Geschichten:Verschollene Eber - Unter anderen Umständen

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Baronie Hesindelburg, Kloster Rabenhorst

Mit einem widerlichen Rauschen ergoss sich ein Schwall ekelerregender Brühe in den blechernen Eimer. Irmenella hielt sich den Bauch mit der einen Hand und die Strähnen ihres vollen Haares mit der anderen Hand aus dem Gesicht.

Imladris Praiosvold von Krähenklamm schluckte und senkte den Blick wieder auf die kleine Notiz, die er in einer Art Geheimschrift zu Papier gebracht hatte. Ein kurzer Blick zu seiner Herrin, dann faltete er das Papier routiniert zusammen und siegelte es mit goldenem Siegelwachs und dem Knauf seines Sonnenszepters, in den verschlungene Zeichen eingegraben waren.

Noch keine vier Monde war es her, dass ihm Praiomon von Dergelstein Szepter und Robe als Zeichen seines Priesterstandes übergeben hatte; aber anstatt wie andere Geweihte nun erst einmal einen Zwölfgötterkreis durch die Mark zu ziehen und das Lob des Herrn zu verkünden, war er ausersehen worden, der Greifin in ihr selbst gewähltes Exil in Hesindelburg auf den Kürenstein zu folgen. So diente er der Greifin seitdem als Secretarius und hielt gleichzeitig für sie den Kontakt nach Greifenfurt. Letzteres erforderte immer wieder Fingerspitzengefühl, denn obgleich er dem Tempel des Herrn und somit dem von Dergelstein als oberstem Geweihten verpflichtet war, umgaben die edle Frau eine Reihe von Geheimnissen, die ihm unter dem Siegel der Beichte offenbart worden waren. Und somit gestaltete sich der Kontakt mit dem Haupttempel für ihn mittlerweile als eine Art schriftlicher Spießrutenlauf. Immer galt es abzuwägen, was er an Informationen verschweigen, was freigiebig ausbreiten durfte.

Die Greifin selbst, die ihn, noch bevor ihm seine Lage vollends aufgegangen war, diese bereits geweissagt hatte, tat nichts, ihn seiner Bürde zu entledigen. Doch hatten Sie mittlerweile einen Konsens dergestalt erzielt, dass sie ihm oftmals zu verstehen gab, was ihrer Ansicht nach nicht geeignet war, seinen Weg ins Zentrum der Mark zu finden. Und in seiner Unsicherheit hatte er begonnen, ihrem Urteil zu vertrauen.

Um so schwere war ihm der gerade geschriebene Brief gefallen. Sie hatte ihm aufgetragen, ihren Zustand zu melden – nicht ohne nachvollziehbare Gründe. Man konnte ihren Zustand nicht verheimlichen. Doch die Anweisungen, die sie für den gerade aufgesetzten Brief gegeben hatte, erschienen ihm völlig irrational. Wie konnte sie eine so wichtige Sache …

Aber es war ihr Leib und es war ihre Entscheidung. Sollte sich Herr von Dergelstein über die Lage den Kopf zerbrechen. Er nickte der stummen Boronnovizin zu, die in ihrer Dreiergemeinschaft die Rolle der Zofe der Greifin übernommen hatte, und verließ die Kammer. Auf dem Hof angekommen gewahrte er den Abt des Kloster und nickte diesem einmal kurz zu. Dann ging er eilig zum Kräutergarten, öffnete einen Käfig des Taubenstalls und entnahm diesem eine reinweiße Taube. Es war die letzte, die direkt den Tempel des Herrn anfliegen würde, aber man hatte ihm zugesichert, dass noch zu Wochenende neue Tauben hierhergebracht werden würde.

Ein letzter prüfender Ruck an der Kapsel am Bein des Vogels, dann warf er die Taube in den Himmel und beobachtete ihren Flug, bis sie mit der Sonne zu verschmelzen schien.