Heroldartikel:Der Architekt als Entdecker

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Hinweise auf ein Königreich Luring

HARTSTEEN: Als die Fundamente des erst vor wenigen Götterläufen errichteten Friedenstempels zu Hartsteen einer neuerlichen Unterfangung bedurften, weil das Erdreich nachgegeben hatte, entdeckte man ein altes Gewölbe, das erstaunliche Zeugnisse aus den Dunklen Zeiten zutage förderte.

Friedensreich von Cronenfurt war mehr als ungehalten, dass sein junges Tempelbauwerk nach nur drei Jahren erste Risse zeigte. Der Tsa-Tempel war eine Stiftung der Heiligen Gräfin Thuronia gewesen, den Cronenfurt getreu seinem Motto errichtete: »Es gibt keine Missstände der Natur. Es gibt nur Missstände des Menschen.« Das Bauwerk ist ein spektakuläres Spiel mit unterschiedlichen Farben und Formen, die natürlich ineinander zu fließen scheinen und so der Jungen Göttin würdig sein sollte. Die Risse im Gemäuer traten zuerst just in jener Seitenkapelle auf, die der Stifterin und Tsa-Heiligen Thuronia von Quintian-Quandt geweiht wurde, als wollte sie Hinweise darauf geben, dass es innerhalb der Mauern etwas Bedeutsames gäbe.

Als die Risse bedrohlicher wurden, ließ Bruder Arnhold, der Tempelvorsteher und Vertrauter der Eidechse, nach dem Architekten Friedensreich von Cronenfurt schicken, der sogleich mit der neuen Unterfangung des offenbar absackenden Fundamentes begann. Bei diesen Arbeiten stieß man auf das Gewölbe aus Urzeiten, das tief im Hartsteener Erdreich einen jahrhundertlangen Schlaf gehabt haben muss. Arbeiter stiegen hinein und entdeckten außer viel Staub, Rost, Geröll und Tierknochen zuerst eine veritable Gruftassel, die den stillen Ort offenbar als ihre Heimat betrachtete, und nach deren Ableben einen Buchdeckel aus lauterem Gold. Das Buch selbst, der Pergamentblock, war vollständig verrottet, doch der Deckel mitsamt der Schließe hatte dem Verfall standgehalten. Sie wurde zu weiterer Untersuchung in die Madaburg nach Gareth verbracht, wo sie von Hesindion von Rossreut, einem Magister aus dem Garether Hesinde-Tempel, und dem Conservator der Draconiter Hesindian zu Stippwitz untersucht wurde. Nach Reinigung vom Schmutz der Jahrhunderte zeigte sich ein feines Relief auf dem Buchdeckel, das offensichtlich zu einem Gebetsband zu Ehren des Gottes Brajan, also Praios, gehört und überdies den Donator des teuren Werkes nennt: »Regina Roana«. Dieser Name ist nicht unbekannt, es gibt Legenden von einer Königin Roana von Luring, die angeblich am Ende des sechsten Jahrhunderts vor dem Fall Bosparans ein Königreich im silva garetensis, dem Garetischen Wald oder Reichsforst, begründet haben soll. Auf diese Königin, der sich der Sage nach der Greif Luringan offenbart hatte, führt das Grafenhaus Luring sich noch heute zurück. Die Schließe scheint die Existenz und die familiäre Kontinuität in Luring zu beweisen, denn ein Wappen auf der Buchschließe stellt einen Greifen auf einem Balken dar und wird von einem Panther und einem Luchs als Schildhalter gehalten. Das ist noch heute das Wappen der Familie!

Der Reichsforster Seneschall Horulf von Luring forderte denn auch die Hesinde-Kirche auf, Buchdeckel und Schließe nach Luring zu überstellen, »wo sie herkommen und wo sie hingehören«. Die Madaburg hingegen hält dieses Zeugnis der Vergangenheit für zu wichtig, als dass man es in die Hände unkundiger Adliger geben wollte, weshalb es sich nach wie vor im Asservatorium der Madaburg befindet.

Und das Gewölbe? Nachdem alles Interessante daraus entfernt worden war, ließ Friedensreich von Cronenfurt den Hohlraum mit einem Sand-Mörtel-Gemisch ausfüllen, so dass die Fundamente des Tsa-Tempels jetzt wieder gesichert sind. Es ist spannend, was Risse im Gemäuer dem Menschen erzählen können!

Jagodar von Galothini