Geschichten:Barbenwehr in neuer Hand - Ein kurzes Vergnügen

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Reichsvogt zu sein, erfüllte Ugdalf von Streitzig mit mehr Genugtuung und Zufriedenheit, als er einem einzelnen Menschen zu fühlen zugetraut hätte. Er strotzte vor Tatendrang, vor Zuversicht, vor Eifer. Zuletzt hatte er sich so gefühlt, als er junger Fähnrich gewesen war. Das war vor der demütigenden Affaire im Wall, die mehr auf seiner Seele lastete als der Verlust seines Auges. Unwillkürlich berührte er bei diesem Gedanken die Bronzeplatte, die eine kundige tulamidische Feinschmiedin weiland für ihn angefertigt hatte. Glücklicherweise war das Klima hier so trocken - sonst hätte ihm die Wunde mehr Probleme bereitet. So aber störte nur der Staub, der bis hinter die Metallwölbung kroch. Streitzig wollte sie gleich reinigen - zuerst aber rief die Pflicht! Die Pflicht, die eine reine Wonne war!

Er stieg beschwingt die letzten Stufen zur geräumigen Schreibstube des Reichsvogtes hinauf. Ein prächtiger Raum: Große Fenster ließen das hohe Gewölbe unter dem Erkerdach erstrahlen wie die Wüste, wenn die Sonne von Süd kam. Tulamidische Teppiche schmückten die gekalkten Wände und den beplankten Boden, adrette Kohleschalen standen für die kältesten Nächte bereit. Ein mächtiger Schreibtisch aus schwarzem Regenwaldholz beherrschte das hintere Raumdrittel. Vorne links stand das Pult des Sekretärs, wo Uriel von Zwickenfell unermüdlich werkelte. So auch jetzt - als Schreiber, Sekretär, persönlicher Assistent und wandelndes Gedächtnis war der Mann einfach unersetzlich. Zillingen hatte ihn in seiner Maraskaner Zeit kennen gelernt - da war Uriel noch ein bürgerlicher Schreiber im Stab des Nachschubs oder so ähnlich. Und jetzt, da Zillingen mit seinem anderen Maraskaner Freund Haffax Bestandteil der Geschichte geworden war, konnte Streitzig wenigstens noch auf die Expertise dieses bescheidenen und immer freundlichen Mannes zurückgreifen. In den letzten vier Wochen hätte Streitzig sonst weder ein noch aus gewusst.

Beim Betreten des Raumes nickte Streitzig dem Schreiber zu, der gerade Schriftrollen und Pergamente in eine große Umhängetasche räumte. Uriel blickte auf und grüßte den Reichsvogt freundlich: »Zurück von den Krek Awar? Waren sie freundlich zu Euch?«

Streitzig warf den leichten Schal, den er gegen den Staub im Kragen trug, auf den Schreibtisch und ließ sich schwungvoll in den kurulischen Stuhl fallen. Er goss sich aus der Karaffe frisches Wasser in den Pokal und leerte ihn gierig. Erst dann antwortete er: »Alles lief bestens. Brinian Schur ist ein verständiger Mann, der auf seinen Stamm einen guten Einfluss hat. Einen reichstreuen! Er hat mich sehr freundlich begrüßt und mir zu meinem neuen Amt gratuliert. Einen sehr schönen Sattel hat er mir geschenkt, ihr müsst ihn Euch ansehen. Leugold ölt ihn gerade nach dem staubigen Ritt.«

Streitzig goss sich erneut ein und trank den halben Becher in einem Zug leer. »Und hier Neuigkeiten? Was macht die Zicke, Eure Tante?«

»Ich habe nur eingeheiratet, Exzellenz«, antwortete Uriel jovial, weil er wusste, dass Streitzig es mochte, wenn man die Zwickenfell nicht so ernst nahm und wenn man ihn mit dem hochtrabenden - und unzutreffenden - Titel ansprach. »Hier ist nichts los. Aus der Hauptstadt kam lediglich dieser Bericht über die Anhänger des Marschalls und die „Stäbe von Wehrheim“. Hier.«

Uriel übergab dem Reichsvogt das Pergament. Streitzig las es und nippte immer wieder an seinem Becher. Der Bericht Isenbrunns hatte es in sich: Hier waren zahlreiche Verräter aufgelistet. Streitzig räusperte sich vernehmlich, dann rief er: »Ha, seht Ihr: die Schreckhaupt haben sie festgesetzt. Sehr gut - die wird gewiss bald am Galgen tanzen.« Erneut hustete Streitzig, nahm einen Schluck und las weiter. Am Ende der ersten Seite stutzte er, las offenbar erneut, räusperte sich und blickte auf.

»Ihr habt das doch gelesen, Zwickenfell, oder?« Er verzog ein wenig das Gesicht und klopfte sich auf das Brustbein.

»Das habe ich - wie alle Post, die an Euch gerichtet ist«, antwortete Uriel ungerührt, während er weitere Schriftstücke aus dem Schrank sichtete und zum Einpacken zurechtlegte.

»Hier steht, dass Ihr zu den Verrätern gehört - stimmt das?« Streitzig beugte sich vor und drückte die Faust auf das Brustbein.

»Verrat ist eine Frage des Standpunktes, Exzellenz. Ich habe immer der Ansicht angehangen, dass alles Handeln am Wohl des Reiches ausgerichtet sein sollte. Ob die Kaiserin das immer gewährleistete, habe ich stark bezweifelt. Im Übrigen stimmte ich hier mit Oberst Zillingen stets überein. Ich hatte gehofft, Ihr auch. Nein?«

Streitzig hustete krampfartig und schüttelte den Kopf. Er krächzte: »Nein, ich … Ihr werdet ebenfalls baumeln, U… was ist denn das, das brennt?« Er hustete noch heftiger und taumelte hoch, lehnte sich gegen die Wand. Offensichtlich hatte er starke Schmerzen.

»Schade. Ich hatte gehofft, Euch ebenso dienen zu können wie meinem vorigen Herrn. In dem Wasser war Gift, Exzellenz.« Uriel ließ einen schweren Beutel mit Münzen aus der Hauptkasse in die Tasche mit den Dokumenten fallen und schloss sie.

»Und … wenn … ich … ja …?« Streitzig krümmte sich an der Erkerwand, nach Luft ringend.

»Dann hätte ich Euch dieses Gegengift verabreicht«, erklärte Uriel, indem er eine kleine Phiole hochhielt, um sie anschließend gegen die Wand zu werfen. »Gehabt Euch wohl.«

Uriel verließ den Raum, in dem Streitzig mittlerweile auf den Boden gesunken war und hässliche Geräusche von sich gab. Auf der Treppe nach unten begegnete er der Kastellanin Samia von Gaulsfurt, die sich erkundigte, wo der Reichsvogt sei.

»Der schnappt gerade frische Luft«, gab Uriel leutselig zurück und wies unbestimmt in Richtung der schattigen Wälle im Norden. Samia machte sich nach dorthin auf, während Uriel zu den Ställen ging, wo ein gesatteltes Pferd auf ihn warten sollte.


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8. Ron 1040 BF zur abendlichen Hesindestunde
Ein kurzes Vergnügen
Oberst Zillingen ist nicht nur tot


Kapitel 2

Die liebe Familie
Autor: BB