Geschichten:Bluthands Bluthund

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Fasar, Anfang Boron 1042 BF, früh morgens

Der Basar wimmelte bereits von Menschen aller Art. Zauberer mit spitzen Hüten schritten mit überheblicher Miene durch die schmalen Gassen. Schwerbewaffnete Söldner mit glitzernden Rüstungen standen mit finsterer Miene an den Häuserecken. In kleinen Verschlägen saßen unzählige Händler und priesen mit lauter Stimme die Vorzüge ihrer Waren an. Töpfe in den verschiedensten Formen, bunte Gewürze, dickbauchige Glaskaraffen und schlanke Statuetten, elfischer Bausch, orkisches Leder und zwergische Apparaturen. Was immer man in Aventurien herstellte, hier war der Ort, an denen man alles – wirklich alles – zum Kauf angeboten bekam.

An einem windschiefen Stand in einer kleinen, weißverputzten Seitengasse, die an einer unverputzten Ziegelmauer endete, saß ein alter Tulamide mit einem gelben Turban und zog genüsslich an seiner Wasserpfeife. Die drei Männer an seinem Stand durchwühlten aufmerksam die übersichtliche Auslage, die dem ersten Anschein nach Trödel enthielt. Und wie sich beim zweiten Blick dann herausstellte, war es auch genau dies: Kram. Verbeulte Dosen ohne passenden Deckel. Staubige Tierchen aus violettem Glas, bei denen von den meisten irgendetwas abgesplittert war. Löchrige maraskanische Fächer mit Maraskenbildern. Und dutzende alte, kaum mehr entzifferbare Pergamente und zerschlissene Bücher, denen die Hälfte ihrer Seiten fehlten.

»Wonach genau suchen wir hier?«, fragte der in Schafsfellen gehüllte Hüne mit breitem tobrischen Akzent. »In diesem Müll werden wir sicher nichts über den Reichsrichter finden.«

»Du hast doch gehört, was die Alte gestern Abend zum Hartsteener Ritter gesagt hat. Wenn es einen Hinweis in dieser Stadt auf den Aufenthaltsort unserer Zielperson gibt, dann soll er an diesem schäbigen Stand sein«, erwiderte Butterfett blechern aus seinem Topfhelm. Mit seinen fleischigen Fingern drehte er jedes Teil, damit seinen aufmerksamen Blicken nichts entging.

Einen Schritt neben ihm stand der finstere Utulu und schwieg. Seine grünen Augen musterten aufmerksam den belebten Basar.

»Also, ich glaube nicht, dass die alte Hexe wusste, wovon sie sprach. Die sah verdammt so aus, wie die Hexen aus den Geschichten meiner Muhme, die sie uns abends am Ufer der Tobimora erzählt hat. Noch bevor es dort von Dämonen und Untoten nur so wimmelte.«

Butterfett reagierte nicht. Seine Augen schweiften über die alten Pergamente, in der Hoffnung irgendeinen Hinweis zu finden. Das Buch, das er in diesem Moment in der Hand hielt, handelte von den acht Schwertern der Goldenen Au. »Da isser bestimmt grad nich«, murmelte Butterfett und legte es beiseite.

Ein leises Rascheln ließ ihn herumfahren und zum Schwertknauf greifen.

Der alte Tulamide saß und blies kleine Rauchwölkchen in die laue Morgenluft.

Neben dem Schwarzen stand in ihren silbern bestickten Schleiern Bluthand. Die Magierin, die wie immer ihre Maske aus schwarzem Meteoreisen trug, war nicht allein erschienen. Neben ihr stand mit gesenktem kahlrasiertem Haupt ein schmächtiges, etwa sechsjähriges Mädchen in der Gasse. Um den Hals trug es ein schwarzes Halsband, an dem eine lange silberne Kette angebracht war, mit dem Bluthand es führte.

Butterfett entspannte sich. »Zurück aus Höllenwall?«

»Unser Auftraggeber möchte Ergebnisse sehen. Er will seine Ratte in seiner Gewalt haben, tot oder lebendig«, säuselte Bluthand mit ihrem tulamidischen Akzent. »Er hat mir dies hier mitgegeben. Ein Geschenk. Meine Novizin. Aima

Butterfet hob seine linke Augenbraue. »Ach. Einfach so. Wie selbstlos von ihm«, tönte es unter dem verbeulten Topfhelm hervor.

