Geschichten:Aus dem Leben eines Garetischen Ritters

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1003 BF

Hadrumir war sehr aufgeregt. Schon von weitem waren die Reiter zu sehen. An der Spitze konnte man seinen Onkel genau sehen. Er stand in einer Traube mit den anderen Menschen und schaute den Reitern zu, welche sich auf dem Hof sammelten. Seinen Hals reckend suchte er unter den Reitern seinen Vater.

Seginhardt, der Zeugmeister der Gräfin, stieg müde von seinem Pferd. Nachdem er seine Frau begrüßt hatte, stand ihm ein schwerer Gang bevor. Sein Neffe suchte immer noch nach seinem Vater. Mit ernster Miene machte er sich daran sich zu Hadrumir aufzumachen und kniete sich nieder.

Er legte dem Jungen seine Hände auf die Schulter: „Hör mal, Junge. Ich muss dir jetzt was Wichtiges sagen.“

„Was denn, Onkel?“

Wie sollte er ihm nur sagen, was er selber nicht verstand.

„Ich weiss nicht, wie ich dir etwas erklären soll, was ich selbst noch nicht erklären kann. Ich will dir nichts vormachen. Dein Vater…mein Bruder ist tot.“

Tränen kullerten Hadrumirs Wangen hinab.

Sein Vater würde nicht mehr wiederkommen. Für den Jungen war dies unvorstellbar. Während alle die Rückkehr der Kämpfer von der Ogerschlacht feierten, war Hadrumir sehr traurig. Er fühlte sich allein gelassen. Seine Mutter hatte sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und war für niemanden zu sprechen. Selbst er, ihr eigener Sohn, konnte nicht zu ihr. Hadrumir war wütend. Was sollte nur jetzt geschehen?


1010 BF

Es war spät geworden. Hadrumir war müde und erschöpft. Was alle nur an diesem Borstefred von Katterquell fanden. Gewiss, er war ein fähiger Kämpfer und hatte das Turnier souverän gewonnen, aber deshalb musste man doch nicht gleich so ein Theater deshalb veranstalten. Dem Katterqueller war der Ehrenplatz an der Tafel gewiesen worden. Hadrumir als Page hatte für sein Wohlergehen zu sorgen. Dabei war es Hadrumirs Familie die vor 809 Jahren in den Ritterstand erhoben war. Nur wenige Familien konnten auf solch eine lange Tradition zurückblicken.

Zum Glück war der Katterqueller jetzt vollgefressen und frönte dem Alkoholgenuss, so dass sich Hadrumir endlich auch etwas essen konnte. Page zu sein, war für ihn eine Qual. Zum Glück war er mittlerweile der Älteste. Da musste man nicht alles selber machen, sondern konnte die Jüngeren ein wenig herumkommandieren. Das gefiel Hadrumir. Das hatte er sich verdient. Plötzlich tauchte seine Mutter vor ihm auf. Sie schwankte beträchtlich und roch nach Alkohol.

„Wassust du denn hier, Ha, hadumir?“

„Mutter!“

„Ja, genau die“, lallte sie und grinste ihn schief an.

„Du bist ja vollkommen betrunken!“

„Ich dooch nich. Ich binnur ein wwwennig bessswipssst.“

„Komm, Mutter, ich bringe dich nach oben.“

So ging das häufiger auf Festen. Seine Mutter wusste einfach nicht, wann sie aufhören sollte.

Hadrumir wusste nicht, ob dies früher auch schon so war, aber seitdem sein Vater tot war, war seine Mutter auf Festen so. Im Alltag bekam Hadrumir wenig von ihren Gepflogenheiten mit. Gut Eichenwalde, wo er aufgewachsen war, sah er selten. Er wusste jedoch, dass sein Onkel einen Verwalter bestellt hatte, also schien seine Mutter das Gut nicht zu interessieren. Immer wieder erwischte sich Hadrumir bei dem Gedanken, dass das Verhalten seiner Mutter beschämend für ihn war. Jetzt schleppte er sie wieder einmal mühselig auf ihr Zimmer und legte sie auf ihr Bett. Am nächsten Morgen würde sie sich nicht einmal mehr an das erinnern können. Noch lange blieb Hadrumir wach und dachte über seine Mutter nach.

Früh am nächsten Morgen kam Eleona auf sein Zimmer.

