Geschichten:Sechs Beine und vier Pfoten - Tag 4

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Dämonenbrache 28.BOR 1042BF

Es war vergleichsweise hell, als Hane erwachte. Es war kalt. Er konnte sich nur sehr mühsam in seinem Schlafsack drehen um sich umzusehen. Warum war es so verflucht kalt? Das Feuer hätte sie eigentlich wärmen sollen. Aber das Feuer war aus, obwohl noch einige Holzscheite daneben lagen. Plötzlich war Hane hellwach. Wo ist Oleana? Sie hatte die letzte Nachtwache, sie hätte das Feuer bei Leben halten müssen. Er blickte sich um und sah Oleana am Boden liegen. Ihr Körper war von zahlreichen Ranken überwuchert. Hane wollte aus seinem Schlafsack stürmen, doch etwas hielt ihn fest. Auch seine Decke war von zahlreichen Ranken überwuchert. Mit einem Ruck trat er die Decken zur Seite und blickte auf einen langen blutigen Striemen an seinem Bein. Er hatte nichts bei dem Tritt gespürt. Er packte sein Haumesser und weckte Carl unterdessen mit energischen Rufen. Der Hüne hatte ähnliche Probleme auf seinem Schlafsack, konnte sich jedoch ebenfalls zügig befreien. Gemeinsam hieben sie auf die Ranken nahe dem Erdboden ein um Oleana vom Boden wegbewegen zu können. Carl bettete sie auf einen Findling unweit des Lagers und erkannte erleichtert, dass sie noch am Leben, wenn auch nicht bei Bewusstsein, war. Hane suchte das Verbandswerkzeug zusammen. In mühsamer Kleinarbeit lösten sie die Ranken und ihre Dornen vom Körper Oleanas. Die Dornen hatten sich durch die Kleidung gebohrt und waren bis unter die Haut vorgedrungen. Überall dort, wo sie sie herauszogen, rissen sie die Haut auf. Als Hane eine der Dornen genau betrachtete, erkannte er eine kleine trichterförmige Öffnung am Ende des Dorns. An der Öffnung standen zahlreiche winzig kleine Zähnchen ab, die dem Ganzen den Anschein eines Mauls gaben. Angewidert warf Hane den Ast fort und Carl hieb wütend auf einen abgetrennten Ast, den sie gerade von Oleana entfernt hatten. Einige Tropfen Blut spritzten ihm entgegen. Diese Äste saugen also Blut und betäuben an der Stelle wo sie saugen die Haut, damit das Opfer nichts merkt. Was hast du noch zu bieten, elender Seuchenpfuhl? Natürlich versuchst du auch im Schlaf an unser Leben zu gelangen… Später würde sich Hane seine Erkenntnisse in das kleine Buch notieren um auch von dieser Gefahr berichten zu können.

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Die Pflege der vielen kleinen Wunden an Oleanas Körper bedurfte einiges an Zeit am gar nicht mehr so frühen Morgen. Zudem war Oleana noch immer nicht bei Bewusstsein. Hane packte seinen Rucksack so voll es ging, auch Carl belud sich zusätzlich mit Dingen aus dem Karren und sie versuchten mit den Decken ein möglichst weiches Lager für Oleana auf dem Karren zu schaffen. Carl stöhnte auf, als er sich in Bewegung setzte und bald schon war er nass geschwitzt von der Anstrengung. Er bestand jedoch darauf, dass Hane sich auf die Fährtensuche konzentrierte und ihn den Karren hieven ließ. So folgten sie in deutlich verlangsamtem Tempo den Spuren der Eber. Mehr und mehr kam es Hane so vor als wenn sie sich dem Rand der Brache näherten. Die Geschichten der widernatürlichen Eber schienen also tatsächlich der Wahrheit zu entsprechen. Zwischendurch hatte er durchaus mit dem Gedanken gespielt, dass es sich dabei um eine Finte des Reichsjunkers gehandelt haben könnte, um den Bund der Brachenwächter nach Burg Zwingstein zu locken.


