Geschichten:Altes Blut - Ein ereignisreicher Tag

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10. Rondra 1037 – Gasthaus "Zum Winterkönig", Stadt Rallerspfort (Baronie Rallerspfort)

Wie er wusste, war die Zerbelhatz seit einigen Tagen vorüber und er war gespannt zu erfahren, was geschehen war. Die letzten Tage hatten Gewitter und frische Luft gebracht, die Menschen fühlten sich wieder lebendiger und das Treiben in der Stadt wurde wieder lauter und dichter. Ludomar von Wystern saß auf der Terasse des Gasthauses „Zum Winterkönig“ und genoss seinen kühlen Weißwein. Wie immer wurde er im Gasthaus neugierig beäugt. Man kannte ihn zwar, doch wurde die Praios-Kirche in diesem Teil Garetiens nicht so innig verehrt, wie anderswo, doch es war nicht Liebe, wonach sich Ludomar für seine Kirche sehnte – Einfluss war es, der ebenfalls fehlte. Dem Tempel, in welchem er für gewöhnlich diente, Rat gab und Novizen lehrte fehlte es an Pracht, welche wiederum nötig war, um den Leuten Respekt einzuflößen. So in Gedanken vor sich hin starrend trat eine Person an ihn heran.

„Seid gegrüßt Euere Gnaden.“ Ludomar blickte auf und seinen Augen weiteten sich. Aromir von Trutzen kannte er, doch hatte sich dieser schon ewig nicht mehr an ihn gewandt.

„Seid Ihr ebenfalls gegrüßt, Euer Wohlgeboren. Setzt Euch doch.“ Aromir zog den Stuhl zurück und nahm Platz. Bei der Schankmaid bestellte er zwei weitere Krüge Wein.

„Ich möchte auch gar nicht lange um wichtige Themen herum reden. Ich habe ein schwerwiegendes Anliegen.“

„Öffnet Euch mir ruhig.“ Aromir musterte ihn misstrauisch, fuhr aber fort.

„Ich wurde von meiner Familie in dem Glauben erzogen, dass die praiosgewollte Ordnung allüberragend und unfehlbar sei, dass der gerechte Herr Praios jedem das Schicksal zugedenkt, dass er verdient und einem nur die Last auferlegt, die derjenige auch stemmen kann.“

„Daran taten Eure Eltern gut, Aromir von Trutzen.“

„Diese Ordnung schließt ein, das Wort des Herren nicht anzuzweifeln, weil es nicht das eigene Anliegen ist, sondern seine Aufgabe, der er gewachsen sein sollte und diese praiosgefällig erfüllen sollte.“

„Ich sehe, Ihr seid in Eurem Glauben gefestigt, Euer Wohlgeboren.“

„Eben dies ist der Grund, weswegen ich zu Euch komme.“ Bevor er fortfahren konnte, wurde ihnen der Wein gebracht. Die Herren bedankten sich und Ludomar nippte an seinem Krug. Was auch immer Aromir nun erzählen sollte, er war sich sicher, dass es in direktem Zusammenhang mit der Zerbelhatz stehen musste.

„Sagt mir Euer Gnaden“, begann er, „Was ist, wenn der Herr ganz offensichtlich falsch liegt, wenn er den rechten Weg verlässt und sich von Dingen verleiten lässt, die die gewollte Ordnung ins Wanken bringen.“ Ludomar tat als dachte er einen Augenblick darüber nach. Er wusste selbstverständlich worum es ging und er war sich nun auch sicher, dass Aromir ebenfalls so dachte wie er, was die Schule anging.

„In der Tat ist dies eine schwerwiegende Fragestellung und nicht leicht zu beantworten. Die praiosgewollte Ordnung ist das letzte was Grund geben sollte zur Infragestellung des Gehorsams. Der Herr sollte eine tragende Säule sein, die dem übrigen Bauwerk, seinem Lehen, mit seinen Leuten und Vasallen als Stütze dient.“

„Eben dies ist Grund für meine Besorgnis, hab ich doch das Gefühl, dass meine Stütze verloren ging. Was sagt die Kirche dazu?“

„Solche Überlegungen sind der Kirche des Praios natürlich nicht fremd, doch werden sie nur höchst ungern angestellt, sind sie doch in der Regel mit einem höchst ungern gesehenem Grund verbunden. Ich wage kaum zu fragen, um wen es sich handeln mag.“ Ludomar vergrub besorgt dreinschauend seine Hände in den Ärmeln.

