Geschichten:Demission und Nachberufung - Der Fuchs auf Hasenjagd

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Anfang Rahja 1033 BF

Hilbert kauerte etwas irritiert auf der gepolsterten Bank jener schwarzen Kutsche, die ihn am späten Abend abgeholt hatte. Eigentlich hatte er dem Zedernkabinett nur die Breitenhainer Abrechnung überbringen wollen, ein paar zusätzliche Lieferungen für Sertis deichseln und vor allem mit einem Kontaktmann Luidors reden, dessen Einfluss auf die Reiseroute des Kaiserhofes nicht unerheblich war. Das war alles bereits geschehen, dies war die letzte Nacht in Gareth. Morgen sollte es zurückgehen in den Reichsforst, wo die Hochzeitsvorbereitungen des Pfalzgrafen auf Hochtouren liefen.

Doch dann war dieser Mann auf seiner Schwelle erschienen: groß, leicht füllig mit einem runden Gesicht, einer ruhigen Stimme und dem Anschein eines ausgeglichenen Temperamentes. Er war schlicht gekleidet und hatte eine auffällige Armbinde in den Farben Grün, Weiß und Blau um den linken Arm gelegt. »Hilbert von Hartsteen. Hochwohlgeboren. Wenn Ihr uns wohl begleiten wollte?«, hatte der Mann gesagt und sich als Baron Bärhardt von Kranick zum Kranickfluchs vorgestellt, Baron von Kranick in den Nordmarken. Und dann hatte er noch ein Schreiben und einen Siegelring dabei, die Hilbert überzeugten, in die Kutsche zu steigen, auf deren Bock noch zwei Gestalten mit Armbinden saßen. Die bereit liegende Armbrust entging Hilbert nicht, aber was sollte ihm schon passieren?

Die Fahrt dauerte lange, Hilbert bemerkte nach einer Weile, dass die Kutsche die Stadt verlassen hatte und auch nicht über die Reichsstraße fuhr. Irgendwann endlich hielt die Kutsche auf dem Hof eines großen Gutshofes, Fackeln liefen herum, Hilbert hörte Leute reden. Der Verschlag wurde geöffnet, und Baron Bärhardt bat den Pfalzgrafen hinaus. Hilbert blickte sich um. Auf dem Hof standen einige Kutschen, viele Menschen liefen hier herum. Auch kaiserliche Soldaten. Vor dem Tor sah Hilbert zwei Wachen stehen, viele Fenster des Gutes waren erleuchtet. Er wusste ums Verrecken nicht, wo er war. Da entdeckte er endlich ein bekanntes Gesicht, den bekannten Turnierritter Glaubert von Eschenrod, der aber auf Hilberts Winken nicht herüberkam, sondern nur grüßte. Baron Bärhardt ging voran auf das Hauptgebäude zu. Über eine Wendeltreppe in einem Treppenturm, der die Fassade mittig teilte und mit seiner markanten Turmhaube architektonisch reizte, erreichten sie einen großen getäfelten Flur, in dem an einigen provisorisch aufgebauten Tischen Schreiber die Tätigkeit verrichteten, die ihnen die Berufsbezeichnung gab. Rechts folgte Hilbert dem Baron bis in ein großes, ebenfalls dunkel getäfeltes Gemach, das von einem mächtigen Kronleuchter erhellt wurde und in dem ebenfalls ein paar Schreiber am Werk waren.

Als Hilbert eintrat, unterbrach des Reiches Erzkanzler sein Gespräch mit einem älteren Adligen, der ebenfalls diese Armbinde trug: »Ah, schön dass Ihr es einrichten konntet. Bärhardt, bring bitte die Tintenkleckser hinaus. Landfried kann bleiben.«

Erst als alle den Raum verlassen hatten außer Hilbert, Hartuwal und dem Schreiber Landfried, der sich an ein Tischen zum Protokoll gesetzt zu haben schien, setzte Hartuwal ein joviales Lächeln auf.

»Exzellenz, wie hätte ich zögern sollen, da Ihr mich auf so ungewöhnliche Weise zu Euch ruft. Wo sind wir hier eigentlich?« Hilbert setzte sich auf einen Lehnstuhl an einem reich geschnitzten Tisch, Hartuwal nahm auf einem anderen Gegenüber Platz.

»Auf einem der Gutshöfe der Familie Eschenrod, die ja heutzutage im Südquartier nicht mehr sicher ist. Junker Hugobert habt Ihr ja gerade hinausgehen sehen. Und das hier ist sein Sohn Landfried, seit Jahren schon ein treuer Diener des Reiches und ...« Hartuwals Pause war beredt. » Möchtet Ihr etwas trinken, Dom Hilbert?«

»Einem Becher Wein wäre ich nicht abgeneigt.«

»Ja, das hörte ich bereits. Ich kann Euch kalten Tee anbieten. Pfefferminz. Erfrischt und nützt dem Magen.« Hartuwal sprach dies in seinem ihm eigentümlichen metallenen Tonfall, und Hilbert konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als wäre gerade eine Waffe gezogen worden.

Landfried brachte den gewünschten Tee in irdenen Krügen.

