Benutzer:Robert O./Briefspiel

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Kressenburger Neujahrsstechen 1042 BF

Teil 3

Katze und Reh

Seenfurt, Grafenmark Havena, Rahja 1041

„Wohin?“, fragte Rehlein ein wenig verdutzt und verlangsamte Fia als sie vom Vorhaben ihrer Schwester hörte.

„Nach Kressenburg.“, erwiderte Sióna Leuensang von Havena nickend und ließ auch Talamh langsamer werden.

„Das… das… das liegt aber nicht in Albernia!“, stammelte Rehlein sichtlich verwirrt.

Kressenburg liegt ja auch in Greifenfurt.“, stellte die Geweihte klar.

„In Greifenfurt?“, wiederholte Rehlein ungläubig, die ihren Namen aufgrund ihrer dunklen Augen und ihrem zurückhaltenden Wesen trug , „Aber… aber… das liegt jenseits der Nordmarken!“

„Keine Sorge, Rehlein.“, versuchte die Geweihte ihre jüngere Schwester zu beruhigen, „Ich beschütze dich vor den bösen Nordmärkern. Sie werden dir nichts tun, das verspreche ich dir.“

„Die haben unseren Vater auf dem Gewissen!“, schimpfte sie da sichtlich erregt und brachte ihr Pferd zum Stehen, „Unseren Vater, hast du das vergessen? Und du willst da einfach so durchreiten? Einfach so?“

Sióna brachte auch ihr Pferd zum Stehen und schwieg. Sie hätte viel sagen können, sagen wollen, vielleicht sogar sagen sollen, aber sie tat es nicht, denn nichts und niemand konnte ihren Vater zurückbringen, keine Wut, keine Rache, nichts. Es war eine harte Lektion für sie gewesen, aber sie hatte sie gelernt – zuvor hatte es sie aber beinahe um den Verstand gebracht. Ihr Vater war tot und das würde er immer bleibt, doch die, die ihn um sein Leben gebracht hatten, den Töchtern ihren Vater und der Mutter ihren Mann genommen hatten, würden vor den Göttern in der Stunde ihres Todes dafür Rechenschaft ablegen müssen. Vergeben konnte sie zwar nicht, auch nicht vergessen, aber weil sie irgendwie damit Leben musst, hatte sie für sich selbst einen Weg gefunden: Ihr Vater lebte durch sie und ihre Schwestern weiter.

„Und… und außerdem... ist das ganz schön weit weg.“, hob Rehlein da an, „Bestimmt einen… einen halben Götterlauf oder… oder gar noch länger. Und ganz abgesehen davon müssten wir Mutter und Neowyn ganz allein lassen.“

„Ach, die kommen auch ganz gut ohne uns zurecht.“, winkte Sióna ab.

„Und was gibt es da in… ähm... Kressen... hm... burg?“

„Ein Turnier.“, erwiderte die Geweihte.

„Ein Turnier?“, fragte Rehlein ungläubig, „Ein Turnier? Und was willst du da?“

„Teilnehmen. Am Turnier.“

„Warum?“, schoss es aus Rehlein heraus, „Hier in Albernia gibt‘s doch auch Turniere!“

„Weil ein Prophet nichts im eigenen Land gilt.“, erwiderte Sióna zuerst, fügte dann allerdings noch hinzu: „Weil SIE mich dahin schickt.“

„Sie?“, verständnislos blickte Rehlein sie an.

„Meine Herrin schickt mich.“, erwiderte die Geweihte.

„Die...“, Rehlein dämpfte ihre Stimme zu einem Wispern, „Die Leuin?“

Da nickte Sióna und bestätigte laut: „Die Leuin!“

„Und… und komme ich in ihrem Plan auch vor?“

„Ich weiß nicht.“, gestand die Geweihte, „Ich kenne ihren Plan nicht. Ich weiß nur, dass ich zum Turnier soll und ich mich sehr freuen würde, wenn du mich begleitest.“

Rehlein seufzte: „Aber… aber… ich war noch nie… noch nie...“ Ihre Stimme wurde so leise, dass selbst Sióna sie kaum noch hören konnte. „… nie… nie… außerhalb Albernias!“

„Höchste Zeit, das zu ändern.“, wisperte ihre Schwester zwinkernd zurück.

Rehlein schwieg einen Moment und schien abzuwägen, ehe sie sagte: „In Ordnung, ich begleite dich, wenn… wenn DU es Mutter sagst.“

Nachdem sie ihre Runde um Seenfurt beendet und dem Auftrag ihrer Mutter genüge getan hatten, ritten die beiden Schwestern zurück nach Seenfurt und Sióna kam in der Efferds Hall‘ ihrem Versprechen nach.

„Im Übrigen, werte Frau Mutter, möchte ich Euch darüber unterrichten, dass Rehlein und ich in wenigen Tagen zum Kressenburger Neujahrsstechen – Kressenburg liegt in Greifenfurt – aufbrechen werden.“

„Aber Kätzchen...“, hob Ighraine da geradezu anklagend an.

Weiter kam sie nicht, denn Sióna fiel ihr augenblicklich verärgert ins Wort: „Frau Mutter, Ihr sollt mich nicht immerzu so nennen!“

„Ich weiß, Kätzchen, ich weiß...“

„Ich bin eine Geweihte der Sturmherrin!“, beharrte Sióna.

„... und ich bin immer noch deine Mutter, da magst du der Sturmherrin so viel dienen wie du willst."

Orknase

Teil 4

Nu’ aber!

Dorf Grauweiler, Baronie Hollerheide, Rahja 1041 BF

Furgund von Hölderlingen schob die Brust raus, zog den nicht vorhandenen Bauch ein und reckte das Kinn. Erfüllt von einem Hochgefühl, das sie bisher nicht allzu oft empfunden hatte, lenkte sie ihre Nordmähne ‚Ringelchen‘ durch die schmalen, bisweilen an Rinnen erinnernden Gassen von Grauweiler. Ihre gelb-blaue Lanze und den Schild mit den gekreuzten Speeren hielt sie in festem Griff und für den Augenblick spürte sie das Gewicht der Reiserüstung fast gar nicht. So erhebend war das Gefühl, in einer Gruppe Ritter zu reiten, die sich für ein Turnier fein heraus geputzt hatten und stolz ihre Farben zeigten.

Nicht wenige der Dörfler hielten in ihren Verrichtungen inne, als die Ritterschar von Burg Distelstein herab ritt. Als sie die silberne Weide auf der grünen Flachspitze erkannten, erklangen sogar einige Hochrufe, denn angeführt wurde die Gruppe von der Base des hiesigen Barons, der Bärenritterin Edigna von Weiden-Harlburg. An deren grün-weiß geringelter Kriegslanze flatterte fröhlich ein schmaler, dafür aber umso längerer Wimpel im frischen Wind.

Gerade wie dieser Wimpel fühlte sich Furgunds Inneres an. Sie ritt endlich auf ihr erstes Turnier, noch dazu eines, das sie im vorigen Jahr als Knappin besucht hatte. Damals dazu verdammt, tatenlos zuzuschauen, weil ihre Mutter den Brauch, ältere Knappen im Teilnehmerfeld zuzulassen, entschieden ablehnte und durch nichts zu erweichen war.

Nu’ aber, denn inzwischen hatte sie ihre Schwertleite empfangen! Da konnte selbst ihre gestrenge Frau Mutter keinen Grund finden, der Furgund von der Reise nach Greifenfurt hätte abhalten können. Immerhin wusste sie halbwegs, was zu erwarten war. Das allein war schon gut. Zusätzlich machte sie das in der Gruppe zu einer begehrten Gesprächspartnerin. Das war ein ungewohntes Gefühl. Ungewohnt, aber ungemein gut.

Sie waren aber auch eine bemerkenswerte Schar, wie die Baroness von Rotenwasser fand. Viele junge Recken und Reckinnen, von denen die meisten ebenso ihrem ersten Turnier entgegen ritten. Gut, die Hohe Dame Edigna war nun wirklich nicht mehr jung, sondern schon in ihren hohen Dreißigern. Wofür sie allerdings erstaunlich frisch wirkte, wie Furgund anerkennend angemerkt hatte. Das hatte die Dame merkwürdigerweise gar nicht erfreut und Furgund einen langen, missgelaunten Blick eingebracht, wie auch die Versicherung, sie würde schon noch einsehen, wie wenig die Zahl der Winter über die Frische einer Ritterin des Bären aussagte. Und das hatte durchaus unheilvoll geklungen. Überhaupt wirkte die Weiden-Harlburg beim Anblick ihrer Reisegruppe nicht ansatzweise so begeistert wie der überwiegende Rest von ihnen. Irgendwas von „Kindermädchen“ hatte sie ihrem Vetter zugeraunt, und dass er gewiss nicht billig davonkäme.

Den jedoch hatte das nicht angefochten. Er hatte von einem Ohr zum anderen gegrinst, wie eigentlich die ganze Zeit, da er ihr Gastgeber gewesen war. Es war eine Überraschung gewesen, als eine Dienstritterin des hiesigen Barons im Grauweileraner Gasthaus aufgetaucht war und alle auf der Durchreise befindlichen Ritter eingeladen hatte. Lanzelund von Weiden-Harlburg und Streitzig ä.H. fühlte sich geehrte, würden sie auf ihrem Weg nach Kressenburg die Nacht auf der alten, über dem Dorf aufragenden Wehr des Nordens verbringen. Natürlich hatten sie angenommen. Alle!

Der Distelstein war eine imposante, uralte Burg, deren Grundmauern rabenschwarz und wehrhaft, deren Herz aber einladend und heimelig waren. Ihre Base Baldegund, von Furgunds Mutter als eine Art Anstandsdame mitgeschickt, war nicht müde geworden zu betonen, welche Ehre diese Einladung darstellte. Der Hausherr sei selbst ein begeisterter Turnierritter und genieße im Herzogtum wie auch darüber hinaus einen untadeligen Ruf. Vielen galt er gar als Anwärter auf den Titel des Ersten Ritters Weidens, wobei in diesem Zusammenhang auch oft vom Schönsten Ritter des Herzogtums gesprochen wurde. Beide Rollen füllte bislang Rondrian von Blauenburg aus und das sicher nicht schlecht. Aber, Furgund schürzte die Lippen, er war nun mal alt. Richtig jung war dieser Lanzelund zwar auch nicht, aber jünger und – da hatte Baldegund recht – überaus ansehnlich. Darüber hinaus war er jedoch uninteressant, weil vermählt und das auch noch glücklich, wie es den Anschein hatte.

Wie auch immer, ein Baron, der auf einen Schlag nicht weniger als acht Ritter mit Gefolge einlud und vortrefflich bewirtete, war sicher eine Zier für die ganze Weidener Ritterschaft. Der Abend im Rittersaal war anregend und lustig, nachdenklich und interessant gewesen. Furgund hatte viel Neues gehört und sie hatte Bekanntschaften machen und vertiefen können. Das allein war die Reise schon wert gewesen.

Sie löste sich aus ihrer inwendigen Betrachtung und blickte nach vorn. Hinter der Dame Edigna ritt ihr Knappe, und der war wirklich eine Überraschung gewesen. Jetzt, wo sie es wusste, sah sie ihm seine Abkunft durchaus an: die wilden, blonden Locken, die unternehmungslustig funkelnden Augen und dann natürlich das Profil. Marsus war wirklich das Bild von einem Löwenhaupt, und wenn sie nicht alles täuschte, würde er zu einem wahren Bären heranwachsen, denn schon mit seinen 16 Wintern war er so groß wie seine Schwertmutter und seine Schultern waren ordentlich breit. Der Junge war ein Enkelsohn Pagols von Löwenhaupt, des alten Familienschlachtschiffs, und erst seit recht kurzer Zeit auch ein „richtiger Löwenhaupt“, wie er selbst ein wenig scheu bekannt hatte. Seine Geschichte machte ihn für Furgund gleich noch viel sympathischer, und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Knappen einen Würzmet zu spendieren und sich mit ihm auszutauschen. Irgendwie ähnelten sich ihre Lebensgeschichten und so etwas verband.

Hinter Marsus, der natürlich die Farben seiner Herrschaft trug, ritt Luten Corrhenstein von Hirschenheide. Er war etwas älter als sie selbst, hatte aber schon die Erfahrungen eines Kriegszugs in den Knochen. Seinem Blick und der großen Narbe auf der Stirn entnahm sie, dass es keine angenehmen waren. Der Corrhensteiner war recht ansehnlich mit seinen kastanienbraunen Haaren und den hellbraunen Augen. Aber er war auch schweigsam und für ihren Geschmack zu ernst. An seiner Seite war stets eine junge Jagdhündin, die ihm auf Wort und Geste gehorchte und die es als Einzige geschafft hatte, Luten ein Lächeln zu entlocken. Alles in allem wirkte er nicht besonders vorfreudig, und Furgund hatte fast den Eindruck, als ritte er nicht aus eigenem Antrieb nach Kressenburg.

Hinter ihr folgten mit dem Bruder der Kornfeldener Baronin und einem ihrer Vasallen zwei direkte Nachbarn. Furgund war recht unsicher, wie sie diesen begegnen sollte. Sie persönlich hatte nichts gegen Kornfeldener, allerdings kannte sie die Geschichte Rotenwassers gut genug, um zu wissen, dass ihre Ahnen das kleine Kornfelden immer mal wieder in wenig freundlicher Absicht besucht hatten. Soweit sie wusste, war ihr Großvater in dieser Hinsicht zwar untätig geblieben und auch ihre Mutter hatte gegenwärtig andere Sorgen, als sich südwärts der eigenen Grenzen zu tummeln. Dennoch lag ein gewisser Argwohn in der Luft, wenn ihr Blick den von Balderan von Brückenau und Sigerich von Kaltentann, der nach Furgunds Meinung ziemlich gutaussehend war, sich aber wie ein verstockter, kalter Fisch gebärdete, traf.

Etwas mürrisch wirkte auch Helwig von Rossbergen aus der Sichelwacht, der einige Jahre älter war, als sie selbst. Im letzten Jahr hatte er recht erfolgreich auf dem Kressenburger Turnier gestritten und war in der Tjoste nur dem Sieger, Baron Walthari von Leufels, unterlegen gewesen. Furgund wusste, dass die Altentralloper Rossbergens irgendwie mit dem Herzoglichen Gestüt zu tun hatten, was wohl auch erklärte, dass Herr Helwig einen prachtvollen Tralloper Riesen ritt, der – ihrer innigen Liebe zu Ringelchen zum Trotz – Neidgefühle in ihr erweckte. Mehr wusste sie von dem Ritter mit dem Hengstwappen aber nicht.

Ganz hinten ritt ein lustiges Dreiergespann aus Base und Vettern. Obgleich die Namen es nicht verrieten, gehörten Aardor von Rauheneck, Fählindis von Habechhegen und Algirdas von Stockach alle der Familie Rauheneck aus der Sichelwacht an. Das war, soweit Furgund wusste, eine recht weit verbreitete und zumindest zweifelhaft beleumundete Familie. Was eine Ehre war, wie sie fand, denn für die ihre galt das Gleiche. Die drei waren in ihrem Alter und Fählindis stammte gar aus Sichelgau, mithin einem Lehen unweit dem ihrer Mutter. Furgund fand es spannend, dass die Mutter von Fählindis Jagdhabichte züchtete sowie ausbildete – und zwar für niemanden geringeres als die Kaiserin selbst. Die Habichtbeiz stand auch in Rotenwasser in hohem Ansehen, wenngleich Furgund ihr noch nicht allzu oft gefrönt hatte. Etwas, was sie nach ihrer Rückkehr zu ändern gedachte.

Hinter den Rittern folgte der kleine Tross mit zwei Wagen, insgesamt einem Dutzend Waffenknechten sowie einer Bardin und einem Geweihten der Rondra vom Orden zur Wahrung. Die beiden waren in eine Unterhaltung vertieft, die recht lebhaft geführt wurde. Beider Aufgabe war es, die Taten der Ritter festzuhalten, wobei die Bardin weit mehr Freiheit genoß, als der Priester, wie dieser immer wieder angemerkt und dabei herausfordernd gegrinst hatte. Seine andere Aufgabe war es aber, den Weidenern auch im Ausland und vor allem während der anstehenden Verlorenen Tage mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Furgund jedenfalls war froh, ihn an ihrer Seite zu wissen.

Gerade ließen sie die letzten Häuschen Grauweilers hinter sich und strebten gen Norden durch die üppig blühende Hollerheide, in der – wie auf die Erde gefallene Wolken – zahlreiche Hollerschnucken weideten. Durch die Alte Furt würden sie den Fialgralwa überqueren und dann gen Süden reiten. Markenweg wurde die Straße genannt, der sie über Nordhag bis nach Greifenfurt folgen würden. Von Greifenfurt aus würden sie nach Süden reisen, auf einer Handelsstraße, die wohl irgendwann ins garetische Waldstein führte, sie vorher aber nach Kressenburg brachte. Das war gut so, denn Garetien war nun wirklich keine Provinz, die Furgund lockte. Nach allem, was sie bisher von garetischen Rittern gesehen hatte, waren das vor allem Möchtegerns, denen Schein weit mehr galt als Sein, und darauf konnte sie nun wirklich getrost verzichten.

Katja R.

Teil 5

Auf dem Weg nach Kressenburg – Anfang Praios 1042 BF

Der Herr des Lichts meinte es allzu gut mit den Menschen dieser Tage. Vom wolkenlosen Himmel strahlte die Sonne auf das greifenfurter Land hinab, trocknete die Wege aus und hüllte die kleine Reisegruppe aus Weiden in eine leichte aber stetig vorhandene Staubwolke. Die zwei Bannerträger voran mit dem sitzend-steigenden goldenen Löwen der Leufelser und dem steigenden roten Hirsch der Rothwildener kündigten Walthari von Leufels, den Baron von Dergelquell und seine Gemahlin, Rovena von Rothwilden, nebst des Knappen Rutger von Uhlenhain an. Begleitet wurden sie vom jüngeren Bruder des Dergelqueller und Junker von Goldacker, Waldhold von Leufels, sowie dessen Gemahlin, Grinugildis Rinnfoldshaus von Waldenklamm. Das Wappen der Rinnfoldshauser fehlte, da Grinugildis als Geweihte des Himmlischen Schmiedes auf derlei Standessymbole verzichtete. Den Abschluss bildeten noch zwei Waffenknechte in den Farben der Leufelser. Sie hatten gestern in Greifenfurt übernachtet und waren gut ausgeruht aufgebrochen. Nun war es nicht mehr weit bis nach Kressenburg, wo Walthari von Leufels nichts Geringeres als die Verteidigung seines Titels als Sieger der Tjost vom letzten Jahr bevorstand.

„Nun, Rutger? Was ist das für ein Gefühl?“ fragte Walthari seinen Knappen. Rutger warf seinem Schwertvater einen fragen Blick zu. „Deine Schwertleite ist beschlossene Sache. Nur noch ein paar Wochen und du bist ein Ritter Weidens. Dies wird dein letztes Turnier als Knappe sein und wohl auch die letzte längere Reise an meiner Seite. Also: Wie fühlst du dich?“

„Oh, das meint ihr. Nun ja. Mir geht es gut.“ Damit sollte es nach Rutgers Meinung der Antwort genug sein, doch der Gesichtsausdruck des Barons ließ ihn wissen, dass dieser noch nicht zufrieden war. In den vergangenen Jahren hatte Rutger gelernt, seinem Schwertvater nicht nur zu gehorchen und dessen Erwartungen zu kennen. Er hatte gelernt, ihn zu „lesen“. Ein Zucken des Mundwinkels, die Art des Lächelns oder der Stand der Augenbrauen – Rutger wusste genau, was sein Schwertvater gerade wollte. So auch jetzt. „Also, es ist schon irgendwie merkwürdig. Auf der einen Seite…“ er stockte kurz, weil er nicht wusste, ob er das wirklich aussprechen sollte, entschied sich dann aber dafür: „…ärgere ich mich, dass ich noch als Knappe nach Kressenburg reiten muss. Aber andererseits ist dies auch irgendwie ein würdiges Ende meiner Ausbildung. Ich werde diese Zeit wohl in gewisser Art und Weise vermissen. Es war…“ wieder stockte er kurz, bevor er fortfuhr „…nicht die schlechteste Zeit meines Lebens“.

