Geschichten:Ein Lied - Stechen

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'29. Rah 1043 BF Gut Karseitz Der Morgen roch noch nach nassem Holz, als Ugdane mit den Fingerspitzen über den alten Zaun strich, an dem die Tauperlen hingen wie winzige Glasperlen. Die Kälte biss nicht mehr so sehr wie vor Wochen, und die Erde gab dieses leise, müde Aufatmen von sich, das den Frühling ankündigte.

Sie dachte an Korwin. Natürlich tat sie das. Und es war nicht mehr nur die Erinnerung an jene Nacht, die ihnen beiden bis heute ein unwilliges Erröten ins Gesicht trieb. Es waren die vielen kleinen Augenblicke danach, die sie nicht mehr losließen.

Die Ausritte. Götter, wie oft hatte sie gelacht, wenn er versuchte, ihr Reittier mit großen Worten zu loben und sich dabei fast in die Zunge biss. Wie ernst er wurde, wenn sie sprachen. Wie sanft er das Zügelende hielt, wenn er ihr etwas zeigen wollte… als fürchte er, eine hastige Bewegung könne sie erschrecken, vertreiben.

Und dann seine Minneversuche. Ugdane lächelte bei der Erinnerung: Wie er den selbstgedichteten Vers zum dritten Mal wiederholt hatte, weil er beim ersten Versuch die Hälfte verschluckte und beim zweiten über den ‚blühenden Hain‘ stolperte, als wäre es ein Geröllfeld.

Er hatte sich nicht lächerlich gemacht. Keinen Herzschlag lang. Eher hatte es ihr Herz gewärmt – denn ein Mann wie er rang nicht um Worte, wenn es ihm nicht wichtig war.

Aber genau das war das Problem. Je mehr er ihr zeigte, desto stärker wühlten sich die Zweifel in sie hinein.

Nicht wegen seines Alters – er war jung, ja, jünger als sie, doch nicht „zu jung“. Die Jahre hatten ihm Kraft und Ernst in die Schultern gelegt. Es war etwas anderes…

Kann ein Mann, der so viel erlebt hat, wirklich bei mir bleiben? Ein Mann, der aus Schlachten, Abenteuern und Fahrten kam, der ruhelos über Land gezogen war, der mit einem wilden Herzen geboren schien?

Sie hatte Kinder großgezogen. Ein Leben geführt, das auf Ruhe baute. Und er? Er war Sturm und Stärke, und manchmal – wenn der Zorn ihn fast schüttelte – erinnerte er sie an einen warngeladenen Himmel vor einem Sommergewitter.

Und dann dieser schmerzlich süße Gedanke: Wenn ich ihm mein Herz gebe und er geht wieder… halte ich das aus?

Ein Pferd schnaubte hinter ihr, eines der Jungen aus dem Stall, und Ugdane fuhr zusammen. Ihre Kehle schnürte sich kurz zu. Denn je länger sie sich einredete, vorsichtig sein zu müssen, desto deutlicher spürte sie: Der Mann war ihr längst näher, als sie vernünftigerweise zulassen sollte.

Sie stellte sich den nächsten Ausritt vor. Korwin, der bei jedem Galoppsprung mehr von seinem Zorn verlor. Korwin, der heimlich übte, wie man einen höfischen Gruß macht, weil er glaubte, das gefalle ihr. Korwin, der mit diesem unbeholfenen Mut ein paar Verse anstimmte und nie bemerkte, wie warm ihr davon wurde.

Er meint es ernst, dachte sie. Und genau das ließ ihr Herz beben.

Ugdane schloss die Augen. Vielleicht musste sie gar nicht alles wissen. Vielleicht musste sie nur herausfinden, ob der Sturm in ihm ein Zuhause suchte — oder nur eine Rast.

Als sie den Blick hob, hing der Nebel in dünnen Fäden über dem Feld. Fern am Weg glaubte sie eine Gestalt zu erkennen. Groß. Breite Schultern. Ein vertrauter Schritt.

Ihr Atem stockte.

Vielleicht brachte der Tag eine Antwort. Oder neue Zweifel. Oder nur ein Lächeln von diesem großen, rauen Mann, der die Minne sang wie ein Handwerker – aber aus tiefstem Herzen.

Und vielleicht… war das genug.




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29. Rah 1043 BF 09:00:00 Uhr
Ein Stechen


Kapitel 1

Warme Hand
Autor: Gramfelden