Geschichten:Ausgeschwärmt – Firun
Dämonenbrache, 25. Boron, am Abend
Das Praiosmal machte sich gerade daran, langsam hinter dem Horizont zu versinken. Sie waren bisher recht ziellos durch die Brache geritten, immer eine hinter der anderen und hatten sich stets jenen Weg gesucht, der für die Pferde am Besten geeignet schien. Es gab natürlich keine richtigen Wege, manchmal zwar ganz schmale Pfade, wie sie auch das Wild anlegte und nutzte, meist aber noch nicht einmal das, meist war es einfach nur Brachland – zerklüftet, verdorrt, unwegsam, voller Büsche, Sträucher und Dornen, umgestürzter oder verkrüppelter Bäume, viele kahl, sterbend, nur selten das ein oder andere grüne Blatt an den beinahe toten Zweigen, das Gras dürr, nicht grün sondern bräunlich, häufig nur lange dürre, vertrocknete Halme, die selbst der ständig hungrige Beißi einfach nicht fressen wollte und er hatte immer hunger. Immer.
Plötzlich brachte Ailsa ihr Streitross zum Stehen.
„Was, bei allen Zwölfen, ist denn da vorne los?“, wollte Scanlail wissen, „Kannst Du nicht aufpassen, Orknase? Ich wäre fast auf Ihro Gnaden aufgeritten...“
„Ponykacke“, erwiderte Ailsa. Ihren Blick hatte sie fest auf den Boden gerichtet.
„Ponykacke?“, die Skaldin zuckte mit den Schultern, „Und jetzt?“
„Keine Ponykacke, sondern Ponykacke“, versuchte die Geweihte ihrer Schwester begreiflich zu machen. Die schaute sie aber nur mit gerunzelter Stirn an.
„Jetzt stell Dich doch nicht so an, Blasius und Baduar werden wohl kaum hier sein, oder?“, wurde Nurinai da deutlicher.
„Ja, aber dann ist es doch keine Ponykacke!“, beharrte Scanlail, „Dann ist es einfach nur... Kacke.“
Ailsa schnaubte laut und trieb ihr Streitross weiter. Ihre Augen hielt sie immer auf den Boden gerichtet, auf der Suche nach weiteren Spuren und tatsächlich, an einer etwas feuchten Stelle einige Schritt entfernt konnte sie einen Abdruck im Untergrund erkennen.
„Igitt!“, hörte sie die Skaldin hinter sich schimpfen, „Das sieht ja wirklich wie Ponykacke aus...“
„Na, was habe ich gesagt?“, erwiderte die Ritterin.
„Na ja, war ja klar, dass sich unsere werte Reichsritterin mit Kacke ganz besonders gut auskennt...“, frotzelte Scanlail da nur. Nurinai konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen: „Wo du recht hast...“
„Bei solchen Schwestern ist das wohl kaum verwunderlich“, murrte Ailsa da nur, während sie sich vom Rücken ihres Pferdes gleiten ließ, um sich die vermeintliche Spur genauer anzuschauen.
„Das habe ich gehört!“, beschwerte sich die Skaldin lauthals, „Eine Unverschämtheit ist das! Und so was von der eigenen Schwester...“
Inzwischen war auch Nurinai von ihrem Pferd abgestiegen und hatte sich zu Ailsa gesellt.
„Eine seltsame Spur, findest Du nicht?“, fragte die Ritterin da ihre Schwester und hielt zum Vergleich ihre Hand neben die Spur, die erschreckend klein wirkte, „Es hat etwas von einem Wolf. Von einem sehr großen Wolf. Ungewöhnlich groß.“
Die Geweihte nickte nachdenklich: „So etwas habe ich schon einmal gesehen. Auf diesem Ritualplatz...“
„Der angeblich schon seit Jahrhundert nicht mehr genutzt wird?“, lachte die Skaldin da kehlig, „Der aber immer noch in erstaunlich gutem Zustand ist. Seltsamer Zufall, findet ihr nicht auch?“
Alle nickten zustimmend und äußerst nachdenklich. Dass in Praiosborn etwas vor sich ging, das wussten sie alle, aber keiner von ihnen hatte bisher herausbekommen, was genau es eigentlich war.
Ailsa suchte nach weiteren Spuren und fand sie.
„Sieht das für Dich nach geschnürtem Trab aus?“, wandte sich die Ritterin erneut an die Geweihte.
Die folgte ebenfalls den Spuren und schaute sie sich genau an, während Scanlail sich laut räusperte: „Was ist geschnürter Trab?“
„Eine Gangart des Wolfes“, erwiderte Nurinai, „bei der er über lange Distanzen mit nahezu gleicher Geschwindigkeit läuft. Dabei setzt er die Hinterpfote genau in den Abdruck der Vorderpfote. Und weil sich die Spuren eben wie an einer Schnur aneinanderreihen, noch dazu geradlinig verläuft bezeichnet man diese Gangart als geschnürter Trab.“ Sie wandte sich erneut den Spuren zu und folgte ihnen noch etwas weiter. „Die Schrittlänge passt auch. Beträgt hier ungefähr 1,5 Schritt, was vollkommen normal ist, aber...“
„Kein erkennbarer Doppeltritt“, wandte Ailsa ein, „Zumindest kann ich keinen erkennen, Du etwa?“
Die Geweihte schüttelte zuerst ihren Kopf und erklärte dann der Skaldin: „Wenn der Wolf seine kleinere Hinterpfote in die Vorderpfote setzt, müsste man das bei genauem Hinsehen auch erkennen. Normalerweise. Hier jedoch sieht man nichts. Kein Doppeltritt.“
„Hm“, machte Scanlail da nur, „Dann geht er vielleicht...“ Sie schluckte. „... auf zwei Beinen?“
Der Ritterin jagte ein kalter Schauder den Rücken hinab: „Wäre möglich. Gut möglich. Hier in der Brache.“
Alle hielten einen Moment inne, anschließend hob die Rittern zu einem Gebet an: „Weißer Jäger. Lass diese Jagd zu einer erfolgreichen werden!"
Und mit einem mulmigen Gefühl verfolgten sie die Spuren des Untieres weiter.