Walthari warf den Kopf in den Nacken und ließ ein schallendes und ansteckendes Lachen ertönen. „Nicht die schlechteste Zeit deines Lebens?“ wiederholte er lachend. Dann schüttelte er den Kopf. „Knappenjahre sind keine Herrenjahre, sag ich immer. Und das hast du auch ordentlich zu spüren bekommen. Insofern muss ich deine…herzlichen… Worte wohl als Lob für meine Ausbildung nehmen.“ Das Lachen verebbte zu einem amüsierten Brummen. „Du bist mir gut gelungen, Junge“ fügte er dann hinzu und ließ dabei seine Hand hart aber herzlich auf Rutgers Schulter krachen.

Die gute Laune seines älteren Bruders wenn er einem Kampf entgegenritt war Waldhold zunehmend unerklärlich. Er hatte den Spaß an so etwas schon vor langer Zeit verloren. Er sah es vielmehr seiner Verpflichtung als Ritter und vor allem als Vasalle sowie Beschützer seiner Familie geschuldet, an Turnieren teilzunehmen. Sie dienten der Übung und dem gegenseitigen Messen, um auf ernsthafte Kämpfe besser vorbereitet zu sein. Walthari schien so etwas immer mit großem Vergnügen zu verbinden und ließ – Waldholds Meinung nach – auch im Angesicht tatsächlicher Gefahren den notwendigen Ernst vermissen. Dabei sollte er es besser wissen, nein, musste es besser wissen.

„Wieder am Grübeln, Liebster?“

Waldhold blickte zu seiner Rechten und in die braunen Augen seiner Frau. Sie hatte ihr rabenschwarzes Haar zu einem einfachen Pferdeschwanz zurückgebunden. Eine kleine Strähne hatte sich herausgewunden und wippte nun keck vor ihrem rechten Auge herum. Über Schönheit ließ sich bekanntlich streiten. Aber für Waldhold war Grinugildis die schönste Frau der Welt und heimlich dankte er Rahja an jedem Tag für sein Glück. Natürlich war auch sein Traviabund arrangiert worden. Er hatte sie vor der Verlobung nur einmal gesehen und bis zur Heirat nur wenige Tage – unter Aufsicht seiner Schwiegermutter – mit ihr verbracht. Dennoch hatte er sie vom ersten Augenblick an begehrt. Sein Bruder hatte ihm gesagt, dass dies zumindest mal ein guter Anfang für eine Ehe wäre und der Rest dann später noch hinzukommen würde. Das war jetzt fast sieben Jahre her. Echte Liebe hatte sich bei ihnen jedoch nicht eingestellt. Aber sein Verlangen war in den Jahren nicht abgeebbt und glücklicherweise auf Gegenseitigkeit gestoßen. Und dies war zumindest die Grundlage für eine vertrauensvolle Partnerschaft geworden.

Offenbar hatten seine Gedanken ihn zu lange von einer Antwort abgehalten, weshalb Grinugildis nachlegte: „Ich weiß, das es ein weiter Weg ist von Schroffenfels bis nach Kressenburg. Und das du das nur mir zuliebe tust, ehrt dich. Ich bin sehr dankbar dafür.“

Ihr Lächeln entlockte auch ihm ein solches. „Es ehrt eher mich, dass du glaubst, ich würde das nur tun, damit du deine Geschwister und deinen Vetter Ardo mit seiner Sippschaft wiedersiehst. Und wahrscheinlich wäre es besser, ich würde dich in dem Glauben lassen.“ Er zwinkerte ihr lachend zu. „Aber ich will ehrlich sein. Die Sommersonnenwende im Kreise meiner ganzen Familie verbracht zu haben, hat mir viel bedeutet und war schön. Und vom Gramstein ist es ja nicht so weit bis Kressenburg. Außerdem verbinde ich mit meinen wenigen Aufenthalten dort gute Erinnerungen und erfolgreiche Teilnahmen. Es ist mir also eine Freude dorthin zu reisen. Und es ist mir eine Freude, mit dir zu reisen.“

Er sah kurz zu seinem Bruder, der gerade väterlich die Hand auf die Schulter seines Knappen legte, und dachte: 'Na gut. Man kann seinen Pflichten nachkommen und trotzdem gut gelaunt sein.'

Marcus D.

Teil 6

Rondriks Lauf

Das Üben mit seinem Ross, welches sein Knappenherr ihm zu seinem 16. Geburtstag, so wie auch seiner um ein Jahr älteren Schwertschwester Lisande, geschenkt hatte sollte sich dieses Jahr für den jungen angehenden Ritter auszahlen. Schon in der ersten Runde überzeugte der angehende Ritter mit der Höchstzahl an Ringen, während seine beiden Schwertschwestern Rahvena und Lisande sich fast ebenso gut schlugen. Das Teilnehmerfeld war jedoch so stark, dass neben Rondrik nur noch zwei drei weitere Knappen mit der maximalen Punktzahl in die nächste Runde gelangten. Schwertvater Anselm verfolgte jeden Ritt und zollte jeder Leistung seinen Respekt und Aufmunterung, bei denjenigen, die nicht weiterkamen.

So waren es dann drei Augenpaare, die die folgenden zwei Ritte von Rondrik verfolgten. Gespannte Erwartung folgte lauter Jubel als Rondrik auch im zweiten Durchgang die höchste Punktzahl schaffte. Rondriks Kontrahenten in der letzten, dritten Runde, Randolf von Hirschfurten, gratulierten die Hundsgraber Delegation respektvoll und wünschten ihm Rondras Gunst. Die Gunst aller drei hing aber natürlich bei Rondrik und während Rahvena ihm alle möglichen Tipps für die dritte Runde gab, hielten sich Anselm und Lisande damit zurück, um dem Knaben die Ruhe vor dem letzten Ritt zu gönnen.

Rondrik war nervös und nachdem Rahvena ihn endlich alleine gelassen hatte, strich er, wie schon so oft zuvor über die Flanke seines Rosses. ‚Nun gilt es‘, raunte er der Stute zu bevor er aufstieg und die Zügel griff. Rondrik wartete auf die Freigabe des Turnierrichters und als die Bahn freigegeben war, setzten sich Reiter und Ross in Bewegung. Rondrik ließ die Zügel locker, dirigierte wie zuvor nur durch leichten Schenkeldruck. Rondra war ihm hold und wieder erlangte er die Höchstnote und damit seinen ersten Turniersieg als Knappe.

Hundsgrab

Teil 7

Thankred Hartowulf von Trollpforz

Es war nun fast soweit. Die Erregung wuchs, ließ alles um sie herum, seinen Gegner und sich selbst verblassen. Arnulf von Immingen war ein in Würde gealterter Ritter von fast sechzig Sommern, doch immer noch aufrecht, groß, schwer und ehrfurchtgebietend. Er war ein würdiger Gegner, sein erster in einem Turnier. Wenn er gegen ihn verlieren würde, so wäre es wahrlich keine Schande.

Der deutlich grünschnäbligere Ritter, der seinen deutlich älteren Kontrahenten so taxiert hatte, schnaufte und nickte seinem Gegner respektsbekundend zu. Er hatte seinen Helm unter dem Arm geklemmt, während Streitkolben und Schild noch im Ständer neben dem Kampfplatz standen. Bald würde der Rondra- Geweihte sie zu sich rufen und sie mit den Regeln vertraut machen. Natürlich kannten sie sie beide, doch galt es dieses fast schon rituelle Prozedere ebenso zu respektieren, wie den Gegner selbst, das geboten die Tugenden der Ritterschaft in näherer Ableitung.

Thankred Hartowulf der jüngere von Trollfporz, frisch gekürter Junker eines Lehens im Nordmärkischen, nahe der Opferschlucht, war wahrlich keine Schönheit. Nein, er war eher von grobschlächtiger Natur, groß von Wuchs und mit einem enorm massigen Körperbau. Das schloss einen deutlichen Bauchansatz mit ein. Verwunderlich dabei war nur die Agilität mit der er sich trotz alledem bewegen konnte, wenn er es denn wollte beziehungsweise dazu genötigt wurde.

Missfallen bei den Damen erregte sein Äußeres vor allem wegen seinen buschigen, fast zusammengewachsenen Augenbrauen, dem struppigen Vollbart und den scheinbar dicken, verwucherten Gesichtsknochen. Ja, der Isenhager Junker trug den Namen ‘Troll’ vermutlich zurecht im Familiennamen und dessen Abbild im Wappen. Da war es weniger verwunderlich, dass er von seinen Untertanen mehr liebevoll als spöttisch 'der Schrat' genannt wurde.

Stefan S.

Teil 8

Lechdan

Die Nervosität und auch die Verunsicherung waren Lechdan deutlich ins Gesicht geschrieben; gleich stand sein Ritt an und außer zwei Übungsdurchgängen hatte er bisher keinerlei Erfahrung im Ringstechen, zumal er alle Mühe hatte, die für ihn recht große und schwere Lanze fest und vor allem kontrolliert im Griff zu behalten. Selinde blickte leicht wehmütig zu dem Baronet herüber: Kaum zu glauben, wieviel Zeit seit ihrem eigenen ersten Ringstechen vergangen war!

"Ich hoffe, ich mache Euch gleich keine Schande, Frau Selinde, aber ich fürchte, meine Meldung hier war ein Fehler; ich denke, ich bin noch nicht soweit, um hier auch nur ein halbwegs ordentliches Ergebnis erzielen zu können."

"Warum? Weil Du einer der Jüngsten hier im Felde bist? Weil Du erst zweimal das Ringstechen geübt hast? Dir der Umgang mit der Lanze noch etwas schwer fällt? Nein, Lechdan, eigentlich hast Du es sogar leichter als die meisten anderen Knappen: Es ist Dein erstes Turnier, Du bist einer der jüngsten im Feld und niemand erwartet hier irgendwelche Wunderdinge von Dir. Du kannst also niemanden enttäuschen. Außer Dich selbst natürlich, falls Du es unbedingt darauf anlegst", ergänzte die Baroness von Zackenberg trocken. "Und man weiß erst, ob man 'soweit' ist, wenn man es mal ausprobiert hat.

"Aber Ihr seid doch sicher einer hervorra-"

"Nein", unterbrach Selinde den Baronet lächelnd. "Ich verrate Dir mal ein Geheimnis: Ohne mein Licht unter dem Scheffel stellen zu wollen, doch im Umgang mit der Lanze war ich nie wirklich gut, ganz im Gegensatz zu meinem Bruder. Dem lag das Ringstechen auch weit mehr als mir. Im Übrigen mag ich zwar dreimal so alt sein wie Du, aber deswegen nicht zwangsläufig auch dreimal so gut. Also mach Dir um meine oder sonst wessen Erwartungen an Dich keine Gedanken. Und nun spute Dich, Du bist als nächster dran!" Ein wenig beneidete die Adlige ihren Bruder darum, diesen wohlerzogenen und angenehm zurückhaltenden Jungen als Knappen zu haben, wie sie sich eingestehen mußte.

Mit einem leicht verlegenen Lächeln, das auch ein wenig Unsicherheit verriet, kehrte Lechdan nach seinem Ritt zur Baroness zurück. "Ich denke, für meinen ersten Turnierritt war das nicht gar so schlecht, oder?"

"Bescheidenheit ist zwar eine Zier, die jedem Ritter - und jedem, der einer werden möchte - gut zu Gesicht steht, Lechdan, aber in Deinem Falle ist sie doch ein wenig deplatziert. Du hast immerhin acht von zehn Ringen aufgesammelt; die meisten anderen Knappen haben nicht besser als Du abgeschnitten, obwohl fast alle von ihnen älter und erfahrener waren."

Der junge Baronet begann ob dieses unerwarteten Lobes über das ganze Gesicht zu strahlen und wollte gerade etwas sagen, doch kam ihm Selinde zuvor, dabei ein breites Grinsen im Gesicht.

"So, und bevor Dir das jetzt zu Kopf steigt: Bald steht der Fußkampf an und meine Rüstung poliert sich nicht von selbst!"

Wallbrord

Teil 9

Wolfenbinge

"Holdwin vom Kargen Land? Da war mir das Los aber nicht so hold diesmal." Angrist Siegrain von Blauenburg machte sich ernstlich Sorgen und merkte nicht einmal, wie sein Freund Brin von Gilbertholz bei dem ungewollten Wortspiel grinste. Mit gerade einmal fast 20 Götterläufen hatte er bisher zwar schon an drei Turnieren teilgenommen, aber in den Fußkämpfen war er stets in der ersten Runde geschlagen worden. Und auch diesmal rechnete der Jungritter nicht mit einem anderen Ausgang. "Ich hab mich umgehört, Brin. Nicht nur, dass er erheblich älter und damit erfahrener ist als ich, er kann auch schon wesentlich mehr Erfolge im Turnier aufweisen. Das wird ein harter Kampf."

"Das wird es sicherlich, Angrist.", pflichtete der Angesprochene dem Jungen Löwen bei, als er ihm gerade dabei half, die Rüstung anzulegen. Beide hatten keine Knappen und so halfen sie einander bei den Dingen, die ein fahrender Ritter nur schwerlich allein bewältigen konnte. Sie hatten gemeinsam trainiert, dann gebadet und sich die Muskeln massiert. Und nun halfen jeder dem anderen, sich standesgemäß für ihre ersten Kämpfe dieses Turniers zu rüsten.

"Aber darum geht es doch. Wenn du einen guten Kampf gegen einen erfahrenen Gegner lieferst, dann ist es nicht schlimm, zu verlieren. Selbst dein berühmter Onkel hat so manches Mal auf Turnieren verloren."

"Fang du jetzt nich auch noch mit dem an!" Die Erwiderung Angrists kam heftiger hervor, als er es beabsichtigt hatte, aber sein Freund nahm das ungerührt hin. "Rondrian hier, Blauenburger da... Ich kann es nicht mehr hören. Ich bin hier, um mir selbst einen Namen zu machen! Und wenn ich gleich im ersten Kampf ausscheide, wie soll ich mich da hervortun? Kannst du mir das sagen?"

"Wie gesagt, kämpfe rondragefällig, und man wird dich schon beachten. Kämpfe stolz und aufrecht, wie es einem jungen Löwen ansteht!" Mit diesen Worten packte Brin Angrist bei den Schultern und schaute ihm lang und eindringlich in die Augen. Hübsche Augen, wie Brin immer wieder dachte. Blau, wach und meistens strahlend. Augen, die er nur zu gern ansah.

"Du hast leicht reden." Angrists Erwiderung riss den Gilbertholzer aus seinen Gedanken. "Wen hast du den als Gegner? Marbert von Preil? Der war im letzten Götterlauf noch Knappe und ist da im Knappenturnier in der zweiten Runde herausgeflogen."

"Das schon, aber das heißt nicht automatisch, dass er ein leichter Gegner sein muss. Ich habe nur wenig mehr Erfahrung. Und in Turnieren geschehen oft unerwartete Dinge. Vielleicht gewinnst du doch! Vielleicht gewinnen wir beide!"

"Ja, das wäre schon toll." Insgeheim hoffte der junge Blauenburger natürlich, diesmal weiter, als nur in die erste Runde zu kommen. Und vielleicht sogar noch weiter. Dann fiel ihm plötzlich auf, dass er gegen seinen Freund würde antreten müssen, wenn sie es beide bis ins Viertelfinale schaffen sollten. Der Gedanke bereitete ihm Unbehagen. Er schaute seinen Freund an. Er wollte ihn nicht schlagen. Oder gar verletzen.

Um sich abzulenken, wechselte er das Thema. "Wer ist eigentlich diese Simia von Beldenhag, gegen die Ritter Welf streiten wird?"

"Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Ich weiß nur, dass Ihr Vater der Baron von Beldenhag ist."

"Nun gut, soll sich der Hindenhager mit ihr herumschlagen." Diesmal fiel ihm selbst das unbedachte Wortspiel auf und das entlockte ihm ein Grinsen, das den Jungen erkennen ließ, der er ja doch noch war. Ein Grinsen, dass Brin so mochte...

"Möge Rondra wählen!" Mit diesen Worten umarmte Brin seinen Freund - um ihm Mut zu machen und weil er es einfach gerne tat.

"Möge Rondra wählen!" Angrist nahm die Umarmung gerne entgegen und erwiderte sie einen Moment länger, als man es von jungen Recken vielleicht erwarten würde.

Arne S.

Teil 10

Hackt’s?

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

„Sagt mal, träum ich das, oder seid ihr da wirklich gerade am Saufen?“ Fählindis stemmte die Fäuste in die Hüften und sandte einen tadelnden Blick auf ihre Vettern hinab, die – immerhin bereits voll gerüstet – auf krummen Schemeln vor dem rauheneckschen Turnierzelt saßen. Jeder von ihnen hielt ein nicht eben kleines Trinkhorn in der Hand und das war irgendwie ... skandalös! Da ließ man sie mal einen Augenblick allein und schon ...

„Also, ich würd das jetzt echt nicht ‚Saufen‘ nennen, Fäh“, widersprach Aardor reichlich unbeeindruckt. „Es sind doch nur ein paar kleine Schlückchen. Und es ist hier ja auch ziemlich heiß. Da muss man den Körper hin und wieder mit ein bisschen Flüssigkeit versorgen, sonst kippt er irgendwann um.“

„Was ist das, was ihr da sauft?“ Fählindis beließ die Fäuste, wo sie waren, und mühte sich, ein gefährliches Blitzen in ihre Augen zu zwingen – frei nach dem Vorbild des rauheneckschen Familienoberhaupts, das bei diesem Manöver allerdings nichts erzwingen musste, weil es ihm in etwa so leicht fiel wie atmen.

„Es ist nur Met. Ehrlich. Willst du auch was?“ Algirdas sah fragend zu ihr auf und bot sein Horn dar, ehe sie auch nur einen Ton sagen konnte.

„Ihr trinkt in dieser Bullenhitze also ...“, Fählindis Blick fiel auf die leere Flasche, die Aardor nicht gut genug unter seinem Schemel versteckt hatte, „... /ein paar Schlückchen/ Met, obwohl ihr genau wisst, dass es hier gleich Kämpfe zu Ehren Rondras und der Mittnacht zu bestreiten gibt? Schöne Weidener seid ihr mir!“

„Nicht obwohl, sondern gerade weil“, Aardor lächelte unbefangen, während auch er sein Horn hob und es Fählindis hin hielt. „Sicher, dass du nichts willst?“

„Wieso ‚gerade weil‘?“, fasste die Habechhegen nach, statt eine Antwort auf diese dämliche Frage zu geben oder gar nach einem der halbleeren Trinkgefäße zu greifen.