„Ist es notwendig Namen zu nennen?“

„Selbstverständlich ist dies möglich, aber die Frage ist viel eher, ob dies vernünftig wäre. Seht doch, wenn ein Wagen seinen Lenker verliert ist es noch lange nicht genug zu überlegen was zu tun ist, sondern es ist dringend nötig, dass ein anderer die Zügel an sich nimmt, auch wenn das Lenken eines Wagens eigentlich nicht seine Aufgabe ist. So ist es auch in diesem Fall. Es muss jemand den Wagen lenken, doch vor allem muss die Kirche wissen welcher Wagen führerlos ist.“

Aromir senkte seinen Blick und schien mit sich selbst zu ringen. Ludomar kannte Aromir gut genug, um zu wissen, dass ihm dieser Schritt sehr schwer fiel. Er war ein treuer, loyaler Ritter und einer der Sorte von Männern, die einen starken Herrn benötigten, doch einen Herrn, dem man gut folgen konnte. Raulbrin war kein solcher Mann. Er war ein guter Soldat, sowohl was Taktik als auch eigenes Geschick am Schwert anging, doch konnte er seine Vasallen nicht für sich begeistern.

„Es ist unser Wagen. Der Wagen ist die Baronie Rallerspfort und der Lenker, um welchen es mir geht, ist Raulbrin von Rallerspfort. Sein politisches Vorgehen lässt mich zweifeln und in Zeten, wo die Kaiserin Krieg führen will, sollten keine Zweifel in den eigenen Reihen herrschen. Ich möchte treu sein, Euer Gnaden, versteht mich nicht falsch. Mir liegt viel an Raulbrin, doch aus diesem Grund ist es nötig, dass er geht. Er darf nicht an der Spitze seiner Truppen ins Feld ziehen. Er darf nicht ins Feld ziehen, wenn einige Waffen auf ihn gerichtet sein könnten!“

Ludomar von Wystern gab sich überrascht. Mit weit aufgerissenen Augen rang er um Beherrschung, sammelte sich täuschend echt und fuhr fort. „Aromir von Trutzen, es ist gut, dass Ihr Euch an mich gewendet habt. Ich werde mit der kirchlichen Obrigkeit sobald wie möglich sprechen und auch Raulbrin meinen Rat anbieten. Möge Praios ihm die Vernunft eingeben mir Gehör zu schenken. Kehrt auf Euer Land zurück. Ihr habt alles richtig gemacht.“

Der Ritter nickte dankbar, reichte Ludomar zum Abschied die Hand und verließ das Gasthaus.

Ludomar genoss weiterhin seinen Wein, beobachtete die Leute um sich herum und überlegte, wen er zuerst wegen dieses Falls ansprechen sollte. Der Tempelvorsteher in Rallerspfort war aus Ludomars Sicht schon lange nicht mehr in der Lage über solch schwerwiegende Entscheidungen allein zu urteilen, doch Raulbrin hatte unmissverständlich klargemacht, dass er seinen Rat nicht benötigte. Während er so im Schaten nachdachte trat erneut jemand an ihn heran: Dorian von Zerbelhufen. Verwundert über den häufigen Besuch am heutigen Tag, vergaß Ludomar die Regeln der Höflichkeit und ließ Dorian einen Augenblick stehen.

„Seid gegrüßt“, begann Dorian und brach die seltsame Stille.

„Seid Ihr ebenso gegrüßt, Zerbelhufen.“ Mit einer Handbewegung bot Ludomar Dorian einen Platz am Tisch an.

„Ich meinte beim Eintreten Aromir von Trutzen gesehen zu haben.“

„Eure Augen haben Euch sicherlich bloß einen Streich gespielt. Das Wetter schlägt gerade um, da geschieht dergleichen häufiger. Was führt Euch zu mir?“

„Eine Angelegenheit von höchster Dringlichkeit.“

„Sicherlich, sonst hättet Ihr mich im Tempel gesucht.“

Dorian ließ diesen Tadel unbemerkt von sich abperlen. Wie so oft hatte Ludomar das Gefühl, von Dorian ertappt worden zu sein. Auch wenn dies nur selten tatsächlich der Fall war, fühlte er sich von diesem Mann an die Wand getrieben. Dorian war offenkundig ein Mann des Barons und interessiert daran, die Zustände in der Baronie nicht zu verändern, sicherten sie doch zu allererst seinen Wohlstand.

