Geschichten:Alles für das Kind ...
Mit einer Mischung aus verschiedenen Emotionen hatte Fredegard die aus ihrer Sicht längst überfällige Replik Alindes gelesen: Mit einer Spur Mitgefühl, da die Altbaronin die Bitternis ihrer Schwiegertochter aufgrund der Umstände durchaus nachvollziehen konnte. Etwas Unmut, dass diese nun glaubte, Boronliebe gewissermaßen als Verhandlungsmasse für ihre eigenen Interessen benutzen zu können und einigen Respekt vor dem Mut, eben genau dies zu tun.
Fredegard quittierte das Schreiben letztlich mit einem anerkennenden Nicken. Offenbar war die Frau nicht – oder nicht mehr – das simple Schaf, für das sie Alinde lange (zu lange?) gehalten hatte und nun bestrebt, wenig verklausuliert, für sich möglichst viel herauszuhandeln, bevor sie ihrer Schwiegermutter das Einverständnis für die Knappschaft ihrer Tochter gab. Ein Einverständnis, an dem der älteren Frau sehr gelegen war. Dafür nähme sie auch in Kauf, das ein oder andere Mal mit Alinde persönlich zu verkehren, wenngleich das Postskriptum nicht darauf schließen ließ, dass Letzterer wirklich daran gelegen war – genauso wenig wie ihr selbst.
‚Also gut, meine Liebe: Verhandeln wir!‘ dachte sich die einstige Baronin einige Tage und diverse Gespräche später, bevor sie zu Feder, Tinte und Pergament griff.
gegeben zu Perricum am 7. Boron des Jahres 1048 nach dem Falle Bosparans
Meine teure Alinde!
Zunächst meinen herzlichsten Dank für Deine Antwort und Dein, natürlich nie infrage stehendes Bestreben, gemeinsam mit mir unserer guten Boronliebe die bestmögliche Ausbildung und damit ein gutes Fundament für eine wunderbare Zukunft angedeihen lassen zu wollen.
Ich teile und verstehe Deinen Schmerz nur allzu gut: Ich habe damals mit Deinem Sohn – meinem Enkel – ebenfalls einen bitteren Verlust hinnehmen müssen, nur wenig später gefolgt vom tragischen Tod meiner Tochter. Allein, so hart und womöglich bitter Dich das ankommen mag: Das Leben muss weitergehen, wenn schon nicht um unseretwillen, dann doch unserer Töchter, Boronliebe und Janne, wegen. Daher ist es für mich völlig verständlich und nachvollziehbar, dass Dich eine etwaige Trennung von Deinem Kind ungemein schmerzen muss und Du darob eine neue Aufgabe in der Reichsstadt suchst, um in seiner Nähe bleiben zu können. Wer wäre ich, Dich nicht bei einem solchen Ansinnen zu unterstützen?
Wie es der Zufall will, habe ich jüngst erfahren, dass der geschätzte Oberzollmeister der Provinz, Jartan von Dornhag, aufgrund der vielen Pflichten und Tätigkeiten, die sein hohes Amt mit sich bringt, auf der Suche nach einer ebenso tüchtigen wie zuverlässigen Vertretung ist, die ihn bei seinen Arbeiten gut unterstützt. Wäre das nicht etwas für Dich? Bei Deinen Talenten und Erfahrungen kann ich mir schwerlich vorstellen, dass man Dich nicht sofort gewissermaßen mit Kusshand nähme. Wo Herr Jartan von der Capitale aus die Lande südlich des Darpats im Blick behält, fiele Dir dann neben seiner Stellvertretung die Sicherung der Zölle nördlich des Stromes von Dergelmund aus zu. Und von dort ist es ja quasi nur ein Steinwurf bis zur Metropole und damit zu unserer braven Boronliebe.
Wenn es Dir recht sein sollte, nähme ich gerne mit dem Dornhager Kontakt auf und werde Dich ihm anempfehlen. Vielleicht ergibt sich dann auch ein direktes Treffen, welches derzeit ob Deiner Verpflichtungen auf den Tränen leider nicht zu realisieren scheint.
Liebe Grüße aus Perricum,
Fredegard