Geschichten:Altes Blut - Der Wunsch einer Frau

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Burg Rotkrähenborn, Freiherrlich Rotkrähenborn, Baronie Rallerspfort, Travia 1037 BF:

Bald waren es schon sieben ein halb Jahre her, seit er zurückgekehrt war von seinen Reisen. Er hatte seine Baronie kennengelernt, die Leute, das Land, er hatte geheiratet, seine Schwester hatte geheiratet, zwei Kinder hatte ihm seine Frau geschenkt, denen man beinahe beim Wachsen zusehen konnte und alles schien wie im Flug an ihm vorbeigezogen zu sein. Die letzten Monate hatten jedoch die Zeit angehalten und ihn selber in Schockstarre versetzt. Wie konnte es sein, dass alles was man sich jahrelang aufbaute innerhalb weniger Monate zerbrach? Der Adel war gespalten, er selber wurde von seinen Gegnern der Entführung oder gar des Mordes beschuldigt und alle warteten nur auf den letzten Funken, der das trockene Geäst seiner Baronie in Flammen aufgehen lassen würde. So in Gedanken stand er am Bett seines Schwiegervaters. Seit den Feiertagen und dem verhängnisvollen Brand im Lagerhaus der Bognerzunft war er ans Bett gefesselt und nicht bei Bewusstsein. Er hatte ihm stets den Weg weisen können. Seit der Hochzeit mit Hesindiane war er in der Baronie, Vogt auf Burg Rotkrähenborn und engster Berater gewesen. Nun musste Raulbrin mitansehen wie der Mann mit Wasser und Honig von einer Novizin am Leben erhalten wurde.

Raulbrin?“ Zaghaft hörte er die Stimme seiner Frau, die ins Zimmer eingetreten war und zu ihm ans Bett trat. „Ich habe dich gesucht.“ Sie klang so niedergeschlagen und in den letzten Tagen fiel es ihm schwer Stärke zu zeigen. Die Last wog schwer auf seinen Schultern.

„Wo soll ich denn schon sein?“

„Er sieht so zerbrechlich aus.“, flüsterte sie mehr, als dass sie es sprach, so als habe sie Angst ein zu lautes Wort könne ihn verletzen. Unverzüglich musste Raulbrin daran denken, wie sein Vater ausgesehen haben musste, als er vor Gareth den Tod gefunden hatte. Vom Schmerz verzerrt? Schnell wischte er die Gedanken fort.

„Er wird schon wieder. Es steckt viel Kraft in ihm.“ Es fiel ihm selber schwer das zu glauben, doch ihr half es. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. Sie hatte feuchte Augen bekommen.

„Darf ich wohl ein Wort mit dir alleine wechseln?“

„Sicher.“ Raulbrin nickte der Novizin zu, welche bereits aufgesehen hatte. Sie stand von ihrem geflochtenen Korbstuhl auf und verließ den Raum.

Hesindiane löste sich und kniete sich neben das Bett ihres Vaters. Sie streichelte über seine kühlen, faltigen Wangen, die so eingefallen aussahen.

„Wie lang ist es nun schon her?“, fragte sie leise.

„Bald sind es zwanzig Tage.“

„Wie geht es dir? Immer sorgen sich bloß alle um mich, weil er mein Vater war, doch war er auch dir eine große Stütze, die nun mit einem Schlag weggebrochen ist.“

„Es gibt Leute im Reich, die schlimmere Schicksale erleiden.“

„Doch das hilft dir jetzt auch nicht. Rede mit mir, Raulbrin.“

„Was willst du denn von mir hören? Natürlich ist es schwer. Ich habe ja nicht nur ihn, sondern auch Zerbelhufen scheinbar verloren. Stets schien Dorian ein Auge für das Leid in der Baronie zu haben und ein Ohr für das Klagen der Leute. Dein Vater zeigte mir die Wege auf, welche ich wählen konnte. Nun bin ich blind, taub und orientierungslos. Ich möchte keinen Fehler machen, doch je zögerlicher ich handle, desto schlimmer scheint das Resultat.“

„Du sehnst dich nach Hilfe, nicht wahr?“

„Ist das so falsch? Ich kann Soldaten in die Schlacht führen, doch ist dies etwas ganz anderes als ein Land zu regieren. Jeder hat andere Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen.“

„Deine Schwester ist in Zweifelfels. Am Hof von Baron Debrek. Was spricht dagegen, dass auch du Frauen und Männer berufst, die dir einen Teil der Last von den Schultern nehmen?“

„Mein Vater hatte keinen Hof. Fest hielt er die Zügel in der Hand.“

„Das weißt du nicht. Du warst lange fort. Verkläre ihn in deinen Gedanken nicht zu jemandem, der er vielleicht gar nicht war. Du bist nicht er. Du lebst nicht in der gleichen Zeit wie er. Jede Zeit bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Hole dir Hilfe.“

Raulbrin ging schweigend zum Fenster. Er wusste, dass sie recht hatte, doch hatte er immer den Wunsch gehabt seinen Vater im Jenseits durch seine Stärke zu beeindrucken.

