Geschichten:Brieffreundschaften – Der einen Leid, der anderen Freud
Wallbrord von Löwenhaupt-Berg nahm das Frühstück wie üblich mit seiner Tochter Elissa in seinem Arbeitszimmer ein, was eine der wenigen Gelegenheiten am Tage darstellte, bei denen er zumindest im Ansatz so etwas wie ein Familienleben führen konnte, weilte doch der Rest seiner Familie fernab des geschäftigen Perricums. Eine Ordonnanz hatte gerade die Reste des Mahls abgetragen, als sich der Oberst mit geschäftsmäßiger Miene an seine Tochter und Adjutantin wandte.
"Liegt für heute etwas Besonderes an? Irgendwelche dringenden oder wichtigen Depeschen?"
"Nein Vater. Alles erfreulich ruhig, zumindest was die Truppe angeht. Von der Stadt kann man das allerdings nicht sagen", ergänzte sie leicht säuerlich.
"Selbst schuld!" War ja auch eine tolle Leistung von diesen Pfeffersäcken im Magistrat, es sich gleichzeitig mit den Geweihten und den Magiern zu verscherzen. Und als ob das nicht reichte, verschwindet dann auch noch der Stadtvogt auf Nimmerwiedersehen. Nicht, daß den irgendjemand groß vermissen dürfte, aber peinlich bis bedenklich ist das alles schon, betrachtet man die aktuelle Lage. Hoffe, in der Stadt kehren bald wieder Ruhe und Ordnung ein, auch wenn der neue Vogt ja mehr von den schönen Künsten als vom schnöden Regieren zu verstehen scheint. Aber gut, das ist nicht unser Problem. Noch nicht. Sonst noch etwas?
"Ein nur für euch bestimmter Brief von Hauptfrau Streitberger, sonst nichts", erwiderte die junge Offizierin gleichmütig und reichte die Depesche an ihren Vater weiter.
Stirnrunzelnd nahm der Baron zu Vellberg das Schreiben entgegen und öffnete es. Bei dessen Lektüre konnte Elissa gleich mehrere Reaktionen im Mienenspiel Wallbrords beobachten, die ihre Neugier weckten: Erst Verärgerung, dann Verwunderung und letztlich Nachdenklichkeit.
Schweigend faltete der Oberst das Schreiben wieder zusammen, betrachtete es noch eine Weile, bis er sich schließlich an Elissa wandte. "Hole mir etwas zu schreiben, ich muß einen Brief aufsetzen."
Die Leutnantin tat wie ihr geheißen und nahm erstaunt zur Kenntnis, daß Wallbrord der Hauptfrau offenbar nur einige wenige Sätze mitzuteilen gedachte. Er faltete das Pergament sorgsam, erhitzte etwas Wachs und siegelte es dann.
"Elissa, Du wirst den Brief bis zur Mittagsstunde zustellen. Persönlich."
Unwillig blickte die Frau zu ihrem Vater, "Kann das nicht eine der Ordonnanzen erledigen, ich habe -"
"Nein.", war die lapidare Antwort. "Dafür ist der Brief zu wichtig. Eine der besten und erfahrensten Offizierinnen des gesamten Heeres plant ihren Abschied, da wäre es respektlos, wenn ich ihr meine Antwort über einen Rekruten übermittelte. Eigentlich wäre es in diesem Falle sogar an mir selbst, mich zu ihr zu begeben, aber wie Du weißt, habe ich gleiche eine Besprechung mit der Regentin im Palast. Und das kann sich erfahrungsgemäß hinziehen."
Knapp drei Stunden später machte sich Elissa auf den Weg, um, dem Wunsche ihres Vaters entsprechend, Hauptfrau Almira den Brief zu übergeben. Mit finsterer Miene stapfte sie durch die Stadt Richtung Süden. Ausgerechnet heute hatte Almira für ihre Soldaten eine Übung vor den Toren der Stadt angesetzt, wodurch aus einem Weg von ein paar hundert Schritt quer durch die Kaserne ein Fußmarsch von gut anderthalb Stunden wurde. Dementsprechend war die Laune der jungen Offizierin auch auf einen Tiefpunkt angelangt, als sie endlich das Übungsareal von Almiras Einheit, dem 10. Banner des Bombardenregiments, erreichte. Elissa richtete kurz ihren Wappenrock und versuchte, sich ihre schlechte Laune nicht anmerken zu lassen, als sie der Hauptfrau gegenübertrat. Nach einer knappen Meldung kam sie auch sofort auf den Punkt:
"Oberst von Löwenhaupt-Berg hat eure Nachricht erhalten und mich damit beauftragt, Euch persönlich umgehend seine Antwort zu überbringen."
Verblüfft nahm die alte Hauptfrau die Depesche entgegen. "Und dafür hat er euch hier raus geschickt? Ich bin mit meinem Banner doch morgen wieder in der Stadt, da hätte er mir seine Antwort doch auch persönlich mitteilen können. So dringend ist die ganze Sache nun auch nicht."
Unter Aufbietung aller Kräfte schaffte es Elissa, äußerlich ruhig zu bleiben, sich bei Almira abzumelden und den Rückweg anzutreten, dabei darüber sinnierend, ob es für Vatermord vor den Menschen und Göttern nicht doch unter bestimmten Umständen wichtige Rechtfertigungsgründe gab ...
Almira nahm die abrupte Rückkehr der Leutnantin kopfschüttelnd zur Kenntnis; wenigstens bis zum Essen hätte sie ja noch bleiben können. Dann aber obsiegte ihre Neugier und sie begann das überbrachte Schreiben aufmerksam zu lesen, wobei sich am Ende der Lektüre ein Schmunzeln auf ihre Lippen schlich. 'Militärisch knapp wie immer, Oberst', flüsterte sie leise zu sich selbst, gleichzeitig aber auch sichtlich mit der eigentlichen Antwort zufrieden.
Hauptfrau Almira Streitberger,
Euren Entschluss bezüglich Eurer Teilnahme an der Queste trage ich mit. Wünsche hierfür alles Gute. Werde ebenfalls auf Burg Perlenblick zugegen sein. Gemeinsame Anreise bietet sich daher an. Ob ich selbst an der Queste teilnehme, entscheide ich vor Ort.
Wallbrord von Löwenhaupt-Berg
Oberst des mgfl.-per. Garderegiments "Trollpforte"
Baron zu Vellberg
etc. pp.
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