Bericht des Hauptmanns seiner Wachen zuhörte. Das Gut seines Schwiegersohnes war in der letzten Nacht abgebrannt und alles daran kam ihm verdächtig vor. Zumal von dem Ritter seither jede Spur fehlte. Von seiner kleinen Enkeltochter ganz zu schweigen. Seine Tochter Jolande hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten, als sie davon gehört hatte. Reto hatte sie unter der Aufsicht der Amme mit ihrem Neugeborenen in ihre Gemächer geschickt und angeordnet, dass sie vorerst nicht weiter gestört werden sollte.

"Insgesamt ist weniger zerstört worden, als wir befürchtet haben", fuhr der Hauptmann gerade mit seinem Bericht fort. "Das Haupthaus ist niedergebrannt und eine Bresche in die Palisade des Gutshofes gerissenen. Ein halbes Dutzend Knechte und Mägde sind erschlagen worden oder im Feuer umgekommen. Von Ritter Ingmar und seiner Tochter gibt es bisher jedoch keine Spur. Weder im Dorf noch auf dem Gut kam es zu weiteren Brandschatzungen. Der Schulze vermutet Marodeure aus der Kaisermark oder eine Hartsteener Bande dahinter."

Der Junker runzelte zweifelnd die Stirn. Die Kaisermärker waren bisher noch immer vor Randersburg nach Süden ausgewichen, um die Pfalz und ihre Ländereien zu meiden. Mochten sich auch alle garetischen Grafschaften mehr oder weniger in Fehde befinden, mit der Königin und Kaiserin würde es sich ohne Not niemand verscherzen wollen. Zumal die Kämpfe in den letzten Monden fast komplett eingestellt worden waren. Überall im Land war man kriegsmüde. Genau deswegen konnte sich Reto keinen Hartsteener Überfall vorstellen. Hatte die garetische Fehde auch mit der Blutigen Turney zwischen Reichsforst und Hartsteen auf dem Erlgardsfeld seinen Anfang genommen, so hatten die beiden ritterlichen Grafschaften doch sehr bald einen Waffenstillstand geschlossen, um sich der Aggressionen der Kaisermärker und Schlunder zu erwehren. Aus diesem Grund war die Baronie Rallerspfort in der Fehde auch komplett verschont geblieben. Bis gestern.

"Genau gesehen hat die Angreifer niemand. Sie waren wohl beritten und sind nach dem Angriff so schnell verschwunden wie sie gekommen sind. Ein Überlebender schwört Stein und Bein eine Elfe gesehen zu haben, weshalb manche auch von einem Überfall aus Waldstein ausgehen." Fast entschuldigend fügte der Offizier hinzu: "Der Mann war bei der Befragung aber sturzbetrunken und behauptete zudem, den langen Odo und des Grafen jüngere Schwester gesehen zu haben, wie sie mit Ritter Ingmar und anderen in Richtung des Waldes flohen."

Was für seinen Hauptmann ein Grund war an der Aussage des Zeugen zu zweifeln, machte den alten Reto stutzig. Odo von Luring-Mersingen war seit der Sache auf dem Erlgardfeld nicht mehr gesehen worden. Der Kesselsteiner wusste, dass er auf Betreiben Rudon Langenlobs festgesetzt und an einem geheimen Ort gefangen gehalten worden war. Zumindest auf der Grafenburg war er nicht gewesen, davon hätte Reto erfahren, da war er sich sicher. Es hatte hernach nie eine Anklage gegen den Vetter des Grafen gegeben. Er war einfach nur still von der Bildfläche verschwunden. Jetzt sollte er also wieder aufgetaucht sein? Noch dazu in Begleitung von Ritterin Lechmin? Aber warum Radulfsfelden? Weiter weg von Luring ging es in Reichsforst nicht. Oder war es gerade darum? Immerhin war Reto selbst vor Rudon und seinem unheimlichen Freunden aus Schloss Luring aufs Land geflohen. Auch wenn er das niemandem eingestanden hätte, sondern nach außen die Fassade aufrecht hielt, sich auf Schloss Sonnenfeld seinen Lebensabend zu versüßen. Hatte sein Schwiegersohn in jungen Jahren nicht so vehement um die Grafentochter geminnt und war ihretwegen voller Grimm in die Fehde gezogen? Nach ihrer schweren Verletzung hatte man Lechmin auch lange nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. War sie jetzt mit dem langen Odo zusammen auf der Flucht vor Rudon Langenlob und hatte versucht bei ihrem alten Verehrer Unterschlupf zu finden? Aber warum? Nichts davon machte Sinn. Dann schon eher ein Waldsteiner Vorstoß im Rahmen der Fehde. Aber wenn nichts geplündert wurde? Das war mehr als ungewöhnlich.

"Danke Hauptmann. Verstärkt auf jeden Fall die Wachen im und um das Schloss und lasst am Waldrand patroullieren. Falls ihn jemand auf dieser Seite verlässt und unbefugt meine Ländereien betritt, will ich das wissen!"

