Geschichten:Brachenhüter

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Schloss Kaiserslust in Rettelrode, Peraine 1041 BF

Gerobald, bald seid Ihr auch weg“, brummte der Cantzler und schnitt sich ein Stück von der fettigen Wurst, die man in Rettelsrode auch Tatzenwurst nannte, wegen des Wappens der Edlen dieser Lande.

„Wohin sollte ich denn gehen, Ewex?“, wunderte sich des Königsreichs Bannerträger und reckte den Kopf auf dem hals so überrascht wie ein Truthahn den seinen beim Knallen der Armbrustsehne.

„Na, auf den nächsten frei werdenden Posten natürlich. Ihr habt dem Königreich so lange schon gedient, da habt Ihr es doch verdient, dass Ihr Pfründe genießen, eine Familie gründen und Speck ansetzen könnt.“ Luring schob den Teller mit dem restlichen Wurstkranz beiseite – er konnte seinem dürren Leib keineswegs mehr Fett zumuten.

„Ach was“, wedelte Gerobald seine Antwort beiseite“, das hat keine Eile. „Ich bekäme doch eh nur ein Amt auf Lebenszeit, davon hätten meine Kinder nichts. Außerdem sollen Kinder ja schwierig sein: Am Anfang parieren sie nicht, am Ende auch nicht und dazwischen wollen sie immer nur Geld. Meine Familie ist groß genug, die brauchen keinen Ruchin aus meinen Lenden.“ Gerobald grinste spitzbübisch und wirkte jünger, als er war. Überhaupt – wenn man dieses arglose Gesicht betrachtete, konnte man kaum glauben, dass dies Garetiens Bannerträger sein sollte, der seit fast zwanzig Jahren in allen größeren Schlachten in vorderer Front geritten und gekämpft hatte, sich stets das Risiko abwägend, mit der Fahne die Truppen anzutreiben und den Fall des Banners zu verhindern, der eine ganze Schlacht verloren geben konnte. Gerobald schulterte diese Aufgabe leicht. Vielleicht weil es seine einzige war.

„So, haben die Herrn sich gestärkt?“, fragte die Hausherrin auf Schloss Kaiserslust, wo der Cantzler zum Frühling eingekehrt war. Celessa von Goyern stellte ironisch einen aufgeschnittenen Laib Brot auf den Tisch: „Halten zu Ganden, Exzellenz, die Brotmeisterin serviert das Brot.“ Mit einem Lächeln setze sie sich dem Cantzler gegenüber in einen Korbstuhl, griff sich eine Scheibe und schlug die weißen Zähne hinein, als wollte sie rohes Fleisch vom Knochen reißen.

„Das haben wir, Celessa, habt Dank. Wir besprachen bei der lauschigen Aussicht aus Eurem verwunschenen Schlösschen gerade die Tatsache, dass es heutzutage schwer ist, gutes Personal zu bekommen.“ Horulf griff nach dem Pokal mit eisgekühltem Wasser. Wie man so kalte Getränke trinken konnte, war seinem Umfeld stets ein Rätsel, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, zu jeder Jahreszeit Eis beschaffen zu sollen.

„Wem sagt Ihr das, wem sagt Ihr das“, fiel Celessa in die Klage ein.

„Glücklicherweise macht Ihr da eine Ausnahme, verehrte Celessa. Ihr habt Euch bereits bewährt, wohingegen Eure Vorgängerin auf Puleth keine besonders glückliche Figur macht. Sie hat den Alriksrittern keineswegs so rabiat den Zahn gezogen, wie ich es mir gewünscht habe.“ Luring nahm einen winzigen Schluck.