blickten sie nach draußen, doch ihnen war klar, dass sie nicht schon am vierten Tag der Hatz aus dem Wald würden treten können. Hane verstand nicht viel von Politik, doch eine solche Niederlage, das wusste er, würde er nicht mehr abschütteln können. Er würde nicht mehr Fuß fassen können im Bund der Brachenwacht… „Lass uns hier ein bisschen rasten. Der Anblick sollte uns Kraft geben - und die Sicherheit, dass wir wieder aus dem Wald herausfinden werden. Unser erneuter Vorstoß in diesen unheiligen Sumpf wird das Unleben einiger weiterer Gezüchte fordern und anschließend werden wir siegreich aus dem Wald heraustreten.“ Hane hatte seine Hand auf die Schulter seines Freundes gelegt, der sehnsüchtig auf die weite Ebene Zwingsteins blickte.

Carl nickte und ließ sich am Waldrand nieder. Sie bereiteten ein Lager und aßen ein wenig ihres Proviants. Es raschelte und schabte hinter ihnen und Carl fuhr auf, seine Hand am lederumwundenen Griff seiner Ronja. „Du bist wach!“ Er ließ seine Waffe wieder los und eilte zu Oleana, die sich mühsam versuchte aufzurichten. Die fragenden Blicke der Gefährtin erwiderten Hane und Carl mit der ausführlichen Erläuterung der Geschehnisse. Oleana musste wohl bei der Wache eingeschlafen sein und war so zum Opfer der blutsaugenden Ranken geworden. Hane nutzte die Zeit zum Anpassen einiger weitestgehend gerader Äste, die er unterwegs gefunden hatte. Mit Lederriemen band er den leeren Stachel des Schweinigels nacheinander an die Stöcke und war zufrieden mit seiner Arbeit. Einen einzelnen halbwegs gezielten Wurf würde die Konstruktion wohl überstehen. Als die kleine Jagdgesellschaft ihre Rast am Brachenrand beendete, machte sich Hane wieder daran die Spuren aufzunehmen. Sie führten augenscheinlich aus der Brache hinaus, doch betraten sie den Wald bereits in einigen Schritt Entfernung erneut. Offenbar waren die Biester für einen Raubzug ins Zwingsteiner Land vorgestoßen um anschließend am beinahe selben Ort wieder in den Wald zurückzukehren. Sie hatten etwas mitgezerrt, das eine deutlich erkennbare Furche im Waldboden hinterließ. Erneut machten sich die Gefährten an die Verfolgung. Oleana hatte kurze Zeit später ihre Kraft wiedergefunden, wenn auch ihre Gesichtsfarbe noch etwas zu blass erschien.

Nach wenigen Minuten bereits hatten sie augenscheinlich ihr Ziel erreicht. Die Spuren aufgewühlten Bodens waren äußerst frisch, der Gestank nach Blut lag in der Luft. Aus einer kleinen Senke konnten sie grunzende, schmatzende Geräusche wahrnehmen, wenn auch die Senke für die kleine Jagdgesellschaft noch nicht einsehbar war. Hane begann nun vorsichtig einen der grünen Stacheln an den Ast zu binden, der ihm als Wurfspeer dienen sollte. Carl zog erneut die Sehne der Schlunder Kurbel auf und legte sich einige Bolzen bereit. Hane bereitete anschließend seinen Bogen vor und gemeinsam krochen sie auf die Senke zu. Die Szene trieb ihnen mehr als nur einen Schauer über den Rücken. Fünf große Wildschweine vergruben ihre Schnauzen in einen Menschenleib, den sie offenbar von ihrem letzten Überfall in die Brache gezerrt hatten. Zum Glück blieb den Gefährten ein genauer Blick auf den Leichnam erspart, da die Biester die Sicht blockierten. Vereinzelte Hornplatten fanden sich auf den Körpern der Schweine, die ansonsten mit modrig bräunlichem, borstigem Fell überzogen waren. Zwei Schwänze wedelten am Hinterteil eines jeden von ihnen. Die Ungetüme standen auf sechs kräftigen Beinen und die Schnauze wurde von zwei großen Hauern flankiert. Ein scharlachrotes Horn auf der Stirn komplettierte die absurde Erscheinung.

