Geschichten:Altes Blut - Die Reife

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Stadt Rallerspfort, Baronie Rallerspfort, 1. Travia 1037 BF: In der Nacht

Laut krachte es im Gebälk und ein Funkenregen ergoss sich über sein Haupt. Erneut loderten die Flammen um ihn herum hoch auf und das flackernde Licht erfüllte den Raum. Schwarz stieg der Rauch auf und trocknete seine Kehle aus. Hustend schleppte er sich durch den beißenden Rauch ins Freie. Seine Augen tränten. Wut, Angst, Schmerz. Schreie erfüllten die Nacht. Das Vieh hatte sich losgerissen und rannte panisch umher. Überall waren Männer mit Waffen, die im Schein der Flammen aufblitzten. Er rannte zum Brunnen. Das Wasser, welches noch im Eimer war goss er über sich. Er füllte ihn erneut. Mit aller verbliebenen Kraft riss er an dem Seil, um den vollen Eimer herauf zu holen, doch er war zu schwach. Das Klirren von Waffen und die Schreie der Verwundeten waren nun ganz nah. Er ließ den Eimer fallen und blickte sich um. Er sah wie zwei Männer in sein Haus rannten. Er kannte diese Männer nicht. Seine Mutter war nirgends zu sehen. Sie musste noch im Haus sein. Ein weiteres Teil des Daches stürzte ein und er hörte die Schreie seiner Mutter. Er sah sich um und griff nach der Heugabel, die an die brennende Scheune gelehnt stand. Er rannte zum Haus. Als er ankam stolperte einer der Männer hinaus. Er zerrte seine Mutter an den Haaren ins Freie. Sie riss weit die Augen auf. „Milo! Nein! Lauf fort!“ Er hörte nicht auf sie und stieß zu. Die rostigen Spitzen bohrten sich in die Kehle des großen Mannes, der nicht glauben konnte wie ihm geschah. Blut quoll aus seinem Hals und er ließ die Frau los. Der zweite Mann stürzte aus dem Haus, schlug Milo die Waffe aus der Hand und griff sich wieder die kreischende Frau. Er schlug zuerst ihr, dann Milo ins Gesicht. Der Schlag warf ihn zu Boden, doch er sprang direkt wieder auf und zerrte am Arm des Mannes. „Kleiner Bastard.“, grunzte er, riss sich los und trat den Jungen durch die offen stehende Tür ins brennende Haus. Milo schlug sich den Kopf und alles wurde schwarz.

Milo schreckte aus seinen Gedanken hoch. Seine Fäuste waren geballt und heiße Tränen liefen über sei Gesicht. Immer wieder löste der Anblick von Feuer die Flut von Erinnerungen. Erinnerungen an den Tag, als Milo seine Familie und seine Heimat verlor. Der Tag, an dem sein Dorf fliehen musste. Der Tag, an dem die Truppen Borbarads sein Dorf erreicht hatten und alles niederbrannten, schändeten und töteten, was sie finden konnten. Er selber wurde von seinem Freund Jurgo gerettet, doch viele andere hatten nicht so viel Glück wie er.

Nun stand er auf dem Kleinen Markt in Rallerspfort am großen Mahnfeuer der Praios-Geweihtenschaft und die Lieder und Liturgien der Priester schienen ewig weit entfernt; wie damals in seinem Dorf. Niemand war ihnen damals zur Hilfe gekommen, als die Nacht brannte. Kein Soldat, kein Priester, kein Ritter.

Wütend wischte er die Tränen fort. Er schaute sich ein wenig um. Auf dem Platz, wo an zwei Tagen der Woche Stände standen und Marktschreier ihre Waren anboten war nun ein großes Feuer entzündet worden. Um das Feuer herum hatten sich ungefähr fünf Dutzend Leute versammelt. Er sah einige Männer mit Wappen auf den Röcken. Die für das Fest angereisten Adligen der Baronie standen um das Feuer herum und blickten sich gegenseitig grimmig an. Man erkannte gut die unterschiedlichen Parteien. Eng standen sie und ihre Männer beieinander und keiner hatte auf seine Bewaffnung verzichtet, auch wenn die Kirchen der Stadt zu Frieden während der Feiertage aufgerufen hatten. Milo sah sie sich genau an. Zwischen ihnen standen die Geweihten der Stadt, Praiowin von Arkenaue und Ludomar von Wystern, ihre Novizen, welche steif die Liturgien rezitierten, einige weitere Menschen Kimi Pasel und auch Sigismund Holwern. Er folgte für einige Augenblicke dem Geschehen, dann löste er sich von der Menge. Es würde noch ein Weilchen dauern, bis die Andacht vorbei war.