„Vater will dich sehen!“

Aus ihrem Mund klang das wie eine Bitte, doch Hadrumir wusste, dass es einem Befehl gleichkam. Also machte er sich schnell daran dem nachzukommen. Schnell hatte er sich angezogen und begab sich in das Arbeitszimmer seines Onkels. Borstefred von Katterquell war ebenfalls anwesend. Aber was wollte der hier?

„Hadrumir, komm herein, Junge!“ sprach Seginhardt. Der Katterqueller stand mit dem Rücken zu Hadrumir und schaute über die Schulter auf Hadrumir herab, obwohl Hadrumir mit seinen 14 Jahren jetzt schon groß war.

„Ihr habt mich gerufen, Onkel.“

Seginhardt setzte sich hinter den Tisch und musterte den Jungen jetzt eindringlich. Was er wohl zu seinem Vorhaben sagen würde?

„Du kennst Borstefred von Katterquell?“

„Ja, Onkel.“

„Ich habe mich mit ihm über deine Zukunft unterhalten. Du sollst zu einem Ritter ausgebildet werden.“

Man konnte dem Jungen seine Begeisterung ansehen.

„Aus diesem Grund wirst du der Knappe von Borstefred von Katterquell.“

Mit Zögern antwortete der Junge: „Ja, Onkel.“

„Gut, zu deinem 14. Tsatag wird deine Ausbildung beginnen.“ sprach nun der Katterqueller.

„Ja, Meister.“ sprach Hadrumir. „Gut, das wäre dann alles. Du kannst gehen, Hadrumir."


1012 BF

„Du bist jetzt 16 Jahre alt, Hadrumir.“ sprach Seginhardt vor der kompletten Gesellschaft. Sein Blick schweifte über alle. „Und da dies so ist…“ Mit diesen Worten holte er eine längliche Holzkiste hervor. „…und weil ein von Schwingenfels in diesem Alter auch immer wehrhaft sein sollte, schenke ich dir dies.“

Hadrumir nahm die schwere Holzkiste entgegen. Von außen waren Intarsien eingearbeitet worden. Sie stellten Szenen aus dem Leben des ersten von Schwingenfels, Lechmar, dar, wie sie laut der Legende berichtet wurden. Vorsichtig strich er über die Kiste und öffnete sie vorsichtig. Innen lag auf samtenem Polster ein Schwert. Keine abgestumpfte Übungswaffe, wie er sie in den täglichen Übungskämpfen benutzte, sondern ein richtiges Schwert. Ehrfurchtsvoll nahm Hadrumir die Klinge heraus. Eine schöne Klinge.

Seginhardt von Schwingenfels trat an Hadrumir heran. „Damit hast du eine große Verantwortung übernommen.“ Seginhardt beugte sich vor und sprach so leise, dass nur Hadrumir ihn verstehen konnte: „Setze es weise ein. Niemals nur zum Spass.“


1017 BF

21 Jahre alt war er nun und hatte so eben seinen Ritterschlag erhalten. Es war eine lange entbehrungsreiche Ausbildung gewesen. Meister Borstefred hatte ihn wirklich in vielen Dingen geschult. Es war nicht immer einfach gewesen, aber nun war diese Quälerei vergessen. Jetzt würde er sich auf den Weg nach Schloss Orbetreu machen. Sein Onkel würde bestimmt Stolz sein.

In Gedanken versunken war Hadrumir die große Freitreppe hinunter geeilt und lief geradewegs einen vielleicht dreißig Götterläufe zählenden Kerl um.

„He, Ihr, könnt Ihr nicht aufpassen?“

Hadrumir blickte auf und sah, wen er dort umgerannt hatte: Kelnian von Windichgrütz.

„Ich kann sehr wohl aufpassen, aber so etwas wie Ihr, verdient meine Beachtung nicht.“ sprach Hadrumir unüberlegt.

„Was? Hütet Eure Zunge! Sonst…“

„Sonst was?“

Hadrumir wusste, dass Duelle aufgrund des Reichsfriedens verboten waren. „Ich werde Euch noch kriegen.“ sprach Kelnian und wandte sich zum Gehen.


1019 BF

„Onkel, wir müssen reden!“ Seginhardt schreckte aus seinen Gedanken hoch. Hadrumir war immer sehr direkt.