„Die Viecher sehen verdammt gefährlich aus!“ stellte Hane das Offensichtliche fest, als sie sich wieder ein wenig von der Senke entfernt hatten. „Ich würde es nur ungern auf ein Handgemenge ankommen lassen. Also wie gehen wir es an?“ Die Gefährten besprachen ihr Vorgehen und begaben sich auf Position. Bellrik II. wurde von Hane ein Stück weg geschickt, da er kein Kampfhund war – zumindest nicht für solche Feinde…

Erneut schlichen sie zum Rand der Senke. Hane hielt den Wurfspeer vor sich, als balancierte er ein Tablett mit dem teuersten Wein Deres von dem auch nicht ein einziger Tropfen verschüttet werden dürfte. Anschließend wog er den Ast in der Hand um ein Gefühl für die Balance der Waffe zu bekommen. Ein tiefer Atemzug. Zwei Schritte Anlauf. Ein schwungvoller Armzug nach vorn. Der Speer flatterte ein wenig und kam etwas vom anvisierten Weg ab. Mit einem Krachen schlug er in die Flanke eines Ebers ein. Der Stachel zerbarst und dem Biest entfuhr ein lautstarkes Kreischen, als Rauchsäulen aus der frischen Wunde züngelten. Hane nahm sich nicht die Zeit zu beobachten welchen Effekt das Gift auf den Eber hatte. Er griff bereits nach dem Bogen und legte in der Drehung einen Pfeil auf die Sehne. Ein weiterer Knall verriet, dass auch Carl seinen ersten Bolzen auf die Reise geschickt hatte. Das Geschoss fand sein Ziel und brachte einen Eber zum Taumeln. Die anderen drei Biester waren gewarnt und ließen schlagartig von ihrem Mahl ab. Hane zog seine Bogensehne durch, dass es in seiner Schulter schmerzte. Sein Pfeil schlug dem von Carl getroffenen Eber in den Hals und ließ diesen, von der Wucht des Geschosses getragen, zur Seite kippen. Die blutverschmierten Mäuler der anderen Ungetüme reckten sich gerade in alle Himmelsrichtungen um die Richtung der Angriffe auszumachen. Ein Eber hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und schickte sich an die Senke hinaufzustürmen. Hane legte nach und hörte das hastige Kurbeln Carls an der Spannvorrichtung der Armbrust, während er sich in die Richtung seiner Gefährten bewegte. Er ließ einen weiteren Pfeil los, der dem heranpreschenden Eber frontal das Maul durchbohrte. Das Scheusal wollte einfach nicht wahrhaben, dass es tot war und rannte trotzig weiter bis der Bolzen aus der Armbrust es mit einem wuchtigen Aufprall zur Seite warf. Doch zwei weitere Eber waren dem Beispiel gefolgt und rasten den Abhang hinauf auf Hane zu. Hane, Carl und Oleana rannten auf die Ebene hinaus, weg von der Senke. Sie wussten, dass sie den Ebern nicht entkommen konnten, doch sie wollten die Schnelligkeit der Biester zu ihrem Vorteil nutzen. Carl und Oleana erreichten die beiden Bäume an denen sie die Jagdspieße abgestellt hatten und griffen nach den Waffen. Hane rannte noch etwas weiter, drehte sich um und schaute seinem Untergang ins Angesicht. Die beiden Eber rannten geradewegs auf ihn zu, der erste würde ihn mit dem Horn attackieren, der zweite mit den Hauern zerfetzen. Carl und Oleana sprangen hinter ihren Bäumen hervor und stemmten sich mit ihrem vollen Körpergewicht in die Jagdspieße hinein. Ein Krachen, Splittern, Bersten erklang, als sich die Spieße tief in die Leiber der Biester bohrten und die Schäfte der Waffen brachen. Oleana wurde von den Beinen gehoben und flog rücklings gegen den Baum, der ihr vor zwei Herzschlägen noch als Versteck gedient hatte. Carl keuchte schmerzhaft auf, als sich das hölzerne Ende des Schafts in seinen Oberschenkel bohrte und ihn die Wucht des Aufpralls herumriss. Oleana hatte ihren Spieß geradewegs in den Hals des Ebers gerammt, was dem Ungetüm sämtliche Kontrolle über seine Gliedmaßen nahm. Es krachte kopfüber zu Boden, überschlug sich und kam mit einem heftigen Aufprall an einem Baum zum Halt. Carls Spieß war einen Augenblick zu spät gekommen und glitt an einer Hornplatte ab. Die lange Klinge bohrte sich somit nicht mehr in die Brust, sondern nur in die Flanke des Ebers, was für diesen nicht tödlich war. Mit einem hasserfüllten Quieken stürmte der Eber weiter und senkte bedrohlich seinen Kopf. Hane sprang so schnell er konnte aus dem Weg um dem tödlichen Hornstoß des Biests zu entkommen. Der Eberkopf schnellte hinauf und die Hauer rissen eine blutige Schneise über Hanes Brust. Die Wucht des Hiebs lenkte seinen Sprung gegen einen Baum und Hane hörte das laute Knacken und spürte den heißen Schmerz, als er gegen den mächtigen Stamm prallte. Verschwommen nahm er wahr, wie der Eber schlitternd zum Stehen kam und sich umwendete um den Angreifern den Todesstoß zu versetzen. Der Boden bebte, als das Biest erneut zum Angriff ansetzte. Hanes Blick wurde versperrt. Er sah das Aufblitzen von Metall und das heranrauschen eines Schattens von der Seite. Er blinzelte um den Blick zu schärfen, doch alles was blieb war ein roter Schleier der sich schnell schwarz färbte. Sehen konnte er nichts mehr, doch vernahm er noch deutlich ein lauter werdendes Rauschen.