„Na, weil unser Vetter hier, der gute Algirdas ... der hat ein bisschen angespannt gewirkt, als er erfuhr, dass es für ihn gleich in der ersten Runde gegen eine Dienerin der Leuin geht. Da dachte ich mir, ich lockere ihn wieder ein bisschen auf. Wär ja schlecht, wenn wir ihn gleich aufs Feld der Ehre schicken und er erstarrt wie ein Karnickel im Angesicht der Schlan...“

„Halt doch den Rand, du Dämlack!“, zischte der so Gefoppte leise. „Als ob ich im Angesicht eines guten Zweikampfs erstarren würde. Ich glaub, es hackt!“

Fählindis legte den Kopf schief und maß Algridas mit einem prüfenden Blick. Sie wollte nicht weiter in der Wunde bohren, doch auch ihr war nicht entgangen, wie ihm die Gesichtszüge entglitten, als verkündet wurde, gegen wen er streiten sollte. Daran war sicher nicht zuletzt die Erfahrung seines Vaters im vergangenen Jahr bei der Turney im Kosch schuld: Nach einem ungefährdeten Durchmarsch bis unter die letzten zehn Zweihandkämpfer war Widderich von Rauheneck – in der ganzen Sichelwacht nicht nur als Baronsmörder, sondern auch als unverbesserlicher Heide verschrien – ausgerechnet von einem Rondrageweihten aus dem Rennen geschmissen worden.

Sah aus, als sei da gerade eine neue Familientradition am Werden. Wenn dem nicht Einhalt geboten wurde jedenfalls. Wofür die Chancen denkbar schlecht standen, sollte Algirdas seine Gegnerin gleich doppelt sehen.

„Ja, genau: Hackt’s eigentlich?“, wiederholte Fählindis daher und schüttelte energisch den Kopf, als die Herren der Schöpfung sie irritiert anstarrten. Ohne Zögern – und vor allem ohne ein Wort der Erklärung – griff sie nach den Trinkhörnern, entriss sie ihren Besitzern und goss den güldenen Inhalt mitleidlos auf die Wiese.

„Heeee, was soll das denn?“, fuhr Aardor auf und erhob sich, um seinem Protest mit einer empörten Geste mehr Nachdruck zu verleihen. „Spinnst du?“

„Das könnt ihr nachher noch machen“, entgegnete Fählindis, ohne mit der Wimper zu zucken. „Jetzt hilft mir erst mal einer von euch Trotteln in die Rüstung. Mir scheint, ich bin hier leicht im Nachteil“, meinte sie mit einer Geste auf die blitzenden Kettenhemden ihrer Vetter.

Die schienen mit einem Mal gar nicht mehr so erzürnt über den Verlust ihres Mets und erboten sich beide grinsend, Hand anzulegen. Ja, wirklich: Es waren Trottel! Aber von der netten Sorte.

Nics-e

Teil 11

Ordentlich, fürs erste Mal!

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

Edigna von Weiden-Harlburg stützte sich leicht auf den Pfahl, an dem ihr Schild hing und sah ihrem Knappen entgegen. Der junge Löwenhaupt wirkte unzufrieden, wie er so auf sie zu stapfte, sein Pferd im Schlepptau und den Helm in die Stirn und auf die üppige Lockenpracht geschoben. Als er sich des Blickes seiner Schwertmutter gewahr wurde, gesellten sich hektische rote Flecken zum Gesamtbild.

Ein Gesamtbild, das von Unzufriedenheit sprach. Und von ziemlicher Enttäuschung. Edigna presste kurz die Lippen aufeinander, denn sie konnte Marsus gut verstehen. Dann lächelte sie und nahm den Bierhumpen auf, der neben ihr auf dem Schemel stand.

„Rondra anempfohlen, Marsus von Löwenhaupt, ein guter Ritt, eine feine Lanze und eine tadellose Haltung!“, begrüßte sie ihn.

Der Junge verhielt und blickte sie argwöhnisch an. Dann den Humpen, aus dem es vielversprechend schäumte. „Ich hab‘ verloren, Hohe Dame!“, stellte er klar.

„Falsch, mein Junge“, korrigierte Edigna nun, „du hast nicht gewonnen. Das ist nicht dasselbe.“

„Hmmmm?“, brummte er und zog die Nase kraus. „Fühlt sich aber ziemlich danach an.“

„Acht Ringe, Marsus! Acht von zehn. Das ist beachtlich. Ich habe nichts zu beanstanden, es sei denn, ich muss meine Aussage über die tadellose Haltung noch einmal überdenken. Muss ich das?“ Nun runzelte auch Edigna die Stirn.

„Tadellose Haltung?“ Marsus zog die Brauen zusammen. „Weiß gar nicht, was ihr damit mei … ach … ach so. Ähm, ja, ich meine, danke. Das war aber auch wirklich toll, oder? Ich meine, drei Ritte und je alle 10 Ringe? Kommt nicht allzu oft vor und dann bei einem Turnier? Das ist aller Ehren wert, nech‘?“

„Finde ich auch. Und ebenso, dass du das dem jungen Rondrik von Kieselburg auch gesagt hast, obwohl’s bei dir nur achte waren.“

„Wie jetzt, nur achte?“, der Knappe runzelte wieder die Stirn, „Eben habt Ihr noch gesagt, es wär’ beachtlich.“

„Stimmt. Für dein erstes Turnier, junger Löwenhaupt. Insgesamt gesehen war es bestenfalls in Ordnung, denn wir wissen beide, dass du es besser kannst und darum heißt es ab jetzt: ernsthafter üben.“ Die Weiden-Harlburgerin lächelte schmal. „Ich dachte, das wäre selbstverständlich?!“

Marsus sah sie eine Weile mit halb geöffnetem Mund an, dann schloss er ihn mit einem vernehmlichen Geräusch und nickte. „Was immer Ihr sagt, Hohe Dame!“, brummelte er und nahm endlich den Humpen entgegen, wobei er sich mehr über seine Schwertmutter, als über sich selbst ärgerte.

Edigna bemerkte es und lächelte in sich hinein.

Katja R.

Teil 12

Nur selten verschlägt es Leubrecht auf Turniere. Nur selten bricht er auf um sich im Schaukampf gegen andere Standesgenossen zu beweisen. Ja, Schaukampf! Im Reich gab es mehr als genügend Brandherde an denen eine scharfe Klinge dringend bedurft wurde. Im zurückliegenden Götterlauf hatte er sein Schwert in den Dienst der Kaisermark gestellt, gemeinsam mit seinem Vetter Savertin hatte er den marodierenden Schergen des Helme Haffax nachgestellt. Eine Pflicht des Adels! Allgemein hielt er nicht viel von den Privilegien des Adels, vielmehr betrachtete er die Pflichten. Die Pflicht zu Schützen, zu Führen und zu Herrschen. In der Tat verstand er dies als Pflichten, wobei seine Familie auch eine ganz eigene Sicht vertrat wenn es darum ging Verantwortung zu übernehmen. Denn je größer das Lehen und je einflussreicher der Posten, desto mehr Verantwortung übernahm ein Adliger. Doch war in diesen Praiosläufen, in denen er am Turnier teilnahm, dies nicht weiter von Bedeutung. Letztlich war er ein fahrender Ritter auf der Suche nach Verantwortung. Er hatte sich im wahren Kampf bewiesen und niemand hatte es ihm gedankt, sein Lohn war einzig und allein die Beute der besiegten Schergen. Es konnte also nicht schaden sich auf einem Tunier zu zeigen und sich durch sein dargebotenes Können zu empfehlen.

Doch gab es auch andere Gründe dafür das Leubrecht von Vairningen nur selten Turniere besuchte. Nur ungern trafen die Mitglieder des garetischen Familienzweiges auf die des restlichen Hauses, ging man doch bereits seit über sieben Dekaden getrennte Wege. Damals war Leubrechts Großvater nach Garetien gekommen und hatte sich dadurch dem Zugriff seiner Halbschwester entzogen. Ein Zugriff der für andere Verwandte tödliche Folgen gehabt hatte. Ein Schicksal das sein Großvater nicht teilen wollte. Seither vermieden seine Verwandten es in Kontakt mit ihren anderen Angehörigen zu kommen, sie vermieden es unnötigen Zwist heraufzubeschwören und somit mieden sie Turniere auf denen sie voraussichtlich auf Nordmärker treffen könnten. Ein Unterfangen das nicht ohne Probleme war, hatte die Familie in den vergangenen Götterläufen doch auch außerhalb der Nordmarken Fuß gefasst. Was blieben waren kleinere, abgelegene Turniere – wie es eben dieses in Kressenburg war.

Sein Plan aber, dass stellte er schnell fest, sollte auch hier in Greifenfurt nicht von Erfolg gekrönt werden. Unter den Teilnehmern fanden sich nicht nur Nordmärker, tatsächlich gab es unter den Knappen auch noch ausgerechnet einen von Vairningen. Angrawen Timerlain von Vairningen, er wusste nicht in welchem Verwandtschaftsgrad sie zueinander standen, aber Zweifel an diesem hatte er keinen. Lange konnte er noch nicht als Knappe dienen, so jung wie er aussah und auch wenn er bereits in der ersten Runde des Knappenturniers ausschied so hatte er sich doch sehr gut geschlagen. Doch was scherte es ihn? Vermutlich würden sie sich zu Lebzeiten nicht mehr über den Weg laufen, außer ein Wunder geschähe und die Familie schloss Frieden.

Frei von jeglichen Ballast ging Leubrecht in seinen ersten Kampf. Das Schicksal hatte ihn die Schwägerin des Gastgebers zugelost, einen jungen Heißsporn der etwas zu übermütig in den Ring stieg. Sehenden Auges und bar jeglicher Deckung war Grimhild von Zweifelfels auf ihn zugestürmt. Offen und unvereidigt lief sie direkt in seinen Gegenschlag und fand sich unverwandt im Staub liegend und besiegt wieder.

Vairningen

Teil 13

Ein wenig von sich selbst überrascht und darob leicht abwesend wirkend nahm Selinde von Zackenberg die Glückwünsche ihrer Gegnerin Isolde von Immingen entgegen. Für die Perricumer Baroneß war es das erste Turnier seit vielen Götterläufen und auch sonst hatte sie seitdem kaum Gelegenheiten gehabt, ihre Kampfkünste unter Beweis zu stellen, geschweige denn diese zu verbessern. Und nun so ein scheinbar müheloser Sieg über eine alles andere als unerfahrene Kontrahentin!

Auf dem Weg zurück zu ihrem Zelt schlich sich ein zufriedenes Lächeln auf das Antlitz der einstigen Offizierin. Zufrieden, weil sie wider Erwarten doch noch nicht alles verlernt zu haben schien und zufrieden, weil sie die zweite Runde erreicht hatte wodurch das Turnier allein deswegen schon ein Erfolg für Selinde war. Und vermutlich würde es bei diesem einen Erfolg auch bleiben, ging es ihr durch den Kopf, denn ihr nächster Gegner war gemäß Turnierplan niemand Geringeres als Wulfhart von Keilholtz ä.H., der Vater des Gastgebers und ein, wie zu hören war, vortrefflicher Streiter. Doch dies war der gelöst wirkenden ehemaligen Offizierin für den Augenblick, den sie erst mal genießen wollte, herzlich egal.

"Wo steckst Du, Lechdan?", rief sie nach dem Knappen, "Bring mir einen Becher Wein und hilf´ mir dann aus der Rüstung!" Den gereichten Becher leerte sie in einem Zug; anschließend gönnte Selinde sich bis zu ihrem nächsten Kampf ein kleines Nickerchen. Zumindest ihre Ausdauer war definitiv nicht mehr dieselbe wie noch vor einigen Götterläufe und zwei Geburten, wie sich die Baroneß eingestehen mußte.

Wallbrord

Teil 14

Welf gegen Kasimir

"Ihr habt ordentlich gekämpft, Ritter Kasimir! Doch Rondra war heute mit mir." Ritter Answin Welf von Hindenhag reichte seinem Gegner nach dem Kampf die Hand, den Streitkolben unter den Schildarm geklemmt. Und wie nach der ersten Runde, in der der Hindenhager gegen die Tochter des Beldenhager Barons gewonnen hatte, forderte der Ritter eine Gunst von seinem Gegner: "Und in Rondras und Rahjas Namen erbitte ich folgenen Dienst von euch: Sollte Euch Euer Weg ins Weidensche führen, so erweist in Wolfenbinge der holden Samira Cavazarro* eure Referenz; überreicht ihr in meinem Namen eine Rose und berichtet vom heutigen Ereignis! Denn wisset, ich streite hier und für alle Zeit im Namen Ihrer Lieblichkeit Samira."

Dann begab sich Ritter Welf vom Platz und ließ sich von seinem Knappen Arenwald von Hundeberg die Garether Platte abnehmen. Der Junge ging äußerst gewissenhaft vor und prüfte sogleich jeden Riemen, jede Schnalle und jedes Nestelband. Denn Ritter und Knappe wussten, der nächste Kampf würde eine echte Herausforderung werden. Baron Ardo von Keilholtz; der Gastgeber selbst. Der Sieger bei den Zweihandkämpfen beim letztjährigen Geronsturnier. Anders als die junge Kriegerin und der junge Ritter konnte der Baron auf mindestens so viel Erfahrung zurückgreifen, wie Ritter Welf selbst.

Arenwald wollte seinem Ritter einen Becher Wein zur Erfrischung reichen, doch der Hindenhager lehnte dankend ab. "Keinen Wein. Lieber Wasser. Ich muss einen klaren Kopf bewahren, um gegen den Keilholtzer bestehen zu können." Und in Gedanken schickte der Ritter ein Stoßgebet gen Alveran, auf dass ihm Rondra ihren Segen schenken möge, wissend, dass ein klarer Kopf allein nicht ausreichen würde.

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Ganz anders im Zelt der Jungritter:

Der junge Löwe war völlig außer sich. Nicht, weil er gerade gegen Sigerich von Kaltentann verloren hatte. Um ehrlich zu sein, hatte er nur wage Erinnerungen an den Kampf, obwohl dieser doch erst wenige Momente her war. Auch während des Kampfes war Ritter Angrist absolut nicht bei der Sache gewesen. Seine Gedanken waren hier bei Brin. Angrist hatte gesehen, wie die junge Kieselholmerin seinem Freund mit einem heftigen Ausfall zugesetzt und Brin dann mit einem Hieb gegen den Unterkiefer zu Boden geschickt hatte.

Und so saß Angrist nun an der Lagerstatt seines Freundes und hielt diesem die Hand. Er hatte ihm zuvor das Blut aus dem Gesicht gewaschen. Jetzt sah Brin gar nicht mehr so schlimm aus. Der Kiefer war zwar geschwollen und in einer blutbesudelten Schale am Boden lag ein ausgeschlagener Zahn. Aber es hätte schlimmer sein können. Der Kiefer war wohl nicht gebrochen. Die Platzwunde würde gewiss eine Narbe hinterlassen, aber die würde dem Antlitz des Gilbertholzer nicht schaden. Vielmehr würde ihm der Schmiss einen verwegenen Charakter geben. Sanft strich Angrist mit den Fingerkuppen über den Wundrand. Brin zuckte kurz.

"Tut es sehr weh?"

"Nein, es ist eher die Schmach."

"Ach was, du hast gut gekämpft. Und wenn du dich jetzt schonst, dann solltest du bei der Tjoste wieder in gewohnter Stärke anreiten können."

Brin verzog schmerzlich das Gesicht. Zum einen weil ihm der Kiefer doch ziemlich schmerzte, zum anderen weil er wusste, dass seine gewohnte Stärke bei der Tjoste nicht an die beim Fußkampf heranreichte. Aber er genoss, wie Angrist seine Hand hielt und so nickte er dankbar.

Arne S.

Teil 15

Fußkampf, Runde 1

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

Algirdas seufzte schwer und scheidete das Schwert. Er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, doch stattdessen streckte er der albernischen Geweihten die Hand zum Kriegergruß entgegen und gab irgendeinen höflichen Stuss von sich, damit sie ja nicht dazu kam, selbst etwas zu sagen. Er wollte weder Hohn noch Verständnis für seine armselige Vorstellung. Dass er sich am Ende nicht aus Versehen die eigene Klinge in den Leib gerammt hatte, war wohl noch das Beste, was man über seine Darbietung sagen konnte. Zaghaft, Nervös. Blind und blöd. Das alles traf zu. Bereits nach ein paar Herzschlägen war er gestolpert und hatte das Ganze so unfreiwillig beendet, bevor es überhaupt richtig losging. War vielleicht auch besser so, denn auf die Art konnten die Zuschauer das ganze Ausmaß seines Unvermögens höchstens erahnen und hatten keinen klaren Beleg dafür.

Erster Kampf im ersten Turnier ... ein guter Zeitpunkt, um wieder aufzuhören, wie es schien. Er nickt der Albernierin zu und wandte sich ab, ohne ihr Gelegenheit zu einer irgendwie gearteten Erwiderung zu geben. Mit gesenktem Kopf stapfte Algirdas hernach auf Aardor und Fählindis zu, die an der Bande lehnten und ihm entgegenblickten. Als er das spöttische Grinsen auf den Zügen seiner Base erspähte, war der junge Stockacher erleichtert. Das konnte ja nur bedeuten, dass sie ihn foppen würde, statt Mitleid zu Ausdruck zu bringen. Ihm war das deutlich lieber, denn mit Hohn konnte er besser umgehen. Den war er als Bankert eines völlig unbedeutenden Rittergeschlechts aus dem Nirgendwo wenigstens gewohnt.

„Was für ein Glück, dass ihr euch vor dem Kampf noch einen hinter die Binde gekippt habt und du dadurch so schön locker warst“, ätzte die Habechhegen, als er in Hörweite war.

Algirdas kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie einfach nicht anders konnte und es auch nicht böse meinte. Wenn sich ein dummer Spruch anbot, dann machte sie den, egal ob ihr dafür Schmerz oder der Verlust eines Freundes drohte. So natürlich auch in diesem Fall. Aardor hingegen kannte sie nicht so gut und warf ihr einen erschrockenen Blick zu.

„Mach dir nichts draus, Algirdas, ist doch kein Beinbruch“, bemühte er sich zu beschwichtigen und tat damit im Grunde genau das Falsche. „Es war dein erster Kampf auf einer Turney. Da zahlen wir alle Lehrgeld.“

„Ach, ist das so?“, schnappte der junge Stockacher und bedachte seinen Vetter mit einem giftigen Blick. „Ich nehme an, du hast deinen ersten Kampf im Kosch vergangenes Jahr auch auf dem Allerwertesten sitzend beendet?!“

„Öhm ... naja ... also ...“

„Dachte ich mir!“

„Du solltest nicht so ein Sturkopf sein und dir ansehen, was dein Vater zu zeigen hat, wenn er sich schon erbietet“, meinte Fählindis leichthin. „Er könnte dir eine Menge beibringen. Unter anderem, worauf es in solchen Fällen zu achten gilt.“

„Nicht über die eigenen Füße zu stolpern, meinst du? Das sollte ich an sich schon aus meiner Knappenzeit wissen, oder etwa nicht? Mit irgendwas werde ich mir die Schwertleite ja hoffentlich verdient haben?!“,schnappte Algirdas.

„Bist ein Trottel“, kam es daraufhin deutlich leiser von seiner Base. „Mach nur so weiter, dann wirst du den Rest deines Lebens immer schön auf der Stelle treten. Wir sind Familie und nicht irgendwelche dahergelaufenen Fremden, die dir Übles wollen. Begreif das endlich mal und zieh den Kopf aus deinem Arsch!“

Algirdas starrte sie einen Moment schweigend an. Irgendwo im hintersten Winkel seines Bewusstseins war ihm klar, dass ihre Worte viel Wahres einhielten. Aber jetzt gerade war er zu wütend und zu enttäuscht, um sich damit vernünftig auseinandersetzen zu können. Also tat er es den anderen gleich: richtete seinen Blick auf nächsten den Kampf und verfolgte das Treiben aufmerksam. Erst als sich Aardor für seinen Einsatz bereitmachte, geriet auch in Fählindis und Algirdas wieder Leben. Sie prüften den Sitz seiner Rüstung und entließen ihn mit den besten Wünschen in den Kampf gegen Waldhold von Leufels – ebenfalls ein Ritter Weidens und vor allem einer, der Aardor einiges an Jahren, Erfahrung und Können voraus hatte.

