Geschichten:Zwischen Feder und Kelch - Der Aufbruch Aldares
Burg Praiosburg,Baronie Bärenau, Phex 1047 BF.
Die Morgensonne kroch langsam über die wehrhaften Türme der Praiosburg und warf warmes Licht auf die alten Mauern. Der Burghof war voller Leben. Hufe klapperten auf dem Pflaster, Diener riefen einander zu, und der Duft von frischem Brot und Heu lag in der Luft. Inmitten dieses geschäftigen Treibens spielten zwei kleine Mädchen mit leuchtend blonden Haaren, die bereits zerzaust waren vom Herumlaufen.
Aldare und Hardane, Zwillingsschwestern von sechs Götterläufen, tollten lachend zwischen den Ställen und dem Ziehbrunnen umher. Ihre Gewänder waren edel und fien gearbeitet, aus weichem Leinen und mit zarten Stickereien an den Säumen. Die Farben waren hell, mit goldenen und silbernen Fäden durchzogen, und kleine Wappenknöpfe zierten ihre Umhänge. Man sah ihnen an, dass sie aus einem angesehenen Haus stamten.
Mit ihnen spielten zwei Hunde, Balinor und Binya, beide garetische Schlappohren aus eigener Zucht. Balinor war der ältere von beiden, mit einem gemütlichen Wesen und langen, weichen Ohren, die bei jedem Schritt wippten. Binya war jünger, lebhafter, aber nicht minder treu. Ihre großen Augen blickten neugierig in die Welt, und ihre tapsigen Pfoten trugen sie flink durch den Hof.
"Binya, du bist viel zu schnell!", rief Hardane, als sie versuchte, die Hündin einzufangen. Aldare lachte, während Balinor sich schwerfällig neben ihr herbewegte. Seine Zunge hing aus dem Maul, und er schien das Spiel eher als Spaziergang zu betrachten.
Doch heute war kein gewöhnlicher Tag.
Vor dem großen Burgtor stand eine schlichte Reisekutsche. Sie war aus dunklem Holz gefertigt, mit robusten Eisenbeschlägen versehen, und zeigte keine Spur von Prunk oder Gold. Nur ein kleines Wappen war in das Holz eingelassen. Es zeigte das Zeichen derer von Ochs, einen stiliseirten schwarzen Ochsenkopf auf weißem Grund. Diener beluden die Kutsche mit Taschen, Kisten und einem kleinen Holzkästchen, das ebenfalls das Familienzeichen trug. Die Pferde schnaubten ungeduldig, und die Ibelreiter der Grünen Garde bereiteten sich auf den Aufbruch vor.
Diese Gardetruppe stand unter dem Kommando von Ritter Jargold von Bärenau-Pandlaril. Der Ritter war ein stattlicher Mann mit silbernem Helm, langem Kettenhemd und grünem Umhang. Er überwachte die Vorbereitungen mit ruhiger Autorität. Seine Stimme war fest, als er Befehle erteilte und die Reiter in Position brachte.
Hardane hielt inne, als sie das Treiben bemerkte. "Ist es wirklich schon soweit?", fragte sie leise.
Aldare trat zu ihr, nahm ihre Hand und sprach mit gedämpfter Stimme: "Die Zeit ist gekommen. Ich muss fort, Schwester. Großvater Leobrecht hat es entschieden."
"Fort? Wirklich so weit weg?", fragte Hardane mit zitternder Stimme.
"Ja, zum Hofe von Comto Erlan Sirensteen zu Bomed, dem Baron des Yaquirbruchs im Horasreich. Ich soll dort als Pagin leben und lernen. Großvater Leobrecht sagt, es ist dort sicherer. Die Fehden in Garetien werden schlimmer, und er will mich schützen."
Hardane wusste von den Fehdehandlungen, von den Kämpfern, die nachts durch die Dörfer zogen, von den brennenden Feldern und den zerschlagenen Bündnissen. Ihr Großvater hatte auf dem Hoftag zu Schlundgau eine Abmachung getroffen, um Aldare in Sicherheit zu bringen.
"Aber ich will nicht, dass du gehst", flüsterte Hardane und umarmte ihre Schwester fest. Ihre kleinen Arme zitterten.
"Ich auch nicht", sagte Aldare leise. "Aber du wirst bald dein Noviziat bei der Firunkirche beginnen. Dann wirst du Neues erleben und nicht immer an mich denken. Und wir schreiben uns Briefe. Ganz viele."
Die Mädchen standen eine Weile still. Balinor legte sich zu ihren Füßen, Binya winselte leise. Dann griff Aldare in ihre kleine Umhängetasche und zog eine Tüte hervor, sorgfältig mit einem roten Band verschnürt. Darin lagen Zuckerstangen, bunt und glänzend, duftend nach Minze und Honig.
"Ich habe sie bei der Zuckerbäckerin Candis Rosenwasser in Bärenau gekauft", sagte Aldare und reichte die Tüte ihrer Schwester. "Für dich, damit du mich nicht vergist."
Hardane nahm die Tüte mit zitternden Fingern und lächelte durch ihre Tränen. "Danke, Aldare. Ich werde sie mir gut aufheben."
Die Amme Ederlinde rief: "Aldare, die Kutsche ist bereit."
Aldare streichelte Balinor sanft. "Du kommst mit mir, alter Freund", sagte sie. Der Hund wedelte mit dem Schwanz und trottete brav zur Kutsche.
Hardane trat zurück, Tränen in den Augen. "Vergiss mich nicht, Aldare."
"Niemals!", rief Aldare und stieg mit Balinor in die Kutsche. Der Diener schloss die Tür, und Ritter Jargold gab das Zeichen zum Aufbruch “Auf nach Eslamsgrund”. Die Ibelreiter nahmen ihre Positionen ein, ihre grün-weißen Banner wehten stolz im Wind.
| ◅ | Ein traviagefälliger Dienst |
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