Geschichten:Die Pforte aufgestoßen - Der Hirsch

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Schloss Auenwacht, Kaiserlich Gerbaldsmark, 25. Rahja 1045 BF

Salix blickte dem greifenfurter Baron, sanft lächelnd, noch etwas hinterher, ehe er sich selbst zum Gehen abwandte. Er hatte alles erreicht, was er hier und jetzt erreichen wollte und konnte. Nun hieß es darauf warten, dass Ardo von Keilholtz seine Untersuchungen abschloss. Darauf, dass einer der ersten Steine zum Rollen kam. Erst dann würde er die anderen Steine anschubsen, um eine Lawine auszulösen.

Wie es der Zufall so wollte, hatte Baron Nimmgalf von Hirschfurten, der ebenfalls auf der Krönungsfeier zugegen war, einen Teil der Unterhaltung der beiden mitbekommen, und wollte seinen Freund Ardo von Keilholtz gerade schon darauf ansprechen, hatte es doch im letzten Götterlauf leider keine Gelegenheit dazu gegeben. Doch noch eher er ihn erreichen konnte, war Ardo beim Tanz mit einer Greifenfurter Edlen, der ihn nun voll und ganz in Beschlag nahm.
Etwas verstimmt blickte Nimmgalf sich um und sah den jungen Perricumer Salix von Hardenstatt, mit dem er vor einiger Zeit mal bezüglich eines Knappentausches samt anschließender Verlobung der beiden Knappen verhandelt hatte.
Obwohl dieser etwas in Gedanken zu sein schien, trat Nimmgalf an ihn heran und sprach ihn an: “Ihr seid doch Salix von Hardenstatt, wenn ich mich recht erinnere? Verzeiht die kleine Störung, aber ich kam nicht umhin, einen Teil Eurer Unterredung mit meinem Freund Ardo von Keilholtz mitzubekommen. Hättet Ihr einen Moment Zeit?”

Der Angesprochene nickte. “Selbstverständlich, Euer Hochgeboren von Hirschfurten.”

“Nun denn, es ging ja sowohl um die Rechtmässigkeit des Rallerspforter Barons, als auch um die ungewöhnlichen Vorfälle in dem Rittergut Radulfsfelden. Zu letzterem kann ich auch nicht viel sagen, außer dass der Ritter wohl immer noch verschwunden ist, soweit ich weiß. Allerdings berichtete meine Gemahlin mir auch schon davon, dass es wohl keine normalen Plünderer gewesen seien, weil sie es nicht auf Wertsachen abgesehen hatten. Das lässt zumindest auf eine gezielte und geplante Aktion hindeuten.”

Salix folgte den Ausführungen des Barons gespannt.

“Nun zur Rechtmäßigkeit des Rallerspforter Barons: die jüngere Schwester des bei Mendena gefallenen Barons Raulbrin, Lechmin von Rallerspfort, ist eine Ritterin im Reichsforster Grafenbann. Sie lebte eine zeitlang in Samlor, der Hauptstadt meiner Baronie. Sie führte bei mir - nicht bei Graf Drego wohlgemerkt - Klage gegen den Anspruch des Rallersgrunders. Ihrer Ansicht nach wurde ihre Nichte aus unbekannten und nicht triftigen Gründen von der Erbfolge ausgeschlossen, was ihrer ganzen Familie quasi die Existenzgrundlage entzogen hat. Durch meinen Einfluss erhielt sie in der Folge immerhin wieder ein Junkersgut im benachbarten Syrrenholt, wo sie nun erstmal den Wiederaufbau vorantreiben möchte, da dieses Gut in der Fehde stark verheert wurde.”

Salix hörte weiterhin aufmerksam zu.

“Der Grund, weswegen sie zu mir kam und um Hilfe bat, und nicht beim Grafen vorstellig wurde, ist, weil sie von dort keine wirkliche Hilfe erwarten konnte. Sie glaubte eher an ein Komplott, welches dazu diente, ihre Familie zu entmachten. Ich weiß selber auch nicht, was sich mein Schwager davon versprochen hat, aber möglicherweise ist er einfach dem schlechten Rat seiner Einflüsterer gefolgt. In diesem Punkt gilt es zunächst einmal mehr Klarheit zu gewinnen.”

Der Adlige aus Perricum musste kurz das soeben gehörte verarbeiten. Dass der Baron von Hirschfurten sich so freimütig an ihn wandte, überraschte ihn doch mehr, als er zugestehen wollte. Vor allem, dass dieser so offen mit ihm sprach. Doch das war alles nebensächlich! Natürlich hatte Salix geplant gehabt, die Verbindung zum Hause Hirschfurten zu nutzen, um später einflussreiche Verbündete in der Grafschaft Reichsforst zu haben. Dass der Kopf des Hauses nun auf ihn zugekommen war, erleichterte die Sache erheblich.

Der Perricumer räusperte sich: “Nun, dann freut es mich, dass Ihr Euch der Sache bereits angenommen habt. Ich denke, gemeinsam werden sich die seltsamen Vorgänge aufklären lassen.”

Er schenkte seinem Gegenüber ein herzliches Lächeln, ehe er sich am Kinn kratzte.

“Ihr glaubt demnach an zwei Komplotte? Einen gegen den Ritter zu Radulfsfelden und einen gegen die Familie Rallerspfort? Letzteres aus dem Umfeld des Grafenhofs. Doch wer würde davon profitieren oder so etwas umsetzen? Fast genauso wichtig wäre die Frage: wer würde gezielt ein Rittergut überfallen und es nicht plündern?”

“Profitiert hat ja vor allem der Rallerqueller Baron, der ja zuvor noch ein Bürgerlicher war. Leider ist er nicht der einzige Bürgerliche, der es unter dem neuen Grafen Drego zu erheblichem Einfluss in der Grafschaft Reichsforst gebracht hat, was dem alteingesessenen Adel immer mehr ein Dorn im Auge ist. Und ich wette, dass es da einen Zusammenhang gibt. Was den Überfall auf das Rittergut angeht, würde ich glatt vermuten, dass man gezielt versucht hat, den dortigen Ritter kaltzustellen oder auszuschalten, oder es immer noch versucht. Möglicherweise stand das auch in direktem Zusammenhang mit dem ersten Fall. Wenn das stimmen sollte, dann wäre es äußerst gefährlich, hier offen nachzuforschen, denn wenn die Betroffenen dies bemerken, greifen sie anscheinend zu drastischen Methoden.
Wir bräuchten also jemanden, der völlig unbemerkt Erkundigungen vor Ort einholen könnte, ohne dabei Verdacht zu erregen. Also jemanden, der sich auf dem diplomatischen Parkett sicher zu bewegen weiß. Wüsstet Ihr da jemanden?”

Nimmgalf blickte den jüngeren Mann erwartungsvoll an.

Salix nickte verstehend an der ein oder anderen passenden Stelle. Als der Baron dann seinen erwartungsvollen Blick auf ihn richtete, kratzte sich Salix etwas verlegen am Kinn. “Nun, wie es der Zufall so möchte, kenne ich da tatsächlich jemanden…”.

Ein Rucken ging durch seinen Körper und er straffte sich, mit klarer und deutlicher Stimme richtete er das Wort an seinen Gegenüber. “Nun Euer Hochgeboren! Es war mir eine Freude zu hören, dass die junge ‘von Zackenberg’ sich ausgesprochen gut als Knappin macht! Ich werde gerne im Frühling Euch besuchen kommen und mich selbst von ihrem Fortschritt überzeugen!”. Salix verbeugte sich der Etikette entsprechend.