Geschichten:Altes Blut - Die Aussaat
Kontor Handelshaus Rallersgrund, Stadt Rallerspfort, Baronie Rallerspfort, 1. Travia 1037 BF:
Der erste Tag des groß gefeierten Festes der eingebrachten Früchte begann wie er jedes Jahr begann: Voll und laut. Für Haldan war das Fest in diesem Jahr dennoch vollkommen anders. Er war bereits zwei Mal zu diesem Fest in Rallerspfort gewesen; als kleiner Junge von sieben Jahren mit seinem Vater und im letzten Jahr. Auch da war es voll gewesen und die Leute hatten sich in den Straßen gedrängt, doch Haldan war mitten unter ihnen gewesen. Dieses Jahr stand er am Fenster seines Stadthauses im Luringer Weg. Unter ihm all die Leute, einfache und adlige, die aus der gesamten Region gekommen waren, um an der Prozession teilzunehmen und neben ihm seine beiden Vertrauten, Balttram und Milo.
Es war kein Aufwand gemieden worden um die kleine Stadt zu dekorieren. Leinen waren über die großen Sraßen gespannt und mit bunten Herbstblumen und Ähren verziert worden, Wimpel hingen nun an den Fassaden der Häuser und jedermann hatte seine Praiostagsrobe angelegt und wartete gespannt auf den Beginn der Prozession, welche am Marktplatz vor dem Olchob-Ackerreych-Tempel beginnen, den Luringer Weg entlang führen und vor den Toren der Stadt enden würde.
„Wo bleibt er bloß?“, fauchte Baltram, welche die letzten Tage uunterbrochen damit beschäftigt war, Verträge und geheime Abkommen abzuschließen und kaum geschlafen hatte. Man sah ihm seine Erschöpfung an und doch schien er voller Energie, waren sie alle doch dem ersten Etappenziel so nahe.
Milo, welcher für Haldan die Rolle des Anwerbers übernommen hatte, blickte nur kurz zur Seite und knackste nervös mit den Fingerknöcheln.
„Lange kann es nicht mehr dauern.“, besänftigte er Baltram. In den letzten Tagen hatte er versucht ein Pol der Ruhe zu sein für seine Leute und doch gelang es ihm nur schlecht, war er doch auch selber gespannt, ob alles funktionieren würde. Es musste. Das Handelshaus rangierte am Rand des finanziellen Kollapses und würde nur ein Glied der Kette versagen, wäre seine Familie ruiniert. Das Fest der eingebrachten Früchte würde die Entscheidung bringen.
„Und ihr seid sicher, dass er der richtige Mann ist?“, fragte Milo nun doch.
„Kimi Pasel?“, fragte Haldan. „ Mit Sicherheit. Er ist ein öffentlicher Freund der Familie Holwern, welche die Bürgermeisterin und den Sprecher der Zünfte stellt, selber Stadtrat, scheinheiliger Praiosanhänger und heimlicher Befürworter der Lehren Ludomars von Wystern. Er kennt das geheime Abkommen der Bognerzunft mit dem Baron und wird äußerst ungehalten sein, sollte sich herausstellen, dass der Sohn der Familie Zerbelhufen im Lagerhaus der Zunft festgehalten wird.“ Haldan schmunzelte kurz, wurde aber direkt wieder ernst. „Er gehört jenen an, die der Meinung sind, dass die Stadt Rallerspfort sich aus dem Konflikt außerhalb der Mauern heraushalten könne und solle. Trauriger Narr.“
„Richtig.“, bestätigte Baltram. „Er erzählte uns von dem Abkommen des Barons mit der Zunft, welches er nicht gut heißt. Dennoch hofft er darauf mit uns und der Familie Holwern eine starke Partei zu bilden, welche Torm Ackerreych als neuen Bürgermeister verhindern kann. Dafür ist eine gewisse Zusammenarbeit mit dem Baron natürlich nötig, doch sollte diese nicht durch ein Waffengeschäft zustande kommen, an welchem die Stadt beteiligt ist. Neutralität ist für ihn gleich Sicherheit.“
„Euer Plan also ist, das Geschäft der Stadt mit dem Baron platzen zu lassen.“
„Genau. Dafür ist er genau der richtige.“ Haldan wandte sich wieder dem Fenster zu.
„Ihr werdet dem Baron anschließend die Waffen verkaufen, wenn das Geschäft mit der Stadt platzt, richtig?“
„Selbstverständlich. Sie sind bereits in unseren Lagern in Hirschfurt.“, antwortete Baltram.
