Geschichten:Wuchernde Nesseln - Am Ohr des Grafen

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Burg Oberhartsteen, Efferd 1041 BF

Praiodan von Steinfelde trat durch die kleine Nebenpforte hinaus in den Oberhartsteener Burggarten. Ein leichter Wind raschelte in den Blättern der Gewächse und die Strahlen der spätsommerlichen Praiosscheibe wärmten auf eine angenehme Art. Zwei Küchenjungen sammelten emsig die Nüsse unter einem Baum auf und hinter einer Hecke war das regelmäßige Geräusch eines Laubrechens zu vernehmen. Der Ritter ließ den Blick zu dem Pavillon inmitten der gepflegten Anlage schweifen. Dort drüben hob sich das bleiche Antlitz Luidors von Hartsteen deutlich von der mit dunkelgrünem Sam überzogenen Lehne des schweren Sessels ab, in dem der Graf saß. Das Arrangement vervollständigte ein Beistelltisch, auf dem neben einer halbgefüllten Karaffe samt Becher einige Papiere sowie Tintenfass und Feder bereit standen. Doch der Graf war nicht allein; der Baron von Feidewald war bei ihm und redete auf ihn ein. Nur zu gern hätte Praiodan gehört, was der Gegenstand dieses Gesprächs war, doch leider ging der Wind in die andere Richtung, so dass ihm nicht einmal Fetzen davon zugetragen wurden. Er beobachtete, wie Luidor schließlich die Hand hob und nickte. Der gräfliche Kämmerer reichte ihm mit einer Verbeugung ein Pergament, das der Graf signierte, bevor er dem Quintian-Quandt mit einer weiteren Handbewegung entließ. Praiodan hatte nur darauf gewartet und setzte sich nun in Bewegung. Die beiden Männer nickten sich zu, als sie sich ihre Wege auf dem knirschenden Kiesweg kreuzten, der eine forschen Schrittes, der andere gemächlich schlendernd, das zusammengerollte, signierte Pergament fest in Händen.

„Dom Werdomar. Ihr kommt vom Grafen, wie ich sehe.“

„In der Tat. Und ihr, Steinfelde? Genießt Ihr das gute Wetter, bevor der Herbst Wolken und Regen bringt?“

„In erster Linie habe ich Dringendes mit Graf Luidor zu bereden.“

Doch der Quintian-Quandt sagte entschuldigend: „Dom Praiodan, verzeiht. Ich fürchte, mein Gespräch mit dem Grafen hat ihn sehr erschöpft und er wünscht nun eine Ruhepause.“

„Zu schade.“ Praiodan runzelte die Stirn, doch ein Blick über die Schulter seines Gegenübers offenbarte, dass dieser die Wahrheit gesagt hatte. Der Herr von Oberhartsteen saß wie so häufig zusammengesunken und mit geschlossenen Augen da. Vielleicht schlief er sogar bereits. In solchen Momenten war es in der Tat nicht ratsam, ihn zu stören. „Immerhin könnten wir beide einmal über die Neubesetzung des Landrichterpostens sprechen.“

„Ein wichtiges Amt...“, blinzelte der Kämmerer nicht uninteressiert.

„...das Herr Hadrumir auf die ihm eigene Weise ausübte. Allerdings ist dies von Korgond aus schlechterdings nicht mehr möglich – und die Familie Schwingenfels im Moment zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass einer der ihren für den Posten infrage käme.“

Werdomar nickte zustimmend: „Wen habt Ihr im Sinn, Steinfelde?“

„Es gibt einige respektable Persönlichkeiten, die dafür infrage kämen: Balian von Ibelstein zum Beispiel“, hub der Wegevogt an, doch Werdomar schüttelte fast ungläubig den Kopf: „Den alten Ibel? Habt ihr nicht diese Geschichte mit der Frau des Bärenauer Weinhändlers gehört? Eine unappetitliche Angelegenheit. Das goutierte dem Grafen überhaupt nicht, als ich sie ihm vorhin erzählte.“

„Wie wäre es dann mit Sieghold von Greyfentrutz? Der hat immerhin viel Erfahrung in rechtlichen Angelegenheiten.“

„Das mag schon sein“, gab der Kämmerer weiter zu bedenken und tippte mit dem zusammengerollten Pergament gegen seine Nase, „Allerdings muss er erst einmal in seinem Junkertum Ordnung schaffen, das er so unverhofft zugesprochen bekommen hat. Und, ehrlich gesagt, ein Mann, der angeblich gut Freund mit dem Blautann ist, wie ich höre, ist doch kaum zu vermitteln.“

„Hättet Ihr denn jemand besseren?“, fragte Praiodan etwas genervt.

„Vielleicht.“ Ein Lächeln huschte über das sonst so beherrschte Gesicht des Feidewalder Barons. „Zuerst hatte ich an meinen Vetter Lechdan gedacht. Ihr selbst habt doch bereits gute Erfahrungen mit ihm gemacht, Steinfelde. Leider sieht er sich außerstande, das Amt anzunehmen. Aber zum Glück gibt es noch jemand anderen...“

„Na dann lasst hören!“, drängte ihn Praiodan in ungeduldiger Erwartung.

„Ich hatte an Gunilda von Nesselregen gedacht.“

„Die Stadtmeisterin von Bugenhog? Warum die denn?“

„Seit zwanzig Götterläufen lenkt sie die Geschicke der Stadt unauffällig und effizient. Ihre Familie ist in Rabensbrück wohlbegütert und bekleidet dort angesehene Ämter. Zudem war sie gewillt, der gräflichen Kammer eine nicht unbeträchtliche Summe zuzuschießen – als Ausdruck ihres festen Willens, Verantwortung in und für die Grafschaft zu übernehmen.“

Unwillig wedelte Praiodan mit dem Zeigefinger in Richtung seines Gegenübers: „Ihr habt Euch doch kaufen lassen. Das wird der Graf nicht gutheißen.“

„Genauso wie Ihr damals vom Lepel“, gab Werdomar ungerührt zurück, „Und doch ist er jetzt Landvogt. Im Übrigen habe ich gerade die Zustimmung Graf Luidors in dieser Sache erhalten; Ihr braucht Euch also nicht mehr bemühen.“ Werdomar wedelte mit dem Pergament, deutete eine Verbeugung an und stolzierte davon, den überrumpelten Wegevogt verdattert zurücklassend.


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Texte der Hauptreihe:
12. Eff 1041 BF früh am Mittag
Am Ohr des Grafen
Unentbehrlich


Kapitel 2

Autor: Steinfelde