Geschichten:Ende einer Dienstzeit
„I’ibra, du musst kommän“, schnarrte Hasran von Koramsmär in den Fechtraum, wo die Herrin auf Barbenwehr gerade Übungsstunden bei Oloranthe della Cerrano aus Drôl nahm, die als Meisterin des Kusliker Säbels die Fechtkünste der Reichsvögtin erweitern sollte.
„Kol’Khara!“, fluchte Fridega von Isppernberg zischend, als ihr wütender Angriff durch eine elegante Riposte er horasischen Fechtmeisterin ins Gegenteil verkehrt wurde und sie gar den Säbel aus der Hand verlor. Wütend rieb sie sich ihr Handgelenk und durchbohrte mit zornigem Blick zunächst die Fechtmeisterin, dann ihren treuen Beschäler. „Und das soll ‚albernisches Raufen‘ sein? Hasran, mein Hamayan, was gibt es so dringend?“
„Die Mädica sagt, sie wäiß nicht wäitär.“ Hasran duckte sich unter dem Bock der Reichsvögtin, die wiederum ihrer Fechtmeisterin stumm zunickte, ihrem Boten herrisch den Weg wies und ihm dann aus dem lichtdurchfluteten Fechtraum in die dunklen Gänge von Barbenwehr zu führen. Nach einigen Treppen und Ecken blieb sie abrupt stehen.
„Wohin führst du mich?“, wollte sie streng wissen,
„Zu … äh … Frau Sturmfäls.“
„Sehe ich aus wie eine Medica?“
„Näin …“
„Wie eine Therbunitin?“
„Näin …“
„Wie eine Heilmagierin?“
„Näin …“
„Also, was zur Khoramsbestie soll ich dann bei der Sturmfels?“ Die Reichsvögtin machte auf dem Absatz kehrt und schritt zurück. Über die Schulter rief sie: „Die Schurr soll zu mir kommen. ich bin in der Schreibstube.“
Wenige Zeit später klopfte es an der Tür. Fridgea sah von ein paar Papieren auf, die auf ihrem Stehpult lagen und rief: „Herein!“
Durch die Tür, die ein wunderbares aranisches Schnitzwerk aus Rosenholz war, kam die sonst so selbstbewusste Hofmedica Rosalinde von Schurr, an deren von ungebändigten Locken umrahmten Gesicht man aber schon ablesen konnte, dass sie diesmal keinen Stolz mit sich herumtrug.
„Und?“
„Ich bin mit meinem Bosparano am Ende“, gestand die Schurr. „Ich kann ihr nicht helfen. Das Fieber will nicht weichen, sie ist selten bei Bewusstsein und sie sondert ein übelriechendes Sekret …“
„Halt! Schurr. Was ist nicht hören will, ist: übelriechendes Sekret und alle anderen ekelhaften Details Eures Standes. Ich bin nicht Medica geworden, sondern Reichsvögtin. Da habe ich mit anderen Formen des Ekels zu tun. Die genügen mir. Also: Was nun?“ Fridegas Augenbrauen hoben sich über ihrem Blick wie des Henkers Axt zum Schlag.
„Ich habe das neuste Werk über seltene Krankheiten studiert, das der elfische Medicus Elodriel Silbersang jüngst herausgegeben hat … Ja, ich erspare Euch die Details.“ Die Schurr sammelte sich. „Es könnte sein, dass ihr ein Sud aus der seltenen Ogerquaste helfen könnte.“
„Ogerquaste? Das ist wohl nicht wörtlich zu verstehen?“
„Ja, Reichsvögtin, es ist eine selten blühendes Kraut aus dem Raschtulswall. Warum ein elfischer Medicus aus dem Reichsforst darüber berichtet, weiß ich nicht, aber er beschreibt … kürzer … gut: Es wächst im schlimmsten Ferkinaland in großer Höhe. Und es blüht tatsächlich gerade.“
„Das heißt, man müsste jemanden schicken, der es holt, damit Ihr einen Sud daraus brauen könnte, und dann könnte unsere erste Hofritterin genesen?“, fasste die Isppernberg zusammen, die bisher die Ausführungen der Hofärztin immer wieder mit ungeduldigen Handbewegungen vorangetrieben hatte.
„Ja, und es müsste sehr schnell gehen.“
„Gut. Hasran, mein Wilder?“, rief sie nach draußen, wo er gewartet hatte. Der huschte ach sogleich herein.
„Ja, Härrin?“
„Sattle dein Pferd. Pack für eine – wie lange? ¬– also dann: für eine zweiwöchige Reise in den Wall. Wenn du gepackt hast, gehst du zur Schurr, die wird dir sagen, was und wo du suchen sollst. Verstanden?“ Während ihrer Worte war sie auf den großen Nebachoten zugegangen, hatte mit einem Zeigefinger sein Kinn erhoben und gab ihm mit der rhetorischen Frage einen Klaps auf die Wange. „Spute dich.“ Hasran tat sofort, wie ihm geheißen.