Umso faszinierter verfolgte Algirdas das Kräftemessen der beiden. Aardor ließ sich den Schneid nicht abkaufen, sondern hielt tapfer gegen, als der Sichler ihn mal um mal triezte – zweifelsohne mit überlegener Technik. Aber was ihm in der Hinsicht mangelte, machte der Rauheneck mit seinem eisernen Willen und der für einen so kurz geratenen Kerl überraschend großen Kraft wieder wett. Nicht lange hin und die Splitter aus den Schilden der beiden Streiter flogen kreuz und quer über den Kampfplatz: Wo Schwert und Streithacke auf das verstärkte Holz trafen, blieben tiefe Scharten zurück.

Zu jenem Zeitpunkt war Aardor längst ins Hintertreffen geraten, schien aber einfach nicht einsehen zu wollen, dass sein Stündlein geschlagen hatte. Stattdessen hielt er Finten wie wuchtigen Schlägen mit stoischer Ruhe stand und verschaffte sich so offenbar Respekt bei seinem Gegner. Vielleicht hatte der auch nicht mit so erbitterter Gegenwehr gerechnet? Auf jeden Fall war da plötzlich in Zögern in den bis dahin mehr oder minder ohne Unterlass auf den Jungritter einprasselnden Attacken – und just diesen Moment nutzte er, um zum Gegenangriff überzugehen. Trocken, schnörkellos und abermals mit roher Gewalt. Das war nicht unbedingt schön anzusehen, aber effektiv.

Irgendwie schaffte es Algirdas’ Vetter, den Leufelser in eine Rückwärtsbewegung zu zwingen und seinen Schild beiseite zu stoßen – dann beschrieb die Streithacke auch schon einen silbrigen Bogen, zischte mit gehöriger Kraft in Richtung des gegnerischen Halses und konnte vom eilends gehobenen Schwert nicht mehr aus der Bahn geworfen werden. Zum Glück war der Angriff auch präzise gewesen: Aardor bremste in einer völlig ungefährlicher Entfernung vom Leib des Leufelsers ab – und wie es schien wechselten die beiden hernach einen Blick. Aus Ferne konnte Algirdas nur mit Gewissheit sagen, dass der Sichler seinem Bärwaldener Gegner zunickte. Dann streckte er die Waffe und trat drei Schritte zurück. Der Kampf war entschieden. Und er war anders ausgegangen, als irgendeiner von ihnen erwartet hätte.

Algirdas sah zu Fählindis hinüber und erkannte in deren Augen die gleiche Überraschung, die auch in seinen funkeln musste. Bei Aardor verhielt es sich nicht viel anders: Als er zu ihnen an die Bande zurückkehrte, war sein Kopf zwar hochrot vor Anstrengung – lila fast – aber zugleich wirkte er ungemein zufrieden. Ekstatisch nahezu. Er konnte gar nicht aufhören zu grinsen, und sie grinsten mit ihm. Egal, was heute noch passierte: Der Tag war gerettet. Dass einer von ihnen die zweite Runde erreichte, war eine kleine Sensation. So konnte Fählindis leichten Herzens in den Ring steigen, als es so weit war.

Während sie das tat, wandte sich Aardor Algirdas zu und bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. „Ich will keinen Streit anfangen, Mann, aber mit einem hat sie recht“, sagte er. „Wenn du weiterkommen willst – im Leben wie im Kampf – musst du deinen Frieden machen und auf den Rat von Leuten hören, die älter und klüger sind als du. Widderich ist, zumindest was das Zweitere betrifft, kein schlechter Ansprechpartner. Als ich letztes Jahr mit ihm im Kosch war, hat er mir ein paar wertvolle Kniffe gezeigt.“

Algirdas schniefte leise und wollte eigentlich etwas erwidern – doch just in dem Moment eröffnete Ingmar von Keilholtz, der Vetter des Gastgebers, den Kampf. Da wandten sie beide die Köpfe lieber dem eigentlichen Geschehen zu – und verfolgten staunend, wie ihre Base das Schwert des Gegners mit dem Speer abfing, statt es auf den Schild niedergehen zu lassen. Die Bewegung wirkte fast nachlässig und erweckte irgendwie den Eindruck, sie würde die Sache nicht ernst nehmen. Dazu passte auch das breite Lächeln in ihrem Gesicht, das immerhin verriet: Sie hatte ihren Spaß.

Leichtfüßig, allerdings auch ohne gefährlich zu werden, tänzelte sie um ihren Gegner herum, der den Schneid nach seiner ersten Attacke verloren zu haben schien und sich erst mal nicht mehr vor wagte. So ging es eine Weile: Der Keilholtzer errichtete mit seinem Schild ein undurchdringliches Bollwerk, während die Habechhegen ihren ganz zu vergessen schien und lieber Spielchen trieb – wie eine selbstvergessene Katze. Irgendwann wurde das dem Greifenfurter aber offenbar zu dumm, denn er wagte sich erneut aus seiner Deckung.

Damit schien Fählindis nicht gerechnet zu haben, jedenfalls wenn Algirdas das erstaunte Blitzen in ihren Augen richtig deutete. Da sie einen offenen Helm trug, war es recht gut zu erkennen. Auch die völlig verunglückte Attacke, mit der sie in den Angriff des Keilholtzers hinein funken wollte, verriet ihre Planlosigkeit. Niemals wäre die Spitze des Speers auch nur in die Nähe eines gefährlichen Treffers gekommen. Dennoch riss ihr Gegner den Schild hoch, als sei sein Leben bedroht – und haute ihn sich dabei gegen das eigene Kinn.

Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge, als der glücklose Streiter sich den bisher schwersten Treffer in diesem Kampf selbst beibrachte, erst taumelte und dann in die Knie ging. Auch Fählindis schien fassungslos. Sie senkte den Speer und stand einen Moment wie vom Donner gerührt. Dann huschte ihr Blick ratlos zu Aardor hinüber, der ihr mit einer knappen Geste bedeutete, nach dem gestrauchelten Gegner zu sehen. Nicht, dass er sich am Ende den Kiefer gebrochen hatte oder so. Sie kam dem wortlosen Ratschlag sofort nach und beugte sich mit besorgter Miene über den mittlerweile ganz flachliegenden Ritter.

„Siehst du“, brummte Aardor derweil lakonisch und lächelte Algirdas zu. „Es können auch noch deutlich schlimmere Dinge passieren, als dass man sich im ersten Kampf auf seiner ersten Turney vor einer Rondrianerin auf den Hosenboden setzt ...“

Nics-e

Teil 16

Noch ein wenig ungelenk ob der gerade von ihrem Bezwinger Wulfhart von Keilholtz ä.H. erhaltenen "Lehrstunde" gratulierte Selinde von Zackenberg diesem zu seinem verdienten Sieg, bevor sie sich auf den Weg zurück zu ihrem Zelt machte.

Vielleicht, so ging es der Baroness währenddessen durch den Kopf, hätte sie den Kampf etwas zurückhaltender beginnen sollen, um ihn, wenn schon nicht zu gewinnen, dann doch zumindest nicht auf dem Hosenboden zu beenden. Rasch verscheuchte die Adlige jedoch diesen Gedanken, denn über "Was wäre, wenn..." nachzugrübeln, brachte im Nachhinein außer vielleicht Kopfschmerzen nur selten etwas. Selinde tröste sich letztlich mit der Tatsache, dass sie gegen einen der Turnierfavoriten gekämpft und dabei alles versucht hatte, sich aber letztlich der überlegenen Kampfkunst Wulfharts geschlagen geben musste.

Nach einem Bad würde sie auch die weiteren Begegnungen verfolgen, gespannt, wer es wohl alles (nicht) in die nächste Runde bis hin ins Finale schaffte.

Wallbrord

Teil 17

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

Algirdas kam nicht umhin, zufrieden zu grinsen, als er sah wie Aardor diesen Landelin von Viererlen, das hübsche Jüngelchen, nach Strich und Faden vermöbelte. Er hatte das nicht erwartet. Naja, vermutlich war es nach dem erstaunlich souveränen Sieg des Nordmärker Jungritters über den Koscher Prinzen Edelbrecht von Eberstamm in der ersten Runde auch einfach nicht zu erwarten gewesen. Das schmale Kerlchen hatte einen haushohen Favoriten aus dem Rennen geworfen und war danach von dem einen oder anderen schon als Geheimfavorit gehandelt worden. Man wusste ja: Wenn jemand durch ein solches Erfolgserlebnis Fahrt aufnahm, war er oftmals nicht mehr zu stoppen. Traf er im nächsten Kampf noch dazu auf einen weiteren Jungritter, der bislang nichts vorzuweisen hatte, schien der Ausgang eigentlich vorhersehbar.

Und tatsächlich hatte der Nordmärker zu Beginn einige sehr versierte Angriffe vorgetragen. Die wurden von Aardor aber ebenso versiert abgewehrt – und dann zeigte sich relativ schnell, dass die erste Runde den Viererler wohl einiges an Kraft gekostet hatte. Als er mit seinem Ansturm nicht durchdrang, schien ihn das Selbstvertrauen zu kosten und vielleicht kam eben die Erschöpfung hinzu. In jedem Falle wirkten seine Manöver zunehmend planlos und irgendwann riss Aardor das Heft an sich. In gewohnt brachialer Manier trieb er seinen Gegner vor sich her, bis der ganz aus dem Tritt geriet und sich mit einer völlig vermurksten Parade ins Unglück stürzte. Der Kampf war an dieser Stelle vorbei.

An der Bande warf Algirdas Fählindis einen kurzen Blick zu und nickte anerkennend. „Will mir scheinen, so ein Ausflug zum Koscher Fürstenturnier lohnt sich, eh? Oder war der vorher auch schon so gut?“

„Glaub ich nicht“, Fählindis hob die Schultern. „Wenn ich Bärfangs Erzählungen recht verstehe, hat er sich da im Buhurt fast selbst entleibt, indem er mit dem Kopf voran in irgendein Schwert gerannt ist. Sie mussten ihn vom Platz tragen. Und im Fußkampf ist er in der ersten Runde gescheitert. Dafür soll er sich im Tjost später ganz gut gehalten haben ...“

„Ah, die gute Tralloper Schule!“

„Das wohl. Ich bin gespannt, was er uns da die Tage noch bietet.“

„Ich bin jetzt erst mal gespannt darauf, was du uns bietest“, entgegnete Algirdas schmunzelnd. „Anshelm von Hundsgrab macht vermutlich Mett aus dir.“

„Anshelm wer?“, Fählindis grinste amüsiert.

Sie wusste, wie der Mann hieß. Hatte sich vor dem Beginn der zweiten Runde noch ausgiebig über den Namen lustig gemacht und angefangen, rotzfreche Reime darüber aus dem Ärmel zu schütteln. Zu diesem Zeitpunkt war ihr aber noch nicht klar gewesen, um wen es sich eigentlich handelte. Darüber hatte Aardor sie mittlerweile aufgeklärt – und wohl so was wie respektvolle Einsicht erwartet. Vielleicht auch ein bisschen Anspannung. Zumindest das Zweitere war jedoch ausgeblieben. Es schien so, als könne nichts und niemand das Feixen aus dem Gesicht der Habechhegen wischen. Algirdas war sich mittlerweile nicht mehr sicher, ob sie überhaupt irgendetwas ernst nahm.

„Bisschen mehr Konzentration als beim letzten Gegner vielleicht wenigstens?!“, mahnte er daher leise. „Ich glaub nicht, dass dieser hier sich auch mit einem Schlag gegen das eigene Kinn aus dem Kampf verabschieden wird.“

„Ne“, seine Base lachte. „So viel Glück hat man wohl nur einmal.“

Nachdem Aardor an die Bande zurückgekehrt war und sie seinen Sieg ausgiebig gefeiert hatten, versuchte auch er noch einmal, etwas mehr Ernsthaftigkeit in Fählindis rein zu reden. Aber da war nicht viel zu machen. Sie schüttelte nur den Kopf und meinte, dass es sich ja bloß um Turnier handle und daher niemandem der Tod drohe. Ernst sei bei so was doch völlig fehl am Platze. Sie wollte lieber Spaß haben.

Damit verabschiedete sie sich in Richtung Kampfplatz. Aardor und Algirdas starrten ihr irritiert hinterher, als sie losschlenderte. Den Schild auf dem Rücken, den Speer über die rechte Schulter gelegt und leise summend.

„Und die ist sicher nicht aus dem Rotenforster Stall, ja?“, fragte Aardor leise.

„Ne, aber sie passt da gut rein. Blüht auf, könnte man wohl sagen.“

„Hum.“

Gespannt verfolgten die Vettern, wie ihre schlacksige Base den Platz gegenüber vom deutlich massiver wirkenden Greifenfurter Baron einnahm und – immer noch lächelnd, aber wenigstens respektvoll – das Haupt neigte.

Dann ging es auch schon los, und zwar mit einer Initiative der jungen Speerkämpferin. Sie war schnell und leicht gerüstet, doch wer ein bisschen Ahnung hatte, sah, dass sie dennoch nur deshalb zum Zug kam, weil der Hundsgraber sie ließ. Er ließ sie kommen, gewährte ihr damit aber immerhin die Chance, ein bisschen was von ihrem Können zu zeigen. Und das war größer, als ihr erster Kampf hätte vermuten lassen. Die Habechhegen wirbelte völlig unbekümmert umher und nutzte die Vorzüge ihrer archaischen, in Teilen der Sichelwacht aber immer noch hoch geschätzten Waffe, erstaunlich geschickt.

Ein oder zwei Mal hatte sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite und erntete anerkennendes Raunen aus dem Publikum – wohl nicht zuletzt, weil der Anblick einer derart bewaffneten Streiterin jenseits der entlegensten Gegenden des Mittelreichs ziemlich ungewohnt war. Letztlich machte Fählindis aber keinen Stich. Anshelm von Hundsgrab war immer das kleine bisschen schneller, abgeklärter und versierter. Eine Zeitlang ließ er sich auf das Spielchen ein, beendete den Kampf dann aber mit einem humorlosen Konter, der mitten in eine wunderhübsche Finte hinein erfolgte und für einen Moment fassungsloses Staunen auf das Gesicht seiner jungen Gegnerin zauberte.

Dann senkte sie die Waffe und zog sich zurück. Respektvoll, den Kopf in Anerkennung ihrer Niederlage geneigt, aber dennoch lächelnd.

„Habt Dank für die Unterweisung, Hochgeboren“, meinte sie ganz ohne Arg oder Falschheit in der Stimme. „Es war mir ein Vergnügen.“

„In der Leuin Namen sei Euch gedankt, mir dieses Duell geliefert zu haben. Ich habe schon länger nicht mehr gegen Speer und Schild gefochten. Wohlgetan!“, erwiderte der Greifenfurter und sorgte so dafür, dass sich das Lächeln der Habechhegen noch vertiefte.

„War mir eine Ehre, Herr von Hundsgrab. Jederzeit wieder“, sagte sie, bevor sich die beiden mit knappem Nicken voneinander trennten.

Dass Algirdas und Aardor trotz der offensichtlichen Aufrichtigkeit ihrer Verwandten ein paar ungelenke Schüttelreime über Hunde und Gräber in den Ohren klangen, war allein ihre Schuld. Und zum Glück wusste sonst ja niemand von Fählindis’ spitzzüngiger Kreativität.

Nics-e

Teil 18

Die miserablen Drei

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

Luten ärgert sich:

Artig gratulierte Luten seinem siegreichen Gegner, erwies den Gastgebern seine Referenz und bei jeder dieser Verrichtungen wuchs der Ärger in ihm.

Mit jedem Schritt weg vom Kampfplatz gewann er an Wärme, dann an Hitze und bahnte sich schließlich einen Weg in die Hand des jungen Corrhensteiners. Unbeherrscht hieb er auf den Pfosten des begrenzenden Holzzaunes und grunzte dazu. Vornehmlich aus Ärger, im Abgang aber auch aus Schmerz. So kräftig war der Schlag gewesen und so innbrünstig seine Unzufriedenheit.

Vermaledeiter Orkendreck aber auch!

Er blickte auf und fing im Vorbeigehen den Blick Edignas von Weiden-Harlburg auf. Diese schickte sich an, ihren Erstrundenkampf gegen irgend so eine Koscherin zu fechten. Und als er sie passierte, lächelte sie ihm aufmunternd zu und nickte. Luten wusste nicht genau, warum sie nickte. Oder lächelte. Immerhin hatte er verloren.

Ogerkacke, damische!

Dabei hatte das Ganze so gut angefangen und er so leicht wie lange nicht in den Reigen gefunden. Doch kaum war ihm das aufgefallen, hatte der Greifenfurter Baron ihn mit ein paar wohlgesetzten Hieben wieder aus dem Takt und damit um den Sieg gebracht.

Und das ärgerte Luten so dermaßen, dass er gar nicht wusste wohin mit seinen aufwallenden Gefühlen. Vor allem mit der Enttäuschung, die den Ärger mit spitzen Attacken niederrang und ihre langen, dürren Finger von Innen um Lutens Hals legte. Vielleicht wäre es nicht gar so schlimm, wenn er nicht für einen kurzen Augenblick gedacht hätte, er könnte seinen Gegner packen, den Kampf als Sieger beenden und wenigstens die erste Runde überstehen. Vielleicht war die Niederlage so einschneidend, weil die Hoffnung sich ein kurzes Stelldichein gegeben und sich dann ... verpisst hatte. Wieder einmal. Elendiges Drecksstück das.

Luten schnaufte durch, schloss die Augen und konzentrierte sich auf seinen Atem, auf andere Gedanken als Enttäuschung und Wut. Darauf, dass seine Vorstellung nicht glorreich, aber auch nicht allzu peinlich gewesen war. Das brachte ihm Linderung, Ruhe und ein wenig Erleichterung. Also öffnete er die Augen wieder und wandte sich dem Kampfplatz zu. Immerhin focht dort die Base seines Barons und das wollte er nicht verpassen.

Da rechnete er auch noch nicht damit, dass just dieses Schauspiel sein Unbehagen im Handumdrehen zurückbringen würde.

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Edigna blamiert sich:

Marsus mochte seinen Augen nicht trauen, war das eine oder andere Mal sogar versucht, sie abzuwenden. Was dort auf dem Feld, das Ehre bedeuten sollte geschah, war schlicht peinlich. Da wurde seine Schwertmutter, eine erfahrene und kampferprobte Ritterin, von ihrer gut zehn Jahre jüngeren Gegnerin nach allen Regeln der Kunst auseinander genommen. Die Weiden-Harlburg bekam keinen Fuß an den Boden und vermutlich hätte sie ihre Angriffe auch laut ankündigen können, so harmlos liefen sie in die sicheren Wehren der Koscherin.

Im Gegenzug kamen ihre Wehren gefühlt erst dann, wenn die andere ihren Angriff bereits abgeschlossen hatte.

Das einzig Gute, das der Löwenhaupter über diesen Kampf sagen konnte war, dass er schnell vorbei war.

Wobei seine Schwertmutter auch das nicht recht mitzukriegen schien, denn selbst nach dem letzten und entscheidenden Treffer stand Edigna von Weiden-Harlburg, wie vom Donner gerührt. Stand, während ihre Gegnerin den Sieg ohne jede Regung zur Kenntnis nahm. Stand, als diese mit grimmigem Blick und stampfendem Schritt davon rauschte. Und stand immer noch.

Marsus stand auch, inzwischen aber immerhin nicht mehr alleine. Luten Corrhenstein hatte zu ihm aufgeschlossen - Schild und Streitaxt vom eigenen Kampf noch bei der Hand - und hatte das Schauspiel mit ebenso unverhohlenem Unglauben verfolgt, wie der junge Löwenhaupter. Sie hatten einen ratlosen Blick gewechselt und als sie ihn nun wieder zum Kampfplatz lenkten, konnten sie immerhin feststellen, dass endlich Bewegung in die Bärenritterin kam.