Ludorand versuchte beschwichtigend einzugreifen: „Vetter Hadrumir, ich denke momentan ist nicht die Zeit dafür, Euren Onkel mit Euren Anliegen zu belästigen.“

„Seit wann trefft Ihr die Entscheidungen für Euren Vater?“

Ludorand wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch Seginhardt machte mit einer Geste deutlich, dass Hadrumir Platz nehmen sollte. „Also, was gibt es denn so wichtiges?“

Hadrumir setzte sich auf den ihm angebotenen Stuhl und beobachtete belustigt, wie sein Vetter offensichtlich beleidigt abzog. „Onkel, ich werde der Armee beitreten.“

„Du willst was?“ Seginhardt schaute den jungen Mann vor sich entgeistert an. Was war bloß in den Kerl gefahren? Seit seinem Ritterschlag, eigentlich schon viel früher, war er keinem Konflikt aus dem Weg gegangen. Insbesondere auf Turnieren hatte sich Hadrumir verstärkt mit Vertretern der Windischgrötz angelegt und meist war er als Sieger aus den Kämpfen hervorgegangen. Wie oft hatte sich Seginhardt insgeheim gewünscht, dass sein eigener Sohn Ludorand nur halb soviel Talent im Kampf besitzen würde. Ludorand war anders. Er war eher jemand, der in der Juristerei zu Hause war und der sich darauf verstand, das Lehen zu führen. Was das anging, war Hadrumir Ludorand weit unterlegen.

Hadrumir schaute seinen Onkel ernst an. „Ich werde der Armee beitreten.“

„Aber wieso?“

Hadrumir hatte diese Frage befürchtet und lange keine Antwort darauf gefunden, bis ihm schließlich die Antwort darauf wie ein Geistesblitz durch den Kopf gegangen war.

„Um mal etwas anderes zu tun.“

Seginhardt war wütend. „Um etwas anderes zu tun? Seit zwei Jahren bist du nur noch auf Turnieren, auf Festen oder sonst wo. Deine Mutter bräuchte deine Hilfe und du willst zur Armee?“

„Meine Mutter braucht mich nicht. Sie hat mich in all der Zeit nicht gebraucht. Onkel, lasst mich nicht betteln! Ich würde gerne mit Eurem Segen gehen, aber ich gehe auch ohne ihn.“

„Nun gut, wenn du es willst, dann geh. Die Zwölfe mögen über dich wachen!“

Zufrieden ging Hadrumir aus dem Zimmer.


1021 BF

„Zwei Jahre, Raul. Zwei Jahre! Und ein Ende ist nicht in Sicht.“

„Ich weiss Hadrumir.“

„Morgen werden wir sterben. Siehst du die Feuer. Wir sind umzingelt.“

„Wir werden Vallusa niemals sehen.“

Wie verheißungsvoll hatte alles für Hadrumir begonnen, doch als die Invasion Borbarads über das Land gefegt hatte, hatte es nur Niederlagen für die Kaiserlichen gegeben. Wie viele Tote musste es denn noch geben? Hadrumir hatte Menschen sterben sehen, welche er als seine Freunde bezeichnete. Doch hatten diese Menschen das Seelenheil erfahren? Nein, in der Nacht hatten sich ihre Leichname erhoben und hatten den Kampf auf Seiten der Feinde fortgeführt.

Deshalb hatten die Heerführer befohlen alle Leichname auf Wagen mitzunehmen. Wochenlang hatte sich das Heer auf der Flucht befunden. Es war nie wirklich zur Schlacht gekommen. Von Anfang an war dies eine Flucht. Morgen würden sie alle sterben.

Unruhige Bilder von sterbenden Menschen, von Dämonen und von wütenden Kämpfern flackerten vor seinem geistigen Auge. Immer wieder sah er Menschen, deren Gesichter ihm vertraut vorkamen. Gesichter von Menschen, die wirkten als stammen sie aus einem anderen Leben.

Das schwere Schnauben eines Pferdes ließ ihn hochfahren. Er lag auf einem Wagen und fühlte sich ziemlich elend. Auf einmal sah er Raul, seinen besten Kameraden, der auf einem Pferd an den Wagen heranritt.

„Du bist wach.“

„Was ist geschehen?“

„Später, du bist noch viel zu schwach. Schlaf weiter.“

„Haben wir gewonnen?“

„Wären wir sonst hier, mein Freund?“

Ein Lächeln umspielte Hadrumir als er wieder einschlief.


„Also jetzt erzähl mir was geschehen ist?“

Raul hatte Hadrumir im Lazarett besucht und einige Zeit hatten die Kämpen gelacht und gescherzt. Hadrumir hatte eine schlimme Wunde am Hals erhalten. Raul war unwohl bei dem Gedanken an die Schlacht, aber sein Freund hatte eine Antwort verdient. Also setzte er sich mit einem Seufzen auf die Bettkante und begann mit seiner Erzählung.