„Ich habe bereits Hilfe bekommen.“

Rallersgrund?“ Sie erhob sich und kam zu ihm. „Raulbrin, weißt du, was du tust?“

„Ja, Hesindiane. Er kam, als alle anderen mich im Stich gelassen hatten. Ich kann ihnen auch keinen Vorwurf machen, haben sie doch eigene Sorgen so kurz vor dem Krieg.“

„Die Verträge, die ihr abgeschlossen habt...ich habe sie gelesen. Du bist ein kluger Mann, Raulbrin, doch ich war mir nicht sicher, was dich da geritten hatte. Wie willst du dir das leisten?“

Raulbrin spürte, wie das Herz in ihm heftiger zu pochen begann, der Hals zog sich zu. Er kannte das Gefühl. Immer wieder, wenn der Druck zu groß wurde stieg die Wut in ihm hoch.

„Lass uns draußen weiter reden.“ Sie nickte bloß.

Gemeinsam verließen sie das Zimmer und die Novizin trat wieder in das Zimmer ein und nahm auf ihrem Stuhl Platz. Raulbrin warf noch einen Blick zurück, bevor er die Tür schloss.

„Haldans Familie sind Händler. Ich weiß, dass er mir nichts von alldem schenkt, was er gibt, doch er gibt wenigstens überhaupt etwas. Was hat mein Land sonst zu bieten? Leuchtenfeld ist uneins. Schneitzig, Radulfsfelden, Berstenbein, Pfortenstein – sie alle rissen sich nicht gerade darum als erster an meiner Seite zu stehen. Haldan bot sich an und ich nahm seine Hilfe.“

„Seine Hilfe annehmen, ja. Ihn und seine Familie in den Adel erheben und ihn zum Seneschall ernennen – war das nicht zu viel? Wie alt mag er sein? Zwanzig? Raulbrin, das ist zu jung. Er hat keinerlei Erfahrung mit so etwas. Was ist, wenn dir etwas zustößt im Krieg? Ich werde dann mit diesem Mann hier stehen.“

„Als ich heimkehrte und die Geschäfte meines Vaters übernahm war ich kaum älter als er.“

„Ich kenne diesen Mann nicht, den du mir an die Seite stellst, während du fort bist! Denk doch auch an unsere Kinder!“

„Ich denke nur an dich und unsere Kinder! Er gab mir die Stärke, die ich brauchte, um für deine Sicherheit und die unserer Kinder zu sorgen, wenn ich fort bin.“

„Debrek hat doch schon Hilfe entsandt. Argande meinte, es kämen noch mehr.“

„Das ist etwas anderes. Was, wenn in Leihenbut etwas geschieht? Oder sonst irgendwo? Eigene Männer sind eigene Männer. Da lässt sich nicht dran rütteln. Haldan ist jung, doch hat er eine innere Stärke, die mir sagt, dass er das schaffen wird. Ich erkenne mich in ihm wieder. Er ist für sein Alter sehr gefestigt und seine Männer lassen mich ruhig schlafen.“

„Dennoch kannst du dir das nicht leisten. Vater wollte dir stets beibringen, dass Stärke nicht immer bloß Soldaten und Waffen und Ritter meint.“

„Dein Vater wusste vieles und war ein weiser Mann, ich weiß. Dennoch bestand er auf die Schule und auch auf das Geld von Zerbelhufen. Jetzt ist Dorians Sohn tot und er liegt im Sterben!“

„Er liegt nicht im Sterben!“ Die Tränen schossen ihr in die Augen.

„Nein, nicht. Ich habe das nicht so gemeint.“ Er trat einen Schritt auf sie zu und versuchte ihr die Hand auf den Arm zu legen. Sie riss sich los.

„Such dir Hilfe, Raulbrin. Tu es für mich.“ Dicke Tränen rannen ihre Wangen hinunter als sie sich umdrehte und ging.

Er würde ihren Wunsch befolgen.