Geschichten:Eslamsgrunder Ingerimmsturnier 1047 BF - Boron-Gottesdienst
Vor dem zweiten Turniertag
Der zweite Tag des Ritterturniers in Eslamsgrund hatte begonnen, doch der Jubel war gedämpft, die Heiterkeit des Wettstreits überschattet von der Pflicht, den gefallenen Recken zu ehren. Die Luft war erfüllt von schwerem Weihrauch, der sich wie ein Schleier über den Tjostplatz legte, als die Hüterin des Raben, Nemrah von Illgeney, in ihrer dunklen Robe über den sandigen Boden schritt. Hinter ihr schritten Novizen des Tempels der ewigen Ruh, ein zerbrochenes Rad vor sich tragend – das Symbol des Endes, des Stillstands nach dem wilden Ritt des Lebens. Schweigend bewegten sie sich zu den vier Ecken des Platzes, ließen den Weihrauch in langsamen Schwaden aufsteigen, als wollte er die Seelen der Verstorbenen sanft in Borons Umarmung wiegen. Nemrah hielt inne. Ihre Augen glitten über die Versammelten, über die Ritter, deren Rüstungen im Morgenlicht glommen, über die Zuschauer, die still den Atem anhielten. Ihr Blick war schwer, voller Wissen über die Grenze, die Zordan von Schreyenfels und Marbobrecht von Drostenberg bereits überschritten hatten. „Golgari,“ sprach sie, ihre Stimme fest, aber nicht kalt, „hat bereits zu viele Seelen auf seiner Reise über das Nirgendmeer geleitet.“ Sie ließ ihre Worte sinken, ließ sie sich tief in die Herzen der Lebenden graben. „Mäßigt eure Leidenschaft, zügelt euren Tatendrang. Die Ehre ruft euch, doch auch der Tod lauscht.“ Dann hob sie ihre Stimme zum Choral an, tief und getragen, eine Hymne an Boron, an die ewige Ruhe, an das unvermeidliche Ende. Ihre Stimme fand Echo in den Reihen der Ritter, in den Kehlen der Zuschauer, selbst Graf Gerwulf von Gareth neigte sein Haupt und sang mit. Die Melodie trug ihre Trauer mit Würde, ließ die Seelen der Gefallenen über den Tjostplatz wandern und in die Ewigkeit entgleiten. Und als der letzte Ton verklang, war es, als würde der Rabe selbst über die Menge gleiten – ein Schatten, eine Mahnung, ein Segen.