„Unsere Männer, unser Geld als Sold, unsere Verpflegung, unsere Ausrüstung. Die Soldaten, die Raulbrin einsetzen möchte sind in keinster Weise mehr an ihn gebunden. Was ist seine Sicherheit, dass er sich darauf einlässt?“
„Er hält das Land, welches die Kosten für uns decken soll. Gibt er uns dieses nicht, sind wir finanziell ruiniert.“
„Das spielt aber gar keine Rolle, da du dir ohnehin alles nehmen möchtest.“
„Ganz genau. Das ist der Plan.“
„Wofür benötigen wir Pasel dann noch?“, fragte Milo.
„Er wird unsere Augen und Ohren im Stadtrat sein, bis wir jemanden einschleusen konnten, der aus unserem Lager stammt. Das kann allerdings noch einige Zeit dauern. Bis dahin brauchen wir eine Allianz der Familien Holwern, Pasel und Rallersgrund in Rallerspfort.“
„Holwern wird sich niemals mit uns verbünden, wenn wir ihm sein Geschäft stehlen.“
„Sicherlich. Er nicht. Doch seine Schwester schon. Erhebt sie Einspruch gegen die Übernahme des Geschäfts durch uns, käme der Verdacht auf, sie missbrauche ihren Posten zum Vorteil ihrer Familie. Sie kann uns nichts anhaben. Das Geschäft wird zu Stande kommen.“
„Was ist mit Holwern selbst. Jeder weiß, dass er seine Schwester lenkt.“
„Er kommt in dieser Rechnung…nun ja...nicht vor.“
„Sein Geschäft geht mit ihm gemeinsam zu Grunde..?“, fragte Milo emotionslos.
„Noch heute Abend.“, bestätigte Haldan. Ein Schweigen legte sich über den Raum und an hörte nur die Rufe der Menschen vor dem Fenster.
„Die Prozession beginnt.“, brach Baltram vom Fenster her das Schweigen. Haldan und Milo stellten sich auch ans Fenster und beobachteten den bunten Umzug.
An der Spitze des Zuges fuhr Titina Kupferich, junge Leiterin des örtlichen Perainetempels und Ehrenstadträtin, auf einem reich verzierten Ochenkarren. Um sie herum lose angeordnet waren Kinder der Stadt, welche Blumenblüten warfen. Es folgten die Novizen des Tempels, welche Dankeslieder sangen und mit prächtigen Blumengirlanden geschmückt waren. Dahinter folgte bereits der Stadtrat, an der Spitze Ludilla Holwern, Bürgermeisterin der Stadt und sanft lächelnde Marionette ihres Bruders Sigismund, welcher dicht hinter ihr lief. Hinter dem Stadtrat folgte eine Kolonne Bauernkarren, von welchen aus Frauen einige kleine Gaben verteilten. Am Ende der Prozession lief die Geweihtenschaft des örtlichen Tempels, begleitet von Bannerträgern. Hinter ihnen schlossen sich die Menschen vom Straßenrand an und beinahe die gesamte Stadt zog, begleitet von einigen Soldaten des Barons, welcher traditionell unter der Menge war, die Straße entlang und zum Tor hinaus. Mit den Menschen, ging auch der Lärm und die drei Männer verblieben im Haus der Familie Rallersgrunder schweigend.
„Baltram, übernimm du das Gespräch mit Pasel. Ich werde mich dem Zug anschließen. Ich werde die Gelegenheit nutzen und mich erneut in der Nähe des Barons sehen lassen. Ich werde in einigen Stunden zurück sein.“ Er verließ die Tür und merkte dort erst, dass Milo ihm gefolgt war. Auf der Straße wandte er sich ihm zu. „Milo, es ist sehr wichtig, was du für mich, meine Familie und das Handelshaus tust. Gäbe es einen anderen, würde ich das alles nicht von dir verlangen, aber es gibt keinen. Wenn du je einen Wunsch haben solltest, den nur ich dir erfüllen kann, so zögere nicht ihn auszusprechen.“
Milo nickte kurz. „Ich werde nicht zögern, aber ich werde verlangen, dass du zu deinem Wort stehst.“ Er wandte sich ab und verschwand in einer Seitengasse. Haldan blieb zurück und ein leichter Schauer jagte ihm den Rücken hinunter.