Heroldartikel:Schlimme Nachrichten auf dem Kriegsrat zu Weyhenhorst

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Schlimme Nachrichten auf dem Kriegsrat zu Weyhenhorst


Meisterin der Mark grausam ermordet - Prinz Edelbrecht in orkischem Hinterhalt?


Von allen Seiten wird das Raulsche Reich schier unaufhörlich bedrängt. Noch immer steht der Feind im Osten, da erhebt im Norden schon wieder der Schwarzpelz sein abstoßendes Haupt. Nach Weyhenhorst hatte die greifenfurtsche Kanzlerin, Meisterin der Mark Faduhenne von Gluckenhagen, im Namen der erkrankten Markgräfin geladen - auf der Heerschau sollten Pläne wider den Orkenangriff geschmiedet werden.

Aus Garetien reiste Seine Edelhochgeboren Oldebor von Weyringhaus als Vertreter des Zedernkabinettes an. Im buchstäblich letzten Moment hatte sich uns auch sein reizendes Schwiegertöchterchen Rhodena von Weyringhaus-Ruchin angeschlossen.

Leider geriet uns ausgerechnet die letzte Etappe der mehrtägigen Fahrt etwas länger als geschätzt. Als wir weit nach Sonnenuntergang endlich die Feste Weyhenhorst erreichten, war der erste Teil des Kriegsrates schon vorbei. Ihre Hochgeboren Gunelde von Dergelstein besaß die Freundlichkeit, mir über die Geschehnisse der vorangegangenen Stunden zu berichten. Hart zur Sache muss es gegangen sein!

Baradar von Plaue war mit der Meisterin der Mark auf das Schärfste aneinander geraten. Er wollte seine Truppen unter dem tobrischen Banner seiner Heimat nach Weiden schicken, damit das eine Herzogtum dem anderen beistehen könne. Die Kanzlerin schlug ihm dies rundheraus ab. Sie könne nicht verantworten, auch nur eine einzige Schwerthand von der mehrere Tagesreisen langen Front abzuziehen. Und im übrigen - denn seine Liebe zur alten Heimat sei allgemein bekannt - möge er zwar tobrische Heimaterde in einem Medaillon um den Hals tragen, seine Füße stünden nun aber einmal auf Greifenfurter Boden! Als der Baron von Plaue noch immer keine Ruhe geben wollte, schnitt ihm die Kanzlerin kurzerhand das Wort ab und zitierte ihn zu sich - zu einem Gespräch unter vier Augen nach dem Ende des Kriegsrates. Unnötig zu sagen, dass diese Gespräche mit der Kanzlerin so manchen Adligen Greifenfurts schon haben zittern machen.

Um so erstaunlicher, dass Baron Baradar alsbald in bester Laune an die Lagerfeuer im Heerlager unterhalb der Burg herantrat! Fröhlich prostete er einigen Getreuen mit dem guten Dergelsteiner Zwetschge zu - und tönte lautstark, er habe "die Henne endgültig gerupft". Viele Federn habe sie lassen müssen, und er habe es ihr ordentlich gezeigt. Ein halbes Stündlein blieb er feiernd unten im Lager, bevor er schweren Schrittes in die Burg zurückwankte.

Am nächsten Morgen versammelte man sich erneut zum Kriegsrat. Bestürzende Nachrichten hatten die Runde gemacht. Woher die Botschaft kam, mögen allein die Götter wissen - doch es war Gewissheit, dass der Koscher Erbprinz Edelbrecht mit seinem Zug über den Finsterkamm in einen orkischen Hinterhalt geraten war. Die Adligen aus dem Fürstentum wollten sogleich hinterher reiten, um den geliebten Prinzen zu retten. Das hätte wohl des Plazets der Meisterin der Mark bedurft, doch die war nirgendwo zu sehen.

Ausgerechnet der zarte Lassan, jüngster Sohn des Burggrafen Oldebor, musste die Kanzlerin dann finden. Er sah sie, als er auf Bitten des Vaters hin das Fenster öffnete: mit zerschmettertem Schädel lag sie auf dem Berghang unterhalb der Burg! Ganz richtig wusste Baron Baradar die vielen Blicke zu deuten, die sogleich auf ihm lasteten, denn sofort rief er "Ich war es nicht!" Nun ja. Heißt es nicht: "Wer sich verteidigt, klagt sich an?"

Dem feigen Morde zum Trotz wollten die Koscher noch immer sogleich los reiten. Mit Müh und Not konnte der Baron von Nebelstein ihnen wenigstens eine Stunde Wartens abringen - als hätte es sie nicht im Geringsten gestört, eine ungesühnte Bluttat und einen unbestraften Verbrecher in ihrem Rücken zu wissen. Eine Stunde blieb somit, um den Mörder der Faduhenne von Gluckenhagen zu enttarnen und zu bestrafen.

