Geschichten:Zweifelfelser Zwist – Wahn und Wirklichkeit II.

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Burg Zweifelfels, Baronie Zweiflingen, 5. Rondra 1040 BF:

Es war bereits später Abend. Einem ungewöhnlich heißen Tag, sollte eine schwüle Nacht folgen. Einzig die dunklen Gänge und kleinen Kammern der uralten Festung boten Schutz vor der drückenden Luft. Den Wachen im Burghof stand noch immer der Schweiß auf der Stirn und sie machten einen wenig konzentrierten Eindruck. Den Dienern, Mägden und Knechten der Burg waren die pure Angst in ihre Gesichter geschrieben, weniger wegen der Hitze, sondern vielmehr wegen der grausigen Morde der letzten Tage.

Auch in den großen, repräsentativen Räumlichkeiten war die Hitze wie ein Pesthauch bereits eingedrungen. Trotz der angenehmen Kühle, empfand Gisborn die langen, düsteren Gänge unerträglich. Spärlich beleuchtet durch einzelne Fackeln, hatte er immer das Gefühl die Wände würden sich aufeinander zubewegen und ihn zerquetschen. Ihm war auch so, als hörte er in den endlosen Steinschluchten ein leises Wispern.

Aus dem großen Rittersaal der Burg drang ein lautstarkes Stimmengewirr. Die grausamen Morde an Ginaya und Aldyra hatte alle Anwesenden erst in eine Art Schockstarre versetzt, dann begann die Suche nach dem Schuldigen. Die vergifteten Kleider waren ein Geschenk von Junker Oldebor an Baronin Emer und Baronsmutter Ehrgard gewesen. Doch keiner konnte sich ernsthaft den gutmütigen Kaisermärker als Drahtzieher dieser Übeltat vorstellen. War die Verwirrung und das Entsetzen nicht schon komplett, platzte auch noch der gewaltsame Tod von Ritter Rondrimir an der Gerbaldswacht in das Geschehen.

Gisborn stand mit Isida und Iserion vor der großen zweiflügeligen Tür des Rittersaals. Sie waren ratlos. Was ging hier bloß vor sich? Es herrschte eine erdrückende Stimmung auf dem Zweifelfels. Jeder begann, jeden zu misstrauen. Lautstark gingen sie sich an, wurden mitunter gar handgreiflich. Die Familie war uneins wie nie. Die drei großen Fraktionen um Rondriga, Leumunde und Leomar gaben sich gegenseitig die Schuld an dieser Krise. Einige Familienmitglieder verließen nur noch mit Bedeckung ihre Schlafkammern. Wieder andere flüchteten sich in Wein und Fatalismus. Unter den Bediensteten ging das Gerücht um, die Zweifelfelser seien verflucht, gar von den Göttern verlassen. Zwei Mägde und ein Stallknecht waren verschwunden. Hatte man auch sie geholt? Oder waren sie einfach nur Hals über Kopf von dem Grauen auf der Burg geflohen?

Mit einem lauten Krachen öffnete sich die Eichentür und Baroness Selindra und ihr Gefolge um Junkerin Finyara stürmten hinaus. Sie hatten augenscheinlich genug und wollten den Familienrat vorzeitig verlassen. Doch hielten sie inne, als sie einer Gestalt gewahr wurden. Die Osenbrückerin zuckte zusammen als hätte sie einen Geist gesehen.

Vor ihr stand, mit blutverschmierten Nachtgewand und auf ihre Zofe gestützt, Baronin Emer Alara von Rallerspfort. Groß war der Aufruhr, als auch die anderen Familienmitglieder erkannten wer da vor ihnen stand. Emer sah ausgemergelt aus, sie war leichenblass, ihrer Gesichtszüge schmerzverzerrt. Ihre roten Haare hingen strähnig bis zu ihren Schultern herab.

„ER ist tot“, schrie die Baronin schmerzerfüllt während sie ihre blutverschmierten Hände schützend über ihren Bauch legte, „Er ist tot, alle sind tot!“ Emer konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten. „Ihr habt sie mir genommen … meinen Mann ... meinen Bruder … nun auch meinen Sohn!“ Schluchzend fiel Emer vor der versammelten Familie auf den Boden und kauerte dort wimmernd, unterbrochen von markerschütternden Schreien des Schmerzes. Keiner wagte sich zu rühren oder auch nur ein Wort zu sagen.

„So helft euer Baronin auf“, entfuhr es schließlich der sonst so zurückhaltenden Ulmara. „Sie hat gerade ihr Kind verloren.“ Tränen liefen an den Wangen der jungen Zofe herunter, während sie verzweifelt versuchte Emer aufzurichten. „SO HELFT IHR DOCH!“

Es waren schließlich Gisborn und Iseria, die der am Boden liegenden Baronin zu Hilfe eilten und sie gemeinsam mit Iserion und Ulmara in ihre Schlafkammer zurück brachten. Zurück ließen sie einen ratlosen und zutiefst in Schockstarre verfallenen Familienrat.

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In den Gemächern der Baronin angekommen, legten sie Emer wieder zu Bett. Eine Dienerin brachte einen Becher mit heißem Kräutersud. Zur Beruhigung, wie es hieß. Eine andere wechselte das Nachtgewand. Iserion bot an, der Baronin mit seinen Heilkünsten beizustehen, doch die resolute Hochgeweihte des Zweiflinger Tempels zur Saat Arlgard von Lichtenhayn-Zweifelfels lehnte energisch ab. Die Baronin bräuchte in erster Linie Ruhe, außerdem befände sie sich in den kundigen Händen der Diener der gütigen Mutter Peraine.

So verließen Gisborn, Iseria und Iserion die Gemächer der Baronin wieder. Sie ahnten, jetzt, nach Emers ersten öffentlichen Auftritt seit einigen Monden, würde das Ringen um Macht und Einfluss in der Familie erst richtig beginnen. Wie würden die drei Aspiranten auf das Amt des Familienoberhauptes reagieren? Wie die Vögtin? Der Familie Zweifelfels standen unsichere Zeiten bevor.

Gisborn blieb stehen und sah aus einem der kleinen Fenster in den Burghof herab. Dort schritt Ehrgard von Wetterfels mit ihrer Entourage in Richtung Rittersaal. Ihr großer Auftritt vor dem Familienrat stand nun unmittelbar bevor.