Geschichten:Mutterstolz

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Janne hatte den Jahreswechsel mit ihrer Ziehmutter Fredegard im Tempel verbracht. Dabei wurde der jungen Frau eine besondere Ehre zuteil, als die ältere sie dieses Mal während des Gottesdienstes zu Ehren des Güldenen an dessen höchsten Feiertag die Abschlusspredigt halten ließ.
Nachdem sich die Gläubigen verabschiedet hatten und nur noch einige Helfer im Hintergrund mit der Entsorgung der ‚Opfergabe‘ beschäftigt waren, blickte die Ältere mit sichtlichem Stolz zu der jüngeren Frau an ihrer Seite herüber und sprach:
„Das war wirklich sehr gut, Liebes! Waren Deine Worte am Anfang – verständlicherweise – noch ein wenig unsicher, zögernd, so gewann Deine Predigt rasch an Energie und Stärke, sodass sie am Ende alle Gläubigen erfasste. Auch die abschließende Darbringung der Opfergabe war wirklich sehr ergreifend und würdevoll. Gut gemacht!“

„Danke für das Lob, Mutter.“, antwortete die Angesprochene leicht verlegen. „Ich will nicht verhehlen, dass ich am Anfang ein wenig aufgeregt war, zumal es für mich doch recht überraschend kam, als Du mich batest, die Predigt zu halten. Es freut mich jedenfalls, dass ich Deine Erwartungen offenkundig erfüllt habe.“

„Wann hast Du das denn nicht?“, sprach die Reichsedle und fuhr Janne in einer ungewohnten Geste sanft durchs Haar. Ich denke da auch immer wieder gerne an die Ereignisse auf der ’Winterhochzeit‘ sowie Dein ebenso kluges wie umsichtiges Verhalten dort zurück. Und irgendwann musst Du ja auch mal lernen, vor einer Gruppe von Leuten zu predigen, ihren Glauben zu vertiefen, Zweifel und Verräter zu beseitigen und die Versammelten mit einem guten Gefühl zurück in die Welt zu entlassen, wo Sie voller Überzeugung das Werk unseres Herrn verrichten können. Statt langwieriger Vorbereitungen habe ich Dich lieber direkt ins kalte Wasser geworfen, wohl wissend, was für eine exzellente Schwimmerin Du bist. Und das Leben gibt einem erfahrungsgemäß nur sehr selten Gelegenheit, sich auf große Aufgaben sorgsam vorbereiten zu können.“ Die Miene der Adligen verdüsterte sich kurz, als sie hinzufügte: „Oder diese Vorbereitungszeit sinnvoll zu nutzen, wie es mein törichter Sohn nicht vermochte.“

Janne lächelte Fredegard kurz an und erwiderte dann keck: „Ich bin auch nicht wie Dein Sohn; ich bin besser!“

„Oh, das bist Du, Liebes, keine Frage. Und zwar in jeder Hinsicht. Aber lass´ Deinen Stolz niemals Oberhand gegenüber Deinen Fähigkeiten und bisherigen Taten gewinnen. Dieser Art von Hybris sind schon einige große Männer und Frauen zum Opfer gefallen. Aber genug der mahnenden Worte. Wir sollten uns nun umziehen und bereitmachen, das heraufdämmernde neue Jahr zu begrüßen. Ganz so, wie es sich für brave Zwölfgötzengläubige gehört. Übrigens möchte ich es Dir gegenüber nicht nur bei lobenden Worten belassen, sondern diesen zeitnah auch entsprechende Taten folgen lassen. Taten, die meiner Wertschätzung und Liebe Dir gegenüber allen da draußen Ausdruck verleihen sollen.“

Etwas irritiert blickte die junge Geweihte zu ihrer Mutter. „Was genau meinst Du?“

„Das wirst Du in Bälde sehen, Kind. Hab´ noch ein wenig Geduld.“

„Muss ich ja wohl.“, erwiderte die Angesprochene lakonisch. „Aber ich denke, dass ich auch diese Probe bestehen werde.“ Janne drückte mit einem fast schon scheuen Lächeln kurz die rechte Hand Fredegards und begann dann, sich für den anstehenden Praiosdienst umzuziehen.


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Mutter und Tochter saßen einige Wochen später beim gemeinsamen Abendessen zusammen und tauschten sich über ihre Erlebnisse sowie die jüngsten politischen Entwicklungen aus. Janne genoss die nun weitaus häufigeren Treffen mit Fredegard sehr. So gesehen fügte es sich hervorragend, dass sie als Kindermädchen nun vorrangig für die in Perricum lebende ältere Enkeltochter der Reichsedlen, Lenore, verantwortlich war. Mit der Kleinen verstand sie sich sehr gut und selbst deren Knappenvater hatte sie mittlerweile zu ertragen gelernt, was dadurch erleichtert wurde, dass dieser sie beide nach seiner ‚Vorstellungsrunde‘ in der Perrinmarsch weitgehend sich selbst überließ. So gesehen war Janne mit sich und ihrem Leben gerade sehr zufrieden.

