Geschichten:Erwachen – Tiefe Trauer
Tannenburg, Baronie Tannwirk, Ende Ingerimm 1046 BF:
Mit versteinerter Miene und verheulten Augen wandten sich die Hausritterin Bärtha von Erpelsberg und ihr Gemahl, der Rondra-Geweihte Uldreich von Ibelstein vom Rondra-Schrein ab. Das stumme Gebet der beiden war kurz. Worte konnten sie über die Geschehnisse nicht mehr verlieren, auch gegenüber ihrer Göttin nicht. Zu groß war die Befürchtung Worte des Zorns zu sprechen.
Innerhalb von 12 Tagen hatten sie auf grausame Weise zwei ihrer Söhne verloren. Arnbold von einem Schwarm Krähen zu Tode gepickt und Waldmar von einer Kreatur aus dem Blutmoor in Stücke gerissen. Zumindest den sterblichen Körper von Arnbold könnten die Eltern zu Grabe tragen.
Wo waren die Götter, fragten sich beide. Hatten sie nicht immer ein götterfürchtiges Leben geführt? Das Wort der 12e in die Welt getragen und tugendhaft gelebt? Wie in aller 12e Namen hatten sie so ein grausames Schicksal verdient? Es fehlten ihnen die Worte und auch die Zwölfgötter schienen zu schweigen.
Wortlos schritten sie an Landvogt Rondred von Derrelsbach, ihrem Dienstherrn, vorbei. Er wusste, dass er sie erstmal ziehen lassen würde müssen. Zu ihrer Tochter Roßwid in den Rondra-Tempel zu Ehren der Heiligen Ardare zu Eupelmund. Sie mussten ihren Glauben wiederfinden.
Rondred ließ sie schweren Herzens ziehen. Er würde mit dem kläglichen Rest des Tannwirker Hofes auf der Tannenburg zurückbleiben. Die Tannenburg, eigentlich Burg Tannenberg geheißen, thronte auf einem Bergkegel nördlich des Marktfleckens Tannwirk und des Tannenbachs und wachte über den Elfenpfad, der hier von Leihenbutt kommend weiter nach Osenbrück führte. Die Burg wurde nach der Gründung der Grafschaft Waldstein und der Schaffung der Baronie Tannwirk von Baron Rudemir von Silz auf einem gerodeten Tannenhügel erbaut. Seither diente die Burg den Baronen und Vögten von Tannwirk als Sitz. Der sehr imposante Praios-Tempel der Burg ging auf die Gesselinger Barone zurück. Bemerkenswert war das Altarbildnis, das den Tannwirker Praiosglauben widerspiegelte.
Rondred seufzte. Der Wald schien gegen die Menschen aufzubegehren. Immer wieder wucherten Pfade und Wege zu. Auch der Elfenpfad zwischen Tannwirk und Seligenfeld drohte vom Reichsforst verschluckt zu werden. Dazu kamen vermehrt Berichte von äußerst aggressiv agierenden wilden Tieren. Wölfe, die auch im Sommer Menschen angriffen. Oder Krähenschwärme, wie in Gerons Steige. Der Düstertann im Norden von Tannwirk war seit eh und je eine menschenfeindliche Gegend, dämonisch verflucht, wie es hieß. Nun erwachte auch noch das Blutmoor zu neuen Unleben. Er war ratlos.