„Wach auf, Junge! Das ist nicht der Ort für ein Nickerchen!“ Carls Stimme war das erste, was Hane hörte als er sein Bewusstsein wiedererlangte. Sein Kopf dröhnte, doch nichts ging über den stechenden Schmerz in seiner Brust.

„Wie lange…?“ stammelte Hane unbeholfen. Sein Mund war trocken und er fühlte sich ein wenig schwindelig.

„Vielleicht 10 Atemzüge. Nicht sehr lange…“ erwiderte Carl. Hane konnte erkennen, dass der Hüne gerade liebevoll blutige Fetzen vom Kopf seines Kriegshammers entfernte. Ein sanfter Stoß in die Seite lenkte Hanes Blick auf Bellrik II., der mit blutverschmierten Lefzen aufblickte und ein großes Stück blutgetränktes Fell neben Hane auf den Waldboden legte. „Bellrik II. war wie ein Berserker. Kam im hohen Bogen angeflogen und verbiss sich in die Kehle von dem Ebervieh. Ich musste Ronja mitten im Schwung länger fassen um nicht Bellrik gleich mit zu erwischen. Sonst hätte ich dem Vieh den Kopf zermalmt. Aber tot ist tot, wie ist egal.“

„Haben wir alle erwischt?“ fragte Hane, der langsam wieder die Kontrolle über seine Sinne, seinen Körper und seine Gedanken gewann. Er blickte sich um, sah Oleana gekrümmt auf dem Boden hocken und sich einen Verband um den Kopf wickeln. Das Leinen hatte sich nach kurzer Zeit bereits rot gefärbt, doch ansonsten schien es als wäre sie vom schlimmsten verschont geblieben. Carl hatte einen Teil des Holzschafts im Oberschenkel zu stecken, doch schien es ihn gerade nicht zu behindern. Hane horchte in sich selbst hinein und war sich sicher, dass mindestens zwei Rippen gebrochen sein mussten. Er ließ sich von Carl einen festen Verband um den Brustkorb legen und kümmerte sich anschließend um die Beinwunde seines Kameraden. Zunächst legte er einige mitgebrachte Heilkräuter bereit, die die Blutung hoffentlich schnell stoppen würden. Gemeinsam banden sie mit einem Gürtel das Bein oberhalb der Wunde ab und zogen den Schaft heraus. Zum Glück war er nicht allzu tief eingedrungen und hatte vielleicht sogar nur oberflächlich die Muskeln verletzt. Die nächsten Stunden würden es zeigen. Die Heilkräuter wurden auf die Wunde gelegt, der Verband darüber geschlossen und der Gürtel wieder gelöst. Carl konnte das Bein belasten, wenn auch der anfängliche Schock offenbar gewichen war. Schmerzhaft war die Wunde mit Sicherheit.

