Geschichten:Nie Wider Fron und Lehen - Der Fremde

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Markt Nimmerjoch, 13. TRA 1036

Seufzend schloss Marwan das Buch, welches ihm Gardist Gertenwald überreicht hatte. Das Dämmerlicht reichte inzwischen nicht mehr aus, um zu lesen. Er haderte mit sich, ob er nicht alle Vorsicht über Bord werfen und einfach eine Kerze entzünden sollte. Doch Licht im verlassenen Druckhaus würde zu schnell Aufmerksamkeit erregen. Außerdem hatte er das Buch bereits ausgelesen, und war kurz davor, es ein zweites mal zu beenden.

Gelangweilt legte der Geweihte seine Lektüre bei Seite und schaute hungrig auf seine verbliebenen Vorräte im Korb. Da einige Tage seit Darians letztem Besuch vergangen waren, hatte er sich angewöhnt die Vorräte besser einzuteilen. Wer wusste schon, wann der Gardist das nächste mal Nahrung brächte. Er beschloss dennoch einen Kanten Hartkäse abzuschneiden, und diesen bei einem Blick auf das abendliche Geschehen im Dorf zu genießen. Leider war das Abendprogramm wenig unterhaltsam. Die Bevölkerung war aufgrund der anbahnenden Fehdeunruhen recht vorsichtig geworden. Man verzog sich früh ins Haus und verschloss Türen und Läden, selbst wenn das Wetter noch angenehm mild war; erst Recht, wenn der frische Wind kleine Regentropfen vor sich hertrieb, wie am heutigen Abend. Dennoch wünschte sich Marwan, er könnte seine Zuflucht verlassen und hinausgehen, um einen Spaziergang zu machen. Die Wände des Druckhauses kamen ihm inzwischen beklemmend eng vor, und die Luft abgestanden und verbraucht. Die eine oder andere schlaflose Nacht, hatte er es gewagt die Hintertür des Gebäudes zu öffnen und wenige Schritte vor die Tür zu setzen, aber zu einem ausgiebigen Spaziergang, war die Furcht vor einer Entdeckung dennoch zu groß.

Nachdem er den letzten Bissen Käse verschlungen und seinen Blick gerade vom tristen Dorfplatz abwenden wollte, bemerkte er einen Schatten, welcher im Zwielicht zwischen den Häusern hindurch huschte. Marwan versuchte einen genaueren Blick auf die Gestalt zu erhaschen, konnte aber aufgrund der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze des weiten Umhanges nicht einmal feststellen, welches Geschlecht die Person hatte. Recht zielgerichtet, aber darauf bedacht keine Aufmerksamkeit zu erregen, steuerte die Gestalt auf das Druckhaus zu, bis sie aus Marwans Sichtfeld verschwand.

Aufgeregt erhob sich der Geweihte von seiner Warte und eilte zur Tür seiner Kammer. Er öffnete sie zur Hälfte und horchte in die Druckerhalle. Marwan merkte gar nicht, dass er vor Spannung die Luft anhielt, um auch ja kein Geräusch zu überhören.

Nach einer quälend langen Ewigkeit hörte Marwan das Schaben des Riegels der Hintertür, welche dann durch einen Luftstoß schlagartig aufgestoßen wurde. Ein gemurmelter Fluch aus einer Männerkehle, die sich nicht nach Darian anhörte, ertönte. Danach wurde die Tür wieder geschlossen.

Marwan schlug das Herz bis zum Hals, als er sich von der Kammertür wieder zurück zog, und sich panisch im Raum umschaute. Wer war dieser Fremde? War er wegen dem flüchtigen Geweihten gekommen, oder suchte er einfach nur in einem verlassenen Gebäude Zuflucht vor dem Regenwetter? Der fremde Mann schien unten eine Laterne zu entzünden. Zu den Zwölfen betend, hoffte Marwan, dass es sich um Darian oder dessen Kontaktperson handelte.

Vorsichtshalber wollte er sich die Eisenstange greifen, welche stets neben der Tür ruhte, doch seine tastenden Hände fanden sie in der Dunkelheit nicht vor. Da fiel ihm ein, dass er zum Schlafen seine Notwaffe neben seine Ruhestätte gelehnte hatte. Da lag sie vermutlich immer noch.

Die Stufen in der Halle knarzten, als Schritte die Stiegen erklommen. Gehetzt eilte er durch den Raum, stolperte in der Dunkelheit über den Vorratskorb und landete polternd auf dem Dielenboden.

Die Tür zur Kammer öffnete sich langsam, und die helle Laterne schob sich in den Raum, und nahm Marwan die Sicht auf die Gestalt dahinter. Auf dem Rückend liegend kroch der Geweihte zu seiner Schlafstätte. „Darian?“ Die Verunsicherung muss deutlich in seiner Stimme zu hören gewesen sein.

„Nein.“ sagte der Mann knapp und trat hinein.

Endlich hatte Marwan die Eisenstange erreicht und hielt sie nun schützend vor sich. Ehe er eine weitere Frage stellen konnte, landete ein schweres klammes Bündel vor seinen Füßen. Dann zog der Fremde die Kapuze zurück. Ein gutaussehender Mann mittleren Alters kam zum Vorschein.

„Es ist Zeit, euer Gnaden.“




Prasselnd fiel der Regen herab und durchnässte die beiden Gestalten auf dem Kutschbock bis auf die Haut. Die Nacht war bereits hereingebrochen, und der Weg vor ihnen war stockfinster. Nur der Laternenschein einer Wegherberge, hundert Schritt vor ihnen, spendete etwas Licht.

