Geschichten:Der Tod kam leise und trunken

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Gut Rotfurt, Boron bzw. Hesinde 1047 BF

Iriana von Altmark saß im großen Ohrensessel am Kamin, die Handrücken auf den Schenkeln zum Gebet. Ihr silbernes Haar fiel in weichen Strähnen auf die Schultern herab. Die Glut in der Feuerstelle war fast erloschen, nur noch ein schwaches Glimmen in der Asche. Ihre Lippen waren reglos, doch es schien, als hätte das letzte Wort, das sie sprach, noch immer ein Echo in der Stille des Raumes.

Als die Magd sie fand, war ihr Gesicht friedlich. Kein Anzeichen von Kampf oder Schmerz, nur der stille Ausdruck eines Gebets, das zu Ende gesprochen war. Sechs Jahre hatte sie allein gelebt, seit Mukadin, ihr Gemahl, den sie einst „den Weisen“ genannt hatten, in die Erde gesenkt worden war und die Familie noch einmal nachhaltig hatte. Nun war sie ihm gefolgt.

Nicht ganz zwei Wochen später ritt Haldana, ihre Tochter, durch das helle, steinerne Tor von Gut Rotfurt, nicht weit entfernt von der Brücke, die das Wappen der Familie prägte. Der Weg war ihr lang vorgekommen, doch die Nachricht vom Tod der Mutter hatte sie angetrieben. Sie war eine Frau von klarem, ruhigem Geist, die Frieden in ihrem Herz trug, doch nun war sie aufgewühlt. Als sie den kühlen Keller des Gutes betrat, in dem ihre Mutter aufgebahrt war, überkam sie eine unbeschreibliche Ruhe, als sie das Lächeln auf dem Gesicht der toten Mutter sah. Ihre Mutter war heimgekehrt, dorthin, wo der Weise Mukadin bereits wartete, wer wusste welcher ihr beider weiterer Weg war. Sicherlich würden sie ihn zusammen gehen.

Noch in derselber Nacht zog sie sich in ihre Kammer zurück und schloss die Augen, ebenfalls mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Diener fanden auch sie am nächsten Morgen in ihrer Bettstatt, die Hände auf der Brust verschränkt, als hätte sie nur geschlafen. Auch sie war friedlich ihren Eltern gefolgt.

Die Nachricht von Haldanas Tod erreichte ihren Bruder Mersatan am Frühstückstisch. Ein alter Krieger, der das Schlachtfeld hinter sich gelassen hatte, doch dessen Herz noch immer im Rhythmus alter Trommeln schlug. Als er kurz darauf die Kammer der toten Schwester nun wieder verließ wirkte das Haus leerer als je zuvor. Die Stühle am großen Tisch unberührt, der Staub begann sich auf den Polstern niederzulegen, eigenartig.

Er ließ Wein und Schnaps auftragen, mehr als für einen Mann gut war, und stieß Becher um Becher auf seine Familie an - allein. "Auf Vater, auf Mutter, auf Haldana, auf uns alle!" Die Kerzen flackerten, das Feuer loderte, und seine Stimme hallte durch den kleinen Saal des Guts. Es war keine Trauer in seinen Worten, sondern ein rauer, ungebrochener Abschied.

Als der letzte Becher geleert und stolz-trunken an die Wand geschmettert war, setzte er sich ruppig und lehnte sich zurück. Sein Blick ruhte auf den Schatten in den Ecken des Saals, als würde er alte Freunde, Kamerraden, Familie erkennen. Dann schloss er die Augen, sein Atem wurde langsam, tiefer, bis er schließlich verebbte wie eine Welle am Ufer.

So kam das Ende. Kein Schrei, kein Zorn, nur ein stiller Abschied in der Gewissheit, dass jenseits der Dunkelheit bereits irgendwo jemand wartete.

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Ihr Familienoberhaupt Ariescha, die diese Position einen Kampf hatte führen müssen, nahm den Tod dieser bedeutenden Anverwandten als Anlaß ihre Familie nun wirklich von ausgetretenen Pfaden zu führen, so wie der Weise Mukadin es geweissagt hatte.