„Äh, Reichsvögtin, ich glaube nicht, dass ein Mann das schaffen kann. Er wird nicht zurückkehren.“
Die Reichsvögtin wandte den Kopf zu ihrer Medica, blickte sie streng an und spitzte die Lippen. „So?“
Sie kehrte zurück an ihr Schreibpult. „Welche Optionen gibt es noch?“
„Nun ja. man könnte die Perainekirche bitten …“
„Gut, macht das. Aber sendet einen Boten entweder nach Hordenberg zum dortigen Peraine-Tempel, die Hüterin der Saat ist eine Quittenstein. Oder nach Bocksstieg, obwohl … da könntet Ihr eher einen nach Baburin senden.“
„Was ist mit Dürsten oder Kasenam?“, wollte die Schurr wissen.
„Dürsten ist zu klein. Und die Saathüterin in Kasenam ist … nicht so gut auf mich zu sprechen, Die lassen wir aus. Was gibt es noch für Optionen?“
„Da der gelehrte Jandor von Nesselregen derzeit in Perricum weilt, könnte man einen Lohnmagier anheuern.“
„Gute Idee, Schurr. Geht zur alten Doranthe, ihr schrecklicher Neffe Uriel kennt ganz sicher brauchbare Leute.“
Drei Tage später
„Hier lebt meine erste Ritterin?“ Fridega von Isppernberg blicket sich ernüchtert in der kargen Kammer um, in der Rondralied von Sturmfels so viele Jahre gewohnt hatte, seit sie den Dienst auf Barbenwehr angetreten hatte. Der Raum maß gerade vier auf drei Schritt, besaß ein hohes Fenster, vor dem ein Linnenvorhang die Sonne und Hitze aussperrte, einen Schrank, ein Tischchen mit zwei Hockern und eine schmale Pritsche, auf der die Kranke lag. „Dann will ich nicht die Zelle des zweiten Ritters sehen. Wie geht es Euch, Sturmfels?“
Die alte Ritterin lächelte schwach. Ihr Gesicht war bleich wie das Betttuch, die Haut spannte sich über Nase und Wangen, die Augen waren fiebrig gerötet, das Haar klebte ihr dunkel und schweißnass am Kopf. Eine dünne Decke ließ erahnen, wie sehr die Krankheit die ehedem starke Frau ausgemergelt hatte. „Danke, dass Ihr gekommen seid“, flüsterte sie matt.
„Ach, das ist das mindeste, was ich tun konnte.“ Die Isppernberg tätschelte kurz die Schulter der Ritterin, drückte dann aufmunternd die gefalteten Hände auf ihrer Brust. „Ich wünsche Euch gute Genesung.“
Rondralied lächelte erneut, hatte aber nicht die Kraft zu antworten. Ihre Miene verriet allerdings, dass sei wusste, wie es um sei stand.
„Na dann“, gab sich die Reichsvögtin einen Ruck, nickte noch einmal der Knappin zu, die der Kranken jetzt versuchte, etwas Wasser einzuflößen, und ging auf en Gang. Dort wandte sie sich an die Hofmedica, die sie hierher gebracht hatte: „Sie stirbt.“
„Ja, denn die Perainegeweihten schaffen nicht rechtzeitig.“
„Der Ogerwurz?“
„Ogerquaste. Euer … Streiter ist in den Wall aufgebrochen. Er schafft es keinesfalls.“
Die Isppernberg nickte zustimmend. Offenbar war das sowieso, was sei erwartet hatte.
„Aber Uriel von Zwickenfell hat uns einen fähigen Lohnmagier geschickt. Der meint, er könne sie vielleicht heilen.“
„Ach ja? Das ist doch wunderbar.“
„Er möchte vorher bezahlt werden.“
„Hälfte im Voraus, die andere Hälfte im Erfolgsfall?“
„Nein, Reichsvögtin. Er will für den Versuch voll bezahlt werden. Er sagt, er büße dauerhaft an magischer Potenz ein, wenn er es versucht. Das will er sich so oder so bezahlen lassen.“
Fridega nickte zustimmend: „Das verstehe ich, mit Potenz kenne ich mich aus. Wie viel will er?“
„Zweitausend in Gold.“
Fridega ließ mit keinem Zucken erkennen, wie sie diese Information aufnahm.
„Wo ist der Mann?“
„Er weilt irgendwo in den Hügeln. Er verhandelt über Mittelsleute.“
„Er will sich nicht zwingen lassen können. Oder er ist ein Betrüger“, murmelte sie mehr zu sich. Sie wandte sich ernst an die Medica: „Hört gut zu, Schurr. Die Sturmfels ist mir lieb und teuer. Aber nicht so lieb und nicht so teuer. Sie ist siebzig Jahre alt. Diesen Betrag würde ich nicht einmal für mich selbst bezahlen. Das ist eine Frage des Geldes. Ihre Dienstzeit endet jetzt. Lasst zu den Boronis nach Stammherz schicken und betet für sie.“