„Ich verstehe nicht.“ Durchbrach Marwan die Stille. „Wir sind keine Stunde unterwegs, und ihr wollt einkehren?“

Der Fremde, der sich nur als Alfredo vorgestellt hatte, nickte knapp. Seine vollen schwarzen, an den Schläfen graumelierten Haare und seine markante, wenn auch nicht unattraktive Nase, zeichneten ihn als Südländer aus. In seiner Sprache schwang ein leichter Akzent mit, welchen Marwan als almadanisch einschätzte.

„Sollten wir nicht weiter fahren, bis wir müde werden?“ hakte der Geweihte nach.

„ICH bin müde. Nur weil ihr den ganzen Tag in der Stube verbracht habt, heißt das nicht, dass ich nichts zu tun hatte.“

Marwan musste dem Fremden Recht geben. Der Almadaner hatte bestimmt den ganzen Tag mit den Vorbereitungen für die nächtliche Schmuggelaktion zugebracht. In dem Bündel, welches der Fremde dem überraschten Geweihten überreicht hatte, war ein ganzer Satz reisefester Kleidung eines Mittelständers verpackt. Unweit des Druckhauses hatte bereits ein unscheinbarer Karren mit diversem Tand auf der Ladefläche gestanden, welche wohl als Handelsware durchgehen sollte, und die ganze Zeit über hatte ihm Alfredo deren neue Identität für die Reise eingebläut.

„Ja gut, aber sollten wir nicht so schnell wie möglich weg von hier? Wir haben ja nicht mal Nimmerjoch hinter uns gelassen.“

Der Almadaner zuckte mit den Schultern. „Warum auch? Ihr sagtet, es hat euch, bis auf den Gardisten, niemand gesehen, also kennt euch niemand. Vergesst nicht, wir sind zwei fahrende Händler, die den ganzen Tag unterwegs waren. Wie auffällig wäre es dann nachts weiter zu fahren, ganz zu schweigen gefährlich.“

Marwan brummte ungehalten. „Dann hätten wir auch im Druckhaus bleiben können.“

„Damit man uns bei Tagesanbruch das Druckhaus verlassen und wegfahren sieht? Nein, neue Deckmäntel schneidert man am besten in der Nacht.“

„Also gut, dann halt euer Weg.“ Seufzend wischte sich Marwan das Wasser aus dem Gesicht. Sein ledriger Schlapphut hatte vor einiger Zeit aufgehört den Regen abzuhalten. „Wenn das so ist, warum, bei Travias Güte, gehen wir dann nicht hinein?“ er deutete auf die Herberge, welche noch kein Stück näher gerückt war.

Der Almadaner hatte nämlich vor einer gefühlten Ewigkeit den Karren angehalten und den Blick starr aufs Gasthaus gerichtet, während der Regen sie immer mehr und mehr durchweichte. Zunächst dachte Marwan, er wollte die Umgebung nach Gefahren absuchen, aber nun wurde es ihm doch zu lächerlich lang.

Alfredo schlug kurz die Augen nieder. „Ihr stellt ganz schön viele Fragen, euer Gnaden.“

Marwan blinzelte entgeistert, bevor er energisch nickte. „Äh…JA!“ Gab es eine offensichtlichere Erkenntnis, die man gegenüber einem Nandus-Geweihten machen konnte.

„Ihr seid noch zu trocken.“

„Ich bin was?“ Falls dies ein Scherz war, verstand ihn Marwan nicht.

„Ihr seid noch zu trocken. Von der langen Reise -ihr versteht- wäret ihr völlig durchnässt. Ein kundiger Beobachter, wie der Wirt mit Sicherheit einer sein wird, wird erkennen, dass ihr unter eurem Umhang noch viel zu trocken für eine solche Reise seid. Schon haben wir Aufmerksamkeit erregt, die wir nicht haben wollen.“

Marwan schloss aus der Gereiztheit der Stimme seines Gegenübers, dass jener diese Notwendigkeit selber nicht gerne erledigte. Er war sich sicher, dass es an Feuchtigkeit in Alfredos Kleidung nicht mangelte, war diese doch schon bereits klatschnass, als der Almadani das Druckhaus betreten hatte. Bestimmt sehnte sich sein „Schmuggler“ genauso sehr nach einer warmen trockenen Stube, wie er es selbst tat. Also beschloss Marwan ihm zu vertrauen, und dessen Anweisungen vorerst nicht mehr in Frage zu stellen.

„Wer schickt euch?“ Marwan wunderte es, dass diese Frage ihm erst jetzt einfiel. Es bestand kein Zweifel, dass Alfredo der Kontakt war, welcher Darian erwähnt hatte. Aber wer steckte hinter dem Ganzen?

„Es ist das Beste, wenn ihr nicht zu viel wisst.“

Marwan drehte den Kopf zur Seite und schaute den Almadani verständnislos an. Ein Aufblitzen seiner Zähne verriet dem Geweihten ein schamloses Grinsen. „Verzeiht, ich konnte nicht anders.“ Als Alfredo amüsiert kicherte, verzog Marwan missmutig das Gesicht. Bald war er aber froh, dass die gespannte Stimmung von seinem Nebenmann abgefallen war, also stimmte er schmunzelnd mit ein.

„Aber im Ernst, es ist wirklich besser, wenn ihr noch nichts über euren Gönner wisst. Zu gegebener Zeit, wird er sich euch mit Sicherheit zu erkennen geben.“

Wie es Marwan hasste, ständig im Dunkeln zu tappen, als wäre er ein unbelehrbarer Ignorant. Bereits in Alfredos Gegenwart, der eine gewisse Straßenschläue an den Tag legte, kam sich Marwan so unsaglich dumm vor. Das Leben ist wohl doch die beste Lehrmeisterin, wie man so schön zu sagen pflegte.

„Ich denke, ihr seid nun nass genug.“ Sagte Alfredo bald und setzte den Karren in Bewegung.