Geschichten:Nie Wider Fron und Lehen - Besuch auf Burg Yossenfels

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Burg Yossenfels, 7. Travia 1036 BF

Er stand in Hemdsärmeln am Fenster der Burg, blickte auf die Felder hinunter und atmete tief die morgendliche Luft ein. Es war Herbst. Die Blätter der Bäume hatten sich bunt verfärbt und auch die Sonne schien nicht mehr so warm, wie noch vor wenigen Wochen. In den Niederungen, wo häufig Flussläufe oder Weiher zu finden waren, konnte er noch Nebel erkennen, doch würde es sich im Laufe des Tages noch auflösen, wenn die Sonne höher stieg. Und auch die Bauern blieben in ihren Hütten, hatten sie doch bereits ihre letzte Ernte eingebracht.
In der Ferne konnte er mehrere Reiter ausmachen, die auf dem Weg zur Burg ritten. Offenbar bekam der Burgherr zu diesen Morgenstunden Besuch. Doch wandte er sich vom zugigen Fester ab und streifte sich seinen Panzerhandschuh über seine fehlende linke Hand. Eigentlich war es ja kein Panzerhandschuh – unter Soldaten und Söldnern war es eher die Bezeichnung "Veteranenhand" geläufig. Wenn man damit die Hand zur Faust ballte, schnellten vier kurze Klingen aus dem Handrücken heraus, die verheerenden Schaden anrichten konnten. Da ihm aber die linke Hand fehlte, war eine Vorrichtung nötig gewesen, damit er "seine" Hand ballen konnte. In Gareth hatte er einen begabten Schmied gefunden, der das für ihn bewerkstelligt hatte. Und das Beste an seiner neuen Hand war, dass es leicht als Unterarmprotese verwechselt werden konnte. Und in gewisser Weise war es ja auch eine Protese. Als er sich fertig angekleidet, sein Schwert gegürtet und nochmals mit den Stiefeln aufgestampft hatte, damit sie richtig saßen, klopfte es an seiner Tür. Es war ein Diener, der ihm mitteilte, dass der Burgherr ihn im Thronsaal sehen wollte.
"Will er sich endlich meinem Anliegen widmen?", fragte er den Diener. "Oder will er mich nur als Dekoration in der Halle haben, während er Gäste empfängt?"
"Ähm, nun ..." stotterte der Diener und wagte nicht ihm in die Augen zu sehen. "Der Herr hat mir nicht ... ich meine ..."
"Schon gut", unterbrach er das Gestottere und schob den Diener zur Seite. "Ich kann mir schon denken, weshalb er mich dabei haben will."
Auf viele Menschen wirkte er finster und gefährlich und die wenigsten wagten es sich ihm zu nähern, geschweige denn ihn anzusprechen. Vermutlich wollte der Burgherr entweder die Gäste, die er heute auf dem Weg zur Burg gesehen hatte, einschüchtern oder er wollte schlicht und einfach Gefolgsleute zeigen. Denn wenn man wissen wollte, wie mächtig jemand wirklich war, dann sah man es am Besten an der Anzahl des Gefolges. Oder vielleicht auch beides, überlegte er.