Als Raul mit seinem Bericht geendet hatte, fragte Hadrumir: „Wie kam es zu meiner Verletzung? Hast du etwas gesehen?“

„Nein, ich wurde von Raderius gerufen, der deinen Sturz vom Pferd beobachtet hatte. Wir schafften es, deine Wunden notdürftig zu versorgen. Nachdem sich das Schlachtenglück gewendet hatte, konnten wir dich zu den Feldscheren bringen.


1023 BF

„Wir werden ihnen hier einen Hinterhalt legen.“

„Guter Plan, Hadrumir! Die Stelle ist dafür bestens geeignet“, antwortete Raul auf Hadrumirs Vorschlag.

„Aber Hauptmann, das ist doch nicht rondrianisch!“, sprach der junge Mann an ihrer Seite.

„Wie lange kämpfst du schon in der Armee?“ fragte Raul.

„Ich habe meine Ausbildung Anfang des Götterlaufs 29 Hal begonnen, Hauptmann.“

Hadrumir und Raul schauten sich nur noch an. Sie hatten viele Schlachten und Scharmützel im Laufe des Krieges erlebt und auch nach der Vernichtung des Dämonenmeisters schon einige Scharmützel mit dem Feind ausgefochten. Hadrumir übernahm meist die Aufgabe des Antwortens, wenn wieder einmal ein junger Soldat auf rondrianische Ehre verwies: „Es mag vielleicht nicht rondrianisch sein, aber so wirst du wenigstens überleben. Und jetzt wird gemacht, was ich sage!“

„Jawohl, Herr Hauptmann!“ salutierte der junge Soldat. „Und lass das Salutieren sein. Ein feindlicher Schütze könnte sich hier verstecken und ich bin nicht scharf darauf wegen so einem Grünschnabel wie dir erschossen zu werden."


Der Kampf war nur von kurzer Dauer. Der Hinterhalt hatte gut funktioniert. Raul und Hadrumir starrten auf die Gefangenen.

„Wo ist euer Lager?“ wiederholte Hadrumir seine Frage erneut. Als der Soldat vor ihm immer noch nicht antwortete, wandte er sich an den kaiserlichen Soldat, der neben ihm stand. „Würdet Ihr noch einmal?“ Der Soldat trat heran und brach dem feindlichen Soldaten einen weiteren seiner Zehenknochen.

„Wir hören sofort auf, wenn du uns sagst, wo das Lager ist. Ihr alle erspart euch das hier, wenn ihr redet“ sprach er zu den weiteren Gefangenen. Einer hob vorsichtig die Hand.

„Seht Ihr den Hügel dort vorne? Wenn Ihr ihn umrundet, findet Ihr einen Bach. Folgt dessen Verlauf und Ihr kommt zum Lager.“

Schnell waren Späher ausgesandt, die diese Aussage bestätigten. „Also los, Männer, aufsitzen! Wir werden uns diese Bastarde vorknöpfen“ sprach Raul.

Zu Hadrumir gewandt fragte er: „Was sollen wir mit den Gefangenen machen?“

„Sie schränken unsere Bewegungsfähigkeit ein. Wir können sie nicht mitnehmen also töten wir sie. Kümmere dich drum!“

„In Ordnung.“


1026 BF

Die Zwölfe mit Dir, Hadrumir!

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, weshalb ich mich nicht lange mit allgemeinen Dingen aufhalten möchte und direkt zum Wesentlichen komme. Deine Mutter ist tot. Ich weiss, dass Dir dies wenig bedeutet, trotzdem bitte ich dich inständig. Komm heim. Ich habe ein wenig Recherchen angestellt und dabei herausgefunden, dass du deinen Dienst in der Armee schon lange hättest beenden können. Du hast dich nur für fünf Jahre verpflichtet, doch mittlerweile sind es sieben. Es besteht kein Grund mehr für dich in der Armee zu dienen.

Wir brauchen Dich auf Schloss Orbetreu. Die Zeiten sind schlecht und jede starke Hand wird dringend benötigt. Du weißt, dass ich nie davon begeistert war, dass Du zur Armee gehst, aber trotzdem würde ich mich freuen Dich zu sehen. Lass mich nicht betteln und denke darüber nach.

