Geschichten:Eine Grafschaft zu ordnen – Ja, aber mein Niemand

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Burg Reinherz, 1. Peraine 1045 BF

„Haben wir uns verstanden, Lucidus?“ Graf Gerwulf blickte den Geweihten scharf an. Beide befanden sich auf den Stufen zum Pallas im hellen Sonnenschein, der Garten verströmte den frühlingshaften bzw. sommerlichen Duft seiner Blüten, die Mauern der Burg erstrahlten weiß, und dennoch umwölkten Strenge des Grafen Stirn und Sorgen des Geweihten Miene.

„Jawohl, Hochwohlgeboren“, antwortete Lucidus im Tone dessen, der gewillt ist, Befehle auszuführen, selbst wenn sie ihm nicht gefallen. „Ihr seid der Graf von Götter Gnaden, ich werde auf Ihre Hochwürden acht geben.“

„Gut, so sei es. Ich möchte nicht, dass mir diese Person zu nahe rückt. Dem vormaligen Grafen ist sie nie vom Schoß gerutscht – auf meinen kommt sie gar nicht erst rauf. Ihr könnt gehen. Und sagt der Glimmerdieck, ..“

„Ginsterbeck.“

„Ginsterbeck, Ginsterdieck, Glimmerbeck – ist mir egal. Sagt ihr, dass sie die Kandelaber auf dem Ucurischrein besser putzen soll. Ich habe mich neulich nicht ordentlich darin spiegeln können.“

Lucidus nickte. Er konnte sich nicht erinnern, wann zu Eslamsgrund das letzte Mal Praiosgeweihte in dieser Weise abgefertigt worden waren. Wahrscheinlich als Yesatan noch Graf gewesen war. Da huschte ein Grinsen über sein Gesicht, denn diesen Vergleich mochte der Graf gewiss nicht gern hören. Das Grinsen war selbstverständlich luzide.

Gerwulf wandte sich erneut in den Garten, schlenderte die Kieswege bis an die Brüstung und schaute weit in das Land. ‚Verfluchtes Eslamsgrund‘, dachte er. ‚Verflucht und verwünscht im Krieg der Magier mit Wunden und Wundern, die es erst noch zu ergründen galt. Was mochten die Praioten alles unterdrückt und mit der flammenden Geißel auszubrennen versucht haben, was dem Land geholfen hätte? Was Wesen des Landes geworden war?‘

„Ähem“, räusperte sich eine Stimme.

Calderina!“, freute sich Gerwulf über seine Tochter, deren goldenes Haar der Sonne leuchtend zu antworten schien.

„Vater“, strahlte Calderina, und nach einer kurzen Umarmung sahen sich die beiden an, Gerwulf hielt die Ellenbogen seiner Tochter. „Dir bekommt Monvaldorn wohl, was?“

„Wie man es nimmt. Ich glaube es profitiert noch etwas mehr von mir als ich von ihm. Ich nehme an, Du hast mich zu Dir gerufen, weil es um Politik geht?“

„Ja und nein. Ich habe Dich gerufen, weil Du meine engste Vertraute in Eslamsgrund bist. Und meine Tochter.“

„Das ist das gleiche.“

„Ja. Ich habe tatsächlich eine Aufgabe für Dich, die ich Dir und nur Dir übertragen möchte. Aber sie ist nicht rein politisch. Sie ist … wichtiger als die Politik.“

„Wichtiger als Politik? Und Du willst die Politik zuerst besprechen und dann das Wichtige?“

„Ganz genau, Calderina.“

„Das klingt nicht nach Dir, Vater.“

„Es ist aber so. Komm, setz Dich hier unter das Rosenspalier. Sieh, wie die Blüten erblühen, kaum sitzest Du neben ihnen.“

Calderina lächelte ihren Vater nachsichtig an: „Papa, raspelst Du gerade Süßholz?“

„Nein, ich bin nur stolz auf Dich. Stolz ist aber ein gutes Stichwort für die Überleitung zum politischen Thema: Das lästige Frettchen hat mir Personalvorschläge für diverse Ämter in Eslamsgrund geschickt, die ich ‚wohlwollend‘ prüfen möge.“ Gerwulf setzte sich neben seine Tochter und schlug die Beine übereinander. Seinen Rücken hatte er durchgedrückt, als ritte er auf seinem Ross eine Quadrille.

