Geschichten:Aller Anfang - Ein Vater und ein Sohn

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Schloss Morgenfels, Rahja 1045 BF

Die Männer nickten einander kurz zu, als sie sich am Eingang zum Bogensaal begegneten. In dieser kleinen Geste steckte alles, was ein Beobachter benötigte, um das Verhältnis der beiden zueinander einzuschätzen: Sie respektierten einander. Sie anerkannten des anderen Fertigkeiten. Sie ahnten, dass es eine offene und eine geheime Agenda für jeden der beiden geben musste. Der Respekt fußte nicht auf Sympathie, sondern auf der Fähigkeit, seinen Willen durchzusetzen. Sie misstrauen sich gegenseitig und wussten, dass der andere auch so dachte. Sie waren sich des Standesunterschiedes zwischen ihnen nur zu bewusst: des Königsreichs Cantzler mit seiner schmalen Gestalt verließ den Saal in seiner eigenen Burg und musste dem Grafen von Eslamsgrund das Feld übergeben. Gerwulf von Gareth wollte hier seinen Sohn treffen – du Horulf von Luring konnte ihm das nicht verwehren.

„Vater!“, freute sich Alderan, und erhob sich von der langen Tafel, die zweckentfremdet im Licht der untergehenden Sonne, die durch die Bogenfenster hereinschien, über und über mit Schriftstücken, Büchern und Karten bedeckt war – in fast ihrer ganzen, beeindruckenden Länge. Nur eine der Stirnseite war nicht von der Arbeit belegt, Hier standen zwei Kannen mit Wasser und Wein, zwei Pokale und eine Platte mit Brot und kaltem Braten. Alles benutzt und nicht mehr ganz frisch.

„Alderan, mein Sohn. Gut siehst du aus!“ Gerwulf schritt mit ausgebreiteten Armen auf seinen Sohn zu und umarmte ihn. Es sah weniger herzlich aus, als es sein sollte. Derselbe Beobachter, der schon an der Tür seinen Blick hatte nehmen können, könnte wissen, dass es gar nicht die Art des Vaters war, herzlich aufzutreten. Doch den Sohn bekümmerte es nicht.

„Komm, Vater, lass uns die Dinge besprechen du dann noch einmal in den Garten gehen. Ich habe viel zu lange über diesen Pergamenten gesessen.“ Alderan machte Platz, und beide setzen sich auf zwei Stühle an der langen Seite des Tisches, etwa in seiner Mitte.

„Ja, besprechen. das müssen wir. Die Krönung ist schon bald, da gibt es einiges zu klären. Ich habe mit deiner Tante gesprochen.“

„Welcher Tante?“

„Der Königin.“

„Seit wann ist Rohaja meine Tante?“

„Seitdem sie dich bestimmt hat, den Nardesreif zu tragen“, seufzte Gerwulf ungeduldig. „Wie du weißt, können gekrönte Häupter durch die Anrede ihre Verwandtschaft erklären.“

„Ach so, du meinst so wie Reto, der Answin von Rabenmund ‚gevettert‘ hat?“

„Genau, auch wenn das Beispiel unpassend ist. Da Rohaja älter ist und dir etwas zu geben hat, ist sie am ehesten deine Tante. So. Zwei Dinge möchte ich mit dir noch heute bereden: den Ablauf der Krönung und Personalia und Lehnsvergaben danach.“

„Gut, ich bin ganz Ohr.“ Alderan setzte sich in Positur, doch schweifte sein Blick rasch ab und fiel auf Serapha von Wiesenbrück, die just den Raum betrat, gefolgt von zwei Dienern. „Wir bringen Kerzen und etwas zu essen und zu trinken.“

Gerwulf wartete ungeduldig, während der Tisch abgeräumt und neu gedeckt wurde. „Fertig jetzt?“

„Ja, Hochwohlgeboren. wenn Ihr noch etwas braucht, ich bin direkt draußen.“ Die junge Hausritterin wies zur Tür.

„Nichts da, Ihr könnte ganz gehen und die Tür schließen.“ Gerwulf beobachtete genau, ob geschah, was er verlangte. Dann wandte er sich wieder seinem Sohn zu. „Wäre ja noch schönes, wenn wir es Horulfs Lauscherin zu leicht machten, was? Also: die Krönung.

Es beginnt alles am Abend des Lichterfestes vor den Namenlosen Tagen, da musst du in der Priesterkaiser-Noralec-Sakrale sein. Rudewerth von Quintian-Quandt wird dich empfangen und mit dir beten. Du wirst das Gewand der Heiligen Ardare tragen, wie König Brin es dereinst auch getan hat. Alle zehn Stunden wird ein Vertreter der anderen Zwölfgötter mit dir beten, damit du rundum vorbereitet bist.“

Alderan stöhnte leicht.

„Am Neujahrsmorgen gibt es einen Praiosgottesdienst, dann wirst du in der Norlaec-Sakrale gekrönt. Da muss es sein, aus alter Tradition, auch wenn du ja nicht nur in Praios‘, sondern auch in Phex‘ Namen gekrönt werden wirst. Deine Tante wird dich da erwarten.“

„Rohaja.“

„Rohaja. Sie wird dir die Krone überreichen und die anderen Insignien der Königswürde Garetiens. Sie werden dieser Tage von Rudes Schild nach Gareth verbracht. Die wichtigsten sind das Menzelsband und der Nardesreif.“

„Gut. Ich muss da ja nicht viel machen, oder?“, fragte Alderan unruhig.

„Doch, du musst eine Menge schwören, dich ganz der Sache widmen.“

„Hauptsache, mir rutscht die Krone nicht vom Kopf“, witzelte Alderan, doch wurde er unter dem Blick seines Vaters sofort wieder ernst.

„Dann nimmst du den Lehnseid deiner Vasallen entgegen. Am besten, du lässt alle niederknien und den Eid schwören.“

„Nein, auf keinen Fall, Vater“, widersprach Alderan. „Ich bin dann der Großfürst, nicht der König. Außerdem will ich nicht, dass alle gleichzeitig sprechen. Sie sollen mir ihren Eid in die Hand ableisten, von Ritter zu Ritter. Und bei dem Gott, der ihnen am heiligsten ist.“

Gerwulf schnappte kurz nach Luft, doch ließihn sein Sohn nicht zu Wort kommen.

„Vater, das will ich so. Und spätestens dann bin ich der Großfürst und du mein Graf von Eslamsgrund.“

Gerwulf blickt seinen Sohn stumm und fest an. Dann nickte er entschlossen: „Gut gesprochen. So soll es ein.“

„Das hat auch Seien Exzellenz so gesagt.“

„Wer?“

„Na, der Cantzler. Horulf.“

Gerwulf seufzte.