Die Zwölfe mögen über Dich wachen

Seginhardt von Schwingenfels


Hadrumir las den Brief jetzt schon zum dritten Mal. Wenn sein Onkel Seginhardt so schrieb, dann musste wirklich etwas nicht stimmen. Seginhardt würde ihm schreiben, dass er sofort nach Hause kommen solle, aber nicht so bittend. Oder sollte der Mann, den er stets bewundert hatte, mit dem Alter auf einmal weicher geworden sein.

„Was hast du, Hadrumir?“ sprach Galvana ihn an.

„Er hat Post aus der Heimat bekommen“, bemerkte Raul spöttisch. „Wahrscheinlich seine Frau oder irgendeine andere Verflossene. Seitdem er den Brief hat, hockt er da und liest ihn. Sie hat bestimmt Schluss gemacht. He, Galvana, jetzt hast du bei ihm vielleicht noch Chancen.“

„Wer sagt denn, dass ich überhaupt Chancen haben möchte?“

Hadrumir musste über die beiden lachen. „Hört auf! Hier, du gibst ja doch keine Ruhe, ehe ich dich nicht lesen lassen, Raul.“

„Vollkommen richtig, mein Freund.“ sprach der Angesprochene aus und baute sich wichtigtuerisch vor den paar Gestalten auf, die hier im Lager zusammen hockten. „Also, hier steht….“

Dabei überflog er die paar Zeilen, die Seginhardt geschrieben hatte, stutzte und gab den Brief kommentarlos wieder zurück. Die anderen Soldaten waren ziemlich erzürnt, da sie eine ergreifende Geschichte über Herzschmerz erwartet hatten.

„He, Raul, was steht denn nu’ in dem Brief?“

„Ja, wer hat geschrieben?“

„Seit nicht immer so neugierig und lasst gut sein.“

Hadrumir stand indessen auf und schlenderte ein wenig durch das Lager.

Raul folgte ihm sehr schnell. „He, Hadrumir, warte!“

Hadrumir wandte sich zu seinem Freund um.

„Was wirst du tun?“

„Was meinst du, Raul?“

„Na, der Brief deines Onkels. Was wirst du tun?“

Hadrumir wusste nicht, was er seinem Freund auf diese Frage antworten sollte.

„Ich weiss es noch nicht. Du wirst es aber als erster erfahren.“

Nachdenklich ging Hadrumir weiter.


„Dein Entschluss steht also fest?“

„Ja, Raul, ich werde zurückkehren zu meiner Familie.“

„Familie, was heißt das schon?“

„Ich habe meiner Familie die Treue geschworen.“

„Einer Familie, die in dir einen Niemand sieht. Du hast doch selbst gesagt, dass dein Vetter das Familienoberhaupt wird. Was bist du da schon?“

„Ich bin ein von Schwingenfels und mein Onkel hat nach mir verlangt.“ Hadrumir war sicher, dass ein Bastardsohn eines verarmten Landritters aus dem Kosch, wie Raul, dies nie verstehen würde.

„Du lässt deine Freunde hier also im Stich.“

„Ich lasse niemandem im Stich. Mein Onkel hat Recht. Meine Militärzeit ist längst abgelaufen. Es gibt keinen Grund länger in der Armee zu bleiben. Du hast doch auch die Schrecknisse des Krieges gesehen. Ich habe die Schnauze voll davon. Du nicht auch?“

„Doch, aber wohin sollte jemand wie ich?“

„Komm mit mir!“

„Nein, das wäre nichts für mich.“

„Wenn du es dir anders überlegst, dann komm in die Baronie Feidewald zum Rittergut Eichenwalde oder nach Schloss Orbetreu.“ „Die Zwölfe mit dir!“ „Die Zwölfe auch mit dir, Raul, mein Freund.“

Hadrumirs Ritt hatte ihn nach Hartsteen gebracht – Hauptstadt der gleichnamigen Grafschaft. Er hatte seinen Proviant aufgefüllt und machte sich nun frohen Mutes auf den Weg nach Hause.


Schloss Orbetreu:

Seginhardt von Schwingenfels hielt gerade Gericht über zwei Diebe, als ein Page an ihn herantrat und ihm zu flüsterte, dass seine Anwesenheit im Palas erforderlich war. Seginhardt erhob sich und übergab das Verfahren an seinen Vogt.

„Bursche, wehe, das ist nicht wichtig, sonst wirst du die Peitsche zu spüren bekommen.“

Im Palas saßen Eleona, seine Tochter, und deren Kusine Daneris.