„Nur ein Kratzer! In Tobrien hatte ich weit schlimmeres. Weißt du noch Hane, als wir…“ er unterdrückte ein schmerzhaftes Aufstöhnen und blieb die Ausführung des Gedanken schuldig.

Die Gefährten näherten sich vorsichtig der Senke um zu schauen, ob sie wirklich keinen Eber lebendig zurücklassen würden. Dort wo der Schweinigelstachel den ersten Eber erwischt hatte, war bis auf blanke Knochen nichts geblieben. Das Biest lag mit einem großen Loch im Bauch am Boden. Zwei weitere Eber lagen in der Senke, von Bolzen und Pfeilen durchbohrt. Sie hatten tatsächlich alle fünf erlegt, auch wenn sie einigen schmerzhaften Tribut hatten zahlen müssen. Hane schickte sich an in die Senke hinabzusteigen.

„Was hast du vor?“ Carls Hand hatte Hanes Schulter gepackt und die Miene des Hünen wirkte äußerst ernst.

„Die Eber haben einen Menschen verschleppt. Er oder sie war vielleicht Händler, vielleicht Bauer, vielleicht aber auch Jäger genau wie wir… Vielleicht hatte diese Person Familie, die sich heute Abend besorgt fragt warum ein Stuhl am Tisch leer bleibt. Wir müssen da runter und gucken was wir herausfinden können, um der Familie zu sagen, was passiert ist!“ Hane wirkte nicht, als würde er einen Widerspruch zulassen. Carl und Oleana setzten gerade zeitgleich an, dennoch Widerworte zu versuchen… Ein Klackern, rascheln und schmatzen ließ die Gefährten auffahren. Der Lärm des Kampfes hatte ein anderes Ungetüm angelockt. Der gedrungene Körper eines Wolfs, Hundes, oder etwas in der Art, bedeckt von einer übergroßen, abgerundeten Hornplatte, wurde von unnatürlich langen und kräftigen Krabbenbeinen näher getragen. An den vordersten Beinen schnappten kindsgroße Scheren auf und zu. Dort wo der Körper normalerweise in den Hals übergeht war lediglich ein Stumpf. Das Biest wippte mit jedem der zahllosen Schritte auf und ab und entblößte dabei immer wieder ein rundes Maul in der Bauchdecke, das sich, umrahmt von unzähligen kleinen, messerscharfen Zähnen, ständig schmatzend öffnete und schloss. Das Ungetüm würde Hane, so schätzte er aus der Entfernung, mindestens bis zum Hals ragen, wenn nicht gar höher.

Schreckgeweitet blickten Hanes Augen auf das Biest. Die Schmerzen in seinem Brustkorb waren schlagartig verschwunden. Nur ein Gedanke kam ihm als er seinen Bogen schulterte, sich nach seinen Gefährten und seinem Jagdhund umsah und die Umgebung nach der besten Richtung für seine nächste Handlung absuchte. „Lauft!“

