Geschichten:Lehrjahre sind keine Herrenjahre

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»Noch einmal!«, erscholl es laut aus dem Hof, Schwerter klirrten, schlugen Rüstungen an wie Klöppel blecherne Glocken. Ächzen und Stoßlaute der Anbstrengung waren zu hören, aber auch der eine oder andere Schmerzensschrei, wenn eines der stumpfen Übungsschwerter zu arg aufgetroffen war. »Noch einmal!«, kommandierte der lange Odo erneut, der Schwertmeister des Grafenhauses und damit zuständig für die Ausbildung der Luringer Knappenschar. Odo hatte ein ledernes Wams an, das seine aufrechte Schlankheit noch unterstrich, die Haare umflatterten im Kranz seine Glatze, der kurze Stock in seiner Rechten dirigierte den Takt. Immer wieder schritt er zu einem der Kämpferpaare, legte den Stock auf die Stelle, die ungeschützt war, auf den Ellenbogen, der nicht zur Haltung passte - und mitunter parierte er mit dem Stock den Schlag einer Übungswaffe. Acht Paare kämpften - beileibe nicht nur die Knappen. Der lange Odo wünschte, dass ein jeder sich so oft übe, wie es möglich sei. Und damit meinte er stets das Schwert - denn die Schwertklinge sei die ›Kaiserin unter den Waffen‹. Für die Reiterei war die Hausritterin Helidora von Treleneck-Sturmfels zuständig, die aber erst morgen wieder ihre strenge Zucht ausüben würde.

Tsaiana von Waldfang-Angerwilde hatte den oberen Hof der Burg Luringen zaghaft betreten und dem Treiben vom Rande aus zugesehen. Zwar hatte sie brieflich ganz forsch ihr Kommen angekündigt, um beim König der Ritter mehr über das Rittertum zu lernen, aber nun kam sie sich seltsam vor. Wären nicht die anderen gestandenen Ritter bei den Übungskämpfern gewesen, wäre sie womöglich gleich wieder umgekehrt.

»Hejda, Tsaiana!«, rief eine schlanke Frau, die blonden Haare auf Kinnhöhe gestutzt, nun aber schweißverklebt und halb außer Atem. Mit geröteten Wangen kam sie auf Tsaiana zu, das Übungsschwert hatte sie sich über die Schulter gelegt. ›Des Grafen Tochter Lechmin‹, dachte Tsaiana. »Da bist du ja, Vater hat dich angekündigt! Heute ist der siebente; pünktlich!«

Zwar hielt Tsaiana nicht so sehr auf Etikette wie manch anderer, und Lechmin war ja auch derselbe Jahrgang wie sie, aber diese familiäre Ansprache irritierte sie: »Die Götter zum Gruße, Domna Lechmin. Danke, dass Ihr mich empfangt.« Sie gaben sich fast beiläufig die Hand, Tsaiana deutete einen Knicks an.

»Na klar, Vater hat mich darum gebeten. Komm, ich zeige dir, wo du dich umziehen kannst.« Sprach’s und schritt voran.

»Umziehen?«

»Ja klar, oder willst du in diesem Aufzug kämpfen?«

»Kämpfen?«

»Ach, Tsaiana, Guck nicht so, sonst muss ich lachen!« Sie lachte trotzdem. »Natürlich kämpfen. Du willst doch etwas über Ritterschaft lernen. Und dazu musst du den Kopf freibekommen. Und das geht am besten, wenn man sich im Schwertkampf übt. Glaub mir.«

»Na gut. Ich habe aber keine echten … Kämpfersachen dabei. Kannst du mir welcher leihen?«

»Kann ich, wird sich was finden lassen. Ach so: Vater sagte, man solle dich wie eine Knappin behandeln. Darum wirst du hier von allen Rittern geduzt, du musst aber alle Ritter ihrzen. Mach dir nichts draus.« Und flüsternd haucht sie hinzu: »Aber was soll’s - den Odo kann man gar nicht duzen!«

Wenig später stand ein neuntes Kämpferpaar im Hof - Tsaiana hatte kaum Zeit, sich über ihren Aufzug Gedanken zu machen, denn schon sauste das Übungsschwert heran (man hatte sich auf die leichteren Holzschwerter geeinigt), das Lechmin so beherzt führte, als wollte sie einen Orken köpfen.

»Noch einmal!«, brüllte der lange Odo ihr ins Ohr und: »Kopf runter! Beinarbeit, Beinarbeit! Du bist hier nicht im Bette! Hintern raus, Rücken gerade! Und schwingen - Per-pen-di-kel! Schwung, Frollein! Jawohl! Nu aber zackig, Lechmin! Noch einmal!« 

Als es vorbei war, war Tsaianas Kopf leer - sie war erschöpft und fühlte sich wie betäubt. Aber gleichzeitig hatte sie nur eines im Sinn: Schwert, Schwert, Schwert. Was auch immer sie gedacht, gesorgt, gegrübelt hatte, als sie hergekommen war, war nun fort. Als sie am Abend ihren Kopf auf die Pritsche in der Kammer legte, die sie sich mit der Knappin Erlbrechta teilte, hörte sie nur ›noch einmal‹ schnarren und war augenblicklich eingeschlafen.



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7. Eff 1034 BF
Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Ein Glied in einer kostbaren Kette


Kapitel 5

Autor: BB