„Nun es ist so. Wie Ihr sicherlich wisst, fand vor einigen Tagen die Zerbelhatz auf meinem Land statt.“ Ludomar nickte. „Bei dieser Zusammenkunft kam es zu einem unerfreulichen Zwischenfall.“

Ludomar blickte äußerst interessiert auf, hatte er doch noch nichts davon erzählt bekommen. „Fahrt fort.“

„Während einer hitzig geführten Diskussion wurde der Schwiegervater des Barons, Valnar von Falkenstein durch die Klinge Firunhardts von Böckelburg verletzt.“

Überrascht riss Ludomar die Augen auf. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf, sodass er seine Überraschung unmöglich verbergen konnte. Was war diskutiert worden? Wie konnte zugelassen werden, dass es soweit kam? Wer war noch involviert? Nach einem Moment war er wieder in der Lage das Gespräch fortzusetzen.

„Ich verstehe, dass dies eine schreckliche Eskalation darstellt, aber weswegen sucht Ihr nun aber meinen Rat?“

„Es handelt sich um eine rechtliche Frage. Wie alle vermutet hatten, hatte diese Handlung ernste Konsequenzen für Böckelburg, wurde er doch umgehend angeklagt und seine Verurteilung steht kurz bevor. Was jedoch niemand, zu allerletzt ich, vermutete war, dass er mich ebenfalls an den Pranger stellen möchte, weil es mein Burgfriede war, den ich nicht sicherstellen konnte.“

Ludomar von Wystern hätte am liebsten losgelacht, musste sich Dorian doch so bloßstellen. Nicht nur, dass Falkenstein offensichtlich an sein Vermögen wollte, nein, es stand auch noch die Kasse der Familie des Barons hinter diesen Forderungen. Dass sich ausgerechnet einer der wenigen überzeugten Loyalisten einer solchen dreisten Anklage gegenübersah sprach für eine unglaubliche Selbstüberschätzung seitens der Herrscherfamilie. Sie würden einen solchen Schritt nicht wagen, wären sie nicht davon überzeugt die Mehrheit der Vasallen auf der eigenen Seite zu haben. Dorian sah ihn fragend an, forderte er doch noch immer eine Antwort.

„Nun“, begann Ludomar „diese Angelegenheit ist in der Tat schwierig. Ich erinnere mich, dass unter Eurem Vater ein solcher Burgfriede stets garantiert wurde.“

„So ist es.“

„Ihr tatet dies im Vorfeld nicht, oder?“

„Nein nicht wortwörtlich.“

„Schön formuliert, stellt Ihr Euch doch stets diesbezüglich als Wahrer der Tradition dar. Wurde der Friede nicht wortwörtlich garantiert, habt Ihr nichts zu befürchten außer dem unweigerlichen Gesichtsverlust. Es würde als Täuschung ausgelegt werden und Falkenstein würde sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Es handelt sich um eine ungewöhnliche Anklage seinerseits, das steht fest, doch bleibt es gewagt sie einfach abprallen zu lassen, wenn man bedenkt, dass es sich um den Schwiegervater des Barons handelt.“

Ludomar erkannte direkt, dass dies nicht die Antwort war, die Dorian hören wollte. Es war Zeit den Keil tiefer zu treiben.

„Aber es gibt eine Möglichkeit, es beiden Seiten recht zu machen, beziehungsweise sie ohne Gesichtsverlust aus der Affäre zu ziehen. Ihr seid doch stets ein treuer Vasall gewesen, nicht wahr?“ Dorian nickte. „So sprecht mit Raulbrin. Es ist sein Schwiegervater und diese Anklage kam sicher im Affekt auf. Raulbrin wird das einsehen und einen treuen Vasallen wie Euch schützen, würde es doch auch ein schlechtes Licht auf ihn werfen, nähme er seine Vasallen auf so schamlose Art und Weise aus. Für Böckelburg kann ich leider nichts tun, aber für Euch sehe ich eigentlich gute Chancen, alles glimpflich zu überstehen.“

„Vielen Dank, Euer Gnaden. Ich wusste Ihr würdet in all Eurer Weisheit guten Rat für mich haben. Ich werde Raulbrin aufsuchen, um mit ihm die Angelegenheit zu bereden.“ Dorian erhob ich vom Tisch und entfernte sich zügig.

Ludomar winkte die Schankmagd zu sich und bestellte einen weiteren Becher Wein. Es war ein ereignisreicher Tag gewesen, doch war es ein Witz im Gegensatz zu dem, was Raulbrin von Rallerspfort bevorstand. Die Entscheidung zwischen treuem Vasall und Schwiegervater fiel niemandem leicht und er befand sich im Zugzwang. Einen der beiden würde er verlieren und die Konsequenzen, die das nach sich ziehen würde, konnte sich Ludomar von Wystern beim besten Willen noch nicht ausmalen.