Geschichten:Das Erbe der Pfortensteiner - Gesellschaftliche Einblicke auf der Tanzfläche
Kalmira von Plöch und Halgor von Schack
„Halgor, ich habe das Gefühl du versteckst dich vor mir! Du hast den ganzen Abend noch nicht einmal mit deiner Mutter getanzt. Dafür aber schon zweimal mit der Dame Argande. Gibt es da etwas, das du mir sagen möchtest?“
„Mitnichten, werte Frau Mutter. Sie war es die mich zum Tanz aufforderte. Verzeiht meine Unhöflichkeit. Dieser Tanz gehört natürlich Euch.“
„Zu gnädig, lieber Sohn." Nimmt seine Hand und lässt sich aufs Parkett führen, während die Musik zu einem neuen Tanz einsetzt. "Ein schönes Paar, nicht wahr?“
„Was? Argande und ich?“
„Unsinn! Unser Landvogt und seine Braut!“
„Nun ja, sie sieht sehr hübsch aus, aber letztlich ist sie doch nur eine einfache Ritterin. Für jemanden, der zum Hohen Adel des Reiches zählt, ist das sicherlich kein Schritt nach oben. Ganz zu schweigen von dem Skandal unter den Pfortenrittern!“
„Allzu groß scheint der Schaden gar nicht zu sein. Immerhin befinden sich mit dem Zankenblatt, der Waldfang und dem Perainsgarten einige der Pfortenritter unter den Gästen. Dass der Hirschfurten den Anstand hatte nicht zu erscheinen, ist wohl selbstverständlich. Aber er hat seine Frau und seine Tochter geschickt. Ein gutes Zeichen, dass das Tischtuch hier nicht zerschnitten ist.“
„Mag sein. Gehörnt hat ihn die Ehrensteinerin trotzdem. Diesen Fleck auf der Ehre kann er nicht so einfach wegwischen meine ich.“
„Viel mehr als seine eigene Ehre hat sicherlich die von Melina gelitten. Immerhin ist nicht nur ihre Liebschaft mit Nimmgalf aufgeflogen, sondern die voreheliche Unzucht mit dem Ochsen gleich mit. Rondradan wird den Skandal verschmerzen können. Denn wer auch immer diese ganze Affäre öffentlich gemacht hat, hat ihm damit insgesamt einen großen Gefallen getan.“
„Einen Gefallen? Wie das? Der Vertrag lässt ihn, mit Verlaub, wie einen Bettler und Trottel dastehen!“
„Mitnichten. Geldsorgen hat auch im hohen Adel so mancher und keinem ist der Nutzen eines vorteilhaften Traviabundes fremd. Es mag sein, dass Rondradan den Vertrag sehenden Auges unterschrieb und das Kuckuckskind akzeptierte. Umso tragischer, dass sein Zweitgeborener früh verstarb. Auch wenn man sich in Anbetracht der Umstände wohl nicht mehr so sicher sein kann, dass zumindest dieser Knabe von ihm war. Nun aber hat er dank der Umstände fast alles bekommen, was er sich im Leben wohl erhoffen konnte.“
„Wie meinst du das, Mutter?“
„Also wirklich! Sie mögen dich auf Luring zu einem guten Ritter erzogen haben, aber dein gesellschaftliches Gespür ist grauenvoll! Rondradan hat beim Traviabund mit Melina auf sein Erbrecht auf das Stammlehen seiner Familie verzichtet und als Kompensation das Junkertum Olbershag bekommen, welches allerdings mit seinem Tode an den vermeintlichen Erstgeborenen und somit an das Haus Ehrenstein gegangen wäre. Davon ist nun keine Rede mehr, es wird also bei der Familie Pfortenstein verbleiben. Zumal der Landvogt inzwischen extra seine Base aus Bärenau als Verwalterin seiner Eigengüter hat kommen lassen und damit eine Pfortensteinerin eingesetzt hat. Rondradan ist nach den Fehdejahren zum Landvogt von Gräflich Rubreth ernannt und somit in den hohen Adel erhoben worden. Er residiert auf einer der wehrhaftesten Burgen der Grafschaft. Er hat eine junge wunderschöne Braut aus allerbestem Hause. Mag sie auch nur eine einfache Ritterin sein, so wiegt ihr Name doch schwer genug, dass ihm der Graf persönlich ihre Hand vor dem Travia-Geweihten übergab. Und ihre Jugend verspricht die Aussicht auf viele gesunde Erben. Er hat durch die Episode mit Melina vielleicht einige Götterläufe verloren, aber letztlich ist er nun noch jung genug, um seine Kinder aufwachsen zu sehen und ihre Zukunft zu regeln. Wie ich bereits sagte, wer auch immer also dem Herold den geheimen Ehevertrag zugespielt hat, hat Rondradan damit einen sehr großen Dienst erwiesen. Wenn er oder sie nicht sogar schon in seinen Diensten steht.“
In diesem Moment endete die Musik und die Tanzpaare verneigten sich höflich voreinander. Halgor aber stand völlig verdattert vor seiner Mutter, nickte dann knapp und drehte sich abrupt um. Mit langen wütenden Schritten rannte er fast aus dem Festsaal und ließ Kalmira verständnislos zurück.
| ◅ | Der Bräutigam bittet zum Tanz |
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Mord mit Aussicht | ▻ |