Geschichten:Märchen und Geschichten über den Tod, die niemals erzählt werden - Niemals mehr

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In den dunklen Hallen des Klosters Krähenwacht herrschte eine Stille, die nur vom gelegentlichen Krächzen der Raben durchbrochen wurde. Borhan von Brendiltal, hager und schweigsam, schlich durch die steinernen Gänge, sein kahler Kopf von einem sanften Lichtstrahl beleuchtet, der durch ein schmales Fenster fiel. Er achtete, wie immer, darauf niemandem zu begegnen.

Seine grauen Augen verloren sich im Nichts, während seine Gedanken in den Nebeln der Vergangenheit wanderten. Er hatte sein Leben dem Dienst an Boron gewidmet, seit jenem schicksalhaften Tag, als er seine geliebte Tochter Tevisa in die Arme ihrer Mutter gelegt wurde und er darauf, nach getaner Pflicht, der Familie für immer den Rücken gekehrt hatte.

Seitdem, nahezu unzählbare Jahre zuvor, hatte er jede Verbindung zu seiner Familie abgebrochen, denn die Last seiner tieftraurigen, inneren Einsamkeit war zu schwer, um sie mit anderen zu teilen. Selbst unter den Brüdern und Schwestern des Klosters blieb er ein Fremder, unergründlich wie der Totengott selbst.

Doch als er so durch die altbekannten Flure wanderte und die Schatten immer tiefer über das Land fielen, erschien ihm eine Vision, dies sich fremd an diesem Ort anfühlte: Ein weißer Geier stand vor ihm, umgeben von einem Schwarm weiterer Geier mit schmutzig, graubraunem Gefieder. "Borhan von Brendiltal", sprach sie mit einer Stimme, die wie der kalte Hauch des Todes klang, "deine Reise ist zu Ende. Und deine Trauer wird sein niemals mehr."

"Niemals mehr.", hallte es in Borhans Kopf nach. Und erdachte das erste mal seit vielen Jahren wieder an seine Familie, die er nun nie mehr sehen würde. Aber er dachte auch an seine tiefe Traurigkeit, die ihn niemals mehr umfangen würde und die er auch hier, an einem Ort des Raben, nicht vergessen oder ablegen konnte, nicht an einem einzigen Tag. "Niemals mehr."

Borhan erkannte die Wahrheit und die verheissende Ruhe in den zwei Worten und ging seinem unabwendbarem Ende entgegen, schloß es in die Arme. Er würde einsam sterben, ohne Abschied, doch Trost und Gelassenheit würde ihn endlich umfangen. In dieser letzten Einsamkeit fand er Frieden und seine Trauer entwich seinem Körper und der weiße Geier labte sich an dem dunkelblutigen Stück Leid, das ihn nun nicht mehr dauerte.

Und so tat Borhan von Brendiltal seinen letzten Schritt durch die Hallen des Klosters, während die Raben sein stilles Lebewohl krächzten - er hatte sie nie verstanden - und die Geier geduldig auf seine Ankunft warteten. Dann fiel er rücklings um, prallte hart auf, doch ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er im eigenen Blut sein Leben aushauchte.


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Autor: Jan