Entschlossen zog sie ihren Helm ab, wandte sich den Gastgebern und dem Turniermarschall zu und grüßte mit der Schwertfaust über dem Herzen.

Dann marschierte sie mit festem Schritt auf Marsus und Luten zu. Im Gesicht trug sie dabei ein leichtes Lächeln, das Marsus komplett aus der Fassung brachte. Ebenso blickte er ihr entgegen und ihr Lächeln wuchs sich zu einem Grinsen aus. „Guck' nicht so!“, raunte seine Ausbilderin und reichte ihm den ramponierten Schild mit der gar nicht mehr so stolzen Weide. „Und ihr auch nicht“, adressierte sie den Corrhensteiner.

„Aber ...“, brummte Marsus.

„Braucht beide nicht glauben, dass mir nicht klar ist, was für eine erbärmliche Vorstellung ich gerade abgegeben habe. Das hat die Sindelsaumerin mir mit Nachdruck in den Schädel gehämmert.“

„Aber ...“.

„Also Marsus, merk dir das hier gut und wenn du das Gefühl hast, ich wäre etwas zu selbstzufrieden, dann sei doch so nett und wirf mir diesen Namen zu: Sindelsaum!“ Luten fing sich einen kurzen Seitenblick und ein knappes: „Für Euch gilt das freilich nicht, klar?“, ein, auf das er nur beschwichtigend den Schild hob.

„In Ordnung“, reagierte Marsus derweil, „aber ...“.

„Du, junger Löwenhaupt, merkst dir, dass zum Gewinnen mehr gehört, als ein flinkes Schwert und ein sicheres Auge. Anstand gehört auch dazu, ebenso Würde und der Respekt vor dem Gegner. Nämliches gehört übrigens auch zum Verlieren und auch wenn man heute nichts Gutes über meine Kampffertigkeiten sagen kann, soll man wenigstens anerkennen, dass eine Weiden-Harlburg in Würde zu verlieren weiß.“

Edigna donnerte erst ihrem Knappen und dann Luten eine behandschuhte Linke auf die Schulter. „Und darauf einen Humpen kühles Bier, für uns alle!“

Marsus schaute seine Ritterin an, dann zupfte auch an seinen Mundwinkeln ein Grinsen. „Ai“, brummte er, „darauf trink’ ich gern, Hohe Dame. Und auf das, was ihr mir aufgetragen habt auch. Sagt Ihr nicht immer, ein Mensch braucht einen Ansporn?“

„Wollja, sage ich. Einen solchen hab’ ich grad gefunden und meinen Geschmack an Turnieren irgendwie auch! Oder vielmehr wieder. Wie auch immer.“ Sie fasste Luten ins Auge. „Und wie ist es mit Euch? Seid Ihr drüber weg? Immerhin habt ihr es geschafft mitzuhalten. Ein bisschen wenigstens.“

Der junge Ritter wog den Kopf. „Halbwegs! Aber ich bin sicher, das Bier wird mir dabei helfen.“ ‚Vor allem aber das Schauspiel, das Ihr gerade geboten habt‘, dachte er und musste darob selbst ein bisschen grinsen. Geflissentlich ignorierte er den forschenden Blick Edignas und deutete auf den nächsten Ausschank. „Ich übernehm’ übrigens die zweite Runde“, erklärte er und marschierte los.

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Furgund kriegts gezeigt:

„Die hats’s dir aber gezeigt“. Merkwürdigerweise klang Baldegund so atemlos, als habe sie selbst gerade gekämpft und nicht nur zugesehen.

„Hrumpf!“, brummte Furgund von Hölderlingen und versuchte verbissen weiter, sich den Anschein zu geben, frisch und geschmeidig zu sein, wie der junge Morgen. Innerlich wimmerte und jammerte sie innbrünstig. Jeder Schritt war eine Qual und richtig deutlich sehen konnte sie immer noch nicht.

„Liebe Herrin Rondra, das war aber auch eine Vorstellung. Unfassbar“, fuhr ihre Base begeistert fort.

Gab es an ihrem Körper eigentliche eine Stelle, eine einzige nur, die nicht weh tat? Versuchsweise rollte Furgund die Hüfte und befand, dass das keine wirklich beantwortenswerte Frage war.

War das schön, wenn der Schmerz nachließ!

„Ich meine, du bist ja nicht schlecht“, fuhr die blöde Kuh fort zu salbadern, „aber die Arpitzerin … manmanman … die hat’s dir wirklich gezeigt.“ Tröstend wollte sie ihrer Base die Hand auf die gerüstete Schulter legen, die aber überraschend gewandt zurückgezogen wurde.

Ein spitzer Schmerz durchzuckte Furgunds Schulter, den Nacken und fuhr in ihren Hinterkopf, dass ihr kurz schwarz vor Augen wurde. Aber das war’s wert. Hätte Baldegund sie wirklich getätschelt, Fugrund wusste nicht, was dann passiert wäre. Besser war’s, das gar nicht erst herauszufinden.

„Immerhin war’s ne Weidenerin, nech“, kannte Baldegund kein Erbarmen, „da tut’s nicht ganz so weh, gleich in der ersten Runde rauszu …“

„UND WAS GENAU WEISST DU SCHON DAVON, EH?“ brach’ sich Furgunds Wut nun endlich Bahn.

„Ähm“, fuhr Baldegund zusammen, blinzelte und blickte sich verlegen um. „Nich’ so laut“, versuchte sie zu beschwichtigen.

„Is’ doch wahr, du blöde Kuh!“, motzte Furgund. Endlich hatten sie ihr gemeinsames Zelt erreicht. „Hilf mir einfach aus meiner Rüstung und halt zur Abwechslung einfach mal die Klappe, ja? Schlimm genug, zu verlieren. Noch schlimmer, wenn man keinen Stich macht. Keinen einen, wohlgemerkt. Und am allerschlimmsten, wenn die Gegnerin auch noch so vollkommen kämpft, dass man da gar nix gegen sagen kann, weil sie einfach nur unfassbar gut war. Das ist alles ein riesengroßer Scheißhaufen, ist das. Also halt gefälligst die Klappe, ist so schon schlimm genug!“

Baldegung blinzelte erneut, dann krauste sie die Nase, nickte und tat, wie geheißen. „Es gibt ja noch die Tjoste“, murmelte sie leise und wie sie hoffte tröstend.

„KLAPPE!“, schnappte die junge Baroness und weinte tief in sich.

Katja R.

Teil 19

Fußkampf, Runde 3

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

Die dritte Gegnerin von Aardor war noch kleiner als er und ein ganzes Stück schmaler. Doch das hatte nichts zu bedeuten, und sie wussten das. Sie mochten zwar jung sein, aber das hieß ja nicht, dass sie dumm waren. Bevor die Streiter zu den Waffen gerufen wurden, hatten sie sich kundig gemacht und in Erfahrung gebracht, dass diese Saria den Ruf einer vorzüglichen Streiterin genoss. Gestählt in zahllosen Gefechten mit den Schergen Borbarads. Algirdas hatte eine vage Vorstellung davon, was das bedeutete, denn bei seinem Vater verhielt es sich genauso – und mit ihm war im Kampf nicht zu scherzen. Er vertändelte sich nie, sondern strebte in aller Entschiedenheit und mit kompromissloser Härte voran. „Entweder so oder tot“, pflegte er zu sagen. Algirdas mochte lieber nicht darüber nachdenken, was das für seinen Vetter bedeutete, der sich bisher zwar gut geschlagen hatte, aber im Vergleich eben doch ein blutiger Anfänger war ...

Gespannt verfolgte er den Weg des Moosgrunders zur Mitte des Feldes hin, wo die Kontrahenten einander begrüßten, sich noch ein paar warme Worte vom Herold anhörten und ihre Visiere dann schlossen. Streithacke und Schild gegen Schwert und Schild. Konnte ganz interessant werden, wenn es denn überhaupt etwas wurde.

„Ich schätze, die Frau ist schnell“, murmelte Fählindis an Algirdas Seite. „Schlecht für Aardor. Das ist nicht sein Ding. Wenn er nicht aufpasst, ist die Sache vorbei, ehe er blinzeln kann. Sollte es ihm hingegen gelingen, einen Treffer zu landen ... hmhumhm ... .“ Sie wog den Kopf und verzog die Lippen zu einem schiefen Strich.

„Dann wird es ordentlich scheppern“, vervollständigte Algirdas den Satz. „Kleine Wette gefällig, werte Base?“

„Zuletzt ein bisschen zu viel mit Bärfang rumgehangen, werter Vetter?“, sie grinste ihn an, nickte dann aber. „Klar, wetten wir. Ich setze auf Aardor. Wenn er verliert, diene ich euch beiden beim Tjost als Knappin. Wenn er gewinnt, wirst du ihm und mir dienen und mich für den Rest der Turney aushalten. Irgendwie muss das Risiko, das ich hier eingehe, ja honoriert werden!“

Algirdas blinzelte die Habechhegen verwundert an. Das war wieder so eine typische Merkwürdigkeit. Er an ihrer Stelle hätte bei dieser Wette vorsichtiger gesetzt. Aber wer war er, sie daran zu erinnern, wie schlecht Aardors Chancen standen. Mit einem Achselzucken schlug er ein und wandte den Blick zum Kampfplatz, wo sein Vetter und die Koscherin damit begonnen hatten, einander zu umkreisen. Keiner von beiden schien den Anfang machen zu wollen, also belauerten sie sich erst mal ein bisschen. Dabei sahen die Bewegungen des jungen Bärwaldeners neben denen seiner Gegnerin irgendwie nach tumbem Bauern aus, aber so was kam vor. Das musste nicht unbedingt bedeuten, dass ...

Algirdas Gedanken kamen zum Erliegen, als die Koscherin vorschnellte und eine Finte schlug, die Aardor sichtlich aus dem Tritt brachte. Es machte den Eindruck, er würde der sirrenden Klinge noch staunend hinterher schauen, als die sich schon nicht mehr in der rückwärts-, sondern erneut in einer Vorwärtsbewegung befand. Sein Schild hing weiter an der Stelle, an der er den ersten Angriff hatte abwehren wollen und irgendwie wirkte es, als sei er drauf und dran, über die eigenen Füße zu stolpern. Mit der Situation war er jedenfalls überfordert. Für einen Augenblick, der bei einem weniger versierten Gegner vielleicht gar nicht so gefährlich gewesen wäre. Diese Saria jedoch legte eine geradezu perfekt geführte Attacke nach, die den Kampf zu Ende bringen sollte – aber sicher nicht auf die Art, auf die sie es nun tat.

Denn Aardor war tatsächlich ins Taumeln geraten und hatte seinen Vormarsch daher nicht mehr im Griff. Reichlich unkoordiniert stürzte er auf seine Gegnerin zu, die diese Bewegung nicht vorhergesehen hatte und vom eigenen Schwung und der eigenen Schnelligkeit getragen leider auch nicht mehr nachbessern konnte. So fiel Aardor ihr quasi ins Schwert. Mit der Schulter voran, die zum Glück gepanzert war. In stummer Andacht beobachtete Algirdas, wie die Waffe der Koscherin kreischend über das Geschübe fuhr – und dann zwischen Halsberge und Kettenhemd. Wie sie erst tief und dann immer tiefer den Leib seines Vetters sank. Tiefer als gut war, jedenfalls. Tiefer als sie es hätte tun sollen.

Algirdas stockte der Atem, und er suchte den Blick seiner Base, die jedoch wie gebannt auf das Geschehen im Ring starrte. Dort hatten die Gegner sich unterdessen getrennt. Schneller, als der Stockacher es für möglich gehalten hatte. Sie standen beide und Aardor bedeutete dem Kampfrichter mit einer knappen Geste, dass alles beim Besten war. Im gleichen Moment fiel Algirdas’ Blick auf die Waffe der Koscherin, die blutverschmiert war. Sicher einen Spann breit, was eigentlich nur heißen konnte ... er ließ den Blick weiter gleiten, zur Schulter seines Vetters, wo im ersten Moment aber nichts zu sehen war. Hatte das Schwert irgendwie doch einen Weg zwischen Hals und Schulter hindurch gefunden? War alles nur halb so wild?

Algirdas wollte schon aufatmen, als er bemerkte, wie Aardors Bewegungen ins Stocken gerieten. Als würde er jetzt erst bemerken, dass etwas nicht stimmte. Er nahm die Streithacke in die linke Hand und tastete mit der rechten nach seiner Schulter. Als er sie wieder zurückzog, war sie genauso rot, wie das Schwert der Koscherin. Nicht gut! Der Stockacher hörte, wie seine Base leise zischte, während Aardor sich im Schneckentempo umwandte. Von seiner Gegnerin ab und zur Bande hin, wo er sie wusste – Fählindis uns Algirdas. Letzterer war sicher, dass er ihnen einen hilfesuchenden Blick zuwarf, doch ob des geschlossenen Visiers war das schwer zu sagen. Und dann brachen seinem Vetter auch schon die in den letzten Momenten ohnehin wackelig gewordenen Beine weg.

„Scheiße!“, entfuhr es Fählindis. Sie zögerte jedoch nicht. Genauso wenig wie Algirdas. Beide tauchten sie unter der Absperrung hindurch, um an die Seite ihres Vetters zu eilen.

Während die Koscherin wie versteinert da stand und stumm auf das Geschehen zu ihren Füßen starrte, begann Fählindis nach den Feldschern zu brüllen und Algirdas ging neben seinem Verwandten in die Knie, um sich einen ersten Eindruck von dessen Wunde zu verschaffen. Er zerrte am Schultergeschübe und machte den blutigen Fleck aus, in den Aardor seine Finger kurz zuvor gelegt haben musste. Grob auf Höhe des Schlüsselbeins und rasch wachsend. So sah es jedenfalls aus, aber zuverlässig beurteilen konnte er das aufgrund des Kettenhemds nicht ...

Deshalb war der Stockacher auch froh, als die herbeigerufenen Helfer neben ihm auftauchen. Kräftige Hände griffen nach dem Leib des Bärwaldeners und hievten ihn rasch auf eine Trage. Dann ging es auch schon ab: Sie schafften Aardor, der das alles ohne ein Wort oder ein Zucken über sich ergehen ließ, vom Kampfplatz. Fählindis blieb an ihrer Seite, während Algirdas die Axt und den Schild des Rauheneck vom Boden aufklaubte. Erst da wurde ihm bewusst, dass die Koscherin noch immer ganz in seiner Nähe stand.

„Es tut uns leid, Hohe Dame“, nuschelte er leise und warf ihr einen zerknirschten Blick zu. „Mein Vetter hätte Euch sicher gern einen besseren Kampf geliefert, aber wie es scheint, war die Herrin Rondra ihm heute nicht hold. Beim nächsten Mal vielleicht.“

Nach diesen Worten schob er ab. Redlich bemüht, zu seinen Verwandten und den Greifenfurter Helfern aufzuschließen. Er hoffte, dass es irgendwo hier auf dem Turnierplatz ein halbwegs fähiger Heiler seinen Dienst verrichtete. Denn so, wie es aussah, konnte Aardor einen solchen jetzt gut gebrauchen.

Nics-e

Teil 20

Fußkampf, Runde 3

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

Es war Nacht geworden. Der Wind, der während Ihres Kampfes noch fröhlich die Wimpel und Fahnen zum Flattern gebracht hatte, war abgeflaut. Saria hatte auf dem Feldbett Platz genommen als sie hörte, wie das schwere Tuch am Eingang ihre Zeltes zurück geschlagen wurde.

"Hast du meine Nachricht überbracht, Kolkja?"

"J... ja, Euer Wohlgeboren."

"Sehr gut, danke. Du kannst jetzt gehen. Sieh dich doch etwas im Lager um und sprich mit einigen der älteren Knappen. Sicher haben sie für dich Lehrreiches zu berichten."

Kolkja verbeugte sich und verließ das Zelt zügig. Sie zweifelte jedoch daran, dass er mit den anderen Jungen das Gespräch suchen würde. Er war so schüchtern! Ihr Knappe hätte von seinem Auftrag schon vor einer Stunde zurückkehren können. Bei einem anderen hätte sie angenommen, dass er sich vielleicht in dem Lager verlaufen oder sich in der heldenhaften Lagerfeuergeschichte eines Ritters verloren hatte. Doch so, wie sie Kolkja kannte, hatte er einfach vor dem Zelt des Weideners herumgedruckst, bis er sich schließlich doch ein Herz gefasst hatte.

Zu seiner Verteidigung musste man wohl vorbringen, dass er noch sehr jung war und sie möglicherweise zu streng, dennoch begann ihr dieser Wesenszug Sorgen zu bereiten. Kolkja war das vierte Kind eines zweiten Sohnes aus einem unbedeutenden Bronjarengeschlechts. Sein Vater, der sein Leben der Göttin Ifirn verschrieben hatte, weilte für einige Wochen am Hof des Grafen vom See. Sicherlich war er ein ehrenwerter Mann und der junge Kolkja mochte durchaus zu einem passablen Streiter werden, der überdies eine erstaunlich rasche Auffassungsgabe in den Verwaltungsaufgaben eines Rittergutes zeigte - dennoch fragte sich Saria, was Etilian dazu veranlasst haben mochte, ihr ausgerechnet den Knaben aus dem Bornland für die Knappschaft ans Herz zu legen. Saria vertraute durchaus darauf, dass sich der Rat ihres Bruders als richtig herausstellen würde, wie er es fast immer tat. Aber befand sich Kolkja wirklich in ihrer Obhut, um ein großer Ritter zu werden, oder nur, um ihr als Ersatz zu dienen für einen Sohn, den sie wohl nie haben würde? Sie war nicht mehr jung und bisher hatte noch kein Recke ihr Herz erobern können.

Die Ritterin seufzte. Derzeit würde es ihr schon genügen, wenn das Herz eines jungen Recken nicht wegen ihr aufhören würde zu schlagen: Die Wunde, die sie Aardor von Rauheneck zugefügt hatte, war ernst gewesen. Sie hatte bereits während des Ritterturniers zu Angbar die Gelegenheit gehabt, den Weidener im Zweiampf zu beobachten. Damals hatte er sich im Tjost eine Runde länger halten können als sie selbst.Vielleicht hatte sie zu viel von ihm erwartet. Nun konnte sie nur hoffen, dass er ihre Entschuldigung annehmen würde, die ihr Knappe in ihrem Namen überbracht hatte, und die Heilkräuter ihm helfen würden, die Kolkja ebenfalls überreichen sollte. Ihr Bruder stattete sie zu einem Turnier meist mit ausreichend Tränken und Pülverchen aus, um einen ganzen Trupp zu versorgen. Jedes Mal, wenn sie den Ranzen öffnete, in dem sie die Medizin lagerte, strömte ihr ein intensiver, aromatischer Duft in die Nase stieg, der ihr die Tränen in die Augen trieb; oder vermisste sie nur ihren Zwillingsbruder? Saria erhob sich von ihrem Lager. Sie würde Etilian schreiben. Sie hatte schon so lange nicht von ihm gehört.

Thomas R.

Teil 21

Eine Lektion in ritterlichen Tugenden

dramatis personae:
Ritter Holdwin vom Kargen Land zu Valpos Horn
sein Page Angrawen II. Amadan Timerlain

In einem Zelt nahe Kressenburg, 8. Praios 1042 BF, zur Mittagsstunde

Angrawen deckte ein wenig unsicher den Tisch im Zelt seines Herrn. Gleich in der ersten Runde des Fußkampfes war Holdwin rausgeflogen! Als der Ritter sich seines Gambesons entledigt hatte, hatte Angrawen die großen blauen Flecken gesehen, die ihm Holdwins Kontrahent verpasst hatte, und war doch recht erschrocken. Wie schlimm das ausgesehen hatte! Dem 8-jährigen mit den blaugrünen Augen und dem strohblonden Haar war es nun ganz recht, ein wenig abseits des Trubels zu sein. So konnte er ein wenig über das Erlebte nachdenken. Er war so in Gedanken vertieft, dass er ganz vergaß, dem Ritter Bescheid zu geben, nachdem er seine Aufgabe erledigt hatte.