„Das sieht ihm ähnlich, wenn Du Cantzler Horulf meinen solltest.“

„Natürlich, wen sonst? Er ist das einflussreichste Frettchen des gesamten Mittelreichs. Und er will mir seine Kreaturen unterjubeln, angefangen bei seinem rohen Schlächter Ahrenstedt über den einfältigen Ruchin bis hin zu irgendwelchen Schildträgern aus dem Umfeld des Zedernkabinetts. Das hat Dein Bruder sehr geschickt entmachtet.“

„War das nicht auch das Frettchen?“

Gerwulf nickte stumm. „Ja, das war auch das Frettchen. Ich bin sehr froh, dass der Mann schon so alt ist.“

„Na ja, Vater. Manche werden noch älter. Denk nur an Großonkel Storko.“

„Bitte, vermies mir nicht diesen schönen Frühlingstag!“ Gerwulf schwieg erneut kurz. „Pass auf, die Grafschaft Eslamsgrund hat wenig Eigenlehen und auffallend viele Kronlehen. Das ist für das Haus Gareth von Vorteil, denn wir müssen auf dynastische Ansprüche weniger Wert legen und können unsere Hausmacht ausbauen und die der anderen Häuser leichter brechen, namentlich Ehrenstein und Eslamsgrund.“

„Geht es um Zagbar?“

„Später. Jetzt geht es um Gräflich Eslamsgrund. Das ist der zentrale Pfeiler der Grafenmacht in Eslamsgrund und nicht zufällig das Lehen des roten Malwarth gewesen. Ich werde hier jemanden einsetzen, der sich auf unserer Seite im Kampf gegen die Großfüchse ausgezeichnet hat und der einerseits keine Verpflichtungen und Freunde in Eslamsgrund hat, so dass er frei von irgendwelchen Abhängigkeiten agieren kann. Er muss andererseits frei von Skrupeln sein, wenn es um unsere Gegner geht. Und er muss aus so niederen Schichten stammen, dass er unfähig ist, jemals illoyal zu werden.“

„Dann meinst Du also einen der Perricumer – den zwölften Sturmfels oder den Hardenstatt?“

„Nein. Sturmfels ist zu alt und hat zu viel eigene Geschichte. Die reinste Belastung. Und Hardenstatt verdankt anderen bereits zu viel, namentlich unserem Schwager Rondrigan.“

„Also etwas Bürgerliches? Doch des Frettchens Täubchen Turda?“

„Ich glaube, er nennt sie ‚Drossel‘. Aber nein, keine von seinen Kreaturen. Ich meine Perainsgarten.“

„Perainsgarten? Das ist ein Niemand.“

„Noch. Und es ist mein Niemand.“

„Und warum sagst du mir das?“

„Weil ich möchte, dass du ihn mir bringst. Hol ihn mir aus dem Schlund und schildere mich in den schillerndsten Farben: rachsüchtig wie ein Geier, großzügig wie ein Greif, mächtig wie ein Falke, schlau wie ein Fuchs, dankbar wie ein …“

„… wie ein Gareth. Schon verstanden. Ich soll ihn vorbereiten wie ein Kotelett, ehe du es auf den Grill legst.“

„So in etwa.“

„Das wäre also die Politik – was ist das Wichtige, das du mit mir besprechen möchtest?“

„Wie findest du ‚großzügig wie ein Greif‘?“

„Ach, Vater. Seit wann sind Greifen denn großzügig?“

„Seitdem die Gareth wieder dankbar sein können.“