„Ach, ehe ich es vergesse: Morgen Vormittag haben wir beide einen Termin in der markgräflichen Kanzlei, genauer gesagt beim Herold Edelbrecht von Gaulsfurt. Also kleide Dich bitte entsprechend.“, teilte Fredegard in beiläufigem Tonfall ihrer Tochter mit. „Dein, ähm, ‚Dienstherr‘ ist bereits informiert.“

„Gut. Ich nehme mal nicht an, dass Du mir hier und jetzt mehr dazu mitteilen möchtest, Mutter?“

„Du nimmst richtig an. Nur soviel: Erinnere Dich daran, was ich Dir zum Jahreswechsel versprochen habe. Die Zeit dafür ist nun gekommen.“

Die junge Geweihte nickte nur stumm. Sie wusste schon längst, wann Nachfragen bei der Adligen Sinn machten und wann nicht. Jetzt galt es lediglich, sich die aufkommende Neugier bis morgen nicht anmerken zu lassen, was dem Mädchen nicht gerade leichtfiel.

Am Folgetag steuerte Fredegard in Schloss Perringrund zielstrebig auf das Arbeitszimmer des Herolds zu, ohne auch nur einmal nach dem Weg fragen zu müssen oder sich gar dorthin führen zu lassen. Offenbar war sie nicht zum ersten Mal dort, folgerte Janne. Nach einem kurzen Klopfen wurden sie von Edelbrecht hereingerufen und gebeten, auf zwei bequemen Sesseln Platz zu nehmen. Die Art und Weise, wie vertraut und herzlich er mit ihrer Mutter plauderte, ließ vermuten, dass die beiden einander schon eine Weile gut kannten und schätzten, auch wenn sich das Kindermädchen sicher war, dass Vieles davon nur gespielt war – allerdings von beiden durchaus gut. Etwas irritierend fand sie allerdings die Anwesenheit einer weiteren Person. Was hatte diese junge Gänsedienerin hier zu suchen? Und wo hatte man sie überhaupt aufgetan, gab es doch, wie sich Janne erinnerte, in der Reichsstadt keinen Tempel dieses nutzlosen Kultes.
Viel weiter kam Janne mit ihren Gedanken jedoch nicht, da das Gespräch zwischen Herold und Reichsedlen nun auf den eigentlichen Anlass dieses Treffens kam: Sie selbst!

Beim Verlassen des Schlosses und dem ganzen Weg zurück in die Stadt sprach die junge Frau kein Wort, ganz so, als hätte ein einschneidendes Ereignis ihr diese geraubt. Stattdessen wanderten ihre Blicke immer wieder zwischen der Ledermappe, die ihre Mutter ihr bei der Verabschiedung von Herold und Geweihten kommentarlos in die Hand gedrückt hatte und Fredegard selbst hin und her.

„Offenkundig hat es Dir doch tatsächlich mal buchstäblich die Sprache verschlagen, Kind. Dass ich das noch erleben darf.“, begann die Adlige das Gespräch mit einem Schmunzeln.

„Nun, Du hast Dich ja diesmal auch ganz besonders ins Zeug gelegt. Und das mit enormen Erfolg, wie ich zugeben muss, denn damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.“

„Tja, das zeigt, wie wichtig es ist, grundsätzlich immer mit allem zu rechnen, bevor man sich am Ende gänzlich verrechnet. Du hast Dich da drinnen aber trotz Deiner Überraschung gut geschlagen und Dir diese nicht gar zu sehr anmerken lassen, mein Kompliment. Und vergib´ mir, dass ich Dich vorher nicht eingeweiht hatte; aber diese Überraschung wollte ich mir doch nicht nehmen lassen.“
Die Reichsedle wurde nun etwas ernster: „Das Einzige, was ich bedauere, ist, dass ich mir damit soviel Zeit gelassen habe; eigentlich war dieser Schritt schon lange überfällig.“

„Wer bin ich, das zu kritisieren? Du hast mir gerade die größte Freude überhaupt gemacht, Mutter, zumal ich dies niemals erwartet oder gar gefordert hätte. Einer formellen Bestätigung dessen, was uns beide miteinander verbindet, hätte es für mich nicht bedurft.“

„Für mich schon. Allein mit Blick auf Deine Zukunft. Du sollst ja nicht ewig Kindermädchen bleiben. Beizeiten kümmern wir uns also noch um einen kleinen Titel und einen hübschen Posten bei Hofe. Aber genug davon! Lass´ uns Essen gehen und dieses Ereignis angemessen feiern.

Mutter und Tochter kehrten in eines der besten Häuser der Stadt ein. Kaum hatten sie es betreten, kam auch schon ein Bediensteter mit fragendem Blick auf sie zu und es war Janne, die zu sprechen anhub.
„Mein Name ist Janne von Hauberach und ich wünsche einen Tisch für meine Mutter und mich.“