„Danke, aber mit Euren Leuten zu arbeiten, ist einfach. Sie sind gut.“

„Sie werden aber weniger. Marbert von Isppernberg - ein Verräter auf den Efferdstränen, Treumunde auf Puleth, Fridega auf Barbenwehr – wann kommen ihresgleichen?“ Luring war kurz davor, einen Seufzer auszustoßen, beherrschte sich aber. Er fürchtete, bereits fast so rührselig zu sein wie sein Bruder, der immerhin als Inquisitor in das Kanzleramt gegangen war. Als Inquisitor – man stelle sich das vor! Und hat am Ende von Zweifeln so voll wie der Scheißhaufen eines wurmkranken Köters. Es würde einfach dauern, sich neue Kreaturen heranzuziehen. Rabenmund war da einfach einen großen Schritt weiter …

„Ja, sie sind gut“, begann Luring erneut zu reden. „Ihr könnt jetzt meine Drossel hereinbringen – sie sollte Informationen haben.“ Kurz darauf erschien Turda Fuxfell, die für den Cantzler schon einiges gewesen war – Krämerfrau, Ritterin, Seiltänzerin, Hesindegeweihte, Schreiberin und Müllerin. Nur Mörderin nicht – das war Ahrenstedts Ressort.

„Berichte“, forderte er sie auf.

„Rabenmund hat den Rat der Helden herumgekriegt: Sie wollen gemeinsam einen Gürtel aus Rittergütern um die Dämonenbrache ziehen und sie mit loyalen Brachenhütern besetzen. Loyal insofern, als Rabenmund und Gareth sie aus dem Kreis der verdienten Reckinnen und Recken der vergangenen Jahre rekrutieren wollen, indem sie sie adeln und finanzieren.“

„Adeln?“, kam Gerobald aus seinem Traumland zurück, „Adeln? So eine Art Halscher Neuadel?“

„Erst der Halsche, dann der Falsche“, witzelte Celessa.

„Weiter“, unterbrach Luring, „lass hören.“

„Es wird einen Aufruf geben – wer sich daraufhin meldet, kann man jetzt noch nicht wissen. Es tummeln sich allerdings schon jetzt einige Schmarotzer in Rabenmunds Nähe, vielleicht kennen wir ja doch den einen oder die andere mit Namen?“ Fuxfell zog eine Liste aus der Umhängetasche, entfaltete sei aber nicht, sondern gab sie dem Cantzler.

„Möglich. Wenn diese Brachenhüter ausreichend Mittel bekommen, könnten sie loyal sein – bis jemand mehr zahl. Aber wer könnte schon mehr zahlen als Rabenmund? Schlau. Aber das kann noch nicht alles sein. Turda?“

„Seit Marnion von Isppernberg – Marnion Efferdhold von Isppernberg notabene – nicht mehr auf Sonnentor ist, sind unsere Zugänge nicht mehr leicht gangbar. Ich bearbeite grade die Hausritterin Gryffingk, das könnte etwas werden. Jedenfalls nehme ich an, das Rabenmund nicht nur seine Hausmacht vergrößern will, sondern noch Weitergehendes vorhat.“

„Worauf spielst du an, Turda?“, wollte Luring wissen.

„Auf die geheime Kammer des Markvogtes. Diese ominösen Bleikisten, die er offenbar schon vom Ochsenwasser mitgebracht und mit unbekanntem Inhalt gefüllt hat.“

„Wieso haben die etwas damit zu tun?“

„Weil Gryffingk mir erzählt hat – wir nehmen gerade bei demselben Lehrer Reitunterricht und sie hält mich für eine reiche Patrizierin –, dass Spalotin derzeit nur zwei Aufgaben hat: die Brachenhüter und die Grafenkammer. Außerdem soll der Leibarzt, ein dicker Warunker namens Schimmelgeiß, Tinkturen gegen Bleivergiftung geordert haben.“

„So so. Höchst interessant. Da müssen wir dran bleiben. Vielleicht erwischen wir den Raben bei einem riskanten Schritt und bringen ihn ins Straucheln!“ Lurings Stimme klang aufgeregt und spitz wie ein Meuchelmesser.

„Einen Fehler hat er gewiss gemacht“, höhnte Celessa, „indem er mit den Säcken aus dem Garether Rat paktiert. Die kennen keine Ehre, das sage ich Euch.“