Mit der Kriegsgerichtsbarkeit schienen sich die hohen Herrschaften nicht allzu gut auszukennen; die einschlägigen Paragrafen des Allgemeinen Militärorganisationsgesetzes waren ihnen wohl nicht geläufig. Nur die Schwester des Barons zu Haselhain, Baroness Ariana von Pfiffenstock-Ruchin aus dem Hause Fir‘Ennock, in der heimatlichen Edelgrafschaft Perricum die oberste Richterin ("Kadi" genannt"), wusste in der Rolle der Anklägerin, was zu tun war.

Denn die Indizien waren eindeutig. Baradar von Plaue war schon zum wiederholten Male mit der Kanzlerin aneinander geraten. Niemand hatte die Meisterin der Mark nach dem Gespräch mit dem Baron noch gesehen. Großspurig hatte der Baron am abendlichen Lagerfeuer verkündet, er habe "die Henne" - welch despektierliche Bezeichnung für Ihre Exzellenz! - "gerupft". In der Nacht ihres Todes hatte die Kanzlerin noch von eigener Hand ein Schreiben verfasst und gesiegelt, mit dem sie dem Baron den Abzug seiner Truppen gestattete. Das hätte eine Entlastung sein können und wurde vom Angeklagten Baradar auch so behauptet. Nur berief er sich auf ein Bittschreiben des tobrischen Kanzlers, dem Faduhenne angeblich Folge geleistet hatte - unnötig zu sagen, dass dieser angebliche Brief unauffindbar war. Vielmehr hatte die Kanzlerin in ihrem Tagebuch eindeutig von Erpressung geschrieben. "Damit wird er nicht davonkommen", das waren wohl die letzten Worte dieser großen Frau. Und - als hätte es dieses letzten Beweises noch bedurft - in der Hand der Toten fand sich an zerrissener Kette das Amulett mit tobrischer Erde, das der Baron von Plaue niemals, niemals ablegte!

Einfach zu überblicken waren die Geschehnisse, eindeutig die Beweise - doch was in Praios' Namen machten die Versammelten daraus! Die Wachen der Kanzlerin waren auf grausamste Weise ermordet worden, ein Gefolgsmann des Barons wurde tot aufgefunden? Sonnenklar, dass Baradar von Plaue mit seinem Gehilfen vor oder nach dem Mord an Ihrer Exzellenz die Wachen beseitigte und hernach seinen Mitwisser über die Klinge springen ließ! Das Fenster im Zimmer der Kanzlerin ließ sich nicht öffnen? Dann muss er sie aus dem Saalfenster des Kriegsrates direkt darunter geworfen haben! Aber nein, wie besessen suchten die Adligen nach unsichtbaren Haaren in dieser Suppe. Immer wilder wurden die Spekulationen, immer gewagter die Theorien, immer abwegiger die Vermutungen. Es schien, als hätten sich alle miteinander verschworen, die einfachsten Wahrheiten zu verleugnen. Ja, einer der Anwesenden verstieg sich sogar zu der Forderung "In dubio pro reo" - im Zweifel für den Angeklagten. Als wüsste nicht jedes Kind, dass es - zumal in Kriegszeiten - allemal besser ist, einen Unschuldigen zu strafen als einen Schuldigen laufen zu lassen. Nein, die Strafe wäre eindeutig gewesen: Tod durch das Schwert - möge Boron sich seiner Seele annehmen, so er denn (wider jeden Anschein, wohlgemerkt!) unschuldig gewesen sein sollte.

Allein, außer der gestrengen Kadi schien niemand diese Grundsätze so recht zu achten. Als das Gericht mit seinen respektablen Schöffen von der Beratung zurückkehrte, spottete die Milde des Urteils jeder Beschreibung. Baradar von Plaue wurde erlaubt, mit seinen Truppen nach Tobrien zu ziehen. Ein Gottesurteil sollte über Schuld oder Unschuld entscheiden - wenn er lebend nach Greifenfurt zurückkehren würde, dann wäre seine Unschuld erwiesen. Selbst diese äußerste Großzügigkeit wurde von dem Angeklagten noch verhöhnt: "Praios schütze meinen Rücken" war sein erster Kommentar zu diesem Urteil - als unterstelle er jedem anderen die gleiche Bereitschaft zu feigem und kaltblütigem Mord, wie er sie selbst an den Tag gelegt hatte.

Doch immerhin war das Verfahren - innerhalb der den Koschern abgerungenen Stunde - einem Ende zugeführt worden. So konnte man sich im unmittelbaren Anschluss im Festsaal versammeln und die tapferen Streiter feierlich verabschieden. Und eine Feier wurde es tatsächlich noch. Denn nun wurde öffentlich verkündet, dass die Markgräfin nicht wegen einer ernsthaften Erkrankung dem Kriegsrat ferngeblieben war, sondern weil Tsas Segen auf ihrem Leibe liegt! Das war nun wahrhaftig ein Grund zum Feiern - ein Lichtblick in all dieser Dunkelheit.


Friedwart Wiesenbach

Lic. Iur. (Beilunk)

Secretarius Seiner Edelhochgeboren Oldebor von Weyringhaus


Autor: O. Baeck