Mit einem Wink entließ Reto den Soldaten und blickte ihm nachdenklich hinterher. Nichts ergab einen Sinn und doch hatte er das Gefühl etwas zu übersehen, als läge die Antwort vor ihm und wartete nur darauf erkannt zu werden. Der Kesselsteiner ließ seinen Blick über den Schreibtisch wandern, bis ihm der Stapel gelesener Briefe ins Auge fiel. Zuoberst lag ein Schreiben seiner älteren Tochter, die in seinem Namen das Handelshaus in Luring weiterführte, seit er sich auf Sonnenfeld zurückgezogen hatte. Gestern Abend war es spät gewesen, deswegen hatte er den Brief nur oberflächlich überflogen und dann beiseite getan. Einem unbestimmten Gefühl folgend griff er danach und las ihn erneut.

Anslieb schrieb vor allem von den Geschäften. Der Graf hatte sich mal wieder Geld geliehen. Keine kleine Summe. Dafür war das Spiegelprivileg, eines der wichtigsten Standbeine, auch für seine Tochter als neue Leiterin des Handelshauses problemlos bestätigt worden. Eine Hand wusch die andere, das war schon immer so gewesen. Und in der Stadt war Unruhe ausgebrochen. Im Zwinger hatte es einen großen Brand gegeben. Mehrere Geweihte des Götterfürsten waren zu Tode gekommen und der Junker des Zwingers als Agent des Namenlosen enttarnt worden. Offenbar waren weitere Verdächtige flüchtig, denn die Büttel überwachten vermehrt die Straßen und Stadttore. Ein Wagen mit einer wichtigen Lieferung nach Gareth hatte deswegen einen halben Tag warten müssen, bis er endlich durchsucht und durchgelassen wurde.

Retos Gedanken stockten, als wollten sie sich weigern das Gehörte und das Gelesene in Verbindung zu bringen. Doch nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass er hier etwas Ungeheurem auf die Spur gekommen war. War der lange Odo womöglich im Zwinger gefangen gehalten worden? Aber wenn er in der Hand der Paktierer gewesen war, nachdem Rudon ihn festgesetzt hatte, dann würde das ja bedeuten, dass der Langenlob mit ihnen unter einer Decke steckte. Das würde auch erklären, warum Odo nach seiner Befreiung auf der Flucht war. Denn wem sollte er in Luring noch vertrauen, wenn des Grafen erster Berater und bester Freund Paktierern zuarbeitete. Oder schlimmer, dachte Reto, vielleicht selber einer war! Mit großem Unbehagen erinnerte er sich daran, wie ihm jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen war, wenn der Zwillingstein ihn angeblickt hatte.

Der Kesselsteiner zwang sich zur Konzentration. Wenn Odo also nach Vertrauten suchte, dann war des Grafen ritterliche Schwester, jene die am meisten nach ihrem Vater dem König der Ritter geraten war, bestimmt die erste Wahl gewesen. Durch Lechmin waren sie wohl auf Ingmar gekommen, der einstmals minniglich in ihrem Namen in die Schranken ritt. Jetzt irrten sie vermutlich durch den Hornwald, vielleicht um bei ihm Zuflucht zu finden. Reto ließ den Brief sinken und sah aus dem Fenster zum einige Meilen entferten Waldrand hin. Selbst wenn Ingmar so schlau war, die Verfolger nicht gleich auf die Spur seiner Frau und seines neugeborenen Kindes zu hetzen, irgendwo würden sie Hilfe suchen müssen.

Der Junker selbst würde Hilfe brauchen, stellte er ernüchtert fest. Denn es würde nicht ewig dauern, bis dem Langenlob die Verbindung zwischen Ingmar und dem Kesselsteiner einfiel. Ein paar zusätzliche Wachen würden ihn dann nicht ausreichend schützen. Reto griff zur Schreibfeder, stoppte dann aber nachdenklich. Seiner älteren Tochter konnte er nicht schreiben. Wer wusste schon, in welche Hände der Brief in Luring geraten würde? Er musste jetzt sehr vorsichtig sein. Zuerst sollte er wohl Ingmars Vetter Wulfhelm in Blaufelden einweihen. Aber nicht mit geschriebenen Zeilen, die ein neugieriger Bote weitertratschen konnte. Eine Einladung zum Wiegenfeste, ja das mochte als Grund gut genug sein, um keinen Verdacht zu erregen. Wo er einmal dabei war, fand der Junker seine Idee so großartig, dass er direkt anfing wirklich eine Feier zu planen und dafür eine ganze Gästeliste zu verfassen. Die meisten Eingeladenen dienten ihm lediglich als Tarnung für den eigentlichen Zweck, aber einige wenige Personen standen darauf, die er gedachte ins Vertrauen zu ziehen.