Leise schritt er durch die leeren Gassen. Morgen würde der Gabenmarkt stattfinden und die Stadt schlief bereits. Sicher fand e den Weg zum Lagerhaus der Bognerei Holwern. Es lag kaum hundert Schritt vom Kleinen Markt entfernt. Laut Kimi Pasel würde Sigismund, wie jede Nacht, noch einmal kommen, um die Bücher durchzusehen. Er kannte vor lauter Arbeit den Schlaf kaum noch.

Wenn alles so gelaufen war, wie es sollte, hatten Jurgo und Torgal den jungen Zerbelhufen bereits ins Lagerhaus gebracht. Er erreichte das Gebäude und fand die Tür unverschlossen vor. Er schob sich hinein. Seine Augen brauchten einige Sekunden, um sich an die beinahe vollständige Dunkelheit zu gewöhnen. Er schlich durch das Vorzimmer bis zur Tür, welche ins Lagerhaus führte. Drinnen wurde er von Torgal empfangen. Sie nickten sich kurz zu und der Hüne führte Milo zu Zerbelhufen und Jurgo. Der junge Mann und Jurgo befanden sich im zweiten Obergeschoss zwischen Kisten mit verpackten Waffen und gebundenen Bolzen. Zerbelhufen saß in sich zusammen gesackt am Boden in einer Ecke. Jurgo hob die Hand zum Gruß und kam auf Milo zu.

„Euch hat niemand gesehen?“, flüsterte Milo. Seine Stimme kam ihm unendlich laut vor und er merkte, wie die Nervosität in ihm hinauf kroch.

„Niemand.“

„Gute Arbeit. Macht, dass ihr wegkommt. Bleibt in der Nähe, falls ich euch brauche.“

Jurgo und Torgal nickten knapp und verschwanden in der Dunkelheit. Nun machte sich Milo an die Arbeit. Er löste die Schnüre eines Bündels mit Bolzen und platzierte sie in Reichweite des jungen Mannes, welcher noch am Boden lag. Danach verließ er den Raum und versteckte sich im Lagerhaus.

Es dauerte eine Weile bis er endlich gedämpfte Stimmen und leise Schritte hörte. Die Tür zum Lagerhaus öffnete sich und herein kamen Sigismund Holwern und Valnar von Falkenstein. Milo war irritiert und wusste nicht was er tun sollte. Er entschied sich beim geplanten Ablauf des Plans zu bleiben. Er schlich näher heran, um besser lauschen zu können.

„... an Einfluss gewinnen in …“

„Der Baron darf nicht zu viele Zugeständnisse …“ Die Stimme von Sigismund.

„Sicherlich. Doch muss er so kurz vor dem Feldzug der Kaiserin die Ordnung wiederherstellen in seinen eigenen Reihen.“

„Und fremde Truppen sind da der richtige Weg?“

„Ich kann nicht mehr tun als ihn zur Vernunft zu ermahnen. Er fühlt sich regelmäßig bevormundet von mir. Ich werde ihm mehr Spielraum für Fehlentscheidungen lassen, doch diese müssen abgesichert sein.“

„Wie soll das bewerkstelligt werden? Wir haben nicht die Kraft Rallersgrund in Schach zu halten. Keiner weiß, woher sie die finanzielle Mittel nehmen. Sie stehen sicherlich schon mit dem Rücken zur Wand. Gebt weiter Euer bestes, um ihnen die Gunst des Barons zu versagen.“

„Ihr versucht sie vom Rat fernzuhalten. Mehr Einfluss in der Stadt dürfen wir ihnen nicht zugestehen. Der Baron setzt große Stücke auf sie, was man ihm nicht übelnehmen kann, geben sie ihm doch das, was seine Vasallen nicht länger vermögen. Bewegt den Rat dazu, sich für den Baron auszusprechen.“

„Uns fehlen die Mittel dazu.“

„Strengt Euch mehr an. Es wird sich für Euch und die Stadt lohnen. Böckelburg hat seine Gunst verspielt und seine Ländereien werden an die Stadt gehen, sobald er bezwungen ist und diese Ländereien brauchen einen Vogt.“ Sigismund blieb bei diesen Worten kurz stehen und schaute Falkenstein an. Dieser nickte vielversprechend. Sie gingen weiter.