Schließlich trat Holdwin von alleine ins Zelt. "Ah, ist also doch schon fertig! Na, wunderbar, dann können wir ja gleich essen!" Der Ritter hatte absichtlich an diesem Mittag keine Gaststube aufgesucht, um mit seinem Pagen alleine reden zu können. Anscheinend gut gelaunt setzte er sich an den Tisch, was Angrawen sehr irritierte.

"Ähm... seid Ihr denn gar nicht verärgert?"

"Natürlich ärgere ich mich!", gab Holdwin unumwunden zu, nachdem er einen ersten großen Bissen genommen hatte. "Und zwar über mich selbst! Ich habe mich von dem jungen Blauenburger völlig überraschen lassen. Der ging ja ran, als ginge es um Leben und Tod. Vielleicht sah er darin seine beste Möglichkeit, weil er noch nicht so viel Erfahrung hat und in einem längeren Kampf nicht so gut ausgesehen hätte. In jedem Fall hat ihm Rondra recht gegeben und er sich diesen Sieg redlich verdient! Ich hingegen habe eine wertvolle Erinnerung daran bekommen, den Gegner von Anfang an zu bedrängen. Glücklicherweise habe ich für diese Lektion nicht teuer bezahlen müssen... was nicht selbstverständlich ist, denn auch Turniere sind nicht ungefährlich! Die Koscher Fürstin Lorinai etwa verunglückte seinerzeit im Lanzengang tödlich."

"Habt... habt Ihr deshalb Eurem Gegner und Brin von Gilbertholz den Krug Bier ausgegeben? Weil Ihr Euch freutet, dass es Euch nicht schwerer erwischt hat?"

"Ja, auch deswegen! Aber in erster Linie, weil der Blauenburger ehrenhaft gekämpft hat, und so etwas muss man anerkennen. Er ist noch ein junger Ritter, wohl halb so alt wie ich. Das soll für ihn nicht nur ein großer Moment gewesen sein, sondern ein ganz prägendes Erlebnis werden, das ihm Selbstvertrauen gibt und an dem er wachsen kann."

Angrawen war sich zwar nicht sicher, was Holdwin mit seinen letzten Worten meinte, es gefiel ihm aber, dass dieser einem Jüngeren anscheinend Mut machte. Das könnte er selbst gut gebrauchen! Gespannt blickte er den Ritter an, der erst einmal aß, bevor er weitersprach.

"Für den Blauenburger wird es eine wichtige Erfahrung sein, Zuspruch von anderen zu bekommen. Sein Onkel Rondrian ist der erste Ritter Weidens! Da werden an Angrist Siegrain sicher hohe Erwartungen gestellt. Es wird schwer genug werden, aus dem Schatten einer Turnierlegende hervorzutreten."

"Dann wird der Sieg heute ihn besonders erfreuen!"

"Ja, das glaube ich auch! Darum wollte ich, dass er ihm in möglichst guter Erinnerung bleibt. Aber auch aus Niederlagen läßt sich lernen... nimm etwa unsere Reisegefährtin Ilpetta von Hirschingen – eine fürstliche Schlachtreiterin, ein alter Name mit einer langen Tradition, eine schwierige Aufgabe, all dem gerecht zu werden. Dennoch strahlt sie immer wie ein Sonnenschein, auch nach einer klaren Niederlage wie heute. Oder denke an unseren anderen Begleiter Ungolf von Plötzbogen: Beim Fürstenturnier zu Angbar war er in jeder Disziplin in der ersten Runde raus; heute ist es ihm erneut so gegangen. Trotzdem wird er nicht verzagen, sondern es immer wieder versuchen. Diese aufrichtige Zuversicht sei Dir ein Vorbild."

"War das das Turnier im letzten Jahr, als Ihr meinen Vater kennengelernt habt?"

"Genau das!", lachte Holdwin und nahm sich noch einmal nach.

Hinterher wurde er etwas ernster. "Weißt Du, so ein Wettstreit ist nicht nur wichtig, um in Form zu bleiben. Es geht auch darum, sich an die gemeinsame Sache zu erinnern. Ritter sein heißt mehr als kämpfen zu können. Jeder Straßenräuber kann eine Waffe schwingen – aber die wenigsten können dauerhafte Bündnisse schließen! Es ist aber unsere Pflicht, über den heutigen Tag hinauszudenken, denn wir Ritter verteidigen das Reich und alle, die dort leben, gegen Unbill. Darum müssen wir zusammenhalten, auch wenn es immer wieder Zank und Hader zwischen uns oder unseren Familien gibt. Die Turniere und all ihre Zeremonien und Rituale dienen dazu, uns das ins Gedächtnis zu rufen."

"Für Rondra und Famerlor...", sagte Angrawen leise.

"Ja, das ist der Geist!", freute sich Holdwin. "Den vorgesehenen Platz in dieser Welt mag man bei der Geburt bekommen haben, doch muss man sich erkämpfen und verteidigen können, was einem zusteht! Die praiosgefällige Ordnung kann nur aufrechterhalten werden, wenn sie durch rondrianische Tugenden gestützt wird! Darum war es mir so wichtig, mit Dir nach Kressenburg zu reisen."

"Das habt Ihr für mich gemacht?", staunte Angrawen.

"Ja, klar!", antwortete Holdwin. "Mit anderen Rittern Bier trinken können hätte ich auch zu Hause am Angbarer See! Ich will, dass Du so früh wie möglich all die Aufregung mitbekommst, die Eindrücke, das große Publikum um Dich herum... Du sollst mit dieser Situation vertraut werden und langsam aber sicher lernen, mit Mut, Ruhe und Gelassenheit zu reagieren. Denn das wird später im Leben entscheidend sein, um die Ordnung zu bewahren und die Schwachen zu beschützen – da gehen Praios und Rondra Hand in Hand." So sehr Holdwins Schützling auch ergriffen sein mochte von dem, was er gehört hatte, bei dem Gedanken an Lärm und Menschenmengen fuhr er leicht zusammen. Der Ritter hatte eine Ahnung, was los war, und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. "Mach Dir keine Sorgen, wenn es am Anfang ein wenig viel ist. Mein Bruder Boromil fand Turniere als Kind immer sehr anstrengend... und dennoch ist aus ihm ein Ritter geworden."

Angrawen war sehr dankbar, dass Holdwin ihn verstand. "Habt vielen Dank, Herr!"

Holdwin lächelte ihm freundlich zu. "Du bist ein guter Junge, Angrawen. Lass uns doch nachher die zweite Runde des Fußkampfes ansehen. Ich denke, ich gebe meinem Körper einen Tag Schonung, bevor ich für die Tjoste übe."

"Ganz wie Ihr wünscht!"

Angrawen begann, den Tisch abzuräumen. Holdwin war zufrieden. Dragowins Sohn machte ihm bisher viel Freude. Und wenn es ihm gelang, dem Jungen etwas beizubringen, dann war ihm das die blauen Flecken allemal wert.

Gunnar F.

Teil 22

Fußkampf, Finale

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, am Abend des 9. Praios 1042 BF

Sarias Atem klang, geleitet durch das Innere des Helms, metallen in ihren Ohren. Die Rufe des Publikums schienen weit entfernt, die Waffe ihrer Kontrahentin hingegen bedrohlich nah. Thargrîn von Arpitz war größer und hatte mehr Reichweite. Wieder einmal sauste die Waffe nur wenige Finger von ihrem Kopf entfernt durch die Luft. Schweiß rann Saria über den Rücken und sie wusste, dass ihr morgen jeder Muskel schmerzen, jeder Knochen schwer sein würde.

Nach und nach büßten Ihre Bewegungen an Schnelligkeit ein; die größte Stärke, die sie gegen die greifenfurtische Baronin ins Feld führen konnte. Doch auch deren Kraft hatte abgenommen. Saria sah durchaus die Möglichkeit, gegen die Baronin von Wehrfelde siegreich zu sein, doch jedes Mal, wenn sie glaubte, sich mit einem Schlag einen Vorteil verschafft zu haben, konterte die hochgewachsene Thargrîn von Arpitz oder legte sogar noch einen drauf. Es war zum Verzweifeln! Wie lange konnte sie noch dagegenhalten?

So war es eher der Mangel an Alternativen als taktisches Geschick, der Saria dazu brachte, den nächsten Schlag nicht wie üblich mit dem Schild abzulenken, sondern stattdessen mit aller ihr noch verbleibenden Kraft gegen zu halten und mit einer Schlagreihe nachzusetzen. Ein „Für Rondra!“ brandete über ihre Lippen und ob es nun dieser Schrei war oder das ungewohnte Manöver: Es gelang der Koscherin, ihre kampferfahrene Kontrahentin in die Defensive zu drängen. Noch einmal stieß Saria nach vorne, während Thargrîn von Arpitz sich bereits für einen Gegenschlag rüstete.

Und dann war es geschehen: Jubel brandete über den Turnierplatz. Hatte sie es geschafft? Sie hatte es geschafft! Erschöpfung. Erleichterung. Ein Lächeln breitete sich über Sarias Zügen aus. Sie nahm den Helm ab, während sie ihrer gestürzten Gegnerin die Hand reichte.

Thomas R.

Teil 23

Eheprobleme

Praios 1042

Yolande von Sindelsaum hatte ihren letzten Kampf ausgefochten. Gegen Thargrîn von Arpitz hatte sie keine Chance gehabt, aber immerhin hatte sie es bis in das Viertelfinale geschafft. Sie hätte nie gedacht soweit zu kommen, aber der Anblick ihres verhassten Gattens Rondwin von Keilholtz hatte sie zu immer neuen Höchstleistungen angetrieben. Der verweichlichte Jammerlappen war bereits in der ersten Runde ausgeschieden, geschah ihm Recht, die Tracht Prügel hätte Yolande ihm aber gerne selbst verpasst.

Bei ihrem zweiten Kampf hatte er auf der Bühne mit einem Märker Flittchen rumgeturtelt und so hatte sich Yolande mit viel Hass und Abscheu in ihren nächsten Kampf geworfen. Ihre rücksichtslos vorgetragenen Angriffe hatten ihr den Sieg, aber auch einige Ermahnungen eingebracht. Nach dem Kampf hatte sie es sich nicht verkneifen können kurz in Richtung Rondwins zu rotzen bevor sie vom Feld gestampft war. Gegen ihre nächsten Gegner war es ganz ähnlich gewesen, aber Thargrîn hatte sie ins Leere laufen lassen und sie klar besiegt. Yolande hatte noch immer der Schädel gebrummt als sie vom Feld getaumelt war. Kurz hatte sie geglaubt, dass Rondwin sie auslachte, aber das hatte sie sich vielleicht doch nur vorgestellt, jedenfalls hatte er ganz ernst geschaut, als Yolande ihm einen mörderischen Blick zugeworfen hatte. Warum hatte sie sich nur entschlossen zu dem Turnier nach Kressenburg zu kommen? Es war ja klar gewesen, dass Rondwin auch da sein würde, aber sie hatte es in Föhrenstieg einfach nicht mehr ausgehalten und ein Besuch in die alte Heimat, nach Sindelsaum, wäre ihr wie eine Flucht vorgekommen.

In ihrem Zelt angekommen hatte die Hoffnung Rondwin im Lanzengang gegenüber zu stehen ein neues Feuer in ihr entfacht. Sie würde es ihm zeigen bei Ingerimms Bart. Mit so einem Märker Milchbuben würde sie ja locker fertig. Das der besagte Milchbube Hauptmann der Grenzreiter war vergas sie dabei geflissentlich.

Sindelsaum

Teil 24

Ende des ersten Tages - Im Schankzelt

Wenn sie so beisammen saßen, konnte man die Verwandtschaft kaum übersehen. Grinugildis von Waldenklamm, die mit ihrem Gemahl und dessen Bruder aus Weiden angereist war, schob zwei der drei Humpen zu ihren beiden jüngeren Geschwistern.

„Es ist so schön, euch beide zu sehen. Odilon, du siehst toll aus. Und du hast dich gut geschlagen gegen deinen Vetter Ardo.“

Der frisch gebackene Ritter fuhr sich mit der Hand durch das strubbelige nussbraune Haar. „So, hab ich das? Mein Hintern sagt mir was anderes. Der tut von dem Sturz noch ganz schön weh.“

Die beiden Schwestern kicherten. Grinugildis zuckte entschuldigend mit den Schulter. „Ich kenn mich da ja nicht aus. Aber mein Schwager Walthari hat gebrummt und Waldhold hat ihm dann zugenickt. Ich denke, in der Rittersprache war das wohl ein Lob für deinen Auftritt.“ Jetzt mussten alle drei lachen und prosteten sich zu.

„Jetzt aber mal genug von Odilon. Sonst steigt ihm die Aufmerksamkeit noch zu Kopf“ warf Robana von Waldenklamm ein. „Wie geht es Mutter und unseren Großen?“.

„Oh, Mutter geht es soweit gut. Es gibt ja immer was zu tun in Schroffenfels. Sie plagt halt ein wenig die Einsamkeit so ganz ohne ihre sechs Kinder. Aber in Goldacker bin ich nicht allzu weit weg und ich besuche sie, so oft es meine Pflichten zulassen. Waldemar hat aus Waldenklamm wieder ein anständiges Gut gemacht. Soweit man aus einem Stück Land in den Hängen des Finsterkamms halt was machen kann. Wir haben die Sonnenwende in Dergelquell verbracht und Waldenklamm einen Besuch abgestattet. Ich soll euch alle schön von unserem Großen grüßen. Von Walpurga habe ich auch schon lange nichts mehr gehört. Aber ich glaube, Mutter plant, sie alsbald nach Schroffenfels zu holen. Sie will der Herzogin irgendwann mal jemanden aus der Familie als Nachfolger für den Vogtposten empfehlen.“

Natürlich hatten Robana und Odilon noch viele Fragen und wollten wissen, was sich sonst so in der Weidener Heimat getan hatte. So entwickelte sich ein munteres Gespräch, in dem die so weit verstreuten Geschwister sich in familiärer Vertrautheit und Geborgenheit suhlen konnten. Denn nur zu bald würde wieder der Abschied nahen und wer wusste schon, wann man sich wieder sah.

„Ach je. Ich tattrige alte Maid.“ Entfuhr es Grinugildis plötzlich. Ich habe ja noch was für euch.“ Mit einem vorfreudigen Grinsen kramte sie aus ihrer Tasche zwei kleine in Leder eingeschlagene Pakete aus und überreichte jedem ihrer Geschwister eines davon. Odilo packte seins eilig aus und konnte einen kleinen Aufschrei der Verwunderung kaum unterdrücken. Silberne Sporen waren es, die reich und mit hoher Kunstfertigkeit mit Ziselierungen überzogen waren. Auch in Robanas Paket waren ähnliche Sporen.

„Das…das ist großartig. Danke, Schwesterlein. Hast du…?“

Robana blickte ihre Schwester mit großen Augen an. Grinugildis stieg eine leichte Röte ins Gesicht. Sie tat sich schwer mit Lob für ihre Arbeit. Für sie waren solche Werke Geschenke des Großen Schmiedes bei denen sie nur das ausführende Werkzeug war. Wenn sie daran arbeitete, fühlte sie sich ihrem Gott nahe. Schnell versteckte sie ihr Gesicht hinter dem Krug und spülte den aufkommenden Kloß in ihrem Hals einfach runter. Dann winkte sie ab. „Ja, ja. Ich hab den ganzen Tag ja nichts Besseres zu tun.“

Odilon und Robana wussten, dass das nicht wahr war und nur ein Ausdruck von Grinugildis Bescheidenheit. Eine Adlige, dem Ingerimm geweiht, war sicher eher ungewöhnlich. Aber in der Sichelwacht, wo auch der Adel umgeben von schroffen Felsen und in vielen Fällen auch abhängig von den Schätzen der Berge war, war die Nähe zum Himmlischen Schmied nichts ungewöhnliches.

Grinugildis griff noch einmal in ihre Tasche und zog zwei Umschläge mit dem Siegel der Rinnfoldshausener raus. „Briefe von Mutter an euch beide“ sagte sie und blickte dann eindringlich ihre Schwester an. „Deinen solltest du so bald wie möglich lesen. Ich denke, es geht um deine Zukunft. Zwar weiß ich nicht genau, um was es geht. Aber mein Schwager, der Baron von Dergelquell, hat sich in den vergangenen Tagen sehr ausführlich über dich informiert und hat dem Messen der Knappen aufmerksam zugeschaut, was er sonst nie macht.“

„Puh!“ Robana ließ sich in ihrem Stuhl zurückfallen. „Du machst mich aber jetzt arg neugierig. Aber für hier“, sie sah sich in dem vollen Schankzelt um, „ist das wohl nichts.“

„Dann lasst uns auf die Zukunft trinken.“ Odilon hob den Krug zur Tischmitte hin.

Seine Schwestern stießen mit einem, „Auf die Zukunft“, an.

Marcus D.

Teil 25

Auuuuu weia....

“Gleich ein Keilholtzer.” Der Trollpforzer Junker blies die Wangen auf und stieß kräftig die Luft aus. “Na, wenn das Mal nicht schon das Ende meiner Reise ist”, sagte er mehr zu sich selbst, aber durchaus nicht so, dass sein Umfeld es nicht vernehmen konnte. Thankred war der Vorletzte der ausgelost wurde. Nur noch das Schild Wulfhelms von Keilholtz und sein eigenes waren noch nicht zugeordnet gewesen, daher wusste er schon vorher, was ihn erwartete.

‘Naja, versuchen wir doch einfach nicht im ersten Lanzengang aus dem Sattel gehoben zu werden. Du hast dich doch auch mit den Handwaffen gut verkauft, auch wenn du in der erste Runde ausgeschieden bist Hornochse. Es ist dein erstes Turnier, also versuch einfach Spass zu haben.’

Wie um seinen Gedankengängen Nachdruck zu verleihen nickte der Junker und grinste fast ein wenig frech. Mit der rechten, gepanzerten Faust vor dem Herzen grüßte er den wesentlich älteren Kämpen und ritt anschließend vom Platz.

Stefan S.

Teil 26

Vor dem Tjost

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

Algirdas stieß die Zeltplane zurück, trat ein und verhielt mitten im Schritt. Wie immer, wenn er seinen Vetter mit barem Oberkörper erblickte, brauchte der Geist einen Moment, um zu verarbeiten, was die Augen wahrnahmen. Was Aardor an Höhe fehlte, hatte sein Körper völlig schamlos in Muskelmasse umgesetzt. Der Kerl hatte einen Nacken wie ein Stier, Arme dick wie ein Jahrmarktskämpfer und einen Brustkasten wie ein preisgekröntes Zugpferd. Das alles erschien Algirdas im Anbetracht seines eigenen, deutlich schlankeren Wuchses mehr als unfair und es wollte auch so gar nicht zu dem runden, jungenhaften Gesicht mit den vielen Feenküsschen passen. Irgendetwas war da einfach schiefgelaufen.

„Rein oder raus, Alter, entscheide dich mal?!“, kam es da von Fählindis. „Im Durchgang stehen bleiben und die Plane offenhalten, so dass jeder sehen kann, was für einen Scheiß ich hier verbinsböckelt habe ... das läuft so nicht!“

Algridas trat ganz ein und ließ die Zeltplane hinter sich fallen. Dann ging er zu seinen Verwandten hinüber, warf einen prüfenden Blick auf den Verband, den Fählindis um Aardors Schulter gewickelt hatte, und stellte fest, dass das wirklich Scheiß war.

