Geschichten:Peridans Abschied

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Gut Kesseling, 6. Praios 1047 BF

Fast zwei Monde waren seit dem Tod Idra von Allingens vergangen; zwei Monde, in denen alle geglaubt hatten, dass ihr Gemahl Peridan dabei war, seinen Verstand zu verlieren. Idra war besonders seit dem Verlust des Familienstammgutes Allingsruh mit ihrer ruhigen, einfühlsamen Art seine Stütze und sein stärkster Halt gewesen, und der unerwartete Verlust seiner Frau hatte Peridan zutiefst getroffen. Alle Trostversuche und Beileidsbekundungen hatte der Kastellan der Burg Hutt kalt abprallen lassen oder mit allenfalls höhnischen Blicken kommentiert. Nach dem Begräbnis hatte Peridan sich dann in seiner Kammer eingeschlossen und über Wochen von der Welt des Hartsteener Grafenhofes fast vollständig abgeschottet. Über Tage hatte er kaum etwas gegessen und dafür umso mehr gesoffen, nur, um den unheilbaren Schmerz und die tiefe Leere in seinem Innern nicht spüren zu müssen und betäubt vom Rausch doch etwas Ruhe zu finden. Ansonsten hatte er stundenlang einfach dagelegen und die Spinnweben über seiner Bettstatt angestiert.

Zum Schrecken der Bewohner von Burg Hutt hatte der Witwer dann während der schlimmen Tage zwischen den Jahren begonnen, wie ein Wahnsinniger umher zu toben und dabei rastlos Idras Namen zu brüllen und zu heulen. Schließlich wurde er wegen seines heillosen Gebarens von den gräflichen Hausrittern gepackt, in den Block gesperrt, angekettet und sogar geknebelt, als Peridan den ebenfalls herbeigeholten Geweihten, welcher ihm einen Beruhigungs- und Schlaftrunk reichen wollte, lauthals in die Niederhöllen gewünscht hatte. Mit dem Licht des neuen Jahres war der Anfall vorübergegangen und der Trauernde schien wieder zu Sinnen zu kommen. Einen Tag und eine Nacht verbrachte er im Büßergewand kniend auf dem steinernen Fußboden der Praioskapelle im Zwiegespräch mit den Alveranischen und ihrem derischen Diener, bevor er erschöpft in einen tiefen, doch erholsamen Schlaf fiel.

Als Peridan wieder aufgewacht war, hatte er einen festen Entschluss gefasst. Noch am selben Tag bat er den Grafen um Entlassung aus seinem Dienst, was dieser mit Bedauern samt einem kleinen Beutel voller Talern auch gewährte. Gräfin Niope ließ es sich nicht nehmen, dem Allinger zum Abschied einen kleinen Strauß buntgefärbter Federn an den Hut zu stecken und ihm ein freundliches „Avesbefohlen“ mit auf den Weg zu geben. Dann hatte sich Peridan auf den Weg gemacht. Die erste Nacht hatte er im neuen provisorischen Gästedormitorium des Traviaklosters zu Hutt verbracht und es war noch nicht mal Praiosstunde, als er schließlich in Kesseling, seinem ersten Ziel, eintraf.

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Brinian von Allingen war sichtlich überrascht, als sein älterer Bruder allein, zu Fuß und in einfacher Reisekleidung vor seiner Tür auftauchte. Natürlich hatte er vom schlimmen seelischen Zustand, in dem dieser sich befunden hatte, gehört, sich angesichts des jahrelangen angespannten Verhältnisses zwischen den beiden aber außerstande gesehen, ihm zu helfen. Umso interessierter war er nun, in Erfahrung zu bringen, was Peridan bewegte und was er vorhatte.

„Ich gehe auf Reisen. Eine Pilgerfahrt, wenn man so will“, bekundete dieser schlicht auf die Frage des Junkers zu Kesseling.

„Und wohin?“

„Ich dachte, der Friedenstempel in Hartsteen ist ein gutes erstes Ziel. Dann bietet sich Rommilys an, immerhin kann ich da Rufina einen Besuch abstatten.“

„Und danach?“

„Dann werde ich weitersehen, vielleicht Perricum, Beilunk oder Ilsur?“

„Nein. Ich meine, wenn du von deiner Reise wieder zurück bist.“

Peridan zuckte mit den Schultern: „Das wird sich zeigen.“

„Du sollst wissen, dass dir mein Haus immer offen steht. Du kannst hier in Kesseling bleiben, wenn du willst“, bot der Junker zögernd an.

„Ich werde es mir überlegen“, antwortete der Ältere ausweichend.

Brinian nickte: „Gut.“

Die beiden schwiegen einen Moment, bevor Peridan den Gesprächsfaden wieder aufnahm: „Da ist noch eine Sache, die ich gerne klären wollte, bevor ich aufbreche.“

„Ja?“

„Ich habe es immer gehasst, wenn du nicht auf mich als dem Oberhaupt unserer Familie gehört hast, sondern deine eigenen Pläne ohne Rücksicht verfolgtest. Immerhin, der Erfolg gab dir Recht. Wenn ich nun fortgehe, sollst du fortan die Bürde übernehmen, die Familie zusammenzuhalten, mit Tugend und Tapferkeit.", zitierte Peridan den Wahlspruch der Allingens. „Ich wünsche dir, dass du nicht dieselben bitteren Entscheidungen treffen oder Erfahrungen machen musst wie ich.“ Bei diesen Worten zog der Witwer den Siegelring mit dem Wappen der Allingens vom Finger und reichte ihn an Brinian weiter.

Der nickte langsam, als sich seine Finger um das Kleinod schlossen: „Ich weiß, dass ich dich in unbequeme Situationen gebracht habe, obgleich ich nicht sagen kann, dass ich etwas davon bereue. Aber ich danke dir für dein Vertrauen.“

„Vielleicht hätte ich das schon viel eher tun sollen“, meinte Peridan ernst, als er nach dem am Türpfosten lehnenden Wanderstab griff. „Aber jetzt ist es wirklich in der Zeit.“

„Du willst tatsächlich nicht zum Essen bleiben?“

„Nein. Es wird heute noch schwer genug, wenn ich Richtung Oberkessel gehe und die Türme von Allingsruh in den Blick kommen. Das will ich schnell hinter mir haben.“

„Also gut. Na dann, pass auf dich auf.“

„Und du auf alle anderen.“

Die Brüder umarmten sich zum Abschied. Dann ging Peridan los, ohne sich noch einmal umzusehen.


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Texte der Hauptreihe:
6. Pra 1047 BF früh am Mittag
Peridans Abschied


Kapitel 1

Bei den Hörnern
Autor: Steinfelde