Mit allem was ihre Beine noch hergaben, hetzten die Gefährten davon. Weg von der Ebergrube. Weg von dem menschlichen Leichnam. Weg von dem Krabbenwolf. Weg von diesem Ort der ihnen noch mit Sicherheit das Leben und ihre unsterbliche Seele kosten würde, wenn sie auch nur einen Herzschlag länger hier verweilten. Hinter ihnen nahm nun auch der Krabbenwolf Fahrt auf. Seine acht Beine bewegten sich behände über die Unebenheiten des Waldbodens hinweg, trugen den Körper in Windeseile um Bäume herum und brachten ihn so den Menschen immer näher. Auch Carl schien den Schmerz in seinem Bein bei der Senke gelassen zu haben und setzte mit raumgreifenden Schritten vorneweg. Sie versuchten durch engstehende Bäume zu manövrieren und verschwendeten keinen Gedanken daran, dass die Brache weitere Gefahren für sie auf dem Weg bereithalten konnte. Immer näher kamen die Krabbenbeine. Das Klappern der Scheren gab nun den Takt der Atemzüge der Gefährten vor und schickte sich an zur Melodie ihres Todes zu werden.

„Da unten, in die Senke Carl!“ Hane wusste, dass das Biest ihnen immer näher kam. Er hatte etwas gesehen. Ein riesiger Baum wuchs über einem ausgetrockneten Flussbett. Die raumgreifenden Wurzeln boten ihnen womöglich einen Unterstand, durch den das Biest hoffentlich nicht würde schreiten können. Und wenn doch, so hatten sie wenigstens die Möglichkeit an dieser Engstelle einen letzten verzweifelten Kampf um ihr Leben aufzunehmen. Mit langen Sätzen sprang Carl voran, wand sich durch die äußersten Wurzeln und warf sich mit dem Rücken gegen die Böschung des einstigen Flussbetts. Oleana folgte seinem Beispiel und auch Hane und Bellrik II. sprangen unter das Wurzeldach. Ronja lag bereits in Carls Armen, bereit Krabbenbeine zu zerschmettern. Mit einem wuchtigen Satz und einem Regen kleiner Erdkrumen über den Köpfen der kleinen Jagdgesellschaft, kam auch der Krabbenwolf in das Flussbett gesprungen. Die Beine des Ungetüms klapperten hin und her und bewegten den Körper im Kreis. Das gierige Maul schnappte unerlässlich auf und zu, in ungeduldiger Erwartung einer köstlichen Mahlzeit. Das Monstrum bewegte sich nicht weiter auf sie zu, sondern drehte sich unablässig, als wäre es auf der Suche nach seiner Beute. Die Gefährten hielten gebannt den Atem an. Der eigene Herzschlag wirkte wie Trommelwirbel vor einer großen Schlacht. Ein Wunder, dass nicht alle Vögel aus dem Wald aufstoben, bei dem Krach, den jedes Herz mit jedem Schlag machte. Doch der Krabbenwolf schien davon nichts wahrzunehmen. Schlussendlich bewegte sich das Wesen von dannen und die Gefährten verharrten noch eine Ewigkeit unter den Wurzeln des Baumes. Keiner wagte es zu sprechen, oder sich zu bewegen.

Carl brach schließlich das Schweigen. „Ohne Augen können die Biester also auch nichts sehen. Wie beruhigend. Wie hat es uns denn dann bitte wahrgenommen?“

„Erschütterung. Als wir stillstanden, wusste es nicht mehr wo wir sind…“ Auf die fragenden Blicke seiner Gefährten fügte Hane hinzu. „…ist die einzige Idee, die ich hab. Wie auch immer… Wir sollten hier schleunigst weg!“

„Der Karren steht noch an der Senke…“ Carl ließ sämtliche Freude über die Rückkehr des Kampfplatzes vermissen.

„Ja. Und die Leiche auch!“ Hane begann zurück zur Ebergrube zu schleichen. Seine beiden Gefährten und sein Jagdhund folgten ihm.