„Götternocheins!“, stöhnte er. „Man könnte meinen, ich hätte es dir nicht schon ein paarmal in aller Ausführlichkeit gezeigt.“

„Ich bin halt ein Krieger und kein Heiler“, erwiderte sie pikiert.

„Wer Wunden schlägt, sollte sie auch behandeln können“, wiederholte Algirdas eine Weisheit seiner verstorbenen Mutter und verscheuchte die Habechhegen mit einer entschiedenen Geste, um den Verband zu lösen und noch einmal von vorn zu beginnen.

„Wir haben gerade festgestellt, dass du im Vergleich zu mir ganz schön abstinkst, mein Lieber“, meinte Aardor derweil gutgelaunt.

„In welcher Hinsicht?“, Algirdas Gedanken waren schon wieder beim Körperbau seines Vetters und er wappnete sich für eine Spitze, die wirklich wehtun würde.

Fählindis nahm ihm die Befürchtung jedoch. „In Sachen spektakulär Scheitern“, erklärte sie blinzelnd. „Sich in der ersten Runde vor ner blutjungen Rondrianerin auf den Hosenboden zu setzen, um die Kapitulation zu erklären, ist schon mal gar nicht so schlecht. Aber sich in der dritten Runde ohne ersichtlichen Grund in das Schwert einer Koscher Veteranin zu stürzen und dann fast abzunippeln um einiges spektakulärer.“

„Gebe ich euch!“, Algirdas konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, obwohl die Sache an sich kein bisschen witzig war. Er verurteilte auch nach wie vor, dass sein Vetter den Tjost nicht sausen lassen wollte – seiner Gesundheit zuliebe. „Aber wo wir schon dabei sind“, schob er daher nach. „Willst du es dir nicht doch noch mal überlegen, Aardor? Durch die Heilkräuter sieht das Ganze jetzt zwar besser aus, du solltest dich davon nur nicht täuschen lassen. Es ist, wie der Medicus sagte: Schonung wäre das Wichtigste. Dir einen Schild an den versehrten Arm zu hängen und damit die Stöße einer Lanze abfangen zu wollen ... das ist das Gegenteil von Schonung.“

„Ach, schnickschnack!“, brummte der Rauheneck unwillig. „Das hatten wir doch alles schon: In dem Zustand werd ich mich eh nicht lange halten. Also was soll’s? Reit ich halt ein, zwei Mal an und flieg dann in den Dreck. Davon wird der Arm nicht abfallen!“

„Aardor ...“, hob Algirdas noch einmal an, wurde aber sofort unterbrochen.

„Sag mir lieber, gegen wen es für mich geht! Dafür warste doch da draußen, oder nicht? Um das für uns nachzulesen. Also?“

Isolde von Immingen“, murmelte Algirdas.

„Wer ist das?“, wollte Fählindis sofort wissen.

Aardor hob die Schultern und handelte sich dadurch einen Klapps auf den Hinterkopf ein. Von Algirdas, dessen Werk er gerade zunichtemachte. Ob das schmerzerfüllte Stöhnen diesem kleinen Stüber galt oder ob sein Vetter gerade gespürt hatte, dass seine Schulter noch weit davon entfernt war, ausgeheilt zu sein, blieb offen.

„Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Frau von hier“, erklärte Algirdas. „Ich meine, ich hätte irgendwas von ‚Kressenburger Lanze‘ gehört. Sie ist jedenfalls erfahrener als Aardor.“

„Aha“, machte sein Vetter und schniefte leise. „Und was ist mit dir?“

„Mein Gegner heißt Tiako von Rosenteich.“

„Wer ist das?“, diesmal kam die Frage von Aardor.

„Das ist der schwarze Mann“, kam es wie von der Sehne geschnellt aus Fählindis Richtung.

„Der schwarze Mann? Was soll das denn sein? Sind wir hier in einem Schauermärchen unterwegs, oder was?“, lachte Aardor.

„Doch nicht so, Mann!“, schnappte Fählindis. „Der hat nicht nur schwarze Haare, sondern auch ganz dunkle Haut. Wie einer von diesen Dschungelmenschen aus dem tiefen Süden. Ich hab da mal ne Zeichnung in so einem ... Buch über ... fremde Tiere und Pflanzen gesehen.“

„Wo?“

„Bibliothek der Klugen Undra.“

„Trallop?“

„Nein, Baliho, du Trottel.“

„Da schau an!“, Aardor nickte. „Ein Dschungelmann also. Herzlichen Glückwunsch, Algirdas. Nach allem, was ich weiß, sind die normal nicht gerade im Lanzenreiten zu Hause. Also stehen deine Chancen diesmal vielleicht gar nicht so schlecht.“

„Sehr witzig!“, gab er zurück und zog den Verband mit voller Absicht etwas enger, als es hätte sein müssen.

„Und ich? Was ist mit mir?“, wollte Fählindis wissen.

„Du reitest gegen Edelbrecht vom Eberstamm.“

Algirdas sagte das, als sei nichts dabei. Insgeheim aber freute er sich schon darauf, diese Paarung zu verkünden, seit er sie von der Setzliste abgelesen hatte. Er war unendlich gespannt gewesen, wie seine Base die Neuigkeit aufnehmen würde und hatte sie deshalb nicht einen Lidschlag aus den Augen gelassen. Würde sie auch das wieder nicht jucken, oder würde sie wenigstens dieses eine Mal eine Reaktion zeigen, die er für halbwegs angemessen hielt?

„Ich ... äh ... was?“

Die Habechhegen hatte sich gerade einen Becher mit kühlem Most gefüllt, stellte den und den Krug nun aber sicherheitshalber rasch wieder auf der Reisetruhe ab, die ihnen als Tisch diente. Mit Genugtuung nahm Algirdas zur Kenntnis, dass ihre Hände leicht zitterten und dass sie von einem Moment auf den nächsten kalkbleich geworden war.

„Du reitest gegen Edelbrecht, Fäh“, wiederholte er feixend.

„Er meint den Prinzen des Kosch und Gemahl der Markgräfin von Greifenfurt“, ergänzte Aardor, der selbst auch ein wenig baff zu sein schien, aber dennoch breit lächelte.

„Ich weiß, wer das ist!“, zischte Fählindis. „Aber ... warum denn nur ...“

„Den ritterlichsten aller dunkelblaublütigen Ritter – sieht man mal von Arlan ab – und Favoriten dieses nicht ganz so prominent besetzten Turniers“, Aardor sprach einfach weiter, als habe er das Gezeter seiner Base nicht gehört. „Potzdonnernocheins, das ist ein verdammtes Glück! Was für eine Ehre, eh? Ich beneide dich jetzt schon.“

„Beneiden?! Alter, das ist ein Alptraum!“ Fählindis hob die Hände gen Himmel. Es sah ein bisschen so aus, als wolle sie die Götter anflehen, diese Entscheidung zurückzunehmen. Als sich nichts tat, richtete sie den Blick vorwurfsvoll auf Algirdas. Als könne er etwas dafür. „Warum denn jetzt?“, fragte sie ungehalten. „Warum nicht im Fußkampf? Ich bin im Tjost eine Krampe. Ich hab keine Lust, am Ende dieses vermaledeiten Turniers der Sieger unseres kleinen ‚Wer scheitert am schönsten‘-Wettbewerbs zu sein. Ich muss euch schon die ganze Zeit aufwarten, weil ich diese bescheuerte Wette verloren habe.“

Sie wandte sich Aardor zu und funkelte ihn zornig an: „Das ist übrigens deine Schuld! Du konntest es ja nicht sein lassen, gegen diese blöde Koscherin zu verlieren. Wenn Edelbrecht mich jetzt auch noch zum Krüppel sticht ... oder ich ihn ... oh, ihr Geister, wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?“

„Nu hör schon auf zu heulen“, meinte Aardor ungerührt. „Begreif es als Chance. Erinner dich an die erste Runde des Fußkampfs. Da ist Edelbrecht gegen diesen Nordmärker Schönling ausgeschieden, der den Schwertkampf sicher auch nicht so gut beherrscht wie er.“

„Ja klar, eine Chance! Weil der Prinz in ein und demselben Turnier gleich zweimal so unsäglich viel Pech haben wird!“

„Vielleicht solltest du was trinken, Base“, meinte Algirdas schmunzelnd. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sehr sie Aardor und ihn im Vorfeld des Fußkampfes gescholten hatte, weil sie zur Entspannung ein bisschen was pichelten. Aber jetzt schien sie ganz dringend einen Schluck zu brauchen. „Mach dich mal locker!“

Nics-e

Teil 27

Thankmar ließ seinen Rappen auslaufen. Dumpf donnerte der Hufschlag über den Platz.

War das wirklich gerade geschehen? Hatte er den scheppernden Aufschlag wirklich, wahrhaftig gehört. Konnte das sein? Von der Tribüne war ein ungläubiges Raunen zu vernehmen, doch das nahm der junge Ritter nur ganz am Rande seiner Wahrnehmung zur Kenntnis, zu sehr war sein Blut in Wallung, die Anspannung infolge der Fokussierung auf das Aufeinandertreffen mit seinem Kontrahenten noch nicht gewichen.

Ein Glückstreffer. Ja, nur das konnte es gewesen sein. Es gab keine andere Möglichkeit. Er hatte den Schild seines Gegners satt getroffen und es im selben Moment vermocht, den wohl platzierten Stoß an der eigenen Wehr abgleiten zu lassen, so dass es ihn nur wenig Kraft gekostet hatte, den Sitz im Sattel aufrecht zu erhalten. Doch hatte es gereicht, um den anderen zu Boden zu schicken? Thankmar drehte sein Pferd am Ende der Bahn und erhielt endlich Gewissheit. Der Ältere lag im Sand der Tjostbahn, rappelte sich aber bereits weider auf. Ihm schien nichts geschehen zu sein.

Der Trollpforzer gab seinem Waffenknecht, der herbeigeeilt kam, die abgebrochene Lanze und brachte sein Roß dann gemächlich auf die Höhe seines Gegners. Der Junker öffnete das Visier und führte die rechte Faust vor die linke Brust zum Gruße, dann schon ließ er das Pferd wieder antraben, um das Feld zu verlassen.

Wulfhelm von Keilholtz war für wahr kein Anfänger. Nein, ganz im Gegenteil, er war ein erfahrener Kämpe in der Tjoste. Einer der so manchen Sieg davongetragen hatte. Um so mehr freute sich Thankmar über diesen ersten Sieg in seinem ersten Turnier. Langsam wich nun auch die Anspannung aus dem Nordmärker, der aus der Isenhager Provinz ins Greifenfurtsche gekommen war, um sich nach seiner Schwertleite und der darauffolgenden Ernennung zum Junker rondrianisch mit anderen Rittern zu messen. Stolz sah er einmal zu seinem Banner auf, dass über dem Platz wehte. Der schreitende, silberne Troll mit der Keule auf blauem Grund würde wohl noch etwas länger im Wind wehen.

Stefan S.

Teil 28

Ein wenig erschrocken hatte Selinde auf den schweren Sturz ihrer Gegnerin Wolfhilde verfolgt, sodass zumindest für den Augenblick bei der Baroness von Zackenberg keine rechte Freude über ihren glatten Sieg aufkommen mochte. Nachdem sie ihr Pferd am Ende der Tjostbahn gewendet hatte, stieg sie ab und begab sich zu Wolfhilde. Diese begann sich nach einigen Momenten der Benommenheit wieder zu regen und versuchte, noch etwas unbeholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Selinde half ihr dabei und geleitete sie vom Turnierplatz.

"Ich hoffe, es geht Euch einigermaßen gut, oder soll ich besser einen Heiler rufen?"

"Nein, es geht schon, vielen Dank. Mir tut zwar jeder einzelne Knochen im Leib weh, aber es scheint nichts gebrochen zu sein. Ach, und meine Glückwünsche zu Eurem Sieg; deutlicher hätte er ja auch kaum ausfallen können", schloß Wolfhilde mit einem schiefen Lächeln.

Nach einer kurzen Verabschiedung begab sich die Baroness mit nachdenklicher Miene zurück zu ihrem Zelt, darüber sinnierend, dass Tod und Versehrtheit selbst beim Kampf mit Turnierwaffen stets allgegenwärtig sind.

Wallbrord

Teil 29

Nach dem Tjost

Vor den Toren Kressenburgs, Baronie Kressenburg, Praios 1042 BF

„So ein Mist, wirklich, Aardor“, brummte Fählindis. „Das waren zwei blitzsaubere Anritte. Bessere habe ich heute im ganzen Teilnehmerfeld nicht gesehen. Man würde meinen, dass die Herrin Rondra so was honoriert. Sie hätte dich ruhig gewinnen lassen können.“

„Ne, schon gut“, presste ihr Vetter zwischen den Zähnen hervor, derweil Aldgirdas sich am Verband um seine linke Schulter zu schaffen machte. „Ist mir ganz recht so. Ich weiß ehrlich nicht, ob ich noch eine Runde durchgestanden hätte.“

„Hättest du vielleicht, du dummer Hornochse, aber für deinen Arm hätte es schlimme Folgen gehabt“, meinte Algirdas trocken.

Fählindis richtet den Blick auf den mittlerweile wieder knallroten Verband des Rauheneck und ein paar dünne Blutfäden, die sich den Weg über seine breite Brust bahnten. Ausnahmsweise musste sie dem Stockacher Spaßverleider Recht geben: Es wäre sicher nicht klug gewesen, Aardor noch einmal antreten zulassen. Und gut gestritten hatte er – also trotz allem etwas Ruhm an seinen Schild geheftet.

„Und du Algirdas“, meinte sie dann grinsend. „Das war ganz ordentlich für den ersten Lanzengang in einer Turney, würd ich meinen. Außerdem hat der Dschungelmensch eine Rüstung getragen – also vielleicht hat gar nicht jeder gemerkt, dass es nur einer von denen war.“

„Spottdrossel“, sagte Aardor und schüttelte den Kopf. „Hör schon auf! Wie er da im Fußkampf anfangs gegengehalten hat, das war aller Ehren wert. Hast deine Haut teuer verkauft, Algirdas, und die Familie stolz gemacht. Zumal du am Ende nicht wieder auf dem Hosenboden gelandet bist.“ Er blinzelte gutmütig.

„Und was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Fäh?“, hakte der Stockacher nach. „Bist im ersten Anritt gefallen wie ein nasser Sack.“

„Pft!“, machte sie und lachte. „Ich hab mir überlegt, ob ich den blauen Fleck auf meinem Brustbein vielleicht mit nem Dolch nachziehe. So dass ein X als Narbe bleibt. Da könnt ich dereinst drauf deuten und zu meinen Enkeln sagen: Schaut her, hier hat mich die Lanze des Koscher Prinzen getroffen. Das wär doch was?!?“

Ihre Vettern starrten sie an. Belämmert grinsend und zugleich kopfschüttelnd. Ein bisschen so, als wüssten sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollten.

„Wie dem auch sei“, meinte Algirdas schließlich. „Wir sind alle raus. Was machen wir jetzt?“

„Jetzt tragen wir eine Bank rüber zur Turnierbahn, setzen uns bequem hin und machen, was ihr die ganze Zeit schon wolltet“, beschloss Fählindis. „Wir besaufen uns!“

Nics-e

Unruhige Zeiten

Kapitel 1

11. Ingerimm 1042 BF, Stadt Kressenburg

"Hiermit eröffne ich die einundsiebzigste ordentliche Sitzung des Rates der Stadt Kressenburg. Ich stelle fest, dass die Ratsmitglieder vollzählig erschienen sind. Ebenfalls anwesend ist seine Wohlgeboren, Stadtvogt Kasimir von Kieselholm, als Vertreter seiner Hochgeboren, Baron Ardo von Keilholtz. Die Mitschrift der Sitzung wird angefertigt von der Gesellin Rahjamunde von Schroffenstein-Grünfels. Als Gast des Rates ist zudem anwesend Seine Gnaden Angarimm."

Nach den zeremoniellen Eröffnungsworten durch den Ratsmeister und Kressenburger Zwergenältesten Durac, Sohn des Dugramm, nahmen alle Stadträte auf ihren Stühlen Platz.

"Erster Punkt der Tagesordnung ist die Verkündung des Jahresorakels für die Kressenburger Lande, welches Seine Gnaden Angarimm im Gebet gesandt wurde. Bitte Euer Gnaden, lasst uns an der Weisheit Ingerimms teilhaben."

Gemessenen Schittes trat Angarimm in die Mitte des Saales:

"Die Esse glüht. Zorn treibt sie an. Wo zuvor nur Glut springen Flammen empor, heißer als je zuvor. Der flackernde Schein der Esse erleuchtet den Pfad in die Zukunft, welcher der Esse entspringt und lässt ihn golden strahlen. Asche wirbelt empor, sinkt hernieder und bedeckt den goldenen Pfad. Der Wind regt sich, denn ein Sturm ist vorrüber und ein Sturm zieht auf. Der Wind hebt die Asche und offenbart erneut den Pfad. Er hat sich gegabelt. Der eine Pfad strahlt weiter golden, der andere ist pechschwarz und bedeckt von Blut. Welchen Pfad die Zukunft nimmt ist noch ungewiss. Die Esse glüht."

Monoton trug der Ingerimm-Geweihte das Jahresorakel vor. Als er geendet hatte, gab es ein lautes Murmeln im Saal. Wie Durac erwartet hatte, verunsicherten die düsteren Worte die meisten Anwesenden zutiefst. Auch ihn hatten die Visionen seines Sohnes zuerst erschreckt. Doch nachdem sie die ganze Nacht über der Deutung und Bedeutung der einzelnen Bilder zugebracht hatten, hatte er sich etwas beruhigt. Die Bilder waren sicherlich ein Grund zur Sorge, aber gewiss kein Grund in Angst zu verfallen. Unruhige Zeiten würden kommen, aber das wusste man nun und konnte sich entsprechend darauf vorbereiten.

"Ruhe bitte meine Freunde." Durac schlug mit dem zeremoniellen Schmiedehammer auf den Tisch und sofort ebbte das Gemurmel ab. "Natürlich klingen die Visionen Seiner Gnaden erst einmal nach schweren Zeiten für uns. Doch nichts spricht dafür, dass das Orakel mit aller Bestimmtheit das Schicksal der Kressenburger Lande offenbart. Ich bin mit Seiner Gnaden einer Meinung, dass Feuer und Asche in seinen Visionen nicht für eine kriegerische Auseinandersetzung in Kressenburg stehen, sondern eher für die Gefahren, die uns, der Mark und dem Reich ganz allgemein drohen. Insofern sehe ich in dem Orakel vor allem eine Chance. Vor allem, da es die glühende Esse zu Beginn und am Ende hervorhebt."

"Und was glaubt ihr, Meister Durac, könnte diese Chance sein, die sich uns hier aus einem wahrscheinlich aufkommenen kriegerischen Konflikt erwächst?" Der Ton von Ratsfrau Linde Zweihofer war wie gewohnt bissig. Sie war, wie sie gerne betonte, eine 'echte' Kressenburgerin und entstammte keiner der Koscher Familien, die einstmals mit Baron Ulfried von Kressenburg aus dem Fürstentum zugezogen waren. Zudem war sie fest davon überzeugt, dass sie und ihre Zunft der Stadtbauern, Müller und Bäcker die Stadt am Leben hielten. Dass statt ihrer die Schmiede und Zwerge den Stadtrat dominierten, wurmte sie sehr. "Aus Krieg und Brand ist noch nie etwas Gutes erwachsen!"

