Geschichten:Weiß wie Schnee – Mitten ins Herz

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Hexenwald, Travia 1044

Heftig peitschte der Regen auf mich nieder. Schützend hielt ich meine Hand vor mein Gesicht. Inzwischen fror ich erbärmlich, war mittlerweile vollkommen durchnässt. Der Regen kroch bereits in mein Innerstes hinein. Zähneklappernd versuchte ich nach der Weißen Rabe Ausschau zu halten, konnte aber nicht mehr als ihren vermeintlich weißen Haarschopf in den immer wieder vom Himmel herabzuckenden Blitzen ausmachen. So folgte ich Lurigan. Sein weißes Gefieder war auch durch den trüben Schleier, den der Regen über alles legte, einigermaßen zu erkennen. Doch leicht war es nicht. Fast blind stolperte ich durch den Hexenwald. Dornen und Gestrüpp zerrissen meine Robe und zerschnitten meine Beine. Doch ich hielt meinen Blick, konzentrierte mich auf Lurigan. Ich durfte ihn nicht verlieren, denn sonst verlor ich nicht nur die Weiße Rabe, sondern war auch selbst in diesem Wald verloren. Was wusste ich denn über diesen Wald? Abgesehen von der Tatsache, das in ihm alte Magie ruhte?

Immer weiter und weiter drang ich so durch den Wald und näherte mich unaufhörlich dessen Herz. Dass wir ihm immer näher kamen, erkannte ich an den knorrigen, alten und verwachsenen Bäumen, die das Gewitter in ein unheimliches Dämmerlicht tauchte. Schaurige Schatten bäumten sich von einem auf den anderen Augenblick vor uns auf und vollführten bizarre Tänze bevor sie dann genauso schnell wieder verschwanden wie sie gekommen waren. Ich fror nur noch erbärmlicher.

Endlich traten wir auf die Lichtung und das Herz des Waldes lag vor uns. Die Weiße Rabe beschleunigte ihre Schritte. Über uns tobt das Gewitter. Es war ganz nah. Es war über uns. Finsteres Donnergrollen wechselte sich mit den herabzuckenden Blitzen unablässig ab. Lurigan schloss eilig zur Weißen Rabe auf. Da zuckte erneut ein Blitz herab. Direkt vor mir. Ich kniff die Augen zusammen, war einen Moment geblendet. Das auf den Fuß folgende Grollen stellte mir die Nackenhaare auf. Während meine Augen sich noch von dem grellen Licht zu erholen suchten, sah ich zuerst Lurigan zu Boden stürzen, dann folgte die Weiße Rabe. Sie brach einfach zusammen. Mir stockte der Atem. Ich war einen Moment wie gelähmt. Dann stürzte ich nach vorne. Eilte an ihre Seite. Die Weiße Rabe lag reglos am Boden, aus Mund und Nase rann Blut. Der Regen wusch es fort. Wusch es in die Erde unter dem Baum. Und ich spürte wie das Leben aus ihr in den Boden darunter sickerte. Und nicht nur aus ihr. Dicht neben ihr lag Lurigan und auch sein Leben schwand. Es rann in die Erde unter ihm. Oder... oder floss es in den Baum? Rann das Blut... das Leben in den Baum hinein? Ich konzentrierte mich. Fühlte wie uralte Magie nach mir zu greifen versuchte. Ich wehrte mich. Drängte sie zurück und spürte doch, wie etwas in diesem Baum wuchs, wie etwas zunahm, wie es erstarkte, auch wenn nur ein ganz kleines bisschen. Als ich an dem Baum hinaufblickte, sah ich, dass ein Blitz dessen Krone gespalten hatte. Ich schauderte. Gab es eine Verbindung zwischen der Weißen Rabe und ihm, dem Herz des Waldes? Eine Verbindung von ähnlicher Art, wie ich das von der Verbindung von Hexen zu ihren Vertrauten gehört hatte? War es das was sie meinte, wenn sie davon sprach, dass sie auch sterben würde, wenn der Wald starb?

Ich schluckte, blickte auf die Weiße Rabe neben mir und sank auf die Knie. Zuerst bettete ich Lurgian auf ihre Brust, dann beugte ich mich über sie und strich ihr das feuchte weiße Haar aus dem Gesicht. Mit blauen, starren Augen blickte sie mich ausdruckslos an.

„Alles“, wisperte ich gegen Regen, Wind und das Gewitter an, „Ich werde alles tun, damit du bleibst. Ich schwöre. Schwöre bei meinem eigenen Leben. Ganz gleich was es sein mag. Ganz gleich was es kostet. Vollkommen gleichgültig was es kostet. Ich werde dich nicht gehen lassen. Du bist alles für mich. Du bist... bist das Liebste für mich. Was bin ich ohne dich? Du bist mein Herz, mein Herz, mein Herz. Und was wäre ich ohne... mein Herz?“