„Was geht hier vor?“ fragte Seginhardt mit strenger Stimme.

Eleona antwortete ihm: „Vielleicht solltest du uns das beantworten?“

„Was?“

„Hadrumir ist hier.“

„Hadrumir? WO?“

„Er unterhält sich gerade mit Ludorand im Kaminzimmer.“ sprach Daneris.

Seginhardt stürmte sofort ins Arbeitszimmer. Hier unterhielten sich Ludorand und Hadrumir sehr lautstark: „Damit eines klar ist, Hadrumir, du hast hier nichts zu sagen!“

„Wer sagt das, Ludorand? Du?“

„Nein, mein Vater. Vetter, du unterstehst mir!“

„Wieso denn ausgerechnet dir?“ sprach Seginhardt, dessen Eintreten die beiden Streithähne nicht bemerkt hatten.

„Vater!“

„Onkel Seginhardt!“ sprachen die beiden gleichzeitig.

Hadrumir ging auf die Knie und verbeugte sich. Seginhardt schaute die beiden lange und durch dringlich an, dann sprach er: „Ludorand, du kannst gehen!“

„Vater, ich…“

„ICH SAGTE, DU KANNST GEHEN!“

Nachdem Ludorand das Zimmer verlassen hatte, nicht ohne Hadrumir vorher einen verächtlichen Blick zuzuwerfen, sprach Seginhardt weiter: „Setz dich, Hadrumir, es gibt viel zu bereden.“


Später am Abend, Schlafgemach Hadrumirs:

Normalerweise hätte er dies bemerken müssen, doch jetzt spürte er einen Dolch an seiner Kehle. Phexverflucht, wo waren seine Reflexe? Hatte er zu sehr ins Glas geblickt?

„Keinen Mucks, Vetter!“ sprach Eleona. „Daneris und ich haben mit dir zu reden.“

„Das wäre wesentlich angenehmer, wenn ich keinen Dolch an der Kehle hätte“ sprach Hadrumir.

Daneris sprach ruhig: „Schwöre bei den Göttern, dass du nicht nach Wachen oder sonst wem rufst!“

„Wenn es euch zwei beruhigt. Ich schwöre bei den Göttern, dass ich keine Anstalten machen werde, die euch Probleme machen könnten.“

Eleona nahm den Dolch von seiner Kehle. „Also, wir wollen hier einmal die Spielregeln klar stellen.“

„Ich höre.“

Eleona sprach mit ruhiger Stimme: „Wir zwei genießen, sagen wir das Vertrauen von Ludorand, meinem trotteligem Bruder.“

„Zumindest was das Trottel angeht, so kann ich dir nur Recht geben.“

„Schweig und höre zu!“ warf Daneris ein.

Eleona sprach weiter, als hätte es diese Unterbrechung gar nicht gegeben: „Wir wollen diesen Umstand doch nicht ändern, oder Vetter?“

„Also, wegen mir, kann dies ja so bleiben, meine Damen, aber das hättet ihr mir auch morgen oder an einem anderen Tage sagen können.“

Daneris beugte sich gefährlich vor: „Ich glaube, du verstehst nicht ganz! Ludorand wird dereinst Erbe dieses Hauses sein.“

Hadrumir verstand, was seine beiden Kusinen von ihm wollten. Er sollte sich nicht zwischen Seginhardt und seinen Sohn Ludorand stellen. „Noch ist Seginhardt aber Oberhaupt dieser Familie. Es sei denn, ihr zwei wollt an diesem Umstand etwas ändern.“

„Man beißt doch nicht in die Hand, die einen nährt.“

„Das bringt mich zu einem anderen Vorschlag: Ihr lasst mich einfach erst mal in Ruhe arbeiten. Ihr seid meine Vertrauten und Spione bei Ludorand für mich."

Daneris und Eleona blickten sich an. „Was hätten wir davon?“ fragte Eleona verschwörerisch.

„Macht!“ flüsterte Hadrumir.

„Wir werden sehen.“ sprach Daneris. Die beiden Kusinen verließen still die Kammer.

„Ja, wir werden sehen.“ sprach Hadrumir leise vor sich hin. Hier hatte sich wirklich einiges zum Vorteil entwickelt.

(D. Assmann)



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Texte der Hauptreihe:
1026 BF
Aus dem Leben eines Garetischen Ritters


Kapitel 1