Geschichten:Gerwald von Gabelfels

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Feste Rallerwacht, Tsa 1046 BF:

Die Finsternis legte sich wie ein undurchdringlicher Schleier über die Burg Rallerwacht, und der pfeifende Wind schien nach ihm zu rufen. Gerwald von Gabelfels, Lanzenführer der Waldsteiner Pikeniere, mit grauem Haar und der Last zahlloser Schlachten auf den Schultern, schritt durch die engen Gänge der düsteren, tief in den Fels gehauenen Eingeweide der Feste.

Sein klobiger Rüstungsmantel schabte leise über den kalten Stein, während sein schmiedegeprüfter Stahl das einzige Licht reflektierte, das tief in die Finsternis vordrang. Der widerhallende Klang seiner Stiefel hallte von den verwitterten Mauern wider, als er durch die Katakomben schritt, ein Ort vergessener Leiden und stummer Schreie.

Vor drei Götterläufen war seine Befehlshaberin, Hauptfrau Lorinte von Zweifelfels, unter ungeklärten Umständen verschwunden. Ihr folgte der undurchsichtige und opportunistische Radewin von Hellrutsberge als neue Hauptmann. Ein abstoßender Mann, wie Gerwald empfand, ein Mann ohne Ehre. Es gab Gerüchte, der neue Hauptmann habe seine Vorgängerin beseitigen lassen. Nach all den dahin rinnenden Götterläufen, kroch ein Gerücht die Mauern der Feste empor, wonach im tiefsten Kerker von Rallerwacht eine Person mit einer eisernen Maske gefangen gehalten wurde. Wilde Spekulationen machten die Runde, war dies der vielleicht doch nicht in Gareth zu Tode gekommene Baron Wulf von Streitzig? Oder gar die Schwester der Kaiserin Yppolita von Gareth. Gerwald aber hatte einen anderen Verdacht und so nutzte er all seinen Einfluss, um in die finsteren Tiefen der Feste hinabzusteigen.

Wie ein Bandwurm fraßen sich die langen Gänge in den Fels. Immer tiefer führte es Gerwald in die Finsternis. In einem abseits gelegenen Verlies stieß Gerwald auf einen Menschen in zerschlissenen Gewändern, deren Gesicht von einer eisernen Maske verborgen war. Es war also wahr. Doch ihre Augen, die trotz des eiskalten Metalls zu funkeln schienen, erkannte er sofort. Es war Lorinte von Zweifelfels, einstige Hauptfrau und Weggefährtin aus längst vergangenen Zeiten.

"Lorinte? Was haben sie mit dir gemacht?", flüsterte Gerwald leise mit bestürzter Stimme.

Die Gefangene hob langsam den Kopf, und ihre ausdruckslosen Augen trafen diejenigen des alten Mannes. Ein Schauer der Erkenntnis durchzog Gerwalds Körper. Unter der eisernen Maske erkannte er die Züge der Frau, die einst an seiner Seite gekämpft hatte.

"Gerwald... Du hast mich gefunden.", stammelte Lorinte gebrochen.

Bevor Gerwald einen Schritt näher treten konnte, erklang hinter ihm das leise Klirren von Rüstungsteilen. Eine schattenhafte Gestalt, mit dem schneidenden Glanz blank polierter Rüstungsteile, trat aus der Dunkelheit. Mit einem Ruck durchbohrte eine Pike Gerwalds Rücken und ließ die Spitze aus seiner Brust ragen. Der alternde Mann riss panisch die Augen auf, Blut quoll da bei gurgelnd aus seinem Mund. Gerwald stolperte vorwärts, sein Atem stockte. Lorinte, die in ihren Fesseln gefangen war, schrie auf, während das Blut des alten Recken den kalten Stein des Verlieses färbte.

Aus den Schatten der Dunkelheit trat, mit unheilvoller Kälte in den Augen, Radewin von Hellrutsberge. "Deine Zeit ist vorbei, Gabelfels. Lorinte wird niemals mehr in Praios Antlitz blicken."

Mit einem letzten, schmerzverzerrten Blick auf die eiserne Maske, die die Frau verbarg, der er bis zu seinem letzten Atemzug treu ergeben war, brach Gerwald von Gabelfels in den dunklen Gängen der Feste Rallerwacht zusammen.