„Die städtische Bürgerwehr würde die Reihen des Barons erheblich verstärken.“

„Und Ihr hättet die Stärke bewiesen, die der Baron dieser Tage an seiner Seite braucht.“

Sigismund nickte und die beiden stiegen die Treppe hinauf. Milo hörte, wie sie auch die zweite Treppe hinaufstiegen. Nun hatte er nicht viel Zeit. Er zog seine Kapuze tief ins Gesicht und ein feuchtes Tuch vor den Mund, trat ins Vorzimmer und entzündete Kerzen am den noch glühenden Scheiten im Kamin. Schnell kehrte er zurück und entzündete zwei der Fackeln, welche Torgal und Jurgo mitgebracht hatten. So gerüstet zog er ins erste Stockwerk und entzündete die Treppe, welche weiter hoch führte. Anschließend legte er an verschiedenen Stellen Feuer. Das Holz des Hauses war zerfressen und trocken und die Flammen breiteten sich rasant aus. Er lauschte kurz. Schon hörte er laute Geräusche aus dem oberen Stockwerk. Rufe und Getrampel. Er warf eine Fackel die Treppe hoch. Nun begann er im Stockwerk Feuer zu legen in welchem er sich befand. Regale, Türen, Bodendielen, alles fiel nach und nach den Flammen zum Opfer.

Plötzlich wurde ganz oben die Tür aufgerissen und durch das laute Knistern der Flammen konnte er das Keuchen und Husten zweier Männer hören.

„Feuer!“, rief der eine mit geschwächter Stimme. „Die Treppe, sie brennt.“

„Spring.“, hörte er Falkenstein sagen.

Man hörte ein lautes Poltern und ein Aufstöhnen. Milo blickte um eine der Ecken und sah den jungen Zerbelhufen an der Wand vor der Treppe liegen. Er zog sich auf die Beine. Er konnte Milo nicht sehen und wandte sich an den noch oben stehenden Falkenstein. „Kommt hinunter!“

Mit lautem Krachen brachen die Bodendielen unter Falkenstein und er stürzte ins darunter liegende Stockwerk. Ein Funkenschauer ergoss sich vor Milo. Falkestein lag auf den brennenden Trümmern, welche Milo und den jungen Zerbelhufen trennten. Dieser kam, so schnell er konnte zu dem älteren Mann gehumpelt. Er half ihm hoch und stützte ihn zur nächsten Treppe. Dort griff Milo ein. Er griff sich eine Holzlatte aus einem der Regale, näherte sich den beiden von hinten und drosch auf Zerbelhufens Rücken ein. Er ließ Falkestein los, welcher die Treppe hinunter stürzte. Zerbelhufen griff nach dem blutigen Bolzen, den er im seinem Gürtel stecken hatte und griff Milo an. Dieser wich aus und brach ihm mit einem weiteren Schlag das Handgelenk. Zerbelhufen schrie auf vor Schmerz, doch der Schrei ging im Getöse weiterer herabstürzender Trümmer unter. Erneut waren Milo und er getrennt. Milo hörte, wie im Erdgeschoss die Tür aufflog und Torgal stürmte hinein.

„Schaff ihn hinaus!“, brüllte Milo und sprang über die Trümmer zu Zerbelhufen. Dieser hatte sich seinerseits mit einem brennenden Scheit bewaffnet und schwang weit mit der linken Hand aus. Milo parierte den Hieb, schlug seinem Gegenüber in die Kniekehle und stellte ihm geschickt ein Bein. Der junge Ritter stürzte und stieß sich den Bolzen, den er zuvor als Waffe benutzt hatte unglücklich in die Hüfte. Er schrie auf. Milo trat den Bolzen mit seinem Stiefel tiefer in die Wunde. Dabei hielt Zerbelhufen ihn am Bein fest und riss ihn ebenfalls zu Boden. Milo rollte sich zur Seite, während es Zerbelhufen wie durch ein Wunder gelang aufzustehen. Er ging einige Schritte und schmiss sich aus dem Fenster hinaus ins Freie. Milo sprang auf, stürmte zum Fenster und blickte hinunter. Zerbelhufen lag dort mit verdrehten Gliedmaßen und abgeknicktem Kopf. Rasch verschwand er, hastete die Treppe hinunter, stellte kurz fest, dass Falkenstein fort war und verschwand selber durch die Hintertür in die Nacht.