Geschichten:Auf wirrenden Pfaden - Das Grabmal des unbekannten Dieners

Aus GaretienWiki
Version vom 21. Februar 2019, 19:01 Uhr von Hartsteen (D | B)
(U) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (U) | Nächstjüngere Version → (U)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Dorf in der Nähe von Brig-Lo, 30. Travia 1042 BF, kurz vor Sonnenuntergang

Das kleine Gebeinfeld lag etwas außerhalb des Ortes und war bereits in den langen Schatten der aufkommenden Dämmerung getaucht. Im leichten Wind des Herbstabends bewegte sich die kleine Pforte knarzend hin und her. Butterfett lehnte lässig gegen eine ältere Marmorfigur eines vor einem gebrochenen Rad knienden Knaben, der im Laufe der Jahrzehnte, die er bereits Wind und Wetter ausgesetzt war, seinen rechten Arm eingebüßt hatte. Dieser lag nun auf dem dürren Gras vor ihm und nichts deutete darauf hin, dass es irgendjemanden aufgefallen war oder sich jemand bemüßigt fühlte, sich um die Pflege der Grabstätte zu kümmern.

»Brauchst du noch lange, Bluthand«, tönte es blechern unter dem verbeulten Topfhelm hervor.

Wenige Schritt abseits von ihm kauerte die völlig verschleierte tulamidische Magierin und säuselte einen unverständlichen Singsang. Direkt vor ihr lag ein bleiches Gerippe im Zentrum eines glitzernden Boronsrads. Hinter ihr klaffte ein Loch im Boden, dunkel wie das Maul eines toten Ungeheuers.

»Ich hoffe nur, wir haben die richtige Leiche ausgegraben«, fuhr Butterfett fort, mit einer etwas belegten Stimme. Ihm war frommer Götterglaube nicht sehr wichtig, aber länger als nötig auf einem gefrevelten Boronsfeld zu verweilen, behagte ihm nicht wirklich. »Es wäre einfacher, wenn zur Kontaktaufnahme mit den Toten keine stinkenden Reste von ihnen nötig wären. Also wenn das Ganze so eine Art Seelenreise des fragenden Magiers wäre.«

Die Magierin antwortete nicht. Ihre Maske senkte sich nah über das Gerippe und noch immer säuselte sie unverständliche Worte.

»Wäre nämlich echt überflüssig, wenn sich herausstellte, dass das hier ein armer Tropf aus dem Dorf um die Ecke ist. Und er im Leben nicht den Pfalzgrafen gesehen hat«, Butterfett schaute sich aufmerksam in der Gegend um. »Haben wir eigentlich schon Boronmond?«

»Nein. Es ist der letzte Tag der Travia.« Die Stimme hinter ihm ließ Butterfett zusammenzucken und zu seiner Waffe greifen. Er hatte nicht gehört, wie sich der Schwarze angenähert hatte. »Dem Herdfeuer ist dieser Frevel nicht so schlimm wie dem schweigenden Herren. Und in der Nacht vor seinem Mond werden die Seelen nervös und mitteilsam.«

Der Singsang der Magierin wurde immer leiser und war kaum noch zu hören. Dann verstummte sie vollkommen.

»Ich weiß ja nicht, was wir uns eigentlich versprechen hier genau finden zu wollen. Der Kastellan hatte nur gesagt, dass hier der Ort sei, wo der damalige Sertiser Reichsvogt zum ersten Mal richtig um sein Leben habe fürchten müssen. Und dass wohl einer seiner Diener bei dem Attentat auf ihn hier seinen Weg über das Nirgendmeer angetreten habe.« Butterfetts Stimme war fast ein Flüstern übergegangen und gespannt blickte er zur Zauberin herüber. Mit den Toten hatte er sie noch nie sprechen sehen. Viel häufiger stattdessen mit den Sterbenden, deren Tod sie von eigener Hand herbeigeführt hatte.

Der Schwarze war völlig unbeeindruckt von den Vorgängen. »Wird Schattenklinge sich uns in Almada anschließen?«

»Schattenklinge? Nein, der ist auf der anderen Seite der Khôm unterwegs und sammelt seine Informationen. Er schickt alles zu unserer Kontaktperson nach Khunchom. Giftbolzen und Schafsfell sollten bereits vor Ort sein, wir treffen sie dort, sobald wir hier fertig sind.«

Ein einzelner Kauz schrie in die Dämmerung hinein und ließ Butterfett verstummen. Für einen Moment herrschte völliges Schweigen in diesem entlegenen Flecken in Almada. Dann richtete sich plötzlich die Tulamidin steif auf und legte eine Hand auf den völlig blanken Totenschädel vor ihr.

»Es ist alles bereit. Die verbotene Verbindung zu dem Toten ist hergestellt und ich fühle seine ungewünschte Aufmerksamkeit. Was soll ich ihn fragen? Mein großer Lehrmeister in Fasar lehrte mich den Spruch so, dass die Stimme des Toten für uns alle hörbar ist.«

»Erstmal was leichtes. Wie und wann er gestorben ist«, tönte es unter Butterfetts Topfhelm.

»Verstorbener, ehrerbietend bitten wir dich, oh erweise uns deine Gunst und teile uns die Umstände deines Todes und den Tag mit«, sagt Bluthand mit deutlicher Stimme.

Eine leise und dünne Stimme erklang aus der Luft, fast als würde sie vom Wind gehaucht. »Im Praiosmond des 1027igsten Jahres überfielen Anhänger und Kultisten des Alten Drachen Pyr Dracon meinen Herren. Er selbst entkam nur mit Mühe, doch ich wurde tödlich getroffen.«

Butterfetts Stimme schwang vor Aufregung. »Frag ihn, wer sein Herr war.«

»Verstorbener, wir empfinden den größten Dank für deine hochfreundliche Antwort. Erlaube uns zu wissen, wer dein Herr war und wohin ihr reistet.«

Wieder erklang die Stimme, und es klang, als ob sie aus sehr großer Ferne sprach. »Mein Herr war der Reichsvogt Hilbert von Hartsteen und wir waren auf dem Wege zum großen Adelskonvente im Reichs des Horas.«

»Also doch, tatsächlich der Richtige!« Butterfett war außer sich vor Aufregung. Kurz überlegte er, was er weiter von dem Verstorbenen erfragen wollte. Welche Geheimnisse er über seinen Herren herausfinden könne. Aber da sagte der Schwarze mit nüchterner Stimme: »Frag ihn, wie er heißt.«

»Verstorbener, wir sind voller Anteilnahme für dein schreckliches Schicksal und voller tiefstem Dank. Erlaube uns noch zu wissen, wie dein Name ist, dann werden wir dich wieder zurück in den ewigen Frieden verabschieden und vor den Göttern für dein Seelenheil beten.«

»NEEIN«, rief Butterfett aus. Was kümmerte ihn der Name eines unerheblichen Lakaien der Ratte von Sertis, wie ihr Auftragsgeber seinen Erzfeind nannte. Vertan die Möglichkeit an die verborgenen Geheimnisse des früheren Reichsrichters zu gelangen!

Unbeeindruckt erklang wieder die Stimme, und sie war kaum noch zu hören, so weit entfernt wirkte sie, weit entfernt von der Welt der Lebenden und ihrer Intrigen und Fehden.

»Ich bin Tumanjan, Medicus des Reichsvogts.«