Geschichten:Aus eins mach zwei - Vom Hoftag zu Natzungen

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Stadt Natzungen, Ingerimm 1043 BF

Thallian von Wulfensteyr atmete erleichtert auf, als er das Tor der Riedburg zur Stadt Natzungen hin durchschritt und den Weg zu seiner Herberge einschlug, wo er während der letzten Nächte untergekommen war. Endlich konnte er den geschäftigen Trubel des Hoftages, das intrigante, auftrumpfende Hin und Her und das Gerede der großen und kleinen Wichtigtuer hinter sich lassen. Adelsversammlungen wie die zurückliegende waren eindeutig nichts für ihn, der seine Tage vorzugsweise mit Sauspieß und Bogen einsam in den Wäldern auf der Pirsch verbrachte, einzig die treuen Jagdhunde an seiner Seite.

Gleichwohl war seine Anwesenheit für ihn und die Familie Wulfensteyr wichtig gewesen, denn für Natzungen hatte es wahrhaft umwälzende Neuerungen gegeben. Deren wichtigste bestand darin, dass nach dem Willen des Grafen Odilbert von Hartsteen aus einer Baronie nunmehr deren zwei geworden waren. Von jetzt an würde der Adel Natzungens also getrennte Wege gehen. Ein Teil sollte seine Eide und Gefolgschaft künftig dem Grafen oder dem Landvogt als dessen Stellvertreter leisten, der andere der Herrin der neu eingerichteten Baronie Praioreth.

Was der Hartsteener mit dieser Teilung letztendlich zu erreichen gedachte, erschloss sich dem alternden Ritter nicht gänzlich, trotz all der Erklärungen und um Zustimmung werbenden Worte, die in den zurückliegenden beiden Tagen gefallen waren. Offensichtlich war allein, dass der eigentliche Erbe der Baronie, Thallians Großneffe Praiofist von Natzungen, bei allen Entscheidungen keine Berücksichtigung mehr gefunden hatte. Und das verdross Thallian sehr, schließlich lagen ihm die Nachkommen seines vor Jahren zu Boron gegangenen Bruders Duridan noch immer am Herzen. Und hatte er nicht seiner Nichte Tanira vor der unheilvollen Heerfahrt gen Tobrien geschworen, auf ihren Sohn achtzugeben?

Deutlich geworden war die grobe Zurücksetzung der alten Baronsfamilie vor allem an dem Punkt während der Beratungen mit den gräflichen Räten, als Sieghold von Greyfentrutz lautstark verkündet hatte, dass er niemals einer Gerstungen als Baronin von Obernatzungen die Treue schwören würde, auch wenn sie mittlerweile anders hieß; eine Auffassung, die Thallian ganz und gar teilte. Schließlich sollte ein Tausch das Problem bei der Grenzziehung zwischen den beiden Baronien lösen: Sieghold würde seinen Besitz nördlich des Gryffenweihers mit dem Dorf Wolfskull an die neue Baronin abtreten und dafür etliche Ländereien bis zur Reichsstraße einschließlich des Dorfes Großfelden erhalten. Was den Greyfentrutz so offenbar nicht störte, hatte Thallian umso mehr aufhorchen lassen. Denn Großfelden gehörte zum alten Junkertum Praioreth – von alters her Eigengut der Familie Natzungen – und damit seinem Großneffen Praiofist.

Schon dass der Graf dem Jungen die Baronsrechte von Natzungen aberkannt hatte, war ein schwerer Schlag gewesen, weil darin offenbar wurde, dass Odilbert von Hartsteen kein Vertrauen in diejenigen setzte, welche seit dem Tod der Baronin Tanira und dem Entschwinden Hadrumirs von Schwingenfels stellvertretend die Geschicke Natzungens leiteten. Gegen die Entmachtung Praiofists als Baron ließ sich jedoch in der gegenwärtigen Situation kaum etwas vorbringen: Der Graf brauchte vor allem fähige Ritter, die ihm in den Fehdehändeln sofort zur Seite springen und Truppen führen konnten, keine unfertigen Burschen. Aber wie konnte der Graf einfach so auch über Praiofists Eigengut verfügen?

Jedenfalls hatte Thallian an dieser Stelle das Wort ergriffen und erklärt, dass solch ein Vorgehen nicht rechtens und wider alle Traditionen wäre und er aus Pflichtgefühl gegenüber der Familie seiner Nichte den Tauschplänen mit dem Greyfentrutz keineswegs zustimmen könne. Kühl war ihm daraufhin beschieden worden, dass Graf Odilbert den jungen Praiofist zu seinem Mündel gemacht und entschieden hätte, das Junkertum Praioreth aufzuteilen. Im übrigen würde der Junge zu gegebener Zeit angemessen entschädigt, dafür stände der Graf mit seinem Wort ein.

Dreist hatte Thallian daraufhin Brief und Siegel verlangt, ebenso wie eine Sicherheit, dass der Graf zu seinem Wort stehen würde. Zu viel hatte er schon von der Welt gesehen, um zu viel auf Worte allein zu geben. Auch bei den lautersten und hehrsten Vorsätzen war es schließlich genugsam vorgekommen, dass sich ändernde Umstände dazu führten, dass manch einer von diesen lieber abrückte. Leichtsinniges Vertrauen war gefährlich in diesen unruhigen, wechselhaften Zeiten. Am Ende hatte ihm der neue Landvogt Bartel Helmdahl von Stolzenfurt das Dorf Alffsteen als Sicherheit angeboten und Thallian hatte nach einigem Überlegen angenommen. Es schien ihm schien das Beste, was er in der gegenwärtigen Situation für seinen Großneffen erreichen konnte, ohne selber die gräfliche Gunst völlig zu verlieren.

Solcherart in Gedanken versunken bemerkte Thallian erst spät, dass Sieghelm von Greyfentrutz näherkam. Der Junker von Wolfskull, oder vielmehr ‚vom Gryffenweiher’, wie er sich nunmehr nennen konnte, ritt eine stattliche Rappstute und nickte dem Wulfensteyr im Vorbeireiten anerkennend zu: „So schnell, wie Ihr gerade den Konvent nach der Eidesleistung verließet, hatte ich gar keine Zeit mehr, Euch zu Eurer Neuerwerbung zu gratulieren, Wulfensteyr. Alle Achtung, wie Ihr den Landvogt beschwatzt habt! Ich nehme an, Ihr könnt es jetzt kaum erwarten, Euren neuen Besitz zu inspizieren. Mir geht es schließlich genau so. Also auf bald, Nachbar.“

Thallian nickte nur nichtssagend und grüßte förmlich, als der Greyfentrutz seinem kleinen Gefolge winkte, dem Ross die Sporen gab und unter dem bewundernden Gaffen der Städter die Straße hinunter gen Unterstadt entschwand. Auch der Junker von Muhlwasser sah ihm einen Moment nach – jedoch nur, um seinen Kahlkopf zu schütteln. Wahrlich, dachte er, als er schließlich seinen eigenen Weg fortsetzte, jedes weitere Wort wäre eines zu viel gewesen. Höchste Zeit, dass er hier weg kam!


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Texte der Hauptreihe:
Per 1043 BF am Abend
Vom Hoftag zu Natzungen


Kapitel 1

Autor: Steinfelde