Geschichten:Die Chronik der Gemmenritter - Ritterin Berglöwin
Ayshala von Bosquirquell,
genannt "Berglöwin",
Mitglied der Ersten Vier,
verschollen im Raschtulswall im Jahre 764 nach Bosparans Fall
Im Namen des ehrenhaften Zweikampf, sei es mit anderen oder mit der eigenen Schuld, sei dieser Eintrag gesetzt.
Sie war nicht wie wir anderen.
Als wir drei – Alwene, Werdomar und ich, Geron – beim Schandturnier zu Luring unsere Lanze senkten, saß Ayshala bereits auf der Tribüne, das Antlitz unergründlich, den Blick unbeirrbar. Nicht als Zuschauerin, auch nicht als Streiterin, sondern als Richterin über uns alle.
Sie hatte nicht teilgenommen, doch das machte sie nicht frei von Schuld.
Ayshala war eine Amazone, geboren im Süden, in der Keshal Rondra am Raschtulswall, jener gefürchteten Zitadelle der Leuin, wo Mädchen zu Schwertern geformt werden. Sie hatte dort viele Jahre gedient, hatte geritten, gestritten, gelehrt – bis eines Tages ihre Standarte aus dem Rondra-Tempel entfernt und ihr Name von den Mauern geschlagen wurde.
Weshalb? Sie sprach nie darüber. Nicht einmal zu mir.
Und doch: Ich habe nie einen Menschen gesehen, der so hart mit sich selbst urteilte wie sie.
Als sie sich uns anschloss, am Feuer vor dem Ingerimmsturnier in Eslamsgrund, brachte sie keine Vergangenheit mit, nur eine Narbe in der Seele, die niemand sah, aber jeder spürte.
Es war Ayshala, die das Bündnis stiftete. Nicht, weil sie uns reinwaschen wollte. Sondern weil sie selbst Sühne suchte. „Leuinnenzorn“, ihren Rondrakamm, den heute zwei Almadine zieren, hatte sie einst unter den Augen der Göttin geschwungen. Jetzt legte sie diesen in unsere Mitte – und wir schworen darauf, einander in Ehre zu halten.
Ich nannte sie die „Berglöwin“. Nicht, weil sie aus dem Gebirge kam. Sondern weil sie allein stand, groß, zornig, herrlich – und niemanden in ihr Herz ließ. In der Tjost war sie präzise, ohne Prunk, wie eine Statue, die schlägt. Auf dem Schlachtfeld war sie Gerechtigkeit in Bewegung. Und in unserer Runde war sie das Gewissen, das uns erinnerte, wer wir hätten sein sollen – und vielleicht noch werden konnten.
Sie blieb dem Bund bis ins Jahr 764 BF erhalten. Dann ging sie, ohne Abschied, ohne Erklärung. Manche sagen, sie sei zu den ihren zurückgekehrt, um sich ihrer Schuld zu stellen. Andere glauben, sie habe im Wall den Tod gefunden. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Leuinnenzorn blieb. Das Schwert, auf das wir einst schworen, hütete sie nicht mehr – aber wir hüten es nun für sie.
Wenn es erhoben wird, um ein neues Mitglied in den Kreis zu rufen, dann zittert es manchmal leicht. Ich glaube, das ist Ayshalas Hand, irgendwo diesseits oder jenseits, die prüft, ob wir noch würdig sind.Viele verehrten sie innig,
einige fürchteten sie,
doch niemand verstand sie ganz.