Geschichten:Märchen und Geschichten über den Tod, die niemals erzählt werden - Die Nacht der roten Steineiche

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Ritterherrschaft Frühlingshügel, Ende Boron 1046 BF

Im dämmrigen Licht des Schreibzimmers saß Ifrima von Grenadian, die Finger um den Federkiel verkrampft. Die Flammen der Kerzen warfen zitternde Schatten an die grob behauenen Steinwände. Sie hatte den Gedanken, der ihr die Brust wie ein kalter Dolch durchbohrte, lange fortzuwischen versucht, doch nun drängte er sich auf wie ein ungebetener Gast.

Seit Tagen heimgesucht von dieser bedrückenden Vorahnung, saß Ifrima nun da, das Pergament vor ihr noch leer. Die Eingebungen waren ihr nicht fremd – Bilder, die wie Blitze durch ihren Geist zuckten, Botschaften, die manchmal klar, manchmal wirr waren. Doch diese war anders. Sie war ein Sturm, der kein Entrinnen erlaubte.

Ein kühler Windhauch kroch durch das halboffene Fenster, ließ die Flamme der Kerze flackern. Ifrima griff nach einer kleinen Phiole gefüllt mit Kräutern durchsetztem Wein, nahm einen Schluck und zwang sich, den Federkiel auf das Pergament zu setzen. Ihr Herz schlug schwer, sie wusste, dass Mira, ihre Tochter, ohne diese entscheidende Notiz Frühlingshügel vermutlich verlieren würde, da sie sich zuletzt der Baronin zu sehr anvertraut hatte, zum Ärger ihrer Lehnsherrin.

„Mira,“ murmelte sie leise und begann zu schreiben. Ihre Schrift war fester, als es sich anfühlte. Sie wusste, dass die Zukunft ihrer Familie vermutlich auf dieser Nachricht ruhte. Doch während sie schrieb, drängte sich ein neues und doch altes Bild in ihren Geist – eines, das sie lange für sich behalten hatte, das aber ihrer Tochter ein Pfand wäre.

Ein Baum. Dunkelrot wie geronnenes Blut, seine Wurzeln tief in zerklüfteten Stein- und Erdboden gegraben. Und eine Gestalt … nein, zwei Gestalten. Eine lag reglos im Schatten, die andere kniete. Ein Laut, halb Schrei, halb Wehklagen, hallte in ihren Gedanken wider. Dann folgte die Stille.

Ifrima schnappte nach Luft. Ihr Federkiel kratzte über das Pergament, ein ungewollter Strich zerstörte die Zeilen beinahe. Die Eingebung war so stark, dass sie ihren ganzen Körper durchfuhr, wie ein Blitz, der einen Baum zerschmettert. Sie sah die Steineiche vor sich, wie in jener Nacht vor etlichen Jahren. Die rote Steineiche. Und ihre damalige Lehensherrin, jung und verzweifelt, mit blutigen Händen. Ifrima hatte damals alles riskiert, um die junge Frau vor neugierigen Fragen oder Schande zu bewahren. Eine Schuld, die nie beglichen worden war, weil Ifirma es nicht für nötig gehalten hatte, bis jetzt.

Die Ritterin, mit dem Äußeren, vor dem sich nicht wenige fürchteten, stand auf, ihr Atem flach und gehetzt. Sie griff sich ans Herz, das nun wie ein Trommelschlag in ihrer Brust hämmerte. „Die Nacht der roten Steineiche,“ flüsterte sie heiser und sank schwer auf den Stuhl zurück. Ihr Blick fiel auf die kurzen Zeilen. Mit zitternden Fingern setzte sie erneut an, der Federkiel zögerte einen Moment, bevor er über das Papier glitt.

„Mira,“ schrieb sie, „sprich von der Nacht der roten Steineiche. Sie werden wissen, was es bedeutet. So wird Frühlingshügel unser bleiben.“

Ihre Hand ließ die Feder sinken. Die Worte standen, ab von der verzerrten Linie, fest und klar auf dem Pergament, doch ihre eigene Klarheit schwand. Die Bilder flackerten erneut auf, diesmal begleitet von einer Kälte, die ihr den Atem nahm. Sie versuchte, sich zu erheben, wollte die Notiz in eine kleine Metallkassette legen, doch ihre Beine versagten. Der Stuhl kippte rückwärts, und Ifrima stürzte zu Boden.

Als die Dienerin sie fand, lag sie mit leerem Blick da, das Pergament fest in der Hand.

Ifrimas Tochter Mira stand aufgelöst im Schreibzimmer, die Notiz nun zwischen den Fingern. Ihre Mutter war tot, und die Zukunft des Ritterguts schien wie ein Kartenhaus vor dem Einsturz. Die Nachricht war kurz, doch sie war ein heller Schimmer in der Ungewissheit - zumindest hoffte sie das.

„Die Nacht der roten Steineiche…“, murmelte sie. Es war eine Geschichte, die ihre Mutter nie erzählt hatte, ein Geheimnis, das Mira nun ergründen musste. Sie hoffte, dass die Ruchins es recht deuten würden, so dass sie auf dem Gut ihrer Familie herrschen würde.

Mit der Notiz in der Hand und einem Klopfen im Herzen trat Mira aus dem Schreibzimmer.

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Und tatsächlich verfehlten die Worte "Nacht der roten Steineiche" ihre Wirkung nicht, Dana von Ruchin ernannte Mira zur Nachfolgerin ihrer Mutter auf Frühlingshügel, sprach aber auch davon, dass eine alte Schuld nun beglichen sei, Mira ahnte, dass sie ab jetzt ihre Position zwischen ihrer Lehnsherrin und der Baronin genauestens abwägen würde müssen, es würde ein Drahtseilakt werden, aber die Grenadians würden weiterin auf Frühlingshügel sitzen.


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Bor 1046 BF
Die Nacht der roten Steineiche
Niemals mehr


Kapitel 4

Autor: Jan