»Aima wird uns eine Hilfe sein, das versicherte der Baron mir. Sie ist im Niffeltal geboren worden und, weil sie die Kraft hat, haben ihre Eltern sie ausgesetzt. Sie wurde im Raschtullswall von einem Rudel Wölfe aufgezogen, jedenfalls haben die Lakaien des Barons sie dort völlig verwildert gefunden. Die Gesellschaft von Menschen ist ihr unangenehm, deswegen wurde sie in den Zwinger zu den Bluthunden geworfen, wo sie sich zuhause gefühlt hat. Ich habe sie in der Helburg durch Zufall gefunden und der Baron hatte nichts dagegen, wenn ich sie behalte. Aber erstmal musste ich sie von ihren Läusen befreien«, zufrieden streichelte Bluthand ihrer Novizin über den kahlrasierten Schädel.

»Schöne Geschichte«, Butterfett wandte sich wieder dem Stand zu. »Wir suchen hier nach einer Spur des Reichsrichters. Bisher konnten wir nichts finden, vielleicht hat deine Aima ja mehr Glück.« Mit dem, was nun folgte, hatte Butterfett allerdings nicht gerechnet.

Das Mädchen hatte während Bluthands Bericht langsam ihren Kopf gehoben und der Blick aus ihren eisblauen Augen trafen den Blick des Schwarzen. Ein kurzes Zucken ging durch den starken Utulu, heftig klickerten die fahlen Fingerknöchelchen, die er an seiner Weste befestigt hatte. Kaum hatte Butterfett seinen letzten Satz zu Ende gesprochen, sprang der Schwarze geschmeidig wie ein Panther nach vorne und griff nach dem Hals des völlig unvorbereiteten Tobriers. Mit einem lauten Knacken brach er dessen Genick und wie ein schlaffer Sack fiel der Hüne in sich zusammen.

Erschrocken drehte sich Butterfett zum Schwarzen, das Schwert gezogen und bereit zum Schlag.

Der aber ließ nur ein schreckliches Heulen ertönen, das laut in den Wänden der engen Gassen dröhnte. Mit aufgerissenen Augen griff er mit seine Hände an seinen Kopf – und begann sich die eigene Haut vom Gesicht zu reißen. Hellrotes Blut begann seine schwarzen Wangen herabzulaufen, und sein Heulen steigerte sich zu einem irrem Kreischen.

Der alte Tulamide zog an seiner Wasserpfeife und blies gelassen kleine Rauchwölkchen in die Luft.

Mit einem mächtigen Schwung nahm der Schwarze Anlauf und schmetterte sein Haupt gegen die weißverputzte Wand hinter dem Stand. Mit wild zuckenden Gliedern blieb der Utulu auf dem Boden liegen. Rote Spritzer und ein beträchtlicher Fleck zierten die Wand.

»Aus, Aima!« Bluthand riss an der Kette, so dass das schmächtige Mädchen auf die Knie ging. Ein böses Lächeln umspielte sein Gesicht, das kleine spitze Zähne entblösste. Der Schwarze atmete keuchend, während das Blut langsam aus einer großen Wunde an seiner Stirn herauspulsierte.

»Die Kraft in ihr ist mächtig, aber zu wild. Es wird die große Aufgabe sein, sie zu zähmen und nutzbar zu machen.« Bluthand streichelte sanft den Schädel Aimas.

Butterfett schüttelte den Kopf, was unter seinem Topfhelm aber nicht zu sehen war. Das war nicht normal, dieses Kind war nicht normal. Er hielt es für alles andere als eine gute Idee, eine solche Kreatur frei herumlaufen zu lassen, und sei es an einer Kette. Sein Blick fiel auf den Schwarzen, einen Mann, den er seit Jahren kannte und den er für seinen nüchternen Verstand und seine klaren Sinne schätzte. Nun lag er blubbernd, keuchend und stammelnd auf dem Boden und windete sich, völlig von Sinnen.

»Das ist Irrsinn. Absoluter, kranker Wahnsinn«, ging es ihm durch den Kopf. Und mit einem Mal wurde ihm klar, wo er den Reichsrichter finden würde. Es gab in Aventurien nur einen einzigen Ort, an dem sich der Wahnsinn nicht verstecken musste und offen zu Tage trat.

Hilbert von Hartsteen befand sich in Selem.

Der alte Tulamide zog an seiner Wasserpfeife und blies lächelnd kleine Rauchwölkchen den verschwindenden Söldnern hinterher.