Carl und Oleana tasteten sich zum Karren vor und behielten dabei stets die Umgebung im Auge. Wer wusste schon, ob der Krabbenwolf ebenfalls hierher zurückgekehrt war. Hane kletterte unterdessen hinab in die Senke. Er musste einen starken Würgereiz unterdrücken, als er den übel zugerichteten Leichnam in Augenschein nahm. Irgendeinen Hinweis darauf um wen es sich hier handelte, musste es doch geben. Die Eber hatten einen Teil des Torsos bereits aufgebrochen. Hane konnte unschwer erkennen, dass es sich um einen Mann handelte, der vermutlich noch nicht allzu viele Winter gesehen hatte. Ein Gürtel mit einigen Taschen zog Hanes Aufmerksamkeit auf sich. Stark beschädigt war der Werkzeuggürtel, doch Hane konnte noch zwei Werkzeuge daran finden. Ein Schabeisen hatte sich in den Oberschenkel des jungen Mannes gefressen, während an anderer Stelle eine Schere sich irgendwie in den Fetzen des Gürtels verfangen hatte. Die Schere war aus recht starkem Stahl gefertigt und ließ Hane darauf tippen, dass es sich um eine Lederschere handelte. Er selbst hatte meist eine solche Schere dabei. Ein Schmiedesiegel fand er auf dem Schabeisen. Hane nahm die beiden Werkzeuge mit, sprach in Gedanken ein kurzes Gebet in dem er um sicheres Geleit der Seele in Borons Hallen bat und machte sich wieder an den Aufstieg aus der Senke.

„Ich glaube der arme Bursche war ein Gerber. Ich hab hier zwei Werkzeuge, eins davon mit Schmiedesiegel. Damit lässt sich bestimmt herausfinden von wo er kam…“ berichtete Hane resigniert, während er die beiden Werkzeuge notdürftig reinigte und dann liebevoll in einige Lederlappen einschlug.

Carl und Oleana nickten mit betretener Miene und schluckten schwer. Vorher hatte es sich um einen unbekannten Leichnam gehandelt, nun war es ein toter Mensch… Hane verschaffte sich eine Orientierung. Die dunklen Wolken über der Brache waren vorhin ebenfalls recht schnell gezogen. Wenn sie die Richtung nicht geändert hatten und wenn seine Orientierung vorher richtig war, dann würde sie der Flusslauf entweder in einem Bogen nach Norden, oder nach Westen, tiefer in die Brache hinein, führen.

Als Hane so nahe dem Flusslauf umher schritt und die Umgebung studierte, blieb sein Blick verblüfft am Boden hängen. Fußabdrücke. Zweibeinig. Menschlich. Aber viel zu groß und viel zu tief. Dieser Mensch musste Carl ungefähr um einen Kopf überragen, in der Statur vergleichbar sein und eine Plattenrüstung tragen. Ogerspuren allerdings sahen anders aus. Hane hatte genügend Gelegenheit in Tobrien gehabt, die Spuren der Menschenfresser erkennen zu lernen. Nunja… Zumindest herkömmliche Ogerspuren konnten es nicht sein. Carl und Oleana kamen zurück und Hane zeigte die Spuren, die dem Flusslauf gen Westen folgten und weiter in die Brache hineinführten.

„Na, wir wollten doch ohnehin wieder tiefer in die Brache rein. Menschliche Spuren zu verfolgen ist doch eine willkommene Abwechslung zu gehörnten Hornplatten-Ebern und Krabbenviechern.“ Oleana wirkte tatsächlich einigermaßen erleichtert ob der Aussicht auf Menschenkontakt – wenn sie sich auch nicht die Illusionen machte, es könne sich um ein Mitglied der Brachenhatz handeln…

Das Flussbett führte die kleine Jagdgesellschaft weiter in die Brache hinein, zunächst ein wenig nach Westen und knickte, Hanes Meinung nach, dann gen Süden bis Südwesten ab. Viel Zeit hielt der Tag nicht mehr für sie übrig und so suchte Hane bald ein Nachtlager unweit des Flussbetts, das sie, wie gewohnt, notdürftig befestigten. Ein besonderes Augenmerk schien Oleana an diesem Abend auf wuchernde Äste und Wurzeln zu legen…



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Texte der Hauptreihe:
K2. Tag 1
K3. Tag 2
K4. Tag 3
K5. Tag 4
K6. Tag 5
K7. Tag 6
K8. Tag 7
Autor: Ostbrisken