Geschichten:Das Erbe der Pfortensteiner - Noch ein Enkel
Schloss Rossgarten, Mitte Ingerimm 1046 BF
Leobrecht und Wolfaran saßen gemeinsam im eleganten Salon von Schloss Rossgarten, als plötzlich eine Zeitung energisch auf den Tisch zwischen ihnen geknallt wurde. „Habe ich einen Stiefsohn oder einen Enkel?“ fragte Korhilda scharf, während sie mit verschränkten Armen vor ihnen stand. Ihre Blicke wanderten abwechselnd von ihrem Mann Leobrecht zu ihrem Sohn Wolfaran.
Der Reichsvogt griff nach dem Garether und Märker Herold, schlug ihn auf und überflog die Zeilen. „Oha,“ murmelte er schließlich.
„Was heißt hier ‚Oha‘?“ konterte seine Frau schnippisch. „Also noch einmal meine Frage: Habe ich einen Stiefsohn oder einen Enkel?“
Leobrecht sah sie an und versuchte die Situation aufzuheitern. „Hilda, Liebes, hast du Anaxios nicht in Betracht gezogen?“ Seine Bemühung, die Stimmung zu heben, wurde von einem versteckten Klaps seines Sohnes unter dem Tisch und einem begleitenden Kopfschütteln quittiert.
„Leobrecht, das ist nicht witzig,“ zischte seine Frau.
„Doch, Hilda,“ entgegnete er, „du beschuldigst mich, wirklich und wahrhaftig mich, dass ich mit einer anderen Person ein Kind gezeugt haben könnte. Liebes.“
Korhilda atmete schwer durch und setzte an, um zu kontern, doch ihr Sohn fiel ihr ins Wort. „Ich war's. Meine Schuld. Und irgendwie witzig ist es schon… Papa schaut doch keine andere Frau an, außer dir.“
Korhildas zickiger Ausdruck wich einem freudigen Lächeln, auch wenn sie geschickt den letzten Satz ihres Sohnes ignorierte. „Oh, ein Enkel. Warum sagt ihr mir so etwas nicht?“ fragte sie.
„Mutter,“ begann Wolfaran zu erklären, „es war das Beste für den Jungen. Es war ein einmaliges Stelldichein zwischen mir und Melina. Ich hatte zu der Zeit Tsas Segen empfangen um für Kinderreichtum im Haus Ochs zu sorgen ... und ... was soll ich sagen, es ist passiert. Wir waren der Meinung, dass er als Ehrenstein ein besseres Leben hat, als als Ochsenfeld.“
Korhilda wiederholte sich. „Oh, ein Enkel, noch einer, wie schön. Ich hätte…“
Leobrecht vollendete den Satz für sie: „Ich hätte mich um ihn gekümmert und ihn lieb gehabt… Das wolltest du sagen, oder?“
Korhilda setzte sich neben ihren Gatten, der zärtlich ihre Hand nahm. „Ja, das wollte ich sagen, und ja, ich verstehe, es wäre nicht gut gewesen für den Kleinen. Aber jetzt…“
Leobrecht hielt ihre Hand fest. „Jetzt werden wir zu deinem Bundesbruder reisen und unseren Enkel willkommen heißen. Jetzt ist die Nachricht verbreitet, obwohl sie hätte unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit begraben sein sollen. Aber das ist ein anderes Thema.“
„Wolfaran, begleitest du uns?“ Korhilda schaute zu ihrem Sohn, der seinen Kopf schüttelte. „Erst werde ich zu Iralda reisen, dann zu Melina und dem Jungen. Sie bedeutet mir nichts, aber der Junge stammt aus der Frucht meiner Lenden, da werde ich Verantwortung übernehmen.“