Der Thronsaal war schlicht eingerichtet. Die Wände waren mit einfachen Wandteppichen behangen, die alte Zeiten zeigten, als das Haus Yossenstein noch über die Ländereien herrschte, die heute dem Haus Norden gehörten, und an einem Ende ragte der aus dunklem Holz gemachte Thron in die Höhe, auf dem der Burgherr, Helmbrecht von Yossenstein, saß und seine Gäste empfing.
Während der Haushofmeister der Burg neben dem Thron stand und ein finsterer Mann mit eisernem Arm an der Wand lehnte und die Szenerie beobachtete (und sich drei weitere Diener im Hintergrund hielten), traten die Gäste herein.
Die Gruppe bestand aus drei Personen und wurde angeführt von Thordenin von Norden, dem Sohn und Verwalter des Junkers. Begleitet wurde er von einer wohlbeleibten Frau mit flächigem Gesicht zu seiner linken und einem schlanken Jüngling zu seiner rechten. Alle drei trugen sie Kleidung in denen die Farben weiß und rot vorherrschten. Beim Eintreten musterte Thordenin die Anwesenden im Saal. Beim Anblick des Eisenarms weiteten sich seine Augen kurz vor Überraschung. Dann wandte er sich dem Burgherren zu.
"Welch eine Ehre. Solch hohen Besuch habe ich zu dieser frühen Stunde nicht erwartet", begrüßte Helmbrecht seine Gäste, mit deutlich vernehmbarer Ironie in der Stimme.
Thordenins Verneigung bestand aus einem Kopfnicken und lies durchblicken, dass sich hier Personen von gleichem Stand begegneten. „Ganz meinerseits, aber manche Dinge dulden keinen Aufschub und der Briefverkehr ist auf diese Entfernung eher Hindernis als Fortschritt.“ Nach der Begrüßung deutete Thordenin auf seine Begleiter. „Meine Nichte Brandane kennt ihr ja bereits und hiermit stelle ich euch meinen Sohn Walderion vor.“ Brandane erwiderte ihre Vorstellung ebenfalls mit einem Kopfnicken, während Walderion eine Verbeugung machte. „Doch auch in Eurem Gefolge erblicke ich ein neues Gesicht“, fuhr Thordenin fort während er den Fremden ansah. „Es wäre mir eine Freude seine Bekanntschaft zu machen.“
Obwohl es Thordenins Verhalten nicht an Höflichkeit mangelte, bemerkte Helmbrecht, dass er auf die üblichen Floskeln des Bittens und Dürfens verzichtete. Helmbrecht blickte kurz auf den noch immer an der Wand lehnenden Mann. "Das ist Belgos al´Ceelar", antwortete er. "Seit geraumer Zeit Gast auf meiner Burg." Doch dann wandte er sich wieder Thordenin zu. "Von welchen Dingen habt Ihr gesprochen, die keinen Aufschub dulden?", kam Helmbrecht gleich zur Sache.
Thordenin hatte den Eindruck, dass Helmbrecht wütend war und seine Wut hinter der Maske der Freundlichkeit mehr schlecht als recht verbarg. “Alzelar, dieser Name ist mir nicht geläufig …” erwiderte Thordenin. “Aber ich möchte Euch nicht länger auf die Folter spannen, Eure Ungeduld ist ja auch durchaus angebracht. Ich gehe sicherlich recht in der Annahme, dass Euer Gast – Belgos richtig? - Euch bereits über die Vorkommnisse in Nimmerjoch informiert hat. Wir wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Mann auf den seine Beschreibung passt, erst kürzlich die Gastfreundschft unseres schönen Marktes in Anspruch genommen hat. Da er sich danach auf dem Weg in Eure Richtung machte, wollten wir hören ob er nicht zufällig hier vorbei gekommen wäre. Da er aber nun direkt vor mir steht, erübrigt sich dies. Nun stellen sich mir also die Fragen was Herrn von Alzelar nach Nimmerjoch geführt hat und weshalb er nicht in unserer Burg vorstellig wurde, wie es sich für einen durchreisenden Edelmann gehört. Ihr müsst zugeben, dass der Zeitpunkt seiner Durchreise durch Nimmerjoch doch zumindest höchst unglücklich gewählt war." Auch wenn Helmbrecht darauf gewartet hatte, machte Thordenin nicht den Fehler eine andere Person im Raum anzusprechen ohne deren Erlaubnis zu sprechen vom Burgherren erhalten zu haben.
"Er hat mir tatsächlich berichtet, was in Nimmerjoch geschehen ist", sagte Helmbrecht. "Und er hat mir auch erzählt, dass Ihr den Bruder meines Verwalters" – er deutete auf den Haushofmeister neben ihm – "fest nehmen habt lassen." Nun beugte er sich vor und fixirte Thordenin mit seinem Blick. "In den von den Göttern mir gegebenen Recht habe ich auch die Verpflichtung für meine Untertanen zu sorgen. Ich verlange, daß Ihr Melchor Goldwart wieder freilaßt! Dann werde ich mich dieser Sache annehmen."
Die Dreistigkeit von Helmbrechts Forderung überraschte Thordenin, aber er bewahrte eine gelassene Miene. “Ich denke hier liegt wohl ein Missverständnis Eurerseits vor. Ich bin nicht hier um Euch einen Wunsch zu erfüllen Herr von Yossenstein. Ich habe den Auftrag die Zusammenhänge über die Ereignisse in Nimmerjoch zu ergründen. Daimokratische Elemente haben sich der Druckerei bemächtigt um sie zur Hetze zu verwenden und Melchor Goldwart, einer der Untertanen des Herren vom Nimmerjoch - der zufälligerweise in Euren Diensten steht - wurde am nächsten Tag in eben jener Druckerei aufgegriffen und hat sich damit des Einbruchs schuldig gemacht und möglicherweise auch der Verhüllung eines Verbrechens. Daraufhin wurde er von der Garde Nimmerjochs gefangen genommen und fristet nun sein Dasein im Verlies der Burg bis über sein weiteres Schicksal entschieden ist. Zur gleichen Zeit hielt sich ein stark gerüsteter Krieger im Markt auf, der nicht beim Herren angekündigt wurde, der - wie ich gerade erfahren habe - überraschenderweise auch Euer Gast ist. Im Namen des Herren vom Nimmerjoch befehle ich Euch, Herr von Yossenstein, dass Ihr erklärt was Eure Bediensteten zu dieser Zeit in Nimmerjoch zu schaffen hatten.”
Zornesröte breitete sich in Helmbrechts Gesicht aus, während er aufstand und mühsam seine Wut zu bändigen versuchte. "Ihr beschimpft mich daimokratischer Umtriebe?!", rief er. "Frechheit! Mein Verwalter versicherte mir, daß sein Bruder lediglich Vorräte kaufen wollte. Vorräte, die wir hier auf der Burg dringend brauchen! Und Ihr werft ihn einfach in den Kerker und kommt anschließend hier her in meine Burg und unterstellt mir Verbrechen, die ich und meine Männer angeblich begangen haben?
Seht!", brüllte er nun und deutete auf die Wandteppiche. "Seht Euch diese Bilder an! Es zeigt eine bessere Zeit, eine Zeit, die noch glorreich für diesen Landstrich war, bevor Ihr und Euresgleichen kamt. Damals hätte es keine solche Umtriebe wie in Eslamsgrund gegeben! Ihr lasst unser Land und unsere Gesellschaft vermodern und verotten und aufrichtige Männer in den Kerker werfen! Wollen wir doch sehen, ob es Euch in einem Kerker ebenso gefällt! Wache!", rief er nun und deutete auf Thordenin und seine Begleiter. "Ergreift sie!"