Geschichten:Des Greifen Tatzen - Der alte Meister

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Burg Rudes Schild, Phex 1044 BF

„Hier ist der schöne Spiegelsaal – ich weiß, es sind wirklich wenig Spiegel, aber dafür sind sie aus Luringer Fertigung -, hier links ist der Fürstenflügel mit dem Fürstenstübel – nein, ich will Euch nicht verulken und ich weiß auch nicht, nach welchem Fürsten das Gemäuer benannt wurde – und das rechts ist das Kaiserhaus- schon immer Gareth, seitdem diese Mauern errichtet wurden. Der Kaisersaal da drüben ist wirklich sehenswert. Kaiserin Rohaja hat versprochen, ihn sich auch irgendwann einmal anzusehen.“ Seneschall Alrik von Schack hatte sich weit aus dem offenen Fenster gebeugt, um seiner Besucherin den Blick über den oberen Hof der Pfalz zu zeigen. Es war alles bestens in Schuss, dafür hatte er gesorgt. Sorgen hatte er nämlich viele, wenn die „Lanze“ auf der Pfalz war, und die Sorgen um den Erhalt der Burg gehörten zu den einfacheren.

„Wie hoch ist der Bergfried?“, fragte Veriya von Gareth und kniff das gesunden Auge zusammen, um am Seneschall vorbei den mächtigen Turm in den Blick zu nehmen.

„Das kommt darauf an, von wo Ihr messen wollt. Also, in der Burg ist das das höchste Gebäude, darum heißt er auch der ‚Alte Meister‘ … äh …“ Der Seneschall wurde durch die Neuankömmlinge aus dem Konzept gebracht.

„Unsinn, Schack. Der alte Meister bin ich. Der Turm da ist der ‚Lange Meister‘“, krächzte Ugo von Mühlingen, schwer gestützt auf zwei Offiziere der Goldenen Lanze. Sein ganzer Leib war gekrümmt und schien geschrumpft. Das Gesicht wirkte zusammengezogen wie ein alter Apfel, aus dem das Wasser gewichen ist, und umso winziger in dem schwarzen Rahmen von gefärbtem Bart und Haar. „Schack, schaff mir einen Bottich mit Fußwasser herbei, aber rapido!“ Mit einem Ächzen ließ der alte Oberst sich in einen weichen Lehnstuhl sinken und winkte die Offiziere herrisch hinfort. Veriya von Gareth, aufrecht und steif, die Fäuste hinter dem Rücken verschränkt, beäugte Mühlingen mit wertender Miene.

„Exzellenz, setzt Euch. Wohin Ihr wollt. Und hört auf so zu gucken. Das Alter ist ein tückischer Feind. Es obsiegt immer, egal wie viele Schlachten man schlägt, den Krieg gewinnt es doch. Rückzugsgefechte, sage ich immer. Rückzugsgefechte. Und wohin zieht man sich zurück? Ins Grab! Ha. Das nenn ich einen formidablen Rückzug. So ein Scheiß. Womit kann ich dienen außer mit morschen Knochen und meinen hochmotivierten, teuren, unbesiegbaren Reitern?“ Mühlingens Nase hatte als Einziges den Verfall seines Gesichtes überstanden und schnitt so angriffslustig wie eh und je in die Luft.

„Exzellenz, ich brauche die ‚Lanze‘ im nächsten Mond. Und zwar einzelne Schwadronen für Expeditionen nach Waldstein, Harststeen und Reichsforst.“ Veriya setzte sich auf einen der hochlehnigen Stühle, nachdem sie ihn kurzerhand herangezogen hatte.

Mühlingen betrachtete sich in einem der wenigen Spiegel und krächzte nach kurzer Pause: „‘Exzellenz‘. Das höre ich immer noch und immer wieder. Ist ja längst vorbei. Ich glaube, die Leute bedenken mich noch immer mit dem Titelchen, weil ‚Exzellenz‘ eine Mischung aus ‚Echse‘ und ‚Pestilenz‘ ist. Wie ich.“ Er hob sie Hand, um den Widerspruch der Marschallin abzuwehren. Die Hand war krumm, die Finger knotig, der Rücken fleckig, die Fingernägel lang und gelb. „Die Schwadronen könnt Ihr gern haben. Warum keine für die Kaisermark?“

„Die Kaisermärker sind die Reiter der Lanze gewohnt, die anderen Grafschaften nicht so. Ich möchte eine Demonstration, die nicht gewöhnlich ist, sondern außergewöhnlich. Deshalb stehen überall die Perricumer Truppen in der ersten Reihe. Und in der Kaisermark auch in der zweiten.“

„Verstehe. Schlau. Das klingt nach Politik. Sonst noch etwas?“

„Ja. 40.000 Büschel Hafer, 500 Klafter Holz, 200 Ochsen, 100 Rösser, 350 Bahnen Zeltstoff, das Leder von 800 Schafen und Schweinen für Schuhe und Rüstungen, 30.000 Scheffel Getreide, 3.500 Doppelzentner Rüben und 1.000 Fässer Bier sowie 50 Fässer Schnaps.“

„Ihr seid zwar mein Gast, aber das …“ Mühlingen verzog sein Gesicht zu einer grinsenden Fratze und zeigte dabei schlecht nachgemachte Zähne.

„Glaubt Ihr, ich kann alles aus dem Schlund bekommen, was ich brauche? Ihr könnt Euch gern bei der Krone beschweren. Oder es machen wie immer: Holt es Euch bei den Nachbarn.“

Mühlingen blinzelte. Dann nickte er langsam. „Humor habt Ihr. Bitte, nehmt Euch was Ihr wollt. Das habe ich auch so gemacht. Und dann hat man mich ‚den Blutigen‘ genannt.“

Nun war es Veriya, die kurz innehielt: „Das waren andere Zeiten, Exzellenz. Aber ich hörte auch, dass man Euch den alten Meister nannte. So werde ich es auch halten. Guten Tag.“