Durac hob beschwichtigend die Hände und antwortete in seinem gwohnt bedächtigen Ton. "Wir alle wissen inzwischen, dass sich die Finsterzwerge im Kamm regen und mehrfach Dörfer überfallen und niedergebrannt haben. Der Ork ist sowieso eine permanente Bedrohung. Selbst wenn der dunkle Feind im Osten bezwungen ist, bleiben an unseren Grenzen genug Gefahren, die es abzuwehren gilt. Genauso wie diese Gefahren ist uns auch bekannt, dass unser Herr Baron ein eifriger Verteidiger der Kressenburger Lande und der Mark ist. In den letzten Götterläufen sind die Aufträge an unsere Zunftbrüder und -schwestern für die herrschaftliche Waffenkammer stetig gestiegen. Wie alle hier aus dem letzten Zunftbericht ersehen konnten, sind die Auftragsbücher der Schmiede übervoll. Kein Kunde wartet gerne lange. Wenn wir die Aufträge nicht schaffen, werden sie anderswo vergeben."

Geschäftsmäßig sah er auf das vor sich liegende Pergament mit der Tagesordnung. "Vor allem aus diesem Grund steht als zweiter Punkt der heutigen Tagesordnung der Antrag zur Zulassung eines weiteren Meisters der Rüst- und Waffenschmiede, da die derzeit zugelassenen Meister mit der Arbeit nicht hinterherkommen. Ich bin zudem davon überzeugt, dass die zu erwartenden unruhigen Zeiten zu weiteren lukrativen Aufträgen führen werden, die letztlich allen Gilden zu Gute kommen. Deswegen stelle ich den Antrag, dass wir heute nicht wie vorgesehen nur einen Altgesellen in den Rang eines Meisters erheben, sondern deren zwei."

Wieder branndete Gemurmel auf. Man konnte leicht erkennen, dass sich die Ratsmänner und -frauen uneins waren. Wieder war es Ratsfrau Zweihofer, welche ihre Stimme zur Widerrede erhob. "Ich muss mich doch sehr wundern, Meister Durac! Eine weitere Schmiedewerkstatt sollte doch völlig ausreichen, um den aktuellen Auftragsüberhang zu bewältigen. Auf Grund des Orakels auf weitere Geschäfte zu hoffen, halte ich für sehr gewagt. Wenn diese Zeiten der Unsicherheit, die Ihr in dem Orakel erkannt haben wollt tatsächlich eintreffen, können sie genauso gut den Fernhandel zum Erliegen kommen lassen. Dann sitzt ihr Schmiede am Ende des nächsten Götterlaufs auf einem Berg von Schwerter, Piken, Helmen und Kettenhemden für die ihr keinen Abnehmer mehr findet. Eure Meister werden keine Aufträge und Einkünfte mehr haben und müssen durch die Zunftkasse versorgt werden. Solche Unvernunft hätte ich gerade von Euch nicht erwartet! Wir sollten lieber beim Baron einen Antrag stellen, weitere Felder in Stadtnähe roden zu lassen. Kressenburg ist nach wie vor viel zu sehr davon abhängig, Getreide aus dem Norden der Baronie und den benachbarten Baronien zu beziehen. Sollte das nächste Jahr wirtschaftlich schlecht laufen, halte ich es für das Beste, wenn in dieser Richtung vorgesorgt ist."

"Natürlich besteht ein Restrisiko, Meisterin Zweihofer, das will ich nicht verhehlen. Aber manchmal muss man etwas wagen um zu gewinnen. Und seid versichert, dass die Schmiedezunft für eventuelle schlechte Zeiten finanziell gut gewappnet ist." Durac gönnte sich ein hintersinniges Lächeln, dass Linde Zweihofer wohl verstand. Es war ein offenes Geheimnis, dass die Zunft der Schmiede in Kressenburg über mehr Silber in den Kassen verfügte als der Baron selbst. "Ich stimme Euch aber insofern zu, dass die permanente Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln auch bei wachsender Anzahl Handwerker gewährleistet sein muss. Deswegen werde ich Euren Vorschlag im Protokoll aufnehmen lassen, dass wir in der nächsten Sitzung über einen Antrag zur Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Gemarkung der Stadt abstimmen."

"Ich freue mich, dass Ihr in diesem Punkt einsichtig seid und werde den Antrag natürlich mit Freuden unterstützen. Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung, dass zwei neue Meister der Schmiedezunft mindestens einer zu viel sind." Fast trotzig verschränkte die die Arme vor der Brust und lehnte sich in das weiche Polster ihres Stuhles zurück.

"Wohlan, ich glaube wir haben dann alle bedenkenswerten Einwände vernommen. Ich bitte sodann um Handzeichen, wer dem Antrag, zwei weitere Schmiedemeister zu ernennen, zustimmt."

Durac selbst hob die Hand und mit ihm die anderen Schmiedemeister und Zwerge. Auch der Vertreter der Händlergilde stimmte für den Vorschlag. Die Müllerin Jolande Habemus schien ebenfalls zustimmen zu wollen, doch nach einem Seitenblick auf das verkniffene Gesicht ihrer Zunftmeisterin, beließ sie es dabei sich mit der erhobenen Hand eine Haarsträhne hinters Ohr zu schieben und sie sodann wieder sinken zu lassen. Der alte Zwerg nahm dies amüsiert zur Kenntnis, benötigte er ihre Stimme für seinen Antrag doch schon gar nicht mehr.

"Ich stelle fest, dass der Antrag mit fünf Stimmen, bei zwei Gegenstimmen, angenommen wurde. Herr Stadtvogt, wollt Ihr gegen den Beschluss einen Einspruch anmelden?"

Der Kieselholmer hatte sowohl das Orakel als auch den Rest der Sitzung interessiert aber schweigend verfolgt. Sicherlich hätte er sich zu Wort melden und einmischen können, aber ihm war nicht daran gelegen sich mit dem Rat der Stadt anzulegen, wenn es nicht sein musste. Sollten die Bürgerlichen ihre kleinen Freiheiten haben und auskosten. Solange sie sich in diesem Gremium gegenseitig aufrieben, gab es weniger unzufriedenes Gemurmel in Richtung des Barons. Außerdem nahmen ihm der Stadtrat und die Zünfte eine Menge Verwaltungsarbeit ab, für die er sonst Beamte aus der herrschaftlichen Kasse hätte bezahlen müssen.

"Nein, Meister Durac. Ich bin davon überzeugt, dass Seine Hochgeboren diesen Entschluss begrüßen wird. Ich werde zudem bezüglich der Ackerflächen für Euch vorfühlen, denn auch diesen Vorschlag halte ich persönlich für sinnvoll."

"Sehr schön, damit wäre das entschieden. Möge unser Entschluss der Stadt und unseren Zünften weiteren Wohlstand bringen. Kommen wir nun zum nächsten Punkt der Tagesordnung..."

Kapitel 2

Ende Praios 1043 BF, Burg Kressenburg

"Was da genau auf dem Erlgardsfeld geschehen ist, weiß ich auch nur aus Erzählungen. Nachdem es mich in der ersten Runde der Tjost erwischt hatte, habe ich die restlichen Turniertage damit zugebracht mich im Anwesen meines Schwiegervaters von den Verletzungen zu erholen. Meine Schulter hatte es böse erwischt musst du wissen. Ich hörte nur, dass der Hartsteener Erbe die holde Lechmin im Finale übel zugerichtet und sich hernach abfällig über sie geäußert hat. Auch nachdem bekannt geworden war, dass er ihr ungeborenes Kind getötet hatte, zeigte er keine Spur von Reue." Ingmar musste die Stimme wieder senken und räusperte sich kurz, als er feststellte, dass er sich gerade in Rage geredet hatte. "Über diese Unritterlichkeit waren wir Reichsforster verständlicherweise sehr verärgert, was letztlich zur Eskalation im Buhurt geführt hat. Wohl ein halbes Dutzend Hartsteener ist nachher mit dem Leichenkarren heimwärts gebracht worden. Nun ja, reden wir es nicht schön, auch das war nicht sehr ritterlich von den Reichsforstern. Aber das hätte alles verhindert werden können, wenn sich Odilbert einfach öffentlich entschuldigt hätte."

"Stolz ist schon so manchem zum Verhängnis geworden." Ardos Blick war nachdenklich. Von den Reichsforstern, Ritter Danos' Erben, hatte so einen hinterhältigen Angriff als allerletztes erwartet. "Und die Hartsteener haben das hernach einfach so auf sich sitzen lassen?"

"Was sollten sie tun? Nachdem sich der Staub gelegt hatte, brachen sie ihre Zelte ab und verließen Reichsforst auf dem kürzesten Wege. Immerhin hatten sie auch für die Sicherheit des Grafensohnes zu sorgen. Es gibt auch nach dem Buhurt manchen Ritter in Reichsforst, der dem Hartsteener Jüngling seine Tat nicht so schnell wird verzeihen wollen. Ich bin sicherlich nicht der Einzige, der die vom Turniergericht auferlegte Buße als zu gering erachtet. Auf jeden Fall wurde mein Schwiegervater am nächsten Tag in die Residenz bestellt und kam mit diesem Vertragsentwurf zurück. Es scheint, Graf Drego rechnet bald mit einer Art Vergeltung durch die Hartsteener und will sich schnellstmöglich dafür wappnen."

"Was meinst du Phexian?"

"Die Bedingungen sind hervorragend, wenn der Zeitraum bis zur ersten Lieferung auch knapp ist. Selbst wenn wir die Prozente für den Kesselsteiner abziehen, bleibt uns ein satter Gewinn. Graf Drego muss die Waffen und Rüstungen wirklich dringend benötigen."

"Können wir die Mengen überhaupt liefern, die die Reichsforster haben wollen?"

"Für die ersten Lieferungen sehe ich da gar kein Problem. Wie du weißt, haben wir gerade das Zeughaus mit neuen Rüstungen und Spießen für die Landwehr aufgerüstet. Die können wir schnell und mit Gewinn an Graf Drego senden. Den einen Götterlauf oder zwei werden es für uns auch die alten Spieße noch tun, zumal uns hier in Kressenburg gerade nicht wirklich von irgendwoher Gefahr droht. Der Finsterkamm ist fern, der Reichsforst still, der Schwarzpelz ruhig und für die Scharmützel mit de nFinsterzwergen wird es wohl kaum die Landwehr brauchen. Wir müssen jetzt natürlich mehr Eisen importieren und dafür sorgen, dass die Köhler mit allem was sie ab sofort herstellen die herrschaftlichen Schmieden beliefern. Dazu werden wir auch etwas in Vorkasse gehen müssen. Ein gewisses Risiko bleibt, aber wenn wir den Vertrag erfüllen, holen wir die Investition bis zum Jahresende um ein vielfaches wieder rein."

"Der Finsterkamm ist nie still und ruhig, auch wenn es so scheinen mag Phexian, und das weißt du genauso gut wie ich. Der Ork kommt, wenn nicht heute dann morgen. Aber ich gebe dir insofern Recht, dass ich bei meinen letzten Reisen in den Kamm keine Anzeichen für eine erhöhte Aktivität der Schwarzpelze entdecken konnte. Die Finsterzwerge sind tollkühn geworden wie es scheint, aber das ist ein Problem, dass die Grenzreiter und die Finsterwacht in den Griff bekommen müssen. Haben wir denn eigentlich genügend Reserven um in Vorkasse zu gehen, wie du so schön sagst?"

"Viel ist es nicht, aber zur Not müssen wir Schuldscheine ausgeben. Schau mich nicht so an, ich weiß selbst, dass ich mich gegen so ein Gebaren sonst immer verwehrt habe, Aber mit den Gewinnen aus dem Vertrag sind die vor Jahresfrist wieder getilgt. Erst recht, wenn wir den Bonus für Mehrlieferungen einstreichen können. Überlass mir die Verhandlungen mit den Händlern und der Schmiedegilde. Ich werde alles in die Wege leiten."

"Nun gut Phexian, du weißt, ich vertraue dir in solchen Dingen immer. So eine Chance würde auch ich mir nur ungerne entgehen lassen. Ingmar, du wirst gleich morgen früh mit dem gesiegelten Vertrag zurück nach Luring reiten. Wir sollten Graf Drego nicht zu viel Zeit zu Überlegen geben, damit er es sich nicht doch noch anders überlegt."

Auf dem Holzweg

Gebotene Eile

Mitte Praios 1041 BF, Kressenburg

Die kleine Keilholtzer Reisegruppe war schnell vorangekommen. Neben Baron Ardo, seinem Vater Wulfhart und dem entfernten Vetter Unswin, bestand sie noch aus den diversen Knappen und Pagen der hohen Herren. Sie hatten von Gareth aus den Weg durch Waldstein, den Elfenpfad, gewählt. Ardo war vor allem neugierig, wie weit die bauliche Instandsetzung dieses Handelsweges auf der garetischen Seite fortgeschritten war. Die elfische Gräfin hatte sich damals sehr entschieden gegen den weiteren Ausbau ausgesprochen, was den hochfliegenden Plänen des Waldsteiner Adels und den angrenzenden Greifenfurter Baronen etwas den Wind aus den Segeln genommen hatte. So stimmte es Ardo sehr froh zu sehen, dass die Waldsteiner Edlen sich unter dem Einfluss Leomars von Zweifelsfels doch mehrheitlich gegen den Wunsch ihrer Gräfin zu stellen schienen und das einzig Richtige taten, was den Handel in dieser Region voranzubringen vermochte. Der Karrenweg Richtung Greifenfurt war an vielen Orten verbreitert und bis zur Stadt Osenbrück sogar vollständig mit Feldsteinen befestigt worden. Auch zwei neue Gasthäuser waren dem Kressenburger aufgefallen, die bei seiner letzten Durchreise noch nicht fertig gestellt gewesen waren. Auch das letzte Teilstück durch das Gebiet der Junker von Hagenbronn war trotz der schwelenden Feindschaft friedlich verlaufen. Drei gut gerüstete Ritter samt ihrem Gefolge schüchterten die Büttel genug ein, dass sie sich diesmal kaum mehr als ein paar unfreundliche Blicke und ein mürrischen Knurren gewagt hatten. So war die Heimreise vom Kaiserturnier in Gareth deutlich angenehmer gewesen, als Baron Ardo es erwartet hatte.

Im heimatlichen Kressenburg öffneten sich schnell alle Tore vor ihnen. Ardo merkte vor allem am Baufortschritt des Praios-Tempels, dass er schon wieder für mehrere Monde fern seines Lehens gewesen war. Die üblichen Schuldgefühle überkamen ihn und zum wiederholten Male nahm er sich vor, in Zukunft deutlich mehr Zeit bei seiner Gemahlin und den Kindern zu verbringen. Sie waren auch kaum auf den Burghof geritten und von den Pferden gestiegen, als eine kleine lärmende Kleinkinderschar aus den Stallungen stürmte und sie umringte. Kurz danach traten zwei jungen Edeldamen dazu. Die eine zierlich von Gestalt und von fast elfenhafter Anmut. Die andere nicht minder schön, doch von eher muskulöser Statur, der man die Kriegerin auf eine halbe Meile Entfernung ansah, die zudem einen etwa fünf Monde alten Säugling auf dem Arm hielt.

Noch bevor Wulfhart und Ardo ihre Gemahlinnen begrüßen konnten, trat eine dritte, noch etwas jüngere Frau dazu, gewappnet und in den Farben der Mark gewandet. Das eher gezwungene Lächeln, das sie zur Schau stellte als sie Ardo sah, sagte dem Baron, dass seine Tante nicht auf einen Freundschaftsbesuch vorbeigekommen war. Nachdem sich der größte Trubel des Willkommens gelegt hatte, nahm die Ritterin der Mark den Baron dann auch kurz zur Seite, um ihre Botschaft los zu werden.

„Die Greifin wünscht dich umgehend zu sehen, Neffe! Ich weiß, du bist gerade erst heimgekehrt, aber es wird das Beste sein, du lässt dein Pferd sofort wieder satteln und begleitest mich jetzt sofort, damit wir noch vor Sonnenuntergang in der Residenz sein können.“

Keilholtzer Neuordnung

Geordnete Verhältnisse

Ich, Ardo von Keilholtz ä.H., Baron zu Kressenburg, verfüge Folgendes als meinen letzten Willen:
 
 
 
 
1. Als Erbe der Baronswürde bestimme ich meinen Vater Wulfhelm von Keilholtz.

2. Ihm nachfolgen soll mein Erstgeborener Answin Shazar. Sollte dieser sein Erbe nach dem Willen der Zwölfen nicht antreten können, so bestimme ich an seiner Statt eines meiner nachgeborenen Kinder in der Reihenfolge ihrer Geburt.
3. Sollte nach der Götter Willen keines meiner Kinder das Erbe antreten können, so bestimme ich meine Geschwister aus der ersten Ehe meines Vaters in der Reihenfolge ihrer Geburt, mir nachzufolgen. Bedingung dafür sei, dass sie und ihre Nachkommen den Namen der Familie Keilholtz fortführen.
4. Sollte nach der Götter Willen keines meiner genannten Geschwister das Erbe antreten können, so bestimme ich die Geschwister meines Vaters und ihre Nachkommen in der Reihenfolge ihrer Geburt. Bedingung dafür sei, dass sie und ihre Nachkommen den Namen der Familie Keilholtz fortführen.
5. Sollte es dem Herrn Boron gefallen mich und meinen Vater zu sich rufen, bevor mein rechtmäßiger Erbe die Mündigkeit erreicht, so bestimme ich meine Gemahlin Praiadne Leuinherz Keilholtz zur Verweserin der Baronie Kressenburg, bis mein Erbe dieses antreten kann.
6. Meiner Gemahlin Praiadne Leuinherz Keilholtz sei das Edlengut Greifenwehr bis zu ihrem Tode als Wittibengut zugesprochen, auf das es ihr im Leben an nichts mangele.
7. Meine derischen Besitztümer vermache ich meinem rechtmäßigen Erben, ausgenommen der nachfolgend genannten.
8. Aus meiner Privatschatulle erhält die Praioskirche Zwölf mal Zwölf Dukaten um den Bau des neuen Kressenburger Tempels voranzutreiben.
9. Meine Gemahlin Praiadne Leuinherz Keilholtz erhält mein Gebetsbüchlein, auf das es ihr in dunklen Stunden Trost spende.
10. Mein Bruder Firnward von Keilholtz erhält mein Schwert Orkentod.
11. Meine Knappin Mechthild von Kieselholm erhält mein Streitross Boromil. Sollte das treue Tier mit mir verstorben sein, so erhält sie ein Streitross aus der Zucht des Märkischen Marstalls.
12. Es ist mein Wunsch und Wille in der Krypta des Praios-Tempels Sankt Garafan vor dem Tore zu Kressenburg meine letzte Ruhestatt zu finden. Dieselbe soll sein die Grablege meiner Familie auf immerdar.

Gegeben am 1. Tag des Herrn Phex im Jahre 1037 nach Bosparans Fall
 
 
 
 
Gesiegelt und bezeugt

Badilak von Praiostann
Ardo von Keilholtz ä.H.

Praiomel von Kieselholm

DEUS VULT

Bauarbeiten

  • Bauholz: aus Kressenburg
  • Stein: ggf. eigener Steinbruch (Neuerschließung mit Folgenutzung, mit Volker abklären) oder aus dem Finsterkamm (Spieler?)
  • Versorgung der Arbeiter: zusätzliche Getreidelieferungen aus Eslamsroden und Hexenhain
  • Gold: aus Gareth?
  • Marmor: Eslamsgrund? oder andere Quelle?
  • Arbeiter: Tagelöhner aus der Region (Mark und Waldstein), ggf.dauerhafte Erhöhung der Einwohnerzahlen durch Zuzug? (mit Volker abklären)

Gästeliste zur Einweihung

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