Geschichten:In der Gosse gelandet
Gareth, Südquartier, im Hesinde 1047 BF
Coruna hatte nicht lange gezögert und war schon kurz nach dem Urteil von Hirschfurten aus aufgebrochen. Fort, nur fort wollte sie. Da sie nicht wußte, wo sie hingehen konnte - sie hatte außerhalb Hirschfurtens keine Bekannten oder Verwandte - zog es sie in die große Stadt. Ein Händler hatte sie ein paar Meilen auf der Reichsstrasse mit genommen und so war sie schließlich in Gareth angelangt. Zunächst hatte sie sich in einem Hotel in Alt-Gareth eingemietet. Völlig fasziniert hatte sie die vielen neuen Eindrücke der Kaiserstadt aufgenommen. Doch schnell war ihr das Geld ausgegangen, und sie musste schauen, wie sie über die Runden kam. Da sie keinerlei handwerkliche Arbeit erlernt hatte und auch keine Anstellung als Zofe in Aussicht hatte, beschloss sie irgendwann ihren Körper zu verkaufen. Aber auch hier hatte sie wenig Glück. Die Alt-Garether Rotseidene Gilde beäugte die 'Neue' mit Argwohn und machte ihr das Leben schwer. So verschlug es sie schließlich ins Südquartier, wo sie eine kleine Absteige für ein paar Heller am Tag gemietet hatte.
Es war schon früher Abend, das Praiosauge war bereits untergegangen, als Besso Wehrheimer mit einem Karren durchs Südquartier zog. Er hatte etwas für Sefira Rosenherz zu erledigen gehabt, was ihn ein paar Tage in Gareth verweilen ließ. Nebenbei hielt er ein wenig Ausschau nach geeigneter Verstärkung für das Haus Abendrot. Da plötzlich wurde er unfreiwillig Zeuge eines unschönen Streits zwischen einem Mann und einer Frau. Anscheinend ging es um Geld.
"Was soll das? Ausgemacht waren fünf Heller, das hier sind gerade mal drei. Ich will auch noch den Rest, aber sofort!" rief die rothaarige Frau voller Empörung. Der schmerbäuchige, unrasierte Kerl mit der Halbglatze lachte nur. "Mehr bist du eh nicht wert. Sei froh, dass du überhaupt was hast. Und jetzt verpiss dich, Hure!" Die junge Frau ging nun wütend auf den deutlich älteren Mann los und fauchte ihn an. Doch dieser fing ihre Schläge ab, drehte ihr den linken Arm auf den Rücken und zwang sie auf den Boden, auf dem noch etwas festgestampfter Schnee lag. Dann schlug und trat er hart auf sie ein: "Mich angreifen, du Schlampe? Ich mach dich kalt!" Sie heulte vor Schmerzen laut auf.
Schon wollte er wieder ausholen und weiter auf die Frau einprügeln, als ihn ein stahlharter Griff von hinten packte. "Was? Was soll..." weiter kam er nicht, denn Bessos Kopf zuckte ruckartig vor und zertrümmerte sein Nasenbein. Der Mann schrie laut auf und hielt sich die Hände vor das blutende Gesicht. Da traf ihn ein harter Schwinger in den Magen. Röchelnd sank der Kerl zu Boden. Besso nahm ihn gekonnt in den Schwitzkasten. "Du wirst der Dame jetzt bezahlen, was du ihr schuldest, dann erspare ich dir die weiteren Lektionen, klar?"
Wimmernd nickte der fette Kerl nur, und Besso löste den Griff etwas. Er nestelte seinen Geldbeiutel hervor und warf der Frau noch 2 Heller hin, die sie rasch einsammelte.
"Und jetzt verpiss dich. Und die nächste Dame behandelst du mit mehr Respekt, sonst bin ich beim nächsten mal nicht mehr so freundlich, verstanden?" Der Mann zog sich mühsam an der nächsten Mauer hoch und humpelte von dannen.
Erst jetzt wandte sich Besso der "Dame" zu, die diese Bezeichnung wohl kaum verdiente. Sie stopfte die Heller ein einen kleinen Beutel und ließ diesen im Dekoletee verschwinden. "Da... danke für die Hilfe", sagte sie. "Nichts zu danken. Ich hab was dagegen, wenn Typen wie der Frauen so behandeln."
"Willst... willst du eine kleine Belohnung?" flüsterte sie verführerisch. "Ich kann dir kein Geld geben, aber..."
"Lass gut sein, Kleine!" lächelte der große Mann. Und für einen Moment huschte ihr auch ein Lächeln übers Gesicht.
"Gut, also... dann leb wohl", sagte sie, doch bevor sie ging hauchte sie Besso noch einen Kuss auf die Wange. Dann ging sie los.
"Hey, Kleine, warte bitte kurz!" rief Besso ihr nach.
Sie drehte sich zu ihm um. "Ja? Hast du's dir anders überlegt?"
"Das ist es nicht. Aber... du gehörst nicht hierher, oder?"
Die Frau blickte traurig zu Boden. "Jetzt schon", sagte sie leise.
"Es ist so: eine Frau wie du... die wird hier im Südquartier nicht alt werden. Viel zu viele Strassenhuren bieten sich hier an, manche versuchen auch andere über den Tisch zu ziehen. Denn Geld ist hier sehr rar. Und auch die Freier sind oft üble Typen, zumal die meisten eh nicht viel haben. Für ein paar Münzen sind hier einige sogar bereit zu töten. Ohne einen Beschützer überlebst du hier nicht lange."
Coruna wandte sich von ihm ab. "Ich weiß es ja. Aber mir bleibt keine Wahl als dieses Leben. Ich ... habe alles verloren. Ich hab keine Wahl..." schluchzte sie.
"Man hat immer eine Wahl, Kleine. Wie heißt du denn?"
"Co... ich meine Alrike. Einfach nur Alrike", dabei errötete sie leicht.
Besso schmunzelte. "Nun, Alrike, hast du schonmal vom Haus Abendrot gehört?"
Alrike sah ihn an und schüttelte dann den Kopf.
"Es ist ein ziemlich nobles Bordell, etwa zwei Tagesreisen südlich von hier in Alrikshain. So jemanden wie dich könnten wir dort gut gebrauchen. Dort hättest du dein eigenes Zimmer, was du dir nach deinen Wünschen einrichten kannst, hättest es immer warm und genug zu essen, und vor allem wird es niemand dort wagen Hand an dich zu legen. Denn das Haus steht unter dem Schutz der Rahjakirche. Ach so, und dort wirst du auch deutlich mehr verdienen als hier in der Gosse. Wenn du willst, nehme ich dich mit. Ich fahre eh morgen wieder dorthin zurück. Was meinst du?"
"Du... glaubst wirklich, dass ich dort arbeiten könnte?"
Besso grinste. "Natürlich. Du hast Temperament und bist reichlich von Rahja gesegnet. Die Kerle stehen auf so was."
"Ich weiß nicht... ach was. Schlechter als hier kann es ja kaum noch werden. Gut, ich komme mit."
"Sehr schön. Ich hol dich dann morgen früh ab."
Er drehte sich um und wollte zu seinem Karren zurück. "Warte!" rief Alrike. "Darf ich heute Nacht bei dir bleiben? Ich möchte dass du mir alles über dieses Haus Abendrot erzählst. Und wenn du nett zu mir bist... gibt es vielleicht ja doch noch eine Belohnung", grinste sie.
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