»Also, Dom Hilbert, Ihr fragt Euch sicherlich, warum ich Euch mitten in der Nacht vor die Tore der Stadt bringen lasse, ohne mich vorher anzukündigen. Dies ist eine lange Geschichte, die ich kurz halten möchte: Ich befinde mich auf der Durchreise, und seit die Neue Residenz nur noch von solchen frequentiert wird, die deutlich dämonischer sind als Ihr oder ich, wie Ihr wisst, muss ich sehen, wo ich unterkommen kann. Vor allem, wenn ich keine Lust habe, mich in Gareth bei Alrik und Sturmfels vorstellen zu müssen, weil bekannt ist, dass ich da bin. ›Sturmfels‹ ist sozusagen das Stichwort. Kennt Ihr den Baron Hagen von Salmingen-Sturmfels, Höchlich Adliger Richter am Reichsgericht?«

»Nicht wirklich. Ist der nicht beim Reichstag in Perricum als Reichsrichter zurückgetreten?«

»Genauso verhält es sich.« Hartuwal machte eine Kunstpause, in die Hilbert nicht hinein zu fragen klug genug war. »Jetzt wird die Krone einen neuen Richter ernennen. Sturmfels hat den Burggrafen Oldebor vorgeschlagen, die Kaiserin findet das interessant. Nach meinen Informationen gibt es aber in unmittelbarer Umgebung der Kaiserin Pläne, andere Persönlichkeiten zu favorisieren. Spannend, nicht wahr? Der Rabe und die Elster waren sich sehr sicher, diese Personalie unter sich ausmachen zu können. Daran habe ich aber kein Interesse.«

»Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Exzellenz?« Hilbert ahnte, in welche Richtung es gehen würde.

»Oldebor ist eine logische Wahl. Er ist integer, klug und in Rechtssachen gebildet. Seine Loyalität steht außer Frage ...«

»Aber?«

»Aber er könnte sich übernehmen. Er hat doch schon hart mit Gareth zu kämpfen, mit der Verwaltung der Raulsmark – die Neue Residenz zum Beispiel fällt in seine Obhut, und er hat es bis heute nicht geschafft, die Splitter der Fliegenden Festung vom Areal zu entfernen oder es exorzieren zu lassen. Ihr seht, wie belastet er sein muss. Er ist zudem kein Nordmärker. Gut – einen solchen kann man jetzt gerade eh nichtdurchsetzen.« Hartuwal nippte an seinem Tee.

»Und außerdem ist er nicht meine Wahl. Meine Wahl fällt auf Euch.«

»Auf mich?« Bis eben hatte Hilbert noch gedacht, er sollte Oldebor denunzieren oder so etwas.

»Ja, auf Euch. Ihr seid ein hochrangiger Vertreter des garetischen Adels, Ihr habt den halben Altadel des Königsreiches als Verwandte, Euer Vetter Luidor ist seit Jahren ein guter Freund und Verbündeter, Ihr habt auch Rechtskenntnisse. Und Ihr seid mit Sertis keinesfalls ausgelastet.«

Hilbert hörte nur halb zu. ›Höchlich Adliger Reichsrichter Pfalzgraf Hilbert von Hartsteen« – das klang gut! Hartuwal riss ihn aus den Gedanken: »Was haltet Ihr davon?«

»Ich würde gern darüber noch einmal schlafen, Exzellenz.«

»Ihr lehnt aber nicht gleich ab?«

»Nein, Exzellenz. Ich überlege es mir.«

»Gut, verstehe. Ich schicke Euch morgen einen meiner Koradiner, der wird die Antwort abholen. Hugobert oder Bärhardt. Ich muss morgen gen Elenvina aufbrechen. Praios mit Euch, Dom Hilbert.« Sie gaben sich die Hand, und Hilbert verließ die Kammer wieder.

»Hast Du mitgeschrieben, Landfried?«

»Nein, Exzellenz. Nur eine kurze Notiz über Teilnehmer und Gegenstand des Gesprächs.«

»Gut.«

»Exzellenz, darf ich fragen, warum Ihr Hilbert unterstützt und nicht doch einen Nordmärker durchzusetzen versucht?«

»Ganz einfach, Landfried: Hilbert ist ein Vertreter des garetischen Uradels. Dieser Uradel hat ein großes Interesse daran, im ganzen Reich wieder mehr Einfluss zu gewinnen, beispielsweise durch einen der Ihren im Reichsgericht. Indem ich einen solchen Altadligen unterstütze, kaufe ich mir die Unterstützung der Alten Häuser mit ein. Dem Raben mache ich außerdem damit einen Strich durch die Rechnung. Von allen möglichen Kandidaten aus den Alten Häusern Garetiens ist aber keiner so windig, wetterwendisch und vor allem so leicht erpressbar wie Hilbert. In Wahrheit – aber das werden die Hartsteens und Lurings nicht so bald mitbekommen – ist Hilbert kein Vertreter der Ihren, sondern leicht zu manipulieren. Wenn er auch zu schlau ist, um ihn ganz zur Mirhamionette zu machen, so kann man seinen und damit den garetischen Einfluss im Gericht leicht neutralisieren. Er ist außerdem nicht gerade mutig und sehr eitel. Er wird garantiert zusagen. So, und nun noch schnell die